Die tadschikische Staatsmacht hat offiziell bestätigt, dass an dem Aufstand, der sich am 7. November im Gefängnis von Chudschand ereignet hat, vor allem wegen Terrorismus verurteilte Insassen beteiligt gewesen sind. Diese stellen nicht nur Autoritäten innerhalb der Strafkolonien dar, sondern betreiben auch aktiv radikalislamische Propaganda unter den Inhaftierten. Experten meinen, dass dies zu erwarten war. Der folgende Artikel erschien im russischsprachigen Original auf Asia-Plus.
Der Aufstand kam für die Staatsmacht unerwartet. Sie erwartete nicht eine derartige Dreistigkeit der Inhaftierten und schon gar nicht eine derart hohe Zahl an Opfern – 21 Inhaftierte und zwei Mitarbeiter der Sicherheitsorgane. Vermutlich schwieg sie auch deshalb so lange und schweigt im Übrigen immer noch. Wenige Details und eine offizielle Bestätigung des Zwischenfalls verlautbarte Außenminister Sirodschiddin Muchriddin während eines Besuchs in Brüssel.
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Er teilte mit, dass an dem Aufstand im Wesentlichen wegen Terrorismus verurteilte Häftlinge beteiligt waren, unter ihnen Anhänger der Terrororganisation Islamischer Staat (IS). „Wärter und Mitarbeiter der Strafkolonie haben die Aufständischen zum Dialog aufgerufen. Aber die Inhaftierten leisteten weiterhin Widerstand, einige unternahmen Fluchtversuche. 12 der getöteten Inhaftierten verbüßten eine Strafe wegen der Teilnahme an Kriegshandlungen in Syrien und im Irak auf Seiten des IS. Drei waren Mitglieder der extremistischen Gruppen Ansorullah, Dschundollah und Islamische Bewegung Usbekistans.“ Dies ist alles, was der Außenminister mitteilte.
Inoffiziell ist außerdem bekannt, dass gegen sieben Mitarbeiter des Gefängnisses wegen Nachlässigkeit ermittelt wird und dass Isatullo Scharifsoda, Leiter der Hauptverwaltung des Justizvollzugs, direkt in den Ruhestand geschickt wurde.
Nicht der erste Vorfall
Während der von verurteilten Extremisten unterstützte Aufstand für die Staatsmacht unerwartet kam, so war er für Experten vorhersehbar. Vielmehr warnten sie sogar, dass in tadschikischen Gefängnissen eine zunehmende Radikalisierung der Inhaftierten vonstatten geht.
Im vergangenen Jahr wurde in Tadschikistan eine Untersuchung zur Radikalisierung in Gefängnissen durchgeführt, welche vom Sicherheitsrat der Präsidialverwaltung in Auftrag gegeben wurde. An der Untersuchung nahmen Religionswissenschaftler, Psychologen, Kriminalisten sowie Mitarbeiter des Innenministeriums, des Justizministeriums und des Staatlichen Komitees für nationale Sicherheit teil. Die Ergebnisse sind nicht öffentlich zugänglich und werden es vermutlich auch bleiben.
Im Rahmen der Untersuchung wurden Kämpfer interviewt, die sich jetzt in Gefängnissen befinden. „Echte Kämpfer mit Kampferfahrung und nicht die, die wegen Likes, Reposts oder langen Bärten inhaftiert wurden“, merkt einer der tadschikischen Experten an. „Schon vor fünf Jahren war ersichtlich, dass die nicht „gebrochen“ werden, sondern, dass ihre Autorität unter Kriminellen wächst und dass sich „grüne Zonen“ bilden (Gefängnisse, in denen islamistische Ideen populär sind, Anm. d. Red. von Asia-Plus).“
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„Der Vorfall im Gefängnis von Chudschand ist nicht der erste Fall, in dem wegen Extremismus oder Terrorismus verurteile Bürger zu Teilnehmern oder Anstiftern von Unruhen werden. Es begann 2015 mit den ersten Kämpfern in den Gefängnissen“, sagt ein anderer tadschikischer Experte. „Ein ähnlicher Fall ereignete sich im April in der Strafvollzugsanstalt Nr.1, als „Syrier“ eine Pamir-Autorität töteten. Dies war das erste Warnsignal, das aber nicht ernst genommen wurde. Im Sommer ereignete sich dann in Wahdat eine Auseinandersetzung zwischen Dieben und Islamisten. Die Anstifter wurden damals einfach auf verschiedene Gefängnisse verteilt.“
Nach Angaben der Spezialisten wurde im vergangenen Jahr in Tadschikistan ungefähr 500 Personen wegen Extremismus oder Terrorismus verurteilt. „Aber von denen sind ungefähr 100 wirklich radikalisiert. Die anderen wurden aufgrund einer Dummheit verurteilt, weil sie irgendetwas in den sozialen Netzwerken geteilt haben oder weil sie verbotene Literatur besaßen oder sie sind sogar unschuldig“, sagt ein Experte. „Doch diese „Zufallsextremisten“ sind auch eine große Risikogruppe. Sie meinen, dass sie zu Unrecht verurteilt wurden und fühlen sich von der Macht gekränkt. In der Folge sind sie anfälliger für radikale Ansichten und in unseren Gefängnissen gibt es genug, von denen sie lernen.“
Muss man Sondergefängnisse bauen?
