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Was die Verfassungsänderung für Usbekistan bedeutet

ENTSCHLÜSSELUNG. Die Wähler:innen in Usbekistan haben sich für weitreichende Verfassungsänderungen ausgesprochen. Die seit der Wiederwahl des usbekischen Präsidenten im Jahr 2021 versprochene Verfassungsänderung gilt als Meilenstein auf dem Weg in das von der Regierung propagierte „Neue Usbekistan“. Tatsächlich dient sie vor allem dazu, die Macht von Präsident Shavkat Mirziyoyev zu festigen.

Präsident Shavkat Mirziyoyev, hier bei der Stimmabgabe, hat seine Macht durch das Verfassungsreferendum gefestigt, Photo: president.uz

ENTSCHLÜSSELUNG. Die Wähler:innen in Usbekistan haben sich für weitreichende Verfassungsänderungen ausgesprochen. Die seit der Wiederwahl des usbekischen Präsidenten im Jahr 2021 versprochene Verfassungsänderung gilt als Meilenstein auf dem Weg in das von der Regierung propagierte „Neue Usbekistan“. Tatsächlich dient sie vor allem dazu, die Macht von Präsident Shavkat Mirziyoyev zu festigen.

Am 30. April waren die Bürger:innen Usbekistans aufgefordert, die folgende Frage zu beantworten: „Akzeptieren Sie das Verfassungsgesetzt der Republik Usbekistan?“ Das Ergebnis war wenig überraschend: Wie die usbekische Onlinezeitung Gazeta.uz berichtet, stimmten laut vorläufigen Ergebnissen 90,21 Prozent mit „Ja“.

Bei einer Wahlbeteiligung von 84,54 Prozent ist dies ein großer Erfolg für Präsident Shavkat Mirziyoyev. Eurasianet erklärt, dass dies weitgehend auf die in den letzten Monaten währende, massive Wahlkampagne zurückzuführen ist. Tatsächlich wurden mehrere Wochen lang SMS-Nachrichten an usbekische Bürger:innen gesendet, um an den Wahltag zu erinnern. Entlang der Straßen des Landes wurden auch Plakate mit Slogans „Meine Verfassung, deine Verfassung, unsere Verfassung!“ aufgestellt.

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Die Verfassungsänderung wurde mit Spannung erwartet. Präsident Mirziyoyev hatte sie nach seiner Wiederwahl im Jahr 2021 versprochen, jedoch erlitt ein erster Referendumsversuch im Juli 2022 einen Fehlschlag: Die vorgeschlagene Aufhebung des Autonomiestatuts der Republik Karakalpakstan führte zu Protesten in der karakalpakischen Hauptstadt Nukus, die gewaltsam unterdrückt wurden.

Die von der Regierung in Auftrag gegebene unabhängige Untersuchung dieser Ereignisse, bei denen nach offiziellen Angaben 21 Menschen ums Leben kamen, wurde immer noch nicht veröffentlicht. Die usbekischen Behörden haben niemanden wegen der mörderischen Gewaltanwendung vor Gericht gestellt, betont die NGO Human Rights Watch.

Andererseits fanden im Januar und Februar politische Prozesse gegen Demonstrierende statt, denen vorgeworfen wurde, „die verfassungsmäßige Ordnung gestört“ zu haben. Eine Repression, die „den Ruf von Shavkat Mirziyoyev für viele Jahre, wenn nicht bis zu seinem Lebensende, trüben wird“, erklärt der usbekische Politikwissenschaftler Alisher Ilhamov gegenüber Novastan.

Einführung des Sozialstaats

Um das peinliche Kapitel der unterdrückten Demonstrationen in Karakalpakstan endgültig abzuschließen, scheint die Regierung aus ihren Fehlern gelernt zu haben und diesmal der Meinung der Bürger:innen mehr Achtung zu schenken. Die Öffentlichkeit hatte mehr als 220.000 Vorschläge zur Änderung der Verfassung eingereicht.

