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Das Erbe von Taboschar – Über den Uranabbau in Tadschikistan und seine Folgen

In Tadschikistan hat die Rekultivierung offener Uranrückstände aus Sowjetzeiten begonnen. Für den vollständigen Rückbau aller Abfälle werden nach inoffiziellen Angaben etwa 55 Millionen US-Dollar benötigt werden.

Ein saurer See in Tadschikistan
Ein saurer See in Tadschikistan, in dem Erz abgebaut wurde

In Tadschikistan hat die Rekultivierung offener Uranrückstände aus Sowjetzeiten begonnen. Für den vollständigen Rückbau aller Abfälle werden nach inoffiziellen Angaben etwa 55 Millionen US-Dollar benötigt werden.

Die russische Atomenergiegesellschaft „Rosatom“ möchte im ersten Quartal 2022 mit der Rekultivierung von offenen Uran-Abraumhalden sowie dem Industriegelände der ehemaligen Uranaufarbeitungsanlage in Istiqlol (bis 2012 Taboschar) im Norden Tadschikistans beginnen. Dies erklärte Nikolaj Spasskij, Rostatoms stellvertretender Generaldirektor für internationale Angelegenheiten, laut Angaben der russischen Nachrichtenagentur TASS am 11. November 2021 in einer Rede vor dem Rat der Regierungschefs der GUS-Staaten.

Zur Sanierung radioaktiver Absetzbecken und Abraumhalden hatte die GUS-Kommission für die friedliche Nutzung der Atomenergie das zwischenstaatliche Zielprogramm „Rekultivierung der vom Uranbergbau betroffenen Gebiete 2013-2023“ verabschiedet. Die finanzielle Hauptlast des circa 13 Millionen Euro schweren Programms trägt Russland mit 75 Prozent. Den verbliebenen Anteil tragen Kasachstan (15 Prozent), Tadschikistan (5 Prozent) und Kirgistan (5 Prozent).

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In Bezug auf den Fortschritt dieses Programms stellte Spasskij fest, dass „das geplante Fertigstellungsdatum gemäß dem genehmigten Programm sowohl für Kirgistan als auch für Tadschikistan Ende 2023 ist“. Mit Bezug auf Tadschikistan betonte er, dass „hier die Aufgabe darin besteht, die Abraumhalden und das Industriegelände der ehemaligen Uranaufarbeitungsanlage in der Nähe der Stadt Istiqlol zurekultivieren. Die technischen Lösungen sind vollständig ausgearbeitet, jetzt schließen wir die Wettbewerbsverfahren ab. Wir gehen davon aus, dass wir in den nächsten ein bis zwei Monaten einen Vertrag unterzeichnen werden und wir im ersten Quartal 2022 mit der Arbeit beginnen können.“

Eine teure Sanierung

Die Entsorgung aller radioaktiven Abfälle in Tadschikistan wird große finanzielle Ressourcen erfordern, über die der Staatshaushalt nicht verfügt. Das Land hofft auf finanzielle Hilfe von internationalen Organisationen und Geberländern und bewegt sich daher Schritt für Schritt auf die vollständige Neutralisierung der Uranrückstände zu.

Die OSZE, die Europäische Union, die Internationale Atomenergiebehörde, die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und andere Organisationen haben sich zusammengeschlossen, um entsprechende Projekte zu finanzieren. Laut der Website des wissenschaftlichen Journals Atomic Energy 2.0 ratifizierte die Maschlisi Namojandagon, das Unterhaus des tadschikischen Parlaments, im Dezember 2019 eine Vereinbarung mit der EBWE über die Gewährung eines unentgeltlichen Zuschusses in Höhe von 33 Millionen Euro.

„Diese Mittel werden verwendet, um die Uranrückstände in Dehmoj und Taboschar im Norden Tadschikistans – in der Provinz Sughd – zu neutralisieren“, erklärte der damalige Minister für Industrie und neue Technologien, Sarobiddin Faisullosoda, vor den Abgeordneten. Der Rückbau der Uranhalden erfolgt im Rahmen des Nationalen Konzepts der Republik Tadschikistan für die Sanierung von Rückständen aus Uranerzverarbeitungsabfällen für 2014-2024, das Anfang August 2014 von der tadschikischen Regierung beschlossen wurde.