Die Experten meinen, dass es an der Zeit ist, das Problem zu lösen. Damit die Terroristen in den Gefängnissen nicht neue Mitstreiter anwerben, muss man sie von anderen Inhaftierten trennen. Dafür ist es notwendig, entweder Sondergefängnisse zu bauen oder aber in den bestehenden Gefängnissen abgetrennte Blöcke einzurichten. Darüber wird derzeit auch in Russland nachgedacht.
Eine Isolierung würde es ermöglichen die Verbreitung extremistischer Ideologien sowie die Werbung für Terrororganisationen unter Inhaftierten zu minimieren, meinen Experten. Faridun Chodisoda, Experte für Religionsfragen, sagt, dass es schwer ist, den Aufstand in Chudschand zu kommentieren, da die Ermittlungen zu den Gründen noch laufen.
Dennoch werfen die Ereignisse seiner Meinung nach Fragen auf: „Der Außenminister hat zum Beispiel gesagt, dass zwölf der getöteten Inhaftierten eine Strafe dafür verbüßten, dass sie auf Seiten des IS an Kampfhandlungen in Syrien und im Irak teilgenommen haben. Wie können sie Einfluss auf die 200 anderen Inhaftierten haben? Das heißt, dass da etwas nicht funktioniert, wie es sollte.“
Laut Chodisoda könnte es eine Notwendigkeit geben, wegen Terrorismus und Extremismus inhaftierte Personen separat unterzubringen: „Aber diese Spezialgefängnisse wie (das US-amerikanische Lager, Anm. d. Ü.) Guantanamo in Kuba oder Schaslik in Usbekistan gibt es bei uns derzeit nicht. Und Propaganda extremistischer Ideen sowie Anwerbung von Mitstreitern gibt es nicht nur in Gefängnissen, sondern überall. Deswegen ist es wichtiger das Augenmerk auf die Haftbedingungen zu legen und darauf, wie man mit den Inhaftierten umgeht.“
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„Man darf nicht die rote Linie überschreiten und die Ehre und Würde der Inhaftierten angreifen“, erklärt er. „Die Gefängnisse nennen sich Besserungsanstalten und die Leute, die dort hinein geraten, sollen sie umerzogen verlassen und nicht mit radikalen Ansichten. Wenn sich die Gefängnisverwaltungen nicht dieser Aufgabe annehmen, kommt der Mensch dort mit einem seelischen Trauma raus und wird für sein Umfeld inadäquat.“ Faridun Chodisoda ist überzeugt, dass man in den Gefängnissen Ordnung halten und Reformen durchführen sowie die Korruption im Justizsystem bekämpfen muss.
Chursched Kunguratow, oberster Psychiater Tadschikistans, meint, dass es keine gute Idee ist, Extremisten zusammen mit anderen Verbrechern zu inhaftieren: „Die Sache ist die: Der Mensch, der ins Gefängnis kommt, wird häufig aufgrund der Ausweglosigkeit seiner Situation religiöser, wendet sich an Gott, fängt an den Koran zu lesen und wenn in diesem Moment jemand ihm radikale Ideen predigt, kann er von ihnen infiziert werden. Extremisten wissen in der Regel wie man agitiert und anwirbt. Außerdem sind sie sehr gute Psychologen und fähig jemanden für sich einzunehmen. Deswegen ist es gefährlich, sie mit anderen Verbrechern zu verwahren.“
Er meint, dass für diese Kategorie von Verbrechern strengere Bedingungen herrschen müssen, zum Beispiel Einzelhaft. „Unter solchen Umständen können sie nicht Einfluss auf andere Inhaftierte ausüben und ihre Gemeinde innerhalb der Strafkolonie gründen“, ist sich der oberste Psychiater Tadschikistans sicher.
Überwiegend positiv nehmen die Experten auf, dass der stellvertretende Vorsitzende des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit Mansurdschon Umarow an die Spitze der Hauptverwaltung des Justizvollzugs wechselt, da er sich mit den Problemen in den Gefängnissen auskenne.
Die Rolle der „Speznas“
Nach Meinung der Experten bleibt aber eine unbequeme Frage für den Sicherheitsapparat bestehen, obwohl diese Frage niemand öffentlich stellt. Bei der Niederschlagung des Aufstands in Chudschand wurde die „Speznas“ eingesetzt – eine Sondereinheit der Armee. 21 Inhaftierte wurden getötet.
„Wir haben keine Einheiten zur Niederschlagung von Aufständen und Unruhen – keine „anti riot troops“. Das bedeutet, dass jeder Aufstand, also auch einer von BürgerInnen, von Alfa (der besagten Speznas-Einheit, Anm. d.Red.) niedergeschlagen wird, einer Gruppe die für andere Aufgaben trainiert wird“, sagt einer der Experten. „Sie ist für gewalttätige Niederschlagung ausgebildet und nicht um zu deeskalieren. Es ist eine Sondereinheit der Armee für die Lösung von Problemen in Kriegssituationen.“
Im gegebenen Fall hat die Speznas gemäß ihrer Instruktionen gehandelt. Sie ist mit Waffen für den Kampf ausgerüstet und darauf ausgerichtet in Kriegssituationen Bedrohungen physisch zu liquidieren. In ihrem Arsenal gibt es weder Tränengas, noch Wasserwerfer oder Technik zum Blockieren von Straßen. Sie ist im Umgang mit solchen Dingen nicht einmal geschult. Man kann nur hoffen, dass diese Einheit nicht einmal gegen protestierende BürgerInnen eingesetzt wird, bloß weil es keine anderen Einheiten gibt.
Olga Tutubalina auf Asia-Plus
Aus dem Russischen von Robin Roth
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