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Bischkek: Die Armut hinter dem Smog

Mit dem Wintereinbruch gibt es in Bischkek keine Sonnenstrahlen mehr, und die Einwohner:innen der Hauptstadt sind wie von einem ständigen Nebel umgeben. Es ist jedoch kein Nebel durch winterliche Niederschläge, sondern der graue Dunst, der die Menschen langsam vergiftet. Smog ist in den letzten Jahren zu einem der drängendsten Probleme in Bischkek geworden.

aimanalieva 

Bischkek
Bischkek

Mit dem Wintereinbruch gibt es in Bischkek keine Sonnenstrahlen mehr, und die Einwohner:innen der Hauptstadt sind wie von einem ständigen Nebel umgeben. Es ist jedoch kein Nebel durch winterliche Niederschläge, sondern der graue Dunst, der die Menschen langsam vergiftet. Smog ist in den letzten Jahren zu einem der drängendsten Probleme in Bischkek geworden.

Am 7. November 2021 lag die kirgisische Hauptstadt mit einem AQI (Luftqualitätsindex) von 269 an der weltweiten Spitze. Der übliche AQI zu der Zeit liege unter 100, so das kirgisische Onlinemedium Kloop.kg. Seit mehreren Jahren schon gehört Bischkek zu den Städten mit der schlimmsten Luftverschmutzung.

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Nach Angaben der lokalen Umweltorganisation MoveGreen gehören zu den Ursachen der Luftverschmutzung das Heizen mit Kohle und anderen Gegenständen, die chaotische Stadtentwicklung, die Zunahme des Autoverkehrs, häufige Temperaturinversionen und Stürme.

Der Stadtrand am stärksten betroffen

Am stärksten trift der Smog jedoch neu errichteten Wohnviertel am Stadtrand, in denen Hunderttausende von Pendler:innen aus den Regionen Kirgistans auf engstem Raum leben. Eine dieser sogenannten Nowostrojki ist Artscha-Beschik, südöstlich von Bischkek. Der Ort ist nur 40 Autominuten vom Zentrum der Hauptstadt entfernt, verblasst aber im Gegensatz zu den hochwertigen Wohnblocks, den flachen Pflastersteinen und den trendigen Cafés der Stadt.

Dieses junge Viertel ist wie ein Schachbrett angelegt. Einige Anwohner:innen haben das Glück, asphaltierte Straßen zu haben, andere haben Schotter, und die Ärmsten müssen über Schlamm und Schneematsch gehen. Dies spiegelt sich auch in den Häusern in Artscha-Beschik wider – es gibt viele ähnlich geformte Häuser, in deren Nähe heruntergekommene Baracken stehen. Gelegentlich sieht man unter diesen Häusern auch reiche Villen mit überdachten Innenhöfen.

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Die ersten Einwohner:innen kamen Ende der 90er Jahre hierher, und später wurde die Gegend immer stärker bebaut. Sie zog immer mehr Neuankömmlinge aus den Regionen an und solche, die einfach nur billiges Land kaufen wollten. Heute sind Grundstücke in Artscha-Beschik zehntausende von Dollar wert, und einige wohlhabende Privatpersonen bauen Luxusvillen und Herrenhäuser weit weg vom Trubel der Stadt.

Die 36-jährige Alija Baktijarowa (Name geändert) zog vor 20 Jahren aus dem ca. 100 Kilometer weiter östlich gelegenen Kemin nach Artscha-Beschik, als die Nachfrage nach Grundstücken für Neubauten noch nicht so groß war. Hier zieht Baktijarowa mit ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter drei Kinder auf und erwartet ein viertes.

„Wenn das Geld mangelt, ist der Smog die geringste Sorge“

Die Familie lebt in einer Gasse in einem bescheidenen einstöckigen Haus – Baktijarowa und ihr Mann arbeiten, während ihre Schwiegermutter sich um die Kinder kümmert. Sie hat eine Schneiderei in der Nähe. Jeden Tag setzt sie sich um neun Uhr morgens an die Nähmaschine und steht erst um neun Uhr abends wieder auf. Im siebten Monat schwanger, mit vollem Bauch, näht sie stundenlang Kleider und knetet dabei gelegentlich ihren müden Rücken.

In der Nähwerkstatt gibt es eine Regel: Je mehr du nähst, desto mehr bekommst du. Und Baktijarowas Familie braucht das Geld dringend, denn das 14.000 Som (circa 145 Euro) hohe Monatsgehalt ihres Mannes kann die Familie nicht ernähren. Und Nahrungsmittel sind nicht die einzige Ausgabe. Die Familie muss auch noch die Kinder kleiden und ihre Wohnung heizen. Sie haben ihr Haus jahrelang nur mit Kohle geheizt – dieses Jahr haben sie weitere fünf Tonnen zu 5000 Som pro Tonne (52 Euro) gekauft.

