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Kasachstan stimmt für Atomkraft

Per Referendum hat sich die Bevölkerung Kasachstans mehrheitlich für den Bau des ersten Atomkraftwerks im Land ausgesprochen. Während die Regierung diesen historischen Schritt begrüßt, sind viele Bürger:innen über die Grauzonen des Projekts besorgt. Internationale Beobachter:innen stellen derweil den demokratischen Charakter der Abstimmung in Frage.

Kasachstan bekommt sein erstes Atomkraftwerk (Symbolbild), Photo: Pexels

Per Referendum hat sich die Bevölkerung Kasachstans mehrheitlich für den Bau des ersten Atomkraftwerks im Land ausgesprochen. Während die Regierung diesen historischen Schritt begrüßt, sind viele Bürger:innen über die Grauzonen des Projekts besorgt. Internationale Beobachter:innen stellen derweil den demokratischen Charakter der Abstimmung in Frage.

Am 6. Oktober waren die Kasachstaner:innen aufgerufen, über den Bau des ersten Atomkraftwerks des Landes abzustimmen. Nach dem offiziellen Ergebnis, das die Zentrale Wahlkommission am 8. Oktober veröffentlichte, stimmten 71,12 Prozent für das Projekt. Die Wahlbeteiligung lag bei 63,6 Prozent.

Der Bau von zwei Druckwasser-Kernreaktoren mit einer Leistung von 1.200 bis 1.400 Megawatt wird sich über einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren erstrecken. Diese Reaktoren sollen bis 2035 rund 12 Prozent  von Kasachstans Energiebedarfs decken und einen Teil der Kohle ersetzen, die derzeit mehr als die Hälfte des nationalen Energiemix ausmacht.

Eine aktive Kampagne

Das Ergebnis liegt dabei über dem, was das Kasachstanische Institut für Strategische Studien im August prognostizierte. Dessen Wählerumfrage ergab laut Astana Times eine Unterstützung von rund 53 Prozent.

Um die Popularität des Projekts in einer Bevölkerung zu stärken, die noch immer von den sowjetischen Atomtests bei Semipalatinsk (heute Semeı) geprägt ist, führten Staatschef Qasym- Jomart Toqaev und seine Regierung eine mehr als 400 Tage dauernde Kampagne durch. Staatsrat Erlan Qarin erklärte, dass dies die längste Kampagne in der Geschichte des Landes gewesen sei. 

Die Kampagne sollte die Bevölkerung von der Notwendigkeit überzeugen, Uranreserven auszubeuten, um mit der wachsenden Stromknappheit fertig zu werden. Ein wichtiges Argument in einem Land, in dem der Stromverbrauch die Produktion um fast 2,3 Milliarden Kilowattstunden (kWh) übersteigt. Laut Eurasianet prognostiziert das Energieministerium eine Verschärfung des Energiedefizits bis 2025.

Ein überwältigendes „Ja“ vor Ort

Die Energiefrage hat insbesondere den Süden des Landes mobilisiert, eine relativ benachteiligte Region, in der es aufgrund der veralteten Infrastruktur regelmäßig zu Stromausfällen kommt. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission verzeichneten die Gebiete Türkistan und Qysylorda mit 75,3 beziehungsweise 82,5 Prozent die höchsten Wahlbeteiligungen.

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Auch in Ülken, wo das Kraftwerk entstehen soll, war die Wahlbeteiligung hoch: 70 Prozent der Einwohner:innen hatten laut Kazinform bereits um 14 Uhr abgestimmt. Wie bne IntelliNews berichtete, zeigte sich der Bürgermeister des kleinen Fischerdorfs am Balqash-See bei einer von der Regierung organisierten öffentlichen Konsultation im August begeistert von dem Projekt, das „Arbeitsplätze [schaffen] und neue Investitionen anlocken wird“.

Nach Angaben von Kazinform sprachen sich insgesamt 956 der 1.096 Wahlberechtigten in Ülken für den Bau des Atomkraftwerks aus, 79 waren dagegen.

