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Feministische Medien in Kasachstan: Was verändern sie?

Feministische Medien spielen eine wichtige Rolle, aber nach Ansicht von Experten wird ihre Wirksamkeit durch einen Mangel an politischem Willen eingeschränkt.

Frauen
Symbolbild.

Feministische Medien spielen eine wichtige Rolle, aber nach Ansicht von Experten wird ihre Wirksamkeit durch einen Mangel an politischem Willen eingeschränkt.

Feministische Medien sind in Kasachstan zu einem wichtigen Instrument des Wandels geworden, das über Themen wie Gleichstellung, Frauenrechte und nicht-binäre Menschen berichtet. Sie sind nicht nur eine Informationsquelle, sondern auch ein Raum für Dialog, Unterstützung und Aktionen, die zuvor unmöglich erschienen. Medien wie „Batyr jamal„, Podcasts wie „Tits Talking“ oder „Mamskij äñgime“ und viele andere verändern bereits die öffentliche Meinung, bekämpfen Stereotypen und haben einen echten Einfluss auf das Leben der Menschen.

„Was ich am meisten schätze, ist die kreative Freiheit“, sagt Aısulu Toışibekova, Gründerin des Podcasts „Tits Talking“ und des Podcast-Studios „Bulbul“. Die Priorität liege immer darin, dass der Podcast für andere wichtig ist. Die Vision des 2021 ins Leben gerufenen „Tits Talking“-Podcasts ist es, dass Frauen, die nicht dem Mainstream angehören, ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen auf sichere Weise teilen können. 

Aısana Aşim, Gründerin von „Batyr jamal“, erinnert sich daran, wie der Abaı-Literaturforscher Omar Jalel im Jahr 2020 in seiner Rede an der Nazarbaıev-Intellektuellen-Schule Mädchen mit Textmarkern verglich, die man ihm zufolge wegwerfe, wenn sie verbraucht sind. Der Literaturforscher erinnerte die Schülerinnen zudem daran, dass ihre Aufgabe nicht das Lernen, sondern das Gebären sei. Aısana Aşim war über diese Worte verärgert und in diesem Moment wurde ihr klar, dass die Idee, Medien für Frauen zu schaffen, die sie seit langem hegte, umgesetzt werden musste. Der Name „Batyr jamal“ stammt aus dem Titel von Myrjakyp Dulatovs Roman „Bakytsyz jamal“. Das Wort Batyr bedeutet in der Übersetzung aus dem Kasachischen stark. Am 8. März 2021 wurde „Batyr jamal“ auf Instagram, TikTok und anderen sozialen Netzwerken veröffentlicht und ist ein Projekt über Frauen und für Frauen.

Aınur Iljasova erzählt, wie vor ein paar Jahren alles mit kurzen 20-minütigen Videos auf YouTube begann und sich dann zum Podcast „Mamskij äñgime“ entwickelte. Der Podcast handelt von Mutterschaft, Schwangerschaft, Geburt und vielem mehr, mit Rubriken wie „Mutter und Tochter“, „Ehemann und Ehefrau“ und „Selfmadefrau“. In ihren Veröffentlichungen betont Iljasova die Bedeutung der Mutterschaft und das Wissen um die eigenen Rechte bei der Geburt sowie die Erholung nach der Geburt und das Problem der postpartalen Depression.

Was wurde während des Bestehens der Medien und Podcasts erreicht?

In 3,5 Jahren hat „Batyr jamal“ mehr als 186 Tausend Abonnent:innen: 99,5 Tausend in Instagram und 84 Tausend in TikTok, 3128 in Telegram. Die maximale Reichweite beträgt etwa 10 Millionen: 5 Millionen auf Instagram und 5 auf TikTok. Im Durchschnitt gibt es etwa eine Million Besucher:innen pro Monat auf jeder Plattform.

„Wir haben einen großen Beitrag geleistet. Es gab Menschen und Blogger:innen, die angefangen haben, mehr über die Erfahrungen von Frauen zu sprechen. Damals benutzten viele Journalisten keinen Feminitiv, aber nach uns fingen sie damit an“, sagt Aşim. 

