Die tadschikische Wirtschaft ist abhängig von dem Geld, das Arbeitsmigranten in ihr Heimatland schicken. Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine drohen diese Einnahmen nun wegzubrechen – eine zusätzliche Sorge für die in Russland arbeitenden Tadschiken in einer ohnehin schon schwierigen Situation.
Die Sanktionen, die gegen Russland infolge des Überfalls auf die Ukraine vom 24. Februar verhängt wurden, haben zum Einbruch des Rubels geführt. Es sind schwierige Zeiten für die Tadschiken, die in Russland arbeiten, denn ein Wertverlust des Rubels bedeutet, dass sie nicht mehr so viel Geld wie zuvor an ihre Angehörigen in Tadschikistan schicken können, erklärt der US-amerikanische Nachrichtensender Radio Free Europe.
Diese Überweisungen machten im Jahr 2020, laut Weltbank, 26,7 Prozent des tadschikischen Bruttoinlandsprodukts aus. Damit liegt Tadschikistan weltweit, hinter Tonga und Kirgistan, auf Platz drei der Länder, die am stärksten von Auslandsüberweisungen abhängig sind.
Bereits zwei Tage nach dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine waren die Konsequenzen in Tadschikistan spürbar. Zwischen dem 24. und dem 26. Februar brach der Wechselkurs erheblich ein, wie Radio Ozodi, der tadschikische Dienst von Radio Free Europe, am 26. Februar berichtete. Für die tadschikischen Arbeitsmigranten und ihre Familien hat dies erhebliche wirtschaftliche Konsequenzen.
Millionen Tadschiken von Talfahrt des Rubels betroffen
Millionen von Arbeitsmigranten sind von der Situation betroffen, zumal das Innenministerium der Russischen Föderation für das Jahr 2021 eine Rekordzahl an Migranten verzeichnet hat. Nach Angaben des tadschikischen Nachrichtenportal Your.tj sind zwischen Januar und September 2021 mehr als zwei Millionen tadschikische Staatsangehörige nach Russland ausgewandert, was ungefähr 20 Prozent der tadschikischen Gesamtbevölkerung entspricht. Von diesen zwei Millionen sind rund 1,6 Millionen in der Hoffnung fortgegangen, ihre in Tadschikistan gebliebenen Familien mit Geld unterstützen zu können.
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Die russische Invasion hat aber nicht nur zu einem Wertverlust des Rubels geführt. Auch zahlreiche Flüge wurden storniert und das in einer Periode in der laut Eurasianet die Tadschiken üblicherweise zum Arbeiten nach Russland aufbrechen.
Neue Restriktionen
Die Situation tadschikischer und zentralasiatischer Migranten in Russland war allerdings bereits vor dem Krieg prekär. 2021 hatte die russische Regierung in Reaktion auf die zunehmende Einwanderung die Gesetzeslage verschärft. Laut Radio Free Europe verlangt ein neues Gesetz, das am 29. Dezember 2021 in Kraft getreten ist, von fast allen nach Russland einreisenden Ausländern, sich unter anderem auf illegale Drogen im Blut, auf HIV, Syphilis und Tuberkulose testen und ihre Fingerabdrücke aufnehmen zu lassen. Auch Röntgenuntersuchungen und Kernspintomographien könnten angeordnet werden.
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Die tadschikischen Arbeitsmigranten trifft das nicht zuletzt auch ökonomisch. Am 23. Februar berichtete Eurasianet, dass die Untersuchungen bis zu 6.200 Rubel kosten können. Das sind umgerechnet mehr als 50 Euro. Würden sie positiv auf eine der Krankheiten getestet oder verweigerten die Tests, dann riskierten sie den Verlust ihrer Arbeitserlaubnis. Das tadschikische Nachrichtenportal Asia-Plus spricht von über 100.000 tadschikischen Staatsangehörigen, die 2021 die russische Staatsbürgerschaft erhalten haben. Das sind dreimal mehr als noch vor fünf Jahren.
