Bei einer Sondersitzung des Oberhauses hat Gurbanguly Berdimuhamedow seinen Rücktritt sowie das Vorziehen der Präsidentschaftswahl angekündigt. Wenige Tage später wurde die Kandidatur seines Sohnes Serdar Berdimuhamedow bekannt gegeben. Expert:innen sind sich sicher, dass er das Amt des Präsidenten übernehmen wird. Doch die Hoffnungen auf einen Bruch im System Berdimuhamedow sind gering.
Wie mehr oder weniger reibungslose Präsidentenwechsel in den autoritären politischen Systemen Zentralasiens funktionieren können, haben Usbekistan und Kasachstan in den vergangenen Jahren gezeigt. Nun liefert auch Turkmenistan eine Antwort: Eine dynastische Machtübergabe von dem seit 2007 amtierenden Präsidenten Gurbanguly Berdimuhamedow, dem sogenannten Arkadag (dt. Beschützer), zu seinem Sohn Serdar Berdimuhamedow soll stattfinden.
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Der Präsident hat bei einer Sondersitzung des Halk Maslahaty, dem Oberhaus des turkmenischen Parlaments, am 11. Februar den Prozess des Machttransits offiziell eingeleitet. Nachdem die Sitzung primär der Verabschiedung eines neuen 30-jährigen sozioökonomischen Entwicklungsplans gewidmet war, eröffnete Gurbanguly Berdimuhamedow erst zum Ende hin, dass er das „Alter des Propheten“ von 61 Jahren bereits vor zwei Jahren erreicht habe und er für Turkmenistans „neue Phase der Entwicklung […] jungen Führungskräften“ Platz machen möchte.
Im Anschluss setze er die Präsidentschaftswahlen auf den 12. März an, obwohl diese planmäßig erst 2024 abgehalten werden sollten. Schnell kamen Spekulationen auf, dass sein Sohn das Amt des Präsidenten übernehmen werde. Dessen steile politische Karriere und vermehrte öffentlichen Auftritte der jüngsten Vergangenheit nährten diese Annahmen.
Erwartbare Kandidatur von Serdar Berdimuhamedow
Vier Tage später gab die offizielle turkmenische Nachrichtenagentur TDH bekannt, dass Serdar Berdimuhamedow für die Demokratische Partei kandidieren werde. Dass er als Gewinner aus der Wahl hervorgeht, ist unumstritten. „Der Machtwechsel war vorhersehbar, es brauchte lediglich den passenden Anlass. Allein der Zeitpunkt und die Art und Weise waren offen“, kommentiert Slavomír Horák, außerordentlicher Professor an der Karluniversität Prag an der Abteilung für Russland- und Osteuropastudien, die Ereignisse gegenüber Novastan.
Trotz dieser Erwartungshaltung stellt sich die Frage danach, warum sich Gurbanguly Berdimuhamedow gerade jetzt für diesen Schritt entschieden hat. Ob die vorgezogenen Präsidentschaftswahl langfristig vorausgeplant war oder die Unruhen in Kasachstan zu einer schnellen Entscheidung geführt haben, ist unklar. Doch für Horák hat die zahlreich gezogene Parallele zur kasachstanischen Instabilität nur eine bedingte Erklärungskraft: „Aus turkmenischer Sicht ist die Situation nicht instabil. Sicherlich haben die Ereignisse in Kasachstan den Prozess beschleunigt, aber nicht initiiert. Dieser war schon lange im Gange.“
Ein anderer Faktor könnte Gurbanguly Berdimuhamedows vermeintlich schlechter Gesundheitszustand sein, der seit seinem Verschwinden aus der Öffentlichkeit für mehrere Wochen im Jahr 2019 vermehrt diskutiert wird. Schließlich verweist Temur Umarov vom Carnegie Moscow Center auf die Symbolik der ausgewählten Daten, die in der hochritualisierten politischen Kultur Turkmenistans eine große Rolle spielen. So gab Gurbanguly Berdimuhamedow seinen Rücktritt am 15. Jahrestag seiner Präsidentschaft bekannt. Auch der 12. März trägt Bedeutung, da genau vor einem Jahr sein Sohn das eigens für ihn geschaffene Amt des stellvertretenden Premierministers übernahm.