Desinteresse in den großen Städten

Städte wie Almaty und Astana verzeichneten hingegen eine historisch niedrige Wahlbeteiligung von 25,4 beziehungsweise 50,8 Prozent. Dies verdeutlicht die Umweltbedenken der städtischen Bevölkerung. Vor allem Almaty war seit der Ankündigung des Projekts ein Zentrum des Widerstands.

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Für diesen Teil der Wähler:innenschaft, der über die Entsorgung von radioaktivem Müll und die von einer solchen Anlage erzeugten Emissionen besorgt ist, ist das Land nicht auf Kernenergie angewiesen, um seine Energiesicherheit zu gewährleisten. Eine dieser Stimmen ist Aset Nauryzbaev. Der ehemalige Chef der kasachischen Stromnetzgesellschaft (KEGOS) behauptet: „Die Lösung wäre ein deutlicher Ausbau erneuerbarer Energien wie Wind- und Solarenergie, die sechsmal billiger sind als Atomenergie!“

Die Aktivist:innen, die bereits vor dem Referendum von den Behörden festgenommen worden waren, wurden den ganzen Tag über streng überwacht. Elvira Bekzadina wurde in Astana während einer Protestaktion gegen das Atomkraftwerk von der Polizei festgenommen, Aset Abichev in Almaty auf dem Weg zu einem Büro, berichtet Radio Azattyq. Die Festnahmen trüben das Bild der „direkten Demokratie“, welches Kasachstans Regierung auf der internationalen Bühne fördern wollte.

Internationale Beobachter:innen machtlos

177 Beobachter:innen aus 30 Ländern gingen in den mehr als 10.000 Wahllokalen ihrer Arbeit nach. Sie waren von der kasachstanischen Regierung eingeladen worden, um die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses in den Augen der internationalen Gemeinschaft sicherzustellen.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis die ersten Unregelmäßigkeiten gemeldet wurden: So berichtete das unabhängige Nachrichtenportal Vlast, dass die Stiftung „Erkindik Kanaty“ um 10 Uhr den Verweis eines ihrer Beobachter aus einem Wahllokal in Astana meldete. Dieser hatte zuvor gefilmt, wie eine Wählerin von der Wahlkommission manuell in das Wählerverzeichnis eingetragen worden war.

Auch andere Vergehen wie Stimmzettelfälschung, Festnahmen von Gegner:innen des Bauprojekts sowie Verweise von Beobachter:innen erhöhten die Spannungen in mehreren Büros. So sehr, dass einige Beobachter:innen beschlossen, sich zurückzuziehen. Die Stiftung HAQ gab gegenüber Vlast bekannt, dass sie den Einsatz der ursprünglich geplanten 300 Beobachter:innen zur Überwachung der Wahllokale in verschiedenen Regionen des Landes aufgeben würde.

Fragen ohne Antworten

Während des Referendums gab es nur sporadische Stellungnahmen aus der kasachstanischen Politik. Ministerpräsident Oljas Bektenov weigerte sich, in seinem Wahllokal mit Journalist:innen zu sprechen. Der frühere Staatschef Nursultan Nazarbaev wünschte dem kasachstanischen Volk nüchtern „viel Glück“.

Die Grauzonen um das Atomprojekt bleiben also bestehen. Auf die Frage, wer die Anlage bauen und betreiben werde, antwortete Präsident Toqaev auf einer Pressekonferenz, ein „internationales Konsortium globaler Unternehmen mit den fortschrittlichsten Technologien“ sei seiner Meinung nach die beste Option. Eine clevere Möglichkeit, die Frage zu umgehen, die sich alle Kasachstaner:innen seit der Ankündigung des Projekts stellen.

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Einer der Kandidaten ist Rosatom. Dies wurde im August 2023 von Kasachstans Energieminister Almasadam Sätqaliev gleichzeitig mit der Kandidatur der drei anderen in Betracht gezogenen Unternehmen bekannt gegeben: dem französischen Unternehmen EDF, der China National Nuclear Corporation (CNNC) und Korea Hydro & Nuclear Power.

Auch wenn das „Ob“ mit dem Referendum geklärt ist, bleiben also noch viele Fragen offen.

Manon Madec für Novastan

Aus dem Französischen übersetzt und überarbeitet von Robin Roth

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