Die Verfassung wird von 128 auf 155 Artikel erweitert und zu 65 Prozent geändert. Laut Artikel 1 der neuen Verfassung soll Usbekistan unter anderem ein „Sozialstaat“ sein. Der Abschnitt über Rechte und Freiheiten wurde um das 3,5-fache erweitert, stellt das usbekische Nachrichtenportal Daryo fest.

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Liberale Änderungen wurden vorgenommen. Die Todesstrafe wird in Artikel 25 als abgeschafft aufgeführt, ebenso wie Folter oder Misshandlung in Gefängnissen. Das Recht auf Wohnung (Artikel 47), das Verbot der Geschlechterdiskriminierung (Artikel 42) oder die Höherstufung von Lehrkräften im Bildungswesen (Artikel 52) werden von der Bevölkerung und von internationalen Beobachter:innen positiv aufgenommen.

Oberflächliche Änderungen…

Die Behörden nennen die Anzahl der Änderungen, um den Eindruck einer großen Reform zu erwecken. Tatsächlich ergibt ein Vergleich zwischen der alten und der neuen Verfassung, dass die meisten Änderungen einfach nur leichte Modifikationen sind.

„Einige Bestimmungen haben eine positive Bedeutung, aber keine ändert grundlegend die Natur des Regimes“, meint Alisher Ilhamov. Denn die Frage ist, ob sich an die Verfassung gehalten wird, was im jetzigen Usbekistan nicht der Fall ist. Beispielsweise registrierte die unabhängige Mission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung des Referendums.

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Für den Usbekistan-Experten Rafael Sattarov sind die neuen Verfassungszusätze nur die Registrierung neuer Gesetze, die in Ausarbeitung sind oder die kürzlich verkündet wurden. „Das ist nur Papier. Das alles, Frauenrechte, Soziales, muss ein Prozess sein. Das muss man nicht in der Verfassung verankern“, erklärt der Politikwissenschaftler gegenüber Novastan.

… um eine autoritäre Wende zu legitimieren

Hinter den oberflächlichen Änderungen verbirgt sich ein ganz anderer Zweck des Referendums: die Zurücksetzung der Präsidentschaftsmandate von Shavkat Mirziyoyev, die laut Gazeta.uz in einem Bericht des Verfassungsgerichts wenige Wochen vor der Abstimmung bestätigt wurde. Somit kann der Präsident am Ende seiner zweiten fünfjährigen Amtszeit im Jahr 2026 für zwei weitere Amtszeiten kandidieren, die dann sieben Jahre betragen werden.

Laut Alisher Ilhamov ist dies ein unbestreitbarer Schritt in Richtung einer autokratischen Herrschaft. „Autoritäre Regime versuchen, ein Gleichgewicht zwischen der Legitimierung ihrer Politik und dem Erhalt ihrer Macht zu finden“, erklärt er. Die neue Reform tut beides, indem sie die Möglichkeit einer lebenslangen Präsidentschaft Mirziyoyevs in ein Sozialpaket einpackt.

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Der Politologe betont in einem in seiner Denkfabrik Central Asia Due Diligence veröffentlichten Bericht auch die Reduzierung der Rolle des Parlaments, das zu einem reinen Beratungsgremium wird. Die neue Verfassung ändert das Wort „genehmigen“ in „unterstützen“, insbesondere bei der Wahl des Premierministers. Das macht es zu einem machtlosen Parlament und schwächt die Legislative des Landes, dem es bereits an einer wirksamen politischen Opposition mangelt.

Gegenüber The Diplomat kommt der Forscher Akrom Avezov zu dem Schluss, dass das Referendum trotz der angekündigten Sozialreformen letztlich als Vertrauensbeweis für die Regierung Mirziyoyevs dargestellt wird. Genauso wie Verfassungsreferenden unter dessen Vorgänger Islom Karimov.

Lou Desmoutiers, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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