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Zuletzt könnte auch Serdar Berdimuhamedows Alter eine Rolle gespielt haben: Der 40-jährige ist verfassungsgemäß erst jetzt dazu berechtigt, als Präsident zu kandidieren, auch wenn das Vorziehen der Wahl an sich gegen die Konstitution verstößt. Für Horák wird so „zumindest das Bild eines verfassungskonformen Machtwechsels erweckt.Eine Opposition, die das Vorgehen kritisieren könnte, gibt es nicht.“
Das öffentliche Bild der Person Serdar Berdimuhamedow ist bislang unscharf. Horák zufolge sagt man ihm nach, er habe einen „harten Charakter“, der die Menschen in seinem Umfeld niedermache. Zugleich scheue er sich vor öffentlichen Reden, sei „wenig initiativ und nicht charismatisch“. Zu seinem Lebenslauf ist indes bekannt, dass er nach einem landwirtschaftlichen Studium in Turkmenistan an der Moskauer Diplomatischen Akademie des Außenministeriums sowie am Zentrum für Sicherheitspolitik in Genf studiert hat. Nach seiner Ausbildung im Ausland durchlief er verstärkt seit 2019 verschiedenste politische Ämter im Inland: vom Parlamentsabgeordneten zum stellvertretenden Außenminister dann Gouverneur der Provinz Ahal hin zum Bau- und Industrieminister und anschließend zum Vizepremierminister.
Dualismus von Vater und Sohn
Seine Präsenz in den Medien hat parallel zu seinem politischen Aufstieg zugenommen. In den Staatsmedien wurde Serdar Berdimuhamedow an der Seite oder anstelle seines Vaters gezeigt, so etwa bei offiziellen Eröffnungszeremonien oder bilateralen Treffen. Doch ein vollständiger Rückzug des Arkadags von seiner politischen Macht ist nicht zu erwarten. Viel eher wird es zu einem dualistischen Führungsmodell nach kasachstanischem Vorbild kommen, in dem Gurbanguly Berdimuhamedows den Vorsitz des Halk Maslahaty innehat.
Horák unterstreicht zudem die Bedeutung der informellen Macht: „Gurbanguly Berdimuhamedow wird formell und, sogar noch viel wichtiger, informell mächtige Positionen behalten. Die Elite besteht schließlich aus der Familie Berdimuhamedow. Seit dem Tod seines Vaters im letzten Jahr ist er zum Oberhaupt aufgestiegen. Er löst interne Spannungen und koordinierte unternehmerische Aktivitäten.“ Entsprechend gering sind die Hoffnungen unter Expert:innen, dass sich unter Serdar Berdimuhamedow die sozioökonomische Krise entspannen wird. Das Land ist seit der Pandemie durch Grenzschließungen vollständig isoliert, was die Nahrungsmittelknappheit verschlechterte.
Immer wieder gibt es Berichte darüber, wie Turkmen:innen stundenlang für den Einkauf von Grundnahrungsmitteln anstehen, während Familienmitglieder Berdimuhamedows von Korruption im Zusammenhang von Essenimporten profitieren. Eine hohe Arbeitslosigkeit führt dazu, dass immer mehr Turkmen:innen auswandern. Laut Horák rangieren Schätzungen zur Immigration zwischen 1 bis 2 Millionen Menschen.
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Nach offiziellen Angaben der Regierung weist Turkmenistan im Jahr 2021 ein „stabiles Wachstum des Bruttoinlandsproduktes“ von 6,2 Prozent auf. Demgegenüber gestellt gehen Schätzungen des Internationalen Währungsfonds davon aus, dass das Wirtschaftswachstum 2020 bei 0,8 Prozent lag. Politische Repression ist im Alltag, auch über Staatsgrenzen hinweg, omnipräsent. Human Rights Watch berichtete etwa im letzten Jahr, dass auch Verwandte von politischen Gegner:innen oder Oppositionelle im Ausland verfolgt werden.