Wie alles begann

Istiqlol (bis 2012 Taboschar) liegt 45 Kilometer von der Provinzhauptstadt Chudschand entfernt. Zu Sowjetzeit lebten in der geschlossenen Stadt mehr als 25.000 Menschen. Heute sind es 12.000. Die Uranlagerstätte Taboschar wurde 1926 entdeckt. Zwischen 1944 und 1965 wurde hier aktiv Erz abgebaut. Noch während des Zweiten Weltkriegs stellte sich die oberste Führung der UdSSR die Aufgabe, eine eigene Atombombe zu entwickeln und herzustellen. Mitte Mai 1945 wurde durch einen Erlass des Staatsverteidigungskomitees der UdSSR in Leninabad (heute Chudschand) das „Bergbau- und Chemiekombinat Nr. 6“ zur Gewinnung und Verarbeitung von Uranerzen gegründet.

Istiqlol Uranerz
Reste von Uranerz in Istiqlol. Foto: Aziz Rustamov

Laut dem Physiker Hotam Murtasajew wurden in jenen Jahren bis zu 90 Prozent aller Abbau-, Transport- und Verarbeitungsvorgänge manuell durchgeführt. „Für den schnellsten Transport von Erz zum Beispiel in der Lagerstätte Mailuusuu wurde mangels mechanischer Methode ein origineller Weg gefunden – das Erz wurde auf Eseln transportiert. […] Als der Akademiker Dmitrij Schtscherbakow einmal diese „Shuttle“-Reisen der in der Atomindustrie arbeitenden Esel beobachtete, sagte er: Es liegt nicht in meiner Hand, aber ich würde den Eseln ein Denkmal errichten“, berichtet der Physiker.

„Bis Ende 1947 verarbeitete das Kombinat Nr. 6 in Nordtadschikistan 176.600 Tonnen Uranerz und produzierte 66 Tonnen Uran. 1953 erreichte das Verarbeitungsvolumen eine Million Tonnen Erz pro Jahr, aus denen mehr als 400 Tonnen Uran produziert wurden. Am 29. August 1949 wurde auf dem Atomwaffentestgelände Semipalatinsk die erste sowjetische Atombombe mit einer Kapazität von 22 Kilotonnen getestet. Bei seiner Herstellung wurde Uran verwendet, das im Norden Tadschikistans abgebaut wurde“, so Murtasajew weiter.

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„Die lokale Ressourcen reichten nicht aus, also wurde das Erz auch aus anderen Ländern Zentralasiens, Europas und sogar Afrikas gebracht. Im Wettrüsten stellte sich die Führung der UdSSR die Aufgabe, mit den Vereinigten Staaten Schritt zu halten. Die sich schnell entwickelnde sowjetische Nuklearindustrie verlangte immer mehr Uran. Ende der 1980er Jahre ging die Uranproduktion in Tadschikistan zurück und wurde nach dem Zusammenbruch der Union vollständig eingestellt.“, schließt der Professor.

Umstrukturierung

Die Produktion von Urankonzentrat begann in Tadschikistan bereits 1944 in einer Pilotanlage in der Stadt Gafurow. Anschließend wurden auf dem Gebiet von Sughd sechs weitere Anlagen zur Gewinnung von Uranoxid gebaut. Von diesen Anlagen blieb Ende der 60er Jahre eine große Fabrik in der Stadt Tschkalowsk (heute Buston) übrig, die nach einem Umbau in den 80er Jahren Pro Jahr bis zu 1 Million Tonnen Erz verarbeitete und etwa 2.000 Tonnen Uranoxid produzierte.

So wurden in fast 50 Jahren etwa 100.000 Tonnen Urankonzentrat produziert, wodurch sich auf dem Territorium von 6 Bezirken der Povinz Sughd mehr als 55 Millionen Tonnen Abfall mit einer Gesamtaktivität von mehr als 6,5 Tausend Curie ansammelten. Diese Abfälle werden in 10 Abraumhalden beziehungsweise Absatzbecken mit einer Gesamtfläche von 180 Hektar konzentriert, die sich in dicht besiedelten Gebieten sowie im Oberlauf von Nebenflüssen des Syrdarja befinden.