Sie weist auch darauf hin, dass die langjährige Arbeit von „Batyr jamal“ bei der Berichterstattung über häusliche und sexualisierte Gewalt den kasachstanischen Präsidenten dazu bewogen hat, 2024 ein Gesetz zum Schutz gegen häusliche Gewalt zu verabschieden. Das Team berichtete über jeden Prozess gegen den ehemaligen Wirtschaftsminister Quandyq Bişimbaev, der seine Frau Saltanat Nukenova ermordet hatte, und verfolgte das Verfahren. Zusammen mit anderen Einflussinstrumenten wie Petitionen und Protesten von Aktivist:innen wurde Bişimbaev zu 24 Jahren Haft verurteilt. Ebenso beeinflusste laut Aşim ihre Arbeit die Sprache, die kasachstanische Journalist:innen beim Thema geschlechtsspezifische Gewalt benutzen. Die Medienseite hat Leitlinien für die Medien veröffentlicht, wie man rücksichtsvoll und ethisch korrekt über Gewalt schreibt. 

Die Gründerin des „Tits Talking“-Podcast Aısulu Toışibekova sagt, sie habe den weiblichen Blick in den Medien vermisst: „Wenn es einen weiblichen Blick gab, war er mit Gewalt verbunden. Ich wollte etwas anderes. Ich hatte schon immer viele Frauen um mich herum, die großartige Projekte machen und mit echter Leidenschaft dabei sind. Ich dachte, warum werden sie nicht irgendwo eingeladen?“

Laut Toışibekova arbeitet der „Tits Talking“-Podcast nicht zielgerichtet, es handelt sich nicht um eine NGO und es gibt keine Ressourcen, um eine Community rund um das Studio oder den Podcast aufzubauen. „Ich vermittle das Wissen und die Erfahrung, die in unserer Gemeinschaft bereits vorhanden sind. Manchmal ist es schwer, sie zu finden, und wir sind wie ein Kanal, der diese Erfahrungen und Menschen miteinander verbindet“, so Toışibekova. 

Eine Folge von „Tits Talking“ wird von etwa 200 Menschen gehört. Toışibekova meint jedoch, dass sie die Bedeutung ihrer Arbeit nicht an Zahlen messen möchte. Sie sagt, dass der Audio-Podcast-Markt in Kasachstan gerade erst im Entstehen begriffen ist und dass es noch keine guten Metriken und Untersuchungen gibt. Die Marken selbst haben es nicht eilig, in Audio-Podcasts einzusteigen, und die Leute wissen nicht so recht, wo und wie sie sie finden sollen. Laut Toışibekova hat der Medienkonsum gelehrt, alles zu vereinfachen und zu vereinheitlichen – es sei einfacher, YouTube, Instagram und TikTok zu verwenden. 

Der Kanal „Mamskij äñgime“ hat heute 228.000  Abonnent:innen und eine Reichweite von 35 Millionen Menschen. Die Interviews werden in zwei Sprachen veröffentlicht: Russisch und Kasachisch. Laut Aınur Iljasova schreiben einige Menschen, dass sie dank der Interviews ihre Depression überwinden konnten. Die Autorin des YouTube-Kanals misst die Ergebnisse ihrer Arbeit anhand des Feedbacks. „Kürzlich kam eine Frau auf mich zu und erzählte mir, dass sie eine Fehlgeburt erlitten hatte. Sie hat es dank des Kanals überwunden. Ich bin dankbar, dass ich die Möglichkeit habe, etwas für die Menschen zu tun“, erzählt Iljasova. 

Iljasova und ihr Team haben ihr eigenes Studio eröffnet, einen Kunstraum. Es wird vermietet und der Podcast selbst wird dort aufgenommen. Im Moment arbeitet Iljasova an dem Projekt „Eltern ohne Grenzen“. Das beschäftigt sich unter anderem mit den Bedingungen für arbeitende Frauen in Kasachstan, was der Staat zur Verfügung stellt, welche Privilegien, Sozialleistungen die Frauen haben, welche Art von Kindergärten es im Land gibt. In diesem Jahr veröffentlichte Iljasova einen Film mit dem Titel „Qaşan tuasyn?“ (Anm. d. Red. „Wann wirst du gebären?“) über den gesellschaftlichen Druck auf Mädchen. Iljasova war auch Schauspielerin, Autorin der Idee, Produzentin und Co-Drehbuchautorin der Serie. 

Was hat sich nicht geändert oder verbessert?