Zwar hat die Regierung bei der Sondersitzung des Oberhauses am 11. Februar eine neue Strategie mit dem Titel „Wiederbelebung einer neuen Ära eines mächtigen Staates: Das Nationale Programm für die sozioökonomische Entwicklung Turkmenistans in den Jahren 2022-2052“ verabschiedet, welches den Lebensstandard der Bevölkerung verbessern soll. Doch für Horák ist dies eine weitere sogenannte Strategie, die lediglich „auf dem Papier existiert und zitiert werden kann“.
Geringes Protestpotenzial
Auch wenn es zuletzt im Januar 2022 zu Protesten wegen Preiserhöhungen kam, werden soziale Unzufriedenheiten aufgrund der Unterdrückungen selten öffentlich artikuliert. Umfassenden Unruhe sind Horák zufolge auch deswegen unwahrscheinlich, weil „sich die ökonomisch aktivste Bevölkerung im Ausland befindet.“ Von im Land verbleibenden Rentnern, Kindern, Staatsbeamten oder Angehörigen der Elite sei das Initiieren von Protesten kaum zu erwarten.
Die Notwendigkeit von zumindest kosmetischen Veränderungen unter Serdar Berdimuhamedow bleibt demnach umstritten. „In dem Spiel von Berdimuhamedow zieht die Bevölkerung den Kürzeren, denn Serdar ist der Kandidat der Kontinuität. Er ist nicht der Kandidat des Wechsels. Wir werden mehr vom selben sehen, nur unter einem Präsidenten, der jünger ist“, resümiert Luca Anceschi, Professor an der Glasgow Universität, im Majlis Podcast von Radio Free Liberty.
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Seit der Ankündigung der Präsidentschaftswahl für den 12. März wurden inzwischen acht weitere Anwärter nominiert. Unter anderem kandidieren der stellvertretende Gouverneur der Provinz Mary Agajan Bekmyradow für die Agrarpartei, der Chefarzt eines Sanatoriums in Aschgabat Berdimämmet Hanmämmedowiç Gurbanow und der Direktor einer Finanz- und Wirtschaftsschule Perhat Guwançgulyýewiç Begenjow. Die Vorbereitungen auf die Wahlen sind auch anderweitig spürbar.
Am 21. Februar traf sich Serdar Berdimuhamedow der staatlichen Informationsagentur TDH zufolge mit Wähler:innen, wo seine Biografie sowie seine politischen Pläne vorgestellt worden sind. Der für Turkmenistan markante Persönlichkeitskult um den Präsidenten beginnt, Serdar Berdimuhamedow in seine Narrative aufzunehmen. So berichteten das Nachrichtenportal Chronika Turkmenistana, dass Lehrer:innen an Sekundarschulen angewiesen worden sind, zu Beginn des Unterrichts die Errungenschaften Serdar Berdimuhamedows anzupreisen.
Weitere Indizien für die anstehende Wahl sind, wie Korrespondent:innen von Radio Azatlyk berichten, die Preissenkungen für Lebensmittel, die Verfügbarkeit von Bargeld an Bankautomaten sowie ein verbesserter Wechselkurs des US-Dollars. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um eine politische Strategie handelt, Serdar Berdimuhamedows Popularität zu steigern. Nach der Wahl werde voraussichtlich alles wieder beim Alten sein. Die Machtübergabe wird auch für Turkmenistan vermutlich eine Zeit der Vulnerabilität sein, die viele offene Fragen birgt. Beim nächsten Schritt der Präsidentschaftswahl ist für Horák jedoch klar: „Die einzige Frage ist, mit wie vielen Prozentpunkten Serdar gewinnen wird. Ob es „nur“ 90% werden oder die Zustimmung nahe an die 100% reicht“.
Jana Rapp
Journalistin für Novastan