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Wenn man seine Kinder nicht ernähren kann und nicht genug Geld da ist, ist Smog das Letzte, woran man denkt. Nicht nur Kinder, auch alte Menschen werden durch den Smog krank. Smog ist sehr schädlich. Aber wir haben keine Wahl, wenn wir nicht heizen, werden die Kinder krank. Wir würden gerne Holz verbrennen, aber das verbrennt sehr schnell“, sagt Baktijarowa. In Kirgistan arbeitet derzeit nur ein Unternehmen, Gazprom Neft, an Gasanschlüssen für die Haushalte. Um ein Haus mit Gas zu versorgen, muss man für 600 Som (6,24 Euro) pro Meter Rohre von den Hauptleitungen bis zum Haus verlegen. Dann muss man einen Heizkessel kaufen, der mehrere zehntausend Som kostet, und 18 Som (knapp 19 Cent) pro Kubikmeter Gas bezahlen.

Gas oft zu teuer

In Artscha-Beschik ist nur ein kleiner Teil der Häuser mit Gasheizung versehen. Für viele, darunter auch Baktijarowa und ihre Familie, ist es schlichtweg zu teuer. Um Gas in ihrer Gasse zu installieren, müssten sie und ihre Nachbarn 22.000 Som (229 Euro) von jedem Haus sammeln, um die Rohre zu verlegen. Baktijarowa und ihr Mann könnten die Gebühr gerade noch aufbringen, aber ihre Nachbarn haben es nicht eilig, Gas zu bekommen.

Wir können jetzt keinen Herd kaufen, weil der billigste 25.000 Som (260 Euro) kostet. Gute Exemplare kosten bis zu 70.000 (728 Euro). Die Gesamtkosten, einschließlich Ausrüstung, belaufen sich auf 100.000 Som (1040 Euro). Wenn die Regierung mit Vergünstigungen aufwarten, Öfen zur Verfügung stellen oder zumindest kostenlos heizen würde, würden viele zustimmen. Aber solange nicht die ganze Straße 22.000 pro Haus zusammenlegt, werden sie uns keine Öfen zur Verfügung stellen. Fünf von 20 Haushalten können nicht zahlen“, sagt sie.

Ein paar Kilometer von Baktijarowas Haus entfernt lebt eine andere Familie, die Smanows, die hier seit etwa vier Jahren in einem beigefarbenen gepflasterten Haus wohnen. Gulnur Smanowa ist 55 Jahre alt. Sie ist eine erfahrene Geschäftsfrau und hat schon mehrere Dutzende Jahre in Kasan in Russland gelebt. Auf der Suche nach einem ruhigeren Lebensabend, fernab des Betondschungels, zog sie nach Artscha-Beschik. In Kirgistan näht Smanowa maßgefertigte Artikel, die ihre Kinder in Russland verkaufen. In dem Haus in Artscha-Beschik lebt Smanowa mit ihrem Mann, ihrem Sohn, ihrer Schwiegertochter und drei Enkelkindern. Sie ließ im Jahr 2019 eine Gasheizung installieren, sobald es ihr angeboten wurde. Es kostete sie 150.000 Som (1.560 Euro) und belastete ihren Geldbeutel nicht besonders stark.

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Es gab keine besonderen Schwierigkeiten bei der Beschaffung des Gases. Der Gasanschluss war in Ordnung. Unser Haus ist zweistöckig, 280 Quadratmeter groß. In Bischkek ist nur ein Monat im Winter kalt. Da das Haus gut isoliert ist, geben wir in einem kalten Monat 15.000 Som (156 Euro) [für Gas] aus und in den übrigen Monaten 9.000 Som (93 Euro). Wir heizen das Haus ab Oktober, weil wir kleine Enkelkinder haben“, sagt Smanowa. Wegen des Smogs gehe ihre Familie im Winter nicht mehr ins Freie, erzählt sie. Es komme erschwerend hinzu, dass einige ihrer Nachbarn ihre Häuser ständig mit Kohle beheizen, so dass der schwarze Rauch in die Häuser der anderen dringt. „Aber ich verstehe sie. Jeder hat ein anderes Budget. Gas zu verbrauchen ist teuer. Es wäre gut, wenn die Menschen auch ihre Autos auf Gas umstellen würden. Aber das Problem ist das Geld“, so Smanowa.

Subventionierte Kohle 

Gas ist in Kirgistan teuer, und die meisten Kirgistaner:innen bevorzugen die günstigere einheimische Kohle aus der Kara-Ketsche-Mine im Gebiet Naryn. Die gleiche Kohle wird auch im Wärmekraftwerk in Bischkek verwendet, einem der größten Kohleverbraucher des Landes. Doch nicht nur die Kohle aus Kara-Ketsche ist billiger als Gas, sondern auch als Importkohle aus Kasachstan. Umweltschützer:innen von MoveGreen behaupten jedoch, dass es sich um Braunkohle handele, die einen höheren Aschegehalt hat als importierte Steinkohle. Außerdem hat Braunkohle einen niedrigeren Heizwert, so dass die Menschen ihre Wohnungen häufiger heizen müssen.