Uranminen Tadschikistan
Verbleibende Stollen von Uranminen in Tadschikistan. Hier wurde Uran manuell abgebaut. Foto: Aziz Rustamov

Wie aus der Präambel des nationalen Konzepts für die Sanierung von Uranrückständen hervorgeht, wurde 1991 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Lieferung von Uranerz aus dem Ausland eingestellt. In der Folge mussten mehrere Einheiten des Staatsunternehmens „Seltene Metalle Tadschikistans“, welche sich mit der Verarbeitung von Uran beschäftigten, praktisch Ihre Arbeit einstellen. Mittlerweile ist die gesamte Infrastruktur des Unternehmens auf die Produktion von Konsumgütern umgestellt.

Bis heute befinden sich die Uranrückstände [sogenannte Tailings, Anm. d. Red.] und das Abraumgestein in Istiqlol in einer Entfernung von 500 Metern bis 4 Kilometer zur Stadt. Der Komplex besteht aus einem Tagebau, demontierten Industriegebäuden und drei Halden, die nach der Säureextraktion mehr als 15 Millionen Tonnen Uranerz-Abfälle enthalten. Etwa 7,6 Millionen Tonnen Uranabfälle aus vier hydrometallurgischen Anlagen wurden hier auf einer Fläche von 54 Hektar verteilt. Angesehen von den Minen befindet sich in der Nähe von Istiqlol ein überfluteter Steinbruch, dessen bis zu 50 Meter tiefes Wasser durch die Abfälle aus der Aufbereitungsanlage verseucht ist.

Das Absatzbecken Dehmoj

Eine der gefährlichsten Deponien für radioaktive Abfälle ist das Absatzbecken Dehmoj. Das Objekt mit einer Fläche von 90 Hektar wurde in den Jahren 1963-1993 durchgehend befüllt. Es befindet sich im Bezirk Gafurow auf einer Höhe von 485 Metern über dem Meeresspiegel und ist 1,5 Kilometer vom Dorf Gosion und 10 Kilometer von Chudschand entfernt. 36 Millionen Tonnen Tailings aus der Uranproduktion, 500.000 außerbilanzielles Uranerz und 5,7 Millionen Tonnen Abfall aus der Verarbeitung vanadiumhaltiger Rohstoffe wurden hier angesammelt. Die chemische Zusammensetzung besteht aus Sulfaten, Carbonaten, Nitraten.

Im Absetzbecken von Dehmoj
Im Absetzbecken von Dehmoj. Von den Wasserrohren und der Pantonen-Brücke für diese Rohre bleibt nur noch Altmetall. Foto: Aziz Rustamov

In den Jahren 2015-2017 wurde aus den Budgets der Provinz Sughd, der Städte Chudschand und Buston sowie des Bezirks Gafurow ein Betrag von 113.600 US-Dollar für die Sanierung von Dehmoj zur Verfügung gestellt. Mit diesen Mitteln wurden etwa 16 Hektar der Anlage mit einer 50 bis 100 Zentimeter dicken Erdschicht bedeckt, wodurch die Ausbreitung von radioaktivem Staub um ein Vielfaches reduziert werden konnte. Dann wurde aufgrund der Finanzkrise die Zuweisung von Geldern ausgesetzt.

Der für Wissenschaft und Ökologie zuständige stellvertretende Direktor des Unternehmens „Seltene Metalle Tadschikistans“, Mirsoschokir Hodschijon, erklärt das Sachverständige verschiedene Gefährdungsfaktoren identifizieren konnten, die vom Absatzbecken Dehmoj ausgehen.

„Dies sind radioaktive Stoffe, die Bestandteil von Staub und Aerosolen sind, aber auch Radongas und radioaktive Strahlung. Die schädliche Wirkung auf den menschlichen Körper ergibt sich aus der Luftverschmutzung mit Radon, der Verwendung von mit Lebensmitteln kontaminierten Produkten sowie daraus, dass Menschen der Strahlung ausgesetzt sind, wenn sie sich in Zonen und Gebieten mit radioaktiver Wirkung befinden“, erklärte Hodschijon im Jahr 2019 auf Anfrage des Autors.

Gesundheitliche Folgen

Im Jahr 2004 wurden in Istiqlol gleich drei Kinder mit Missbildungen geboren – ein beispielloser Fall in der Geschichte der Stadt und des ganzen Landes. Bei zwei von ihnen diagnostizierten die Ärzt:innen eine Rückenmarkshernie und beim dritten eine ösophagotrachealen Fistel [zwischen Luft- und Speiseröhre, Anm. d. Red.]. Alle drei starben am Tag ihrer Geburt. Eltern und Ärzt:innen waren fassungslos.

