Startseite      „Man macht uns mal wieder mundtot“ – Über Covid-19 und Pressefreiheit in Tadschikistan

„Man macht uns mal wieder mundtot“ – Über Covid-19 und Pressefreiheit in Tadschikistan

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Pressefreiheit in Tadschikistan: Holt die aktuelle Krise einmal mehr bestehende Mängel im Bereich der Freiheitsrechte in dem zentralasiatischen Land ans Tageslicht? Folgender Artikel von Bachmanjor Nadirow erschien zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai im russischen Original bei Asia-Plus, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

alter Mann am Zeitungsstand
Auch bei der Berichtserstattung zur Coronavirus-Pandemie werden in Tadschikistan Medien bei ihrer Arbeit behindert (Illustration)

Was bedeutet die Corona-Pandemie für die Pressefreiheit in Tadschikistan: Holt die aktuelle Krise einmal mehr bestehende Mängel im Bereich der Freiheitsrechte in dem zentralasiatischen Land ans Tageslicht? Folgender Artikel von Bachmanjor Nadirow erschien zum Internationalen Tag der Pressefreiheit am 3. Mai im russischen Original bei Asia-Plus, wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Jedes Jahr am 3. Mai wird in der ganzen Welt der Internationale Tag der Pressefreiheit begangen. Er soll die internationale Gemeinschaft daran erinnern, dass Presse- und Meinungsfreiheit zu jenen Grundrechten gehören, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgeschrieben sind. Diese müssen verteidigt werden, denn sie sind die Basis der Demokratie und haben direkten Einfluss auf das Leben der Menschen überall in der Welt.

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Dieses Jahr fiel der Tag der Pressefreiheit in die Zeit der Corona-Pandemie. Covid-19 hatte da bereits hunderttausenden Menschen das Leben genommen. Aber genau in dieser Zeit, da Journalisten und Journalistinnen den Menschen Informationen über die reale Situation vermitteln und vor möglichen Folgen warnen sollten, bekommen die Medien in Tadschikistan Probleme: von unzugänglichen Informationen bis hin zu persönlicher Bedrohung.

Tadschikistans Gesundheitsministerium hat offiziell erst am 30. April bestätigte Infektionsfälle mit dem neuartigen Coronavirus bekanntgegeben, obwohl an der scheinbaren Abwesenheit schon vorher Zweifel bestanden. Journalisten versuchten, diese Situation irgendwie zu beeinflussen. Das führte dazu, dass ihnen völlig der Zugang zu Informationen versagt und sogar offizielle Anfragen abgewiesen wurden.

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Asia-Plus hat Journalisten in Tadschikistan befragt, wie sich die gegenwärtige Corona-Krise auf die Lage der freien Presse im Land auswirkt.

Unfähigkeit im Staatsdienst

Für den Journalisten und Medienexperten Marat Mamadschojew hat die Krise gezeigt, dass im Land der Zugang zu Informationsquellen fehlt. „Die Behörden, die dazu bevollmächtigt sind, eine weitere Verbreitung des Coronavirus einzudämmen, verstecken Informationen, die für die Gesellschaft wichtig sind. Sie verweigern Kommentare zum Stand der Vorbereitungen des Gesundheitssystems auf einen Ausbruch des neuen Coronavirus“, so Mamadschojew. „Sie verstärken die Selbstzensur der Medien im Land, indem sie besonders hartnäckigen Journalisten mit Strafen drohen. Die Krise zeigt einmal mehr, dass die Probleme der Gesellschaft nicht darin liegen, dass Journalisten sie ‚hochspielen‘, sondern darin, dass Beamte nicht fähig und kompetent genug sind, auf neue Herausforderungen adäquat zu reagieren.“

Marat Mamadschojew
Marat Mamadschojew

Auch der Medienfachmann Abdumalik Kadyrow bestätigt, dass die Pandemie-Krise gezeigt habe, wie unfähig die Behörden in der Kommunikation mit der Presse seien. „Für Journalisten, vor allem von unabhängigen Medien, ist es sehr schwer, an verlässliche, offizielle Informationen zu kommen. Denn Beamte verweigern ihnen den Zugang zu den für die Öffentlichkeit relevanten Informationen – entweder, weil sie ‚Anweisungen von oben‘ bekommen, oder weil sie einfach inkompetent sind“, meint Kadyrow. „Damit aber verschwiegen sie nicht nur Fakten, sondern wurden auch zur Ursache dafür, dass die Bevölkerung, da sie völlig im Unwissen gehalten wurde, sich massenweise mit dem Virus infizieren konnte.“

Abdumalik Kadyrow
Abdumalik Kadyrow

Drohungen gegen Journalisten

Nuriddin Karschibojew, Vorsitzender des Nationalen Verbands unabhängiger Medien Tadschikistans (NANSMIT), betont, dass sich nun das ganze Ausmaß der Probleme mit dem Informstionszugang in Tadschikistan gezeigt habe. „Obwohl Informationen, die die Gesundheit der Bevölkerung betreffen, nicht geheim sind, begrenzen das Gesundheitsministerium und hochstehende Beamte – unter anderem auch aus internationalen Strukturen – auf unterschiedliche Art und Weise die Rechte der Menschen auf verlässliche Informationen“, so Karschibojew. „Dabei wurde Journalisten sogar mit juristischer Verfolgung gedroht.“ So sei eine Drohung an Journalisten beispielsweise vom Pressesprecher des Gesundheitsministeriums via Facebook geäußert worden. Auch zwei Mitarbeiter von „SSSR“ seien bedroht worden, als sie einen Panikausbruch auf dem berühmten Mechgron-Markt in Duschanbe filmten.