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Seit Mitte November verkaufen die kirgisischen Behörden Kohle zu einem Vorzugspreis, um die Bürger:innen wirtschaftlich zu unterstützen. Anderswo konnte eine Tonne Kohle aus Kara-Ketsche für 5000 Som (52 Euro) gekauft werden, aber die Regierung verkaufte sie für 3000 (31 Euro). Dies führte dazu, dass Tausende von Menschen tagelang Schlange standen in der Hoffnung, günstigere Kohle kaufen zu können. Zu diesen Menschen gehörte auch Baktijarowas Ehemann, der mehrere Tage wartete, um Kohle zu einem ermäßigten Preis zu ergattern. „Mein Mann bekam zwei Tonnen. Er stand mehrere Tage lang dort und innerhalb einer Woche hatten wir eine Lieferung. Es waren sehr viele Menschen dort. Um mehr Kohle zu bekommen, muss man sich wieder anstellen. Es gab Leute, die diese Kohle für 3000 kauften und sie dann für 5000 anderswo verkauften“, so Baktiarowa.

Geld für Kohle sparen

Am 16. November steht auch der 40-jährige Nurdschigit Kyrgysbajew, ein Vater von fünf Kindern aus dem Wohnviertel Jenesaj, auf der Warteliste. Früher habe er Elektroheizungen benutzt, gibt er an. Er sei aber wegen des Verbots ihrer Verwendung während der Energiekrise auf Kohle umgestiegen. „Meine Nummer in der Warteschlange ist 1080. Ich stehe hier schon seit vier Stunden. Während der Heizperiode geben wir mehr Geld aus, mindestens 15.000 für Kohle (156 Euro). Wir beginnen im Herbst mit dem Sparen. Für Strom gibt es eine Obergrenze, Gas ist teuer einzurichten. Sollen sie uns wenigstens das geben. Früher haben wir elektrische Heizungen verwendet, aber jetzt gibt es Einschränkungen. Die ganze Last ist auf die Kohle übergegangen, weil alle einfachen Leute damit heizen“, erklärt er gegenüber Novastan.

Während Kyrgysbajew in der Schlange für Kohle steht, bildet sich eine lange Menschenkette von Personen, die trotz des kalten und matschigen Wetters Geld sparen wollten. Die Nachfrage nach Kohle ist im Jahr 2021 aufgrund von Beschränkungen für den Einsatz von Elektroheizungen gestiegen. Kirgistan steht in diesem Jahr aufgrund des saisonalen Wassermangels am Toktogul-Stausee vor einer Energiekrise, so das US-Medium Eurasianet.

 „Wir werden viele gesundheitliche Probleme bekommen“

Die kirgisischen Behörden haben das Problem des Smogs am Himmel der Hauptstadt wiederholt angesprochen, aber kaum gehandelt. Am 16. Dezember erklärte Asamat Temirkulow, Leiter der Abteilung für Analyse und Überwachung von Reformen in der Präsidialverwaltung, dass es wichtig sei, die Ursachen des Smogs zu bekämpfen. Wie, fiel ihm aber nicht ein. „Unsere Bürgerinnen und Bürger heizen in Privathäusern in Wohnsiedlungen mit Kohle. Bischkek hat 47 Wohnsiedlungen im östlichen, nördlichen und westlichen Teil. Dieses Gebiet ist mit Kohle überschwemmt. Hinzu kommen der Verkehr im Zentrum und seine Emissionen sowie die chaotische Bauweise der Stadt und die mangelnde Belüftung“, sagte Temirkulow.

Der ehemalige Parlamentsabgeordnete Baktybek Turusbekow sagte ebenfalls im Dezember 2021, dass die Regierung keine Maßnahmen ergreife und nicht mit dem Parlament zusammenarbeite. „Wir haben mehrere Premierminister um eine Lösung dieses Problems gebeten, auch [den amtierenden Regierungschef] Akylbek Dschaparow. Kein einziger Punkt des Programms zur Beseitigung der Luftverschmutzung wird erfüllt, sondern es werden lediglich Erklärungen abgegeben. Wenn eine Millionenstadt so etwas einatmet, werden wir Gesundheitsprobleme in Form von Allergien und Herzkrankheiten bekommen“, zitierte das lokale Onlinemedium 24.kg Turusbekow.

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Der Wirtschaftswissenschaftler Kuban Tschorojew sagte am 22. Dezember, die Art der Heizung von einem Haushalt sei direkt mit dem Einkommen verbunden. Wenn sich die Gaspreise und die Politik nicht ändern, werde Bischkek noch jahrelang Smog atmen. „Viele würden auf Gas umsteigen, weil es bequem und nicht teurer als Kohle ist. Aber wenn man den Anschluss, die Heizkessel und andere Kosten zusammenzählt, kommt man auf etwa 1000 Euro. Viele Menschen können sich das nicht leisten, und kaufen lieber etwas Kohle„, sagte Tschorojew.

Unternehmen sollten eine bessere Politik verfolgen, zum Beispiel kostenlose Anschlüsse anbieten und das Geld dann monatlich zusammen mit den Gaskosten zurückerhalten. […] Wenn wir solche Anreize schaffen, können wir die Hauptstadt in drei Jahren vollständig ans Gas anschließen.“

Aizirek Imanalieva Journalistin in Bischkek, für Novastan

Aus dem Russischen von Florian Coppenrath

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