Die unabhängige Journalistin Soltan Açilowa konnte nicht zur Verleihung eines internationalen Preises nach Genf reisen. Unter dem Vorwand einer Infektionskrankheit musste sie sich einer Zwangseinweisung in ein Krankenhaus unterziehen.
Am 20. November sollte die Journalistin Soltan Açilowa in Begleitung ihrer Tochter nach Genf reisen, um den 2021 ihr verliehenen Preis der Martin-Ennals-Stiftung für Menschenrechtsaktivisten entgegenzunehmen. Diese ernannte sie als Finalistin des Martin Ennals Award, nachdem sie Berichte über Landgrabbing und Zwangsräumungen der Einwohner in Aschgabat veröffentlicht hatte. Laut dem unabhängigem Medium Chronicles of Turkmenistan jedoch durfte die ehemalige Korrespondentin von Radio Azatlyk, dem turkmenischen Dienst des US-Mediums Radio Free Europe, Turkmenistan nicht verlassen.
Um 6.30 Uhr erschienen vier Männer in weißen Kitteln und mit Masken vor ihrem Haus. Einer von ihnen soll ihr erklärt haben, sie habe eine Infektionskrankheit und habe sich dringend einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Die Kontaktaufnahme mit ihrer Familie blieb Soltan Açilowa verwährt.
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Medikamente ja, Diagnose nein
Während des gesamten Krankenhausaufenthalts teilte kein Arzt Açilowa mit, wann sie entlassen werden sollte. Ihr Aufenthalt kam einer Isolationshaft gleich.
Laut Chronicles of Turkmenistan entnahm das medizinische Personal Blutproben der Journalistin und den beiden Angehörigen. Hinzukamen allmorgendliche Nasenabstriche. Die Ärzte verschrieben ihnen Medikamente, obschon sie jegliche Diagnose verweigerten. Die Journalistin und ihre Familie lehnten die Behandlung ab.
Ähnliche Erfahrung im Vorjahr
Am Nachmittag des fünften Tages durfte Soltan Açilowa und ihre Familie das Krankenhaus verlassen, dem Druck von Botschaften mehrerer Länder und Kampagnen von Menschenrechts-NGOs sei Dank. Einige Stunden vorher hatte ein Trupp ihr Haus betreten, um eine „medizinische Säuberung“ vorzunehmen.
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Es ist nicht das erste Mal, dass der Staat die 75-jährige Journalistin an der Ausreise hindert. Radio Azatlyk ruft in Erinnerung, dass ihr schon 2023 Grenzbeamte am Flughafen von Aschgabat verwehrt hatten, in die Schweiz zu reisen, wo ihr der 2021 verliehene Preis verliehen werden und sie als Rednerin bei der University of Geneva’s Human Rights Week 2023 auftreten sollte. Damals hatten die Beamten Açilowas Pass und den ihrer Tochter vor deren Augen so sehr beschädigt, dass sie schließlich unbrauchbar waren. Neue Reisedokumente erhielten die beiden erst auf Druck von NGOs.
Chronicles of Turkmenistan beobachtet, dass die Aktionen der turkmenischen Sondereinheiten immer ausgeklügelter werden.
Soltan Açilowa ist eine der wenigen unabhängigen Journalisten, die in Turkmenistan tätig sind, und die einzige, die die Machthaber offen kritisiert. Aufgrund ihrer Arbeit wurde sie wiederholt Opfer von Belästigungen, Drohungen und körperlichen Angriffen.
William Onkur, Redakteur für Novastan
Aus dem Französischen von Arthur Siavash Klischat
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