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Kasachstan will seine Wasserabhängigkeit von anderen Ländern um 25 Prozent verringern

Ende 2023 hat Kasachstan mit dem Bau von neun neuen Stauseen begonnen. Dies soll dabei helfen, die Wasserabhängigkeit von den Nachbarstaaten zu verringern. Immerhin bezieht das Land fast die Hälfte (46 Prozent) des Wassers aus Quellen in den umliegenden Ländern. Diese Wasserabhängigkeit soll um ein Viertel verringert werden. CABAR hat Experten gefragt, ob dieses Ziel erreicht werden kann.

Der Balachasch-See in Kasachstan als ein schützenswertes Ökosystem, Photo: Wikimedia Commons.

Ende 2023 hat Kasachstan mit dem Bau von neun neuen Stauseen begonnen. Dies soll dabei helfen, die Wasserabhängigkeit von den Nachbarstaaten zu verringern. Immerhin bezieht das Land fast die Hälfte (46 Prozent) des Wassers aus Quellen in den umliegenden Ländern. Diese Wasserabhängigkeit soll um ein Viertel verringert werden. CABAR hat Experten gefragt, ob dieses Ziel erreicht werden kann.

Helfen Stauseen, Wasser zu sparen?

Kasachstan hat ein ernstes Problem bei der Bewältigung von Wasserproblemen. Dmitrı Kalmykov, Hydrogeologe und Entwicklungsdirektor des regionalen ökologischen Museums Karaganda, meint dazu: „Zu Sowjetzeiten wurden Tausende von Stauseen gebaut, die dann lange Zeit nicht überwacht wurden, so dass viele baufällig wurden. Jetzt wird Geld ausgegeben, um diese Stauseen zu sanieren. Aber sie wurden in einem anderen Land und unter anderen Bedingungen gebaut. Daher ist es nicht immer sinnvoll, Stauseen zu sanieren.“

Im Gegenteil würden in vielen Ländern Stauseen entfernt, weil sie unter bestimmten Bedingungen schädlich sind. Zum Beispiel erhöhen Stauseen die Wasserverluste durch Verdunstung. Wird ein Stausee entfernt, kann die Feuchtigkeit in den Untergrund gelangen und die Grundwasserreserven wieder auffüllen.

Bulat Esekin, ein internationaler Experte für Umweltpolitik und institutionelle Rahmenbedingungen, vergleicht Stauseen und Dämme in Flüssen mit Blutgerinnseln in menschlichen Arterien. Aus diesem Grund würden Stauseen und Dämme überall auf der Welt beseitigt. So wurden beispielsweise in Europa und den USA 2023 mehr als 500 solcher Anlagen zerstört.

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„Sie wurden in den Jahren der Gigantomanie gebaut, ohne die negativen Folgen zu bedenken“, erklärt Esekin. „Jetzt stellen die Industrieländer den natürlichen Flusslauf von Flüssen, Seen und Feuchtgebieten wieder her. Natürliche Flussregime sind die zuverlässigste Grundlage für eine langfristige Wasserversorgung von Wirtschaft und Bevölkerung und für die Wiederherstellung von Wasserkreisläufen, die für die Erhaltung des Klimas notwendig sind.“

Deshalb, so der Experte, sei der Bau von Stauseen eine unzuverlässige Lösung, um die Abhängigkeit von anderen Ländern zu verringern. Berücksichtigt man die Interessen aller Beteiligten, komme man zu dem Schluss, dass sie mehr Schaden als Nutzen bringen.

„Stauseen können nicht gebaut werden, ohne ihre Auswirkungen auf die Natur und die lokalen Gemeinschaften zu bewerten – alle internationalen Abkommen und nationalen Gesetze verlangen dies. Die Regierung sollte auf die Wissenschaft und die lokalen Gemeinschaften hören und die globalen Trends berücksichtigen“, kritisiert Esekin.

Lokale Lösungen

Dmitrı Kalmykov ist sich sicher, dass es unwahrscheinlich ist, die Abhängigkeit von anderen Ländern ohne grundlegende Maßnahmen zum Wassersparen zu verringern. Man müsse mit den Problemen innerhalb des Landes beginnen, und davon gäbe es viele.

„In Kasachstan werden die Wasserressourcen ineffizient genutzt. Die zentralasiatischen Länder gehören zu den verschwenderischsten Staaten in Sachen Wasserverbrauch, obwohl aufgrund der Trockenheit sorgsam damit umgegangen werden sollte. Auch der kasachstanische Staat fördert keine Kultur des sparsamen Umgangs mit den natürlichen Ressourcen“, so der Experte.

