Infolge des Attentats auf die Moskauer Veranstaltungshalle „Crocus City Hall“ im März 2024 kam es in Russland zu Razzien der Polizei gegenüber zentralasiatischen Arbeitsmigrant:innen sowie zu verstärkten Anfeindungen. Inzwischen werden auch zahlreiche Arbeitsmigrant:innen an der russischen Grenze zurückgewiesen. Tadschikistan und Kirgistan begegnen diesen Entwicklungen auf unterschiedliche Weise.
Viele der Arbeitsmigrant:innen in Russland stammen aus Tadschikistan und Kirgistan, doch die beiden Länder hängen in unterschiedlichem Maße von Russland ab. Zwar sehen sich die Arbeitsmigrant:innen aus beiden Ländern in Russland oft ähnlichen Problemen gegenüber, die Herangehensweisen von Tadschikistan und Kirgistan zur Lösung dieser Probleme ist jedoch nicht immer dieselbe.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!In Russland setzen sich die Einschränkungen für Arbeitsmigrant:innen auf unterschiedlichen Ebenen fort. Neben den verschärften gesetzlichen Bedingungen klagen Arbeitsmigrant:innen weiterhin über die Verweigerung der Einreise nach Russland an den Flughäfen und an Grenzpunkten auf der Landroute. Anfang August berichtete Radio Ozodi bereits über mehr als 50 Staatsbürger:innen Tadschikistans, denen die Einreise nach Russland am Flughafen Scheremetjewo in Moskau verwehrt wurde. Zudem erklärten die Migrant:innen, dass es ihnen nicht gelungen war, zu einem Vertretenden der Botschaft Tadschikistans durchzudringen, der sie bei der Lösung der Einreiseprobleme hätte unterstützen können.
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Während offizielle Vetreter:innen Tadschikistans erklären, dass der Druck auf die Migrant:innen nicht im Zusammenhang mit der Politik Moskaus stünde, sondern vielmehr durch die Massenmedien zustande käme, beklagen sich Staatsvertreter:innen Kirgistans auf offiziellem Wege über Einreiseprobleme ihrer Staatsbürger:innen nach Russland. So sprach etwa der stellvertretende Außenminister Kirgistans, Almas Imangasiew, das Thema bei einem Treffen mit dem russischen Botschafter in Kirgistan, Sergej Wakunowy, Ende Juni an. Gleichzeitig verkündete ein Beamter aus Kirgistan, dass „die kirgistanische Seite Verständnis für die Maßnahmen Russlands hat, die auf die Aufrechterhaltung der Sicherheit des Landes abzielen“.
Unterschiedliches Verhalten gegenüber den Arbeitsmigrant:innen
Die Gesprächspartner:innen von Radio Ozodi weisen darauf hin, dass die Machthabenden und diplomatischen Vertreter:innen – trotz einer ähnlichen Abhängigkeit Bischkeks und Duschanbes von der Arbeitsmigration nach Russland – die Interessen ihrer Staatsbürger:innen auf unterschiedliche Weise verteidigen. Ein Beobachter, der die Entwicklungen rund um die Arbeitsmigration in Russland verfolgt, merkt im Gespräch mit Radio Ozodi an, dass sich die Migrationspolitik der beiden Länder vor allem hinsichtlich ihrer Verhaltensweisen gegenüber den Migrant:innen selbst unterscheide. „Die Sache ist die, dass die Machthabenden in Kirgistan auf offizieller Ebene die Wichtigkeit der Migrant:innen für die Wirtschaft Kirgistans anerkennen. Mit diesem Ziel ist Kirgistan auch der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) beigetreten, um für ihre Bürger:innen bessere Bedingungen im Rahmen des gemeinsamen Arbeitsmarktes zu schaffen (Anm. d. Red.: Dagegen ist Tadschikistan nicht Mitglied der EAWU.). Außerdem verfügt die kirgisische Diaspora in Russland, im Vergleich zur tadschikischen, über deutlich mehr Unabhängigkeit in Fragen der Zusammenarbeit mit den Bürger:innen und mit den russischen Behörden. Dasselbe lässt sich auch in Bezug auf die diplomatischen Vertretungen sagen. Dies macht sie insgesamt mobiler und möglicherweise auch effizienter. Das System Tadschikistans ist vollkommen zentralisiert, sowohl innerstaatlich als auch jenseits der Grenzen. Jede Entscheidung bedarf der Zustimmung von ganz oben. Weder die Diaspora noch die diplomatischen Vertretungen haben irgendeine Autonomie. Zudem wollen die Machthabenden die Arbeitsmigration nicht offiziell als wichtigen Faktor für die Wirtschaft anerkennen, sondern die Migrationsstatistik wird auf alle mögliche Weise nach unten manipuliert“, erzählt der Journalist.