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Radio Ozodi wiederum berichtet, dass zwischen 2014 und 2021 ungefähr 235.000 tadschikische Staatsangehörige ihren Namen geändert haben, nachdem sie aus Russland ausgewiesen wurden. Das ermöglicht ihnen die illegale Rückkehr und verzerrt möglicherweise zugleich die Statistiken zur tadschikischen Arbeitsmigration.
Rassismus in Russland
Doch mit der Ankunft in Russland hören die Probleme nicht auf: „Es ist unbestreitbar, dass Fremdenfeindlichkeit in Russland weit verbreitet ist. Die Tadschiken sind stigmatisiert, wie auch die übrigen Menschen aus Zentralasien und dem Kaukasus“, erklärt Sophie Hohmann, Spezialistin für zentralasiatische Migration, im Gespräch mit Novastan.
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Im Dezember 2019 berichtete Human Rights Watch über Racial Profiling bei der russischen Polizei. Laut der Moscow Times ist diese Praxis seit den 1990er Jahren in Russland weit verbreitet. Betroffen seien vor allem Menschen aus dem Nordkaukasus und Zentralasien. Sie würden in den Augen der russischen Gesellschaft häufig mit Terror und Kriminalität in Verbindung gebracht werden.
Nach zahlreichen willkürlichen Verhaftungen in 2019 sagte der für Europa und Zentralasien verantwortliche Direktor von Human Rights Watch, Hugh Williamson, dass nicht-slawische Migranten in Russland besonders vulnerabel seien und keine eigene Stimme hätten. So berichtete etwa die kirgisische Nachrichtenagentur 24.kg im Dezember 2019 von der brutalen Misshandlung von aus Zentralasien stammenden Taxifahrern in Chabarowsk, im äußersten Osten Russlands.
Den meisten tadschikischen Arbeitsmigranten bleibt allerdings keine andere Wahl, als in Russland nach Arbeit zu suchen. Der durchschnittliche Monatslohn ist hier elfmal höher als in Tadschikistan, wie die Abteilung für Migration und Flüchtlinge des Vatikans schreibt.
Für Sophie Hohmann ist es die „Abwesenheitsozialer und ökonomischer Perspektiven für die Jugend in Tadschikistan, die diese dazu bringt, auszuwandern und sich wirtschaftliche Nischen wie in Russland zu suchen“. Die Migration sei zu einem „Übergangsritus“ geworden. Im Einzelnen betrachtet seien die Arbeitsbedingungen recht heterogen: „Je nach Status des Migranten, etwa ob er einen Arbeitsvertrag hat oder nicht, können die Arbeitsbedingungen sowohl extrem katastrophal und sklavenartig als auch akzeptabel oder sogar gut sein“, fügt Hohmann hinzu.
Das Schicksal der tadschikischen Frauen
Auch auf die tadschikische Gesellschaft sind die Auswirkungen der Arbeitsmigration nicht zu unterschätzen. Die hohe Auswanderungsrate, erklärt Hohmann, „wirkt sich auf die demographische und sozialeStruktur der tadschikischen Gesellschaft aus: die Frage der Polygamie ist kein Geheimnis und wird toleriert. Polygamie ist das Ergebnis des Männermangels in der Gesellschaft – ganz zu schweigen von den Fällen von Wiederheirat in Russland und der Verstoßung von Frauen in Tadschikistan“.
Angesichts von hunderttausenden von tadschikischen Männern, die den Großteil des Jahres in Russland verbringen, um dort zu arbeiten, sehen laut Radio Free Europe viele Frauen keinenanderen Weg zur materiellen Absicherung als zur gesetzlich nicht anerkannten Nebenfrau eines bereits verheirateten Mannes zu werden und diesem auf Gedeih und Verderb ausgeliefert zu sein.
Maëva Pouffier, Redakteurin für Novastan
Aus dem Französischen von Lucas Kühne
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