„Für eine effizientere Nutzung des Wassers sollten etwa in landwirtschaftlichen Betrieben Wassermessungen eingeführt werden“, fügt der politische Analyst Aıdar Amrebaıev hinzu. Er schlägt weiter vor, Maßnahmen gegen die Versalzung von Bewässerungsflächen zu ergreifen und Erdkanäle in Rohrleitungssysteme umzuwandeln, um Verluste zu verringern. Außerdem sollten digitale Technologien eingeführt werden, um die Wassernutzung zu optimieren und Verluste zu verringern.

Stärke liegt im Wasser

Die Abhängigkeit von anderen Ländern bei der Wasserversorgung zu verringern, ist eine unwahrscheinliche Aussicht, so Finanzanalyst Arman Beısembaıev: „Vielleicht hat die Regierung einen ausgeklügelten Plan, von dem wir nichts wissen. Aber weder ein detaillierter Plan noch Zahlen wurden der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.“

Jetzt sei es notwendig, sich mit den Nachbarländern zusammenzuschließen: „In einem im März 2023 veröffentlichten UN-Bericht heißt es, dass in Zukunft Kriege wegen des Wassers in Zentralasien möglich sind. Wir müssen also verhandeln und dürfen nicht auf Autarkie spielen. Wir sollten uns nicht übergroß aufbauschen, wenn es um eine lebenswichtige Ressource geht.“

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Beısembaıev schlägt vor, die Situation aus der Perspektive der Wirtschaftsbeziehungen zu betrachten. Für ihn bedeutet dies, der anderen Seite im Austausch für Wasser das zu geben, was sie nicht hat: „Kirgistan wird uns mehr Wasser geben, und im Gegenzug gewähren wir Handelspräferenzen, Rabatte auf Öl, Gas oder andere Rohstoffe.“

Von den acht Wassereinzugsgebieten, die Kasachstan mit Wasser versorgen, sind sieben grenzüberschreitend, meint der politische Analyst Aıdar Amrebaıev. Er fügt hinzu, dass Kasachstan in der Wasserpolitik unbedingt eine Koordinierung mit seinen Nachbarn benötige und ein rein nationaler, segmentierter Ansatz für die Wasserressourcen inakzeptabel sei.

„Angesichts des weltweiten Klimawandels wird Zentralasien schon in fünf Jahren mit einem Wasserdefizit von etwa 12 Kubikkilometern pro Jahr konfrontiert sein. Dies erfordert eine Reduzierung der Wasserverluste um 2,5 Prozent pro Jahr. Nach Berechnungen der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) müssten die Wassereinsparungen in der Region bis 2035 35 Prozent erreichen“, so Amrebaıev.

Weitere ökologische Katastrophen wie beim Aralsee möglich

Esekin stimmt zu, dass die Nachbarländer sich nicht gegenseitig das Wasser wegnehmen dürfen, sondern Möglichkeiten für eine gemeinsame Bewirtschaftung finden müssen, die mehr Möglichkeiten für eine produktivere Nutzung des Wassers und der damit verbundenen natürlichen Ressourcen bietet.

„In der sogenannten Wasserdiplomatie ist eine detaillierte Analyse erforderlich“, meint Esekin. „Es ist notwendig, alle Optionen für die Nutzung der Wasserressourcen zu berechnen: wo sie am meisten gebraucht werden und wo sie den größten Nutzen bringen, etwa für die Industrie oder die Fischerei. Und auf dieser Grundlage müssen Mechanismen für eine gemeinsame Bewirtschaftung und eine gerechte Aufteilung der Vorteile und Risiken geschaffen werden.“

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Seiner Meinung nach wird die Fortsetzung der derzeitigen Politik unweigerlich zum Kollaps führen – zu neuen Umweltkatastrophen, ähnlich wie beim Aralsee. „Das Gleiche wird mit anderen natürlichen Ökosystemen, wie dem Balchasch-See geschehen, die den größten Wert Kasachstans darstellen“, warnt Esekin. „Wir müssen unsere Nutzung von Wasserressourcen sowie unsere Herangehensweise ändern, damit die Zahl der Katastrophen und die damit verbundenen Zwangsmigrationen, Konflikte und Kriege nicht zunehmen.“

Ilona Sokolova für CABAR

Aus dem Russischen von Michèle Häfliger

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