Nach offiziellen Schätzungen haben inzwischen mehr als 600 Tausend Staatsbürger:innen Kirgistans die russische Staatsbürgerschaft erhalten. Zu Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine im Februar 2022 belief sich diese Zahl auf über eine Millionen Menschen. Laut der letzten offiziellen Statistik Kirgistans halten sich mehr als 400 Tausend kirgisische Arbeitsmigrant:innen in Russland auf. Kirgistan ist Teil der Integrationsgemeinschaft der EAWU, welche den Bürger:innen einen unbeschränkten Zugang zum russischen Arbeitsmarkt ermöglicht. Die neuesten Verschärfungen in der russischen Migrationspolitik nötigten Kirgistan zu einer Reaktion. Der Vize-Premierminister, Edil Bajsalow, reagierte im Nachrichtennetzwerk X auf einen Post des russischen Investigativmediums „The Insider“, wonach der russischen Staatsduma Entwürfe vorliegen, die es den Migrant:innen verbieten würden, in der Medizin, im Bildungswesen und als Kuriere zu arbeiten, wenn das Gehalt 100 Tausend Rubel (960,70 Euro) übersteigt. Bajsalow äußerte in seiner Reaktion die Hoffnung, dass die vorgeschlagenen Gesetzesänderungen keine Auswirkungen auf die Bürger:innen Kirgistans haben würden. „Andernfalls wird es uns sehr schwerfallen, die Mitgliedschaft in der EAWU gegenüber unserer Bevölkerung zu begründen“, so Bajsalow.
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Die Anzahl der Migrant:innen aus Tadschikistan ist ein Streitthema zwischen Moskau und Duschanbe. Während Moskau jährlich von einer Einreise von rund zwei Millionen Bürger:innen Tadschikistans nach Russland berichtet, spricht Duschanbe von nur einigen Hundert Tausend. Nach Angaben des tadschikistanischen Ministeriums für Arbeit, Migration und Beschäftigung ist die Anzahl von Arbeitsmigrant:innen aus Tadschikistan nach Russland im ersten Halbjahr 2024 um 16 Prozent auf 392 Tausend Personen zurückgegangen. Der Rückgang erfolgt vor dem Hintergrund des anhaltenden Drucks der russischen Strafverfolgungsbehörden auf Migrant:innen, insbesondere nach dem Terroranschlag auf die Moskauer Konzerthalle „Crocus City Hall“. Ende April diesen Jahres publizierte das Außenministerium Tadschikistans eine Protestnote und äußerte sich darin ernsthaft besorgt über die betont negative Haltung gegenüber tadschikistanischen Staatsbürger:innen. Das Thema Migration wurde auch von Tadschikistans Präsident Emomali Rahmon bei einem Treffen mit Wladimir Putin am 9. Mai angesprochen. Er verwies darauf, dass Terrorismus und Extremismus keine Nationalität haben. Nichtsdestotrotz scheint es, als hätten die Beschränkungen gegenüber Migrant:innen aus Tadschikistan weiterhin zugenommen.
Mögliche Auswirkungen einer Rückkehr von Arbeitsmigrant:innen
Die unabhängige Journalistin und Politikwissenschaftlerin Galija Ibragimowa kommt zu dem Schluss, dass die Machthabenden beider Länder ihre Migrant:innen in Russland im Großen und Ganzen nur wenig unterstützen. „Erst in den letzten Jahren haben wir von staatlicher Seite aus Tadschikistan und Kirgistan Unterstützungsbekundungen gegenüber den Migrant:innen gehört. In den Jahren davor war die Staatsmacht nur an den Geldtransfers der Migrant:innen interessiert. Wie es diesen Migrant:innen jedoch erging, war immer zweitranging. Nach dem Attentat auf die „Crocus City Hall“ war es dem Präsidenten Tadschikistans quasi nicht mehr möglich, nicht zu reagieren. Dies verursachte direkte Kosten für das Image seines autoritären Regimes. Dasselbe lässt sich auch über Kirgistan sagen. Die Razzien hatten sogar Auswirkungen auf diplomatische Mitarbeiter:innen des Landes. Mir scheint es, dass sie sich darüber im Klaren sind, dass die russischen Behörden eher nicht reagieren werden, wenn sie sich zu sehr für die Migrant:innen aus ihren Ländern einsetzen. Umgekehrt könnte dies aber eine Rückkehr von Migrant:innen in ihre Heimatländer herbeiführen, wodurch soziale Spannungen entstehen könnten und die Macht der Autokraten direkt bedroht wäre“, so die Journalistin Galija Ibragimowa.
Nach Angaben der Weltbank beliefen sich die Finanztransaktionen nach Tadschikistan 2023 auf ein Rekordniveau von umgerechnet 5,1 Milliarden Euro, was einem Anstieg um 6,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr entspricht. Nach Kirgistan wurden im gleichen Zeitraum 2,42 Milliarden Euro überwiesen, wovon 97 Prozent von Überweisungen aus Russland stammen.
Chursand Churramow für Radio Ozodi
Aus dem Russischen von Marie Schliesser
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