Im Jahr 2025 werden unabhängige Medien und Nichtregierungsorganisationen in Zentralasien weiterhin mit einer verstärkten staatlichen Kontrolle sowie mit finanziellen Schwierigkeiten und einer geringeren externen Unterstützung durch ausländische Geldgeber konfrontiert sein. Dies sagen zumindest lokale Experten voraus. Sie erwarten zudem finanzielle und rechtliche Probleme, die eine ernsthafte Bedrohung für ihre Aktivitäten darstellen. Während Verhaftungen unabhängiger Journalisten in Kirgistan alltäglich werden, haben einige Medien ihre redaktionelle Politik zugunsten einer loyaleren Haltung gegenüber der Regierung geändert.
Asat Rusijew, Medientrainer im Bereich Journalismus und Mitbegründer von Baschta, einem kirgisischen Medium mit insgesamt mehr als 100.000 Followern in den sozialen Medien, äußerte sich im Gespräch mit Novastan zu dieser Situation.
Mehr staatliche Kontrolle…
Laut Asat Rusijew ist die größte Bedrohung für die Medien in Zentralasien die Stärkung des „repressiven“ Staatsapparats. Dieser ziele darauf ab, Journalisten zu diskreditieren.
„Wir haben aktuell noch genügend aktive unabhängige Medienhäuser im Land, aber der Druck ist enorm. …Wenn wir über Zentralasien sprechen, dann ist sicherlich (einer der Hauptgründe) der repressive und autoritäre Apparat, der Journalisten bekämpft, sie verleumdet und verunglimpft“, so Rusijew gegenüber Novastan.
Ein Beispiel für einen solchen Druck könnte die Änderung der Redaktionspolitik bei dem größten kirgisischen Medium 24.kg sein. Rusijew zufolge habe 24.kg aufgrund des Drucks und der zuletzt durchgesetzten Medienreformen die Veröffentlichung von delikaten Nachrichteninhalten, die als kritisch gegenüber den Behörden gelesen werden könnten, eingestellt. Dabei sei daran erinnert, dass 24.kg am 19. März 2024 einen Leitungswechsel durchlebte. Der neue Inhaber ist Almas Turdumamatow, früherer Leiter des Pressedienstes des ehemaligen Präsidenten Kurmanbek Bakijew.
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Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Das nächste ernsthafte Problem der unabhängigen Medien ist laut Asat Rusijew die finanzielle Lage: Kirgisische Werbekunden sind nicht bereit, mit Medienhäusern zusammenzuarbeiten, die Kritik an den staatlichen Organen äußern. Infolgedessen sind solche Medien gezwungen, Kritik zu umschiffen oder voll und ganz von Berichten über politische Themen abzulassen. Letzteres schadet dem Staat auf lange Sicht selbst.
„Das bedeutet entweder gar nichts über Politik oder nur Gutes darüber. Davon hat das Land jedoch nichts und wieder nichts, denn wenn die Gesellschaft keine Meinung äußern, sich nicht in Kritik üben kann, schadet das nicht nur ihr selbst, sondern auch dem Staat“, so Rusijew.
…und weniger ausländische Finanzströme
Darüber hinaus haben die USA vor kurzem die Finanzierung unabhängiger Medien in verschiedenen Ländern ausgesetzt, was bereits zu ernsthaften Problemen für unabhängige Publikationen in verschiedenen Ländern führt, insbesondere in Kirgistan. US-Präsident Donald Trump unterzeichnete am 20. Januar eine Durchführungsverordnung, die alle Bundesbehörden dazu auffordert, die Auslandshilfe für 90 Tage auszusetzen.
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Die Anordnung trat am 24. Januar in Kraft, sie betrifft u. a. die Auslandsfinanzierung des Außenministeriums und der Behörde der Vereinigten Staaten für internationale Entwicklung (USAID). Auch kirgisische Medien, die ohnehin schon schwer mit ihren Ressourcen haushalten müssen, fanden sich dadurch in einer bedenklichen Situation wieder. Einigen Experten zufolge drohen den unabhängigen Lokalzeitungen ohne angemessene Finanzierung Personalkürzungen, eine inhaltliche Qualitätsverschlechterung und sogar die Schließung.