Nuriddin Karschibojew
Nuriddin Karschibojew

„In diesem Moment braucht die tadschikische Gesellschaft Zusammenhalt, um der Verbreitung von Covid-19 etwas entgegensetzen zu können“, sagt Karschibojew. „Diesbezüglich werden wir jedoch ohne einen qualitativ hochwertigen Journalismus, der unabhängig von Beziehungen zu den Behörden, seine Pflicht gegenüber der Gesellschaft erfüllt, kaum echte Erfolge erwirken. Das Leben selbst zwingt die Machtstrukturen dazu, ihr Verhältnis zur Presse zu verändern und normale Bedingungen für ihr Funktionieren zu schaffen. Ein Ignorieren dieser Verpflichtungen würde Folgen nach sich ziehen.“

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Sebo Tadschibajewa, Gründerin und Direktorin von Your.tj, räumt ein, „schockiert gewesen zu sein davon, was sich in letzter Zeit rund um die Medien abspielt“. „Die Behörden haben nie wirklich mit Meinungsfreiheit in Tadschikistan gerechnet“, erläutert sie, „aber dieses Mal sei dies bis hin zu offenen Drohungen gegen eine Reihe von Redaktionen und sogar einzelne Journalisten gegangen.“ Ihre Kollegen müssten sich ganzen Divisionen von Trollen und Fakes stellen. „Aber besonders betroffen macht mich die Reaktion einiger Kollegen, die sich nicht zu schade sind, offensichtliche Lügen und Beleidigungen über andere zu schreiben. Dabei bin ich überzeugt, dass es gerade dem Mut und der Beharrlichkeit einiger Medien zu verdanken ist, dass die Gesellschaft doch die Wahrheit erfahren hat.“ Ihre Meinung nach haben die Medien damit einmal mehr gezeigt, dass sie durchaus eine „vierte Säule der Macht“ im Staate sind, auch wenn sie dies nur mit großer Mühe erreicht haben. Die Perspektive für unabhängige Medien in Tadschikistan allerdings mache ihr Angst: „Die sieht wirklich nicht rosig aus.“

Sebo Tadschibajewa
Sebo Tadschibajewa

Einmal mehr habe man Journalisten „den Mund verboten und untersagt, ihren beruflichen Verpflichtungen nachzukommen: die Bevölkerung über alles Lebenswichtige zu informieren, über Leben und Gesundheit der Menschen“, kritisiert auch Gulnora Amirschojewa, Chefredakteurin des Medienunternehmens „Wetschjorki“. „Wir sind zu Geiseln der Meinungs-Unfreiheit geworden in einem für uns alle schwierigen Moment, da sich die Epidemie verbreitet, aber Journalisten einfach keine offiziellen, verlässlichen Informationen veröffentlichen können“, so Amirschojewa. „Das ist schrecklich. Einmal mehr wird versucht uns einzuschüchtern, indem man uns wegen angeblich falscher Informationen und Verbreitung von Panik bedroht.“

Gulnora Amirschojewa
Gulnora Amirschojewa

Sieg der „Vierten“

Abdumalik Kadyrow weist aber auch darauf hin, dass die Pandemie erst gezeigt habe, wie patriotisch Journalisten und Blogger sich gegenüber ihrem Land verhalten. Obwohl sie gebrandmarkt würden, wo es nur ging. „Sie riskierten, bei den Machthabern in ‚Ungnade‘ zu fallen, unter den Druck von Strafmechanismen staatlicher Stellen gegen ‚Verbreitung falscher Informationen‘ zu geraten, ihre Arbeit zu verlieren“, schätzt Kadyrow, „obwohl sie doch wahre Informationen streuten und erklärten, was dieses Coronavirus ist und ‚wie man es zu sich nimmt‘, wie man sich und seine Nächsten vor Ansteckung schützt und was zu tun ist, wenn sich jemand dennoch infiziert hat.“ Diese Informationen hätten dann auch bewirkt, dass die Bevölkerung nicht mehr panisch reagierte, als die Regierung dann doch ein Vorkommen des Virus im Land verkündete. Sondern die Leute hätten die neue Situation ruhig angenommen. Jene wahren Berichte brachten seiner Ansicht nach die Beamten zum Handeln: beispielsweise normale Bedingungen für diejenigen in Quarantäne zu schaffen oder Ärzte und Pflegepersonal nicht mehr auf eigene Kosten Masken und Schutzanzüge kaufen zu lassen.

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Die Pandemie habe die Journalisten und Blogger in zwei Lager geteilt: „in diejenigen, die bis zum ‚bitteren Ende‘ dafür einstehen, dass die Leute die Wahrheit erfahren können, auch wenn sie bitter ist, und die, die ‚im Namen von Ruhe und Panik-Vorsorge‘ die Position der Regierung unterstützen und Informationen über Covid-19-Vorkommen in Tadschikistan versteckten.“

Doch letzendlich, meint Kadyrow, habe die „vierte Säule der Macht“ gesiegt.

Bachmanjor Nadirow für Asia-Plus

Aus dem Russischen von Peggy Lohse

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Kommentieren (1)

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gutte, 2020-05-12

Habt ihr mitgekriegt , dass die WHO kein unabhängiges Institut ist, sondern von großen Ländern wie China oder USA finanziert wird. Wie unabhängig da Berichterstattung sein kann ist eine Frage, die j enseits von Pressefreiheit und transparenter Information liegt.

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