„Ich habe nicht versucht, etwas grundlegend zu ändern, die Verantwortung eines Märtyrers zu übernehmen und die Welt zu verändern. Ich hatte eine Menge Urteile und Beschwerden. Dann habe ich mich hingesetzt und beschlossen, aktiv zu werden“, gesteht die Autorin des Podcasts „Mamskij äñgime“. Iljasova sprach über eine noch nicht verwirklichte Idee – ein Projekt über Entbindungskliniken in Kasachstan. „Es gibt auch gute Ärzte, aber niemand lässt mich die ganze Wahrheit sagen“, erklärte sie.

Toişibekova, die Autorin des Podcasts „Tits Talking“, teilt mit, dass sie nicht in der Lage war, den Podcast zu einer regelmäßigen Sendung zu machen. Sie weist auf das bestehende Problem mit Podcasts und Monetarisierung in Kasachstan hin – Marken stellen Budgets zur Verfügung, um einmal im Jahr am 8. März über Frauenthemen zu berichten. „Es ist schwierig für mich, denn die Werbekund:innen sind nicht interessiert. Sie sagen ‚unser Publikum wird es nicht verstehen‘“, erklärt Toishibekova. 

Aşim stimmt ihr zu, sie glaubt, dass es eine Menge Pinkwashing unter den Marken gibt (Ausbeutung von LGBTQ+ Werten, um das eigene Image zu verbessern oder Profit zu machen, Anm. d. Red.). „Für sie sind die Plattformen von Timur Balymbetov und Qanat Beısekeev sicherer als unsere. Sie haben Angst, sich einer Gefahr auszusetzen. Obwohl wir nicht über ein anderes Kasachstan schreiben“, stellt Aşim fest. Die Gründerin von „Batyr Jamal“ meint, dass die Medien aufgrund von Monetarisierungsproblemen nicht dauerhaft tragfähig sind. „Wir könnten mehr Journalisten einstellen, mehr Material in kasachischer Sprache produzieren, die Regionen abdecken, eine Website erstellen und Offline-Veranstaltungen durchführen. Wir müssen weitermachen, ich denke, es wird uns schon gelingen“, sagt Aşim.

Wie wirken sich feministische Medien und Podcasts auf die Gesellschaft und das Leben von Frauen in Kasachstan aus und inwieweit können sie wirklich etwas bewirken?

Laut Aıgerim Qusaınqyzy, einer Expertin für Frauenrechte, lassen sich die Auswirkungen von feministischen Medien und Podcasts an mehreren Schlüsselaspekten ablesen. Erstens wird das Bewusstsein für die Ungleichheit der Geschlechter geschärft und ein Raum geschaffen, in dem Frauen ihre Gedanken offen äußern können. Zweitens trägt die Gestaltung von Diskussionen über die Sexualität von Frauen, reproduktive Rechte und Feminismus dazu bei, diese Themen in der Gesellschaft zu normalisieren. Qusaınqyzy betont jedoch, dass Medien über Frauen hauptsächlich die Aufmerksamkeit von Menschen auf sich ziehen, die sich bereits für Geschlechterfragen interessieren, und dass ihr Einfluss nur selten die breite Öffentlichkeit erreicht.

Eines der Ergebnisse der Arbeit feministischer Medien und Podcasts, so Qusaınqyzy, ist der Abbau von Stereotypen, die mit dem Begriff „quyat“ (Scham, Anm. d. Red.) verbunden sind, und die Förderung der Sexualerziehung. Die Podcasts „Ūiat emes“ und „Queer Squirt“ verringerten die Stigmatisierung von Themen im Zusammenhang mit Menstruation und Verhütung und verbesserten den Zugang zu diesen wichtigen Informationen für Frauen und Mädchen.

Die Veröffentlichung von Erfolgsgeschichten von Frauen in der Wirtschaft und in Führungspositionen durch „Manşuq Media“ und „Batyr jamal“ inspirieren und unterstützen andere Frauen, unternehmerische Initiativen zu entwickeln. Nach Angaben des kasachstanischen Wirtschaftsministeriums ist beispielsweise die Zahl der aktiven kleinen und mittleren Unternehmen seit 2012 um 44 Prozent auf über 1,4 Millionen gestiegen, wobei 44,6 Prozent derjenigen von Frauen geführt werden. 

„Obwohl feministische Medien wichtige Themen ansprechen, bleibt ihr Einfluss auf Änderungen in der Gesetzgebung und Politik gering, da es an Unterstützung auf staatlicher Ebene und am politischen Willen zur Veränderung fehlt“, meint Qusaınqyzy. 

Fariza Ospan für CABAR

Aus dem Russischen von Irina Radu

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