Vor einigen Jahren hatte Kirgistan noch das Potenzial für die Entwicklung einer freien Presse, europäische Politiker bezeichneten das Land nicht selten als „eine Insel der Demokratie in Zentralasien“. Bei dem derzeitigen Druck auf den Medien stehen jedoch 30 Jahre Fortschritt im unabhängigen Journalismus auf dem Spiel, stellte Rusijew fest: „In Kirgistan wurden die Weichen für eine freie Entwicklung der Presse gestellt. Hier gibt es beispielsweise am Institut für freien und unabhängigen Journalismus, das seit 30 Jahren besteht und wo viele talentierte Menschen arbeiten.“
Weniger traditionelle Medien, mehr Blogger
Der Medienexperte stellt fest, dass in Kirgistan, wie auch im Rest der Welt, das Vertrauen in die traditionellen Medien abnehme, während die Popularität von Bloggern zunehme. Der Bedarf an unabhängigen Informationen bestehe nach wie vor, doch suchten die Verbraucher häufiger nach vorgefertigten Antworten als nach objektiv recherchierten Beiträgen.
„Es geht hier nicht nur um Kirgistan, sondern um die globale Praxis. Weltweit genießen Medien immer weniger Vertrauen, einzelne Blogger dafür umso mehr“, so der Mitbegründer von Baschta.
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Seiner Meinung nach bevorzuge das moderne Publikum offensichtlich kurze Videoformate anstelle von traditionellen Print-, Fernseh- oder Radiobeiträgen. Diese Tendenz lese sich jedoch in beide Richtungen: regierungsfreundliche und propagandistische Strukturen bedienen sich beide derselben Methoden.
„Der Endverbraucher schaut nun also Videos, solche haben wir auch bei Baschta. Und das ist einerseits gut – deshalb versuchen wir, die Fakten zu überprüfen, Informationen zu verifizieren und nur wirklich relevante Themen zu behandeln“, erklärte er gegenüber Novastan. Die Zugänglichkeit von kurzen Videoformaten mache sie jedoch zu einer leichten Beute für Manipulation: „So einfach, wie es ist, sich über soziale Medien ein Publikum aufzubauen und zu ihm durchzudringen, ist es sonnenklar, dass auch Propagandakanäle sich dies zu Nutze machen – und zwar mit Erfolg.“
Infotainment und Personalisierung
Das junge Publikum interessiere sich immer weniger für Nachrichten und Politik. Um sie zu erreichen, müssen Journalisten ihre Herangehensweise ändern. „Wir müssen neue Wege finden, um sie zu erreichen. Im Russischen spricht man von „Infotainment„. Infotainment ist unterhaltsam, mitreißend und obendrauf noch informativ. Ohne diesen Kurswechsel wird es uns nicht gelingen, die Aufmerksamkeit der jungen Menschen zu gewinnen und ihnen die wichtigen Ereignisse des Landes zu vermitteln“, erklärtRusijew.
Gleichzeitig nehme der Medienkonsum allgemein zu, was aber nicht heißt, dass sich die Konsumenten mehr dem Journalismus zuwenden. Im Gegenteil, statt Medienhäusern vertrauen sie zunehmend Einzelpersonen, prognostiziert der Experte. „Ich rechne mit einer „Personalisierung“ der Medien, das heißt die Leute werden sich nicht mehr an ein Medium binden, sondern an einzelne Personen, denen sie mehr vertrauen. Dieser Vorgang ist schon mitten im Gange, und zwar in der ganzen Welt“, so Rusijew.
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Das nachlassende Interesse an den traditionellen Medien könne auch mit der derzeitigen wirtschaftlichen Lage in Kirgistan zusammenhängen. Aufgrund der steigenden Lebensmittel- und Wohnungspreise sowie der jährlichen Inflation suchen die Menschen Wege, die negativen Themen abzuschütteln und mit positiveren Themen zu ersetzen.
„Es stimmt, dass die Menschen der Politik überdrüssig sind und sich nach unterhaltsamerem Content umsehen. Das Leben ist sehr teuer geworden, die Kluft zwischen Arm und Reich vergrößert sich rapide, es gibt so viel Ungerechtigkeit. Von all dem möchte man sich ablenken, wenn man am Handy ist. Da kommen dann die Algorithmen der sozialen Netzwerke ins Spiel, die den Menschen besser verstehen als er sich selbst“, so Rusijew.
Einsatz von Technologien und neuronalen Netzen
Die modernen kirgisischen Medien passen sich aktiv an den technologischen Wandel an, einschließlich der Verwendung generativer neuronaler Netze zur Erstellung visueller Inhalte. Ein Beispiel dafür ist ein Video auf dem Baschtas TikTok-Kanal, das auf der wahren Geschichte einer Überlebenden von sexuellem Missbrauch basiert und mehr als eine Million Aufrufe erreicht hat.
