Das chinesische Neujahrsfest beginnt am 29.1.2025 unter der dem Zeichen der Schlange, besser gesagt der Grünen Holzschlange. Haben Sie sich bereits damit vertraut gemacht, was die künftige Herrin des Jahres verspricht? In diesem Artikel gehen wir einem besonderen usbekischen Artefakt auf die Spur.
Während dem chinesischen Kalender in Deutschland eine recht marginale Bedeutung zukommt, genießt er in vielen Regionen Zentralasiens größere Aufmerksamkeit. Viele Städte organisieren Neujahrsfeierlichkeiten, Zeitungen diskutieren und deuten die Bedeutung des Jahrestieres und vielerorts entsteht ein spiritueller Dialog. In Usbekistan spielen sicher auch die zunehmenden Bildungspartnerschaften mit China eine nicht unbedeutende Rolle. Nun geht das Jahr des kreativen und fantasievollen Drachen dem Ende zu und macht Platz für die Schlange. Symbolisiert sie in christlich geprägten Gesellschaften meist das Böse schlechthin, steht sie als Teil der zwölf chinesischen Tierkreiszeichen a priori für Weisheit und Schönheit [Anm. d. Ü.].
Unterstützt Novastan – das europäische Zentralasien-Magazin
Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Usbekische Forscherinnen und Forscher assoziieren das diesjährige Jahrestier mit einem besonderen archäologischen Fundstück, das ein bis heute ungelöstes Rätsel trägt: die zweiköpfige So‘x-Schlange. Der einzigartige Fund ist ein heiliges Zeichen der alten Geschichte Usbekistans. Tursunali Kuziyev, stellvertretender Direktor der Agentur für kulturelles Erbe Usbekistans und Kunstschaffender teilte sein Wissen hierzu mit Podrobno.uz.
Wiege der Zivilisation
Das im Fergana-Tal gelegene So’x hebt sich geographisch und historisch vom Rest des Landes ab. Es liegt in einer usbekischen Exklave, die vollständig von kirgisischem Territorium umgeben ist und gilt als Wiege der Zivilisation. Hier treffen sich Geschichte und Mystik, unter der Erde sprudeln lebensspendende Quellen, die vom ewigen Schnee des Alaigebirges gespeist werden. Nahe der Sel‘Ungur-Grotten fanden Archäologen Überreste eines Menschen, der vor 1,5 Millionen Jahren gelebt haben soll. Sie nannten ihn „Ferganatrop“, das wie der linguistische Begriff „Tropus“ auch auf ein Sinnbild, eine Richtung verweist, also „auf Fergana gerichtet“ [Anm. d. Ü.].
So’x war einst mehr als nur eine einfache Siedlung, sondern bereits im ersten Jahrtausend v. Chr. eine große Stadt. Dies belegen Zeugnisse der „Hudūd al-ʿĀlam“-Schrift und Hinweise arabischer Reisender aus dem 10. Jahrhundert. Selbst Babur Chan, der Gründer des Mogulreichs, beschrieb So‘x als wichtiges Zentrum. Nach seiner Eroberung Samarkands Anfang des 16. Jahrhunderts verbrachte er dort ein Jahr, bevor er nach Kabul aufbrach.
Vom 12. bis 8. Jahrhundert v. Chr. erblühte zudem die Kultur in So’x. Archäologische Funde aus dieser Zeit zeugen von einem für damalige Verhältnisse hohen Lebensstandard und von bemerkenswerten handwerklichen Fertigkeiten.
Entdeckungen aus den hunnischen Katakomben lassen außerdem auf Bestattungsriten und Glaubensvorstellungen schließen, die im dritten und vierten Jahrhundert vorherrschten. Dadurch erhalten wir einen Einblick in die geistige Welt unserer Vorfahren und ihre Vorstellungen von Leben und Tod.
Ein Jahrtausende altes Geheimnis
Der größte Schatz liegt jedoch zweifellos im ältesten Artefakt dieses Ortes – dem so genannten „So‘x-Amulett“, das Ende des 19. Jahrhunderts gefunden wurde. Es zeigt eine aus Jade gefertigte, zweiköpfige Schlange, Die Schlangenköpfe, die sich mit geöffneten Mäulern ansehen, warenwohl ursprünglich mit Edelsteinen verziert. Doch haben sie bis heute eine starke Ausdruckskraft und tragen zudemsymbolische Bedeutung.
Lest auch auf Novastan: Die Ungewöhnlichsten archäologischen Funde Zentralasiens
Laut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern stammt das Amulett aus der Bronzezeit (3. Jahrtausend v. Chr.). Damit ist es älter als die meisten vergleichbaren Artefakte, die in anderen Teilen der Welt bei Ausgrabungen auftauchten. Dies macht das Schlangen-Amulett zu einem interessanten Forschungsgegenstand.
Obwohl es kaum größer als ein Schulheft ist, bringt das Artefakt fünf Kilogramm auf die Waage. Es ist dauerhaft im Staatlichen Geschichtsmuseum von Usbekistan ausgestellt, war jedoch auch mehrfach auf Weltausstellungen zu sehen. und eroberte dort die Herzen von Antiquitätenliebhaberinnen und -liebhabern: erstmals im New Yorker Metropolitan Museum of Art (2003), später im Pariser Louvre (2022-2023) und zuletzt der Berliner James-Simon-Galerie (2023-2024).
Forscherinnen und Forscher nehmen an, dass es sich bei dem Amulett um ein göttliches Wappen mächtiger Herrscher handelt, die vor fast fünftausend Jahren im florierenden Fergana-Wilaya in Usbekistan regierten. Die zwei Köpfe der Schlange symbolisierten möglicherweise eine doppelte Macht, die Einheit zweier Gegensätze – Weisheit und Schutz. Noch immer bemühen sich Wissenschaftler mehr über die Bedeutung des mysteriösen Amuletts herauszufinden..
Vielleicht ist diese Schlange ein Fenster in die Vergangenheit, das uns zeigt, wie Geschichte und Mythologie, Symbolik und Realität zu jener Zeit ineinander verwoben waren? Für mich persönlich ist sie eine Erinnerung daran, dass die Weisheit der Generationen über Jahrhunderte hinweg weiterlebt. Dass wahre Schätze nicht nur materiell sind, sondern auch im Wissen um unsere Vergangenheit stecken.
Deshalb ist das Jahr der Schlange eine großartige Gelegenheit, sich selbst weiterzuentwickeln und in die Geheimnisse der Geschichte einzutauchen, die wie Edelsteine darauf warten, entdeckt zu werden.
Podrobno.uz
Überarbeitet und Übersetzt aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat
Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.