Eine Verschlechterung des Gesundheitszustands ist auch bei den Einwohner:innen von Gosion in der Nähe des Absatzbeckens Dehmoj zu beobachten. Laut Mirkamol Domullojew, Arzt am Gesundheitszentrum von Gosion, werden jährlich dreißig oder mehr Menschen mit onkologischen Erkrankungen unter den Anwohner:innen registriert. Darüber hinaus lasse sich eine Zunahme von Patienten mit Leukämie beobachten.

„Meiner Meinung nach sind die zunehmenden Fälle dieser Krankheiten mit der Urandeponie verbunden, von der sich ständig Staub ausbreitet, der eine erhöhte Strahlung trägt. Derzeit ist diese Halde teilweise mit Sand bedeckt. Die Bedrohung durch sie bleibt jedoch bestehen“, stellt der Arzt fest.

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Muhabbat, eine Einwohnerin des Dorfes, stellt fest, dass hier nicht nur Menschen oft krank werden, sondern auch Flora und Fauna. „Die Früchte vieler Bäume, wie Aprikosen, Granatäpfel, Trauben, fallen ab, bevor sie reif sind. Die Blätter der Bäume sind ständig mit Staub und Schmutz bedeckt. Dies sind sicher die „Früchte“ der herrenlosen Urandeponie, die wenige Kilometer vom Dorf entfernt liegt“, klagt Muhabbat.

Der Ingenieurswissenschaftler Safar Rasykow schreibt in seinem Buch „Uranlagerstätten in Tadschikistan“ („Урановые месторождения Таджикистана“), dass die chemische Toxizität von Uran, insbesondere in seinen hochlöslichen Verbindungen, für lebende Organismen schädlich ist. Bei Aufnahme über die Atemwege und den Magen-Darm-Trakt lagern sich Uranverbindungen in Knochen, Nieren, Leber, Lunge und Lymphknoten ab und verursachen akute und chronische Erkrankungen.

Das Ausscheiden von Uran aus dem Körper verläuft extrem langsam. Über einen Zeitraum von 70 bis 140 Tagen werden nicht mehr als 50 Prozent der in den Körper gelangten Menge ausgeschieden. Nicht weniger gefährlich für alle Lebewesen ist die Eigenschaft der Radioaktivität, die Uran und seinen Verbindungen innewohnt.

Direkte und indirekte Strahlungseinwirkungen bewirken verschiedenartige Störungen der Vitalaktivität von Zellen, Geweben, Organen und dem lebenden Organismus insgesamt. Ionisierende Strahlung hingegen kann eine Veränderung jener Zellen bewirken, die den Code der Erbinformation tragen. Dies wiederum führt zu Anomalien und Mutationen bei den Nachkommen.

Berge an nutzlosem Abfall

Laut dem Direktor der Agentur für Nuklear- und Strahlensicherheit der tadschikischen Akademie der Wissenschaften, Ulmas Mirsaidow, enthält der radioaktive Abfall, der sich in den Halden und Absatzbecken Nordtadschikistans ansammelt, einen geringen Gehalt an Uran und Radium. Er ist praktisch nutzlos.

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„Die an der Gewinnung und Verarbeitung von Uran beteiligten Unternehmen unterlagen der Geheimhaltung und Informationen über Bergbau- und Verarbeitungstechnologien wurden nicht erhalten. Oft wurden die Anforderungen der Strahlenschutznormen ausgeblendet oder nicht erfüllt, da die Produktionssteigerung von vorrangiger Bedeutung war. Zu Lasten der Sicherheit“, zitiert Asia-Plus die Worte des Wissenschaftlers.

„Das Land braucht etwa 55 Millionen US-Dollar, um die Halden in einen angemesseneren Zustand zu bringen. Wir müssen den Müll vergraben und dann anfangen, diese riesigen Gebiete für wirtschaftliche Zwecke zu nutzen. In den verlassenen Minen gibt es praktisch kein Uran mehr, und die Strahlung kommt allein vom Radium“, erklärte Mirsaidow gegenüber der BBC. Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version dieses Artikels stand, dass Leninabad der ehemalige Name Duschanbes sei. Tatsächlich handelt es sich aber um Chudschand. Wir haben diesen Fehler korrigiert und bitten ihn zu entschuldigen.

Aziz Rustamov für Novastan

Aus dem Russischen von Robin Roth

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