„Dieses Video haben wir von vorne bis hinten mithilfe neuronaler Netze generiert. Es handelte von einer Frau, die den Missbrauch überlebt hatte und schließlich ermordet wurde. Filmmaterial lag uns keines vor, nur ein einziges Foto, aus dem wir schließlich alle anderen Bilder generiert haben. Das Video ging viral“, erklärt Rusijew.
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Darüber hinaus setzt Baschta neuronale Netze auch zur Überprüfung von Informationen und zur Analyse großer Datensätze ein. Allerdings achten die Journalisten in diesem Punkt akribisch auf die ethischen Aspekte und informieren ihr Publikum im Vorfeld über den Einsatz von KI.
„Wir prüfen regelmäßig, wie wir qualitativ hochwertige Videos generieren können, wo dies angemessen ist und wie ethisch vertretbar es ist. Haben wir ein visuelles Produkt mit Hilfe von KI erstellt, weisen wir immer darauf hin. Der Konsument soll sich darüber im Klaren sein“, betonte er.
Kampf gegen Fakenews
Die Verbreitung und Verfügbarkeit neuronaler Netze in den Medien erleichtert nicht nur die Arbeit, sondern bringt auch große Probleme mit sich, wie etwa die Fake News. Wie der Leiter von Baschtа anmerkt, sei es nicht immer möglich, dem ständigen Fluss von Falschinformationen entgegenzuwirken. Selbst wenn es Journalisten gelingt, Fälschungen aufzudecken und zu widerlegen, wirke sich das kaum auf die öffentliche Wahrnehmung aus.
„Wir haben einen Factcheck eingerichtet, und damit sind wir nicht die einzigen. Aber wir wissen, dass diese Strategie nur mäßig effektiv ist. … Wenn eine Lüge erst einmal verbreitet ist, interessiert es niemanden mehr, was dann passiert und wie unwahr sie ist“, fügte er hinzu.
Wie können sich unabhängige Journalisten schützen?
Um Journalisten vor politischen Angriffen und Verfolgung zu schützen, müsse der Staat zunächst einmal aufhören, unabhängige Medien unter Druck zu setzen. „Der Staat geht offen gegen unabhängige Medien vor. Im Jahr 2023 haben wir 50 Plätze im Rating der weltweiten Pressefreiheit verloren“, so der Mitbegründer von Baschta.
Unter den derzeitigen Bedingungen in Kirgistan, wo Journalisten „nur auf sich selbst angewiesen sind“, spielen die Unterstützung durch Menschenrechtsorganisationen, rechtlichen Beistand und finanzielle Stabilität eine wichtige Rolle. „Journalisten brauchen psychologische Hilfe, Rechtsanwälte, einen Plan B und finanzielle Stabilität“, so Rusijew.
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Die Cybersicherheit sei nicht weniger akut. Journalisten sollten sich im Voraus um den Schutz ihrer persönlichen Geräte und Daten kümmern, da die Sicherheit des gesamten Medienhauses davon abhänge. „Es ist wichtig zu wissen, wo und wie Informationen gespeichert werden, sonst werden sie am Ende gegen den Journalisten oder seine Redaktion verwendet“, fügte er hinzu.
Perspektiven für unabhängige Medien
Für unabhängige Medien sei es heute nicht nur essentiell, nach außen widerstandsfähig zu bleiben, sondern auch ständig nach neuen Möglichkeiten zu suchen. „Baschta hat einen sehr einfachen Plan: Wir wollen eine kirgisische Redaktion eröffnen, um als Medienhaus noch fester im Sattel zu sitzen, und wir werden weiterhin experimentierfreudig bleiben“, so Asat Rusijew gegenüber Novastan.
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In einem sich so schnell verändernden Medienkosmos gäbe es seiner Meinung nach keine fertigen Lösungen für die Stabilität der Medien – Stabilität entstehe durchs stetige Versuchen, trotz gelegentlicher Irrtümer.
Rusijew zufolge werden die „verschärften Maßnahmen“ gegen unabhängige Medien in Kirgistan und anderen zentralasiatischen Ländern weitergehen, was eine Reaktion der Journalisten erfordere. „Der Druck wird größer werden, das ist offensichtlich, die Schrauben werden überall angezogen, also müssen Journalisten auf all diese Ereignisse vorbereitet sein und einen Plan B haben, am besten gleich mehrere“, sagte er voraus.
Sherzod Babakulov für Novastan
Aus dem Russsichen von Arthur Siavash Klischat
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