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Tiefgreifende Reformen in Usbekistans Baumwollproduktion

Während Baumwolle aus Usbekistan nach zehn Jahren Boykott wieder frei exportiert werden kann, ist die usbekische Textilindustrie in Aufruhr. Hinter den Kulissen hat sich der Sektor grundlegend modernisiert.

Baumwollfirma Usbekistan
Bearbeitung des Rohmaterials in der Fabrik der Global Textile Group in Taschkent.

Während Baumwolle aus Usbekistan nach zehn Jahren Boykott wieder frei exportiert werden kann, ist die usbekische Textilindustrie in Aufruhr. Hinter den Kulissen hat sich der Sektor grundlegend modernisiert.

Die usbekische Textilbranche erlebt eine kleine Revolution. Am 10. März wurde der Boykott gegen Baumwolle aus Usbekistan aufgehoben. Dieser war 2009 von der Cotton Campaign, einer Koalition aus Menschenrechtsorganisationen, Gewerkschaften und Verbänden verschiedener Akteure der Textilbranche, initiiert worden. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) unterstrich insbesondere die Fortschritte, die Usbekistan bei der Bekämpfung der Zwangsarbeit bei der Baumwollernte gemacht hat.

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Wie der usbekische Präsident Shavkat Mirziyoyev in seiner Rede auf dem Kongress der Bewegung der Unternehmer und Geschäftsleute im September 2021 erklärte, folgt dieser Schritt auf Systembrüche in der Baumwollproduktion, berichtet das usbekische Medium Uz24. Das Ende des Boykotts ermöglicht es Usbekistan, offen mit einer größeren Bandbreite an internationalen Akteuren zu handeln, von Investoren bis hin zu rund 331 Bekleidungsmarken, die zuvor unerreichbar waren.

Ein neuer Impuls seit 2016

Der erstmals im Dezember 2016 gewählte Präsident Mirziyoyev hat neue Impulse in Sachen wirtschaftlicher Öffnung gesetzt. In dem zuvor nahezu autarken Land leitete er zahlreiche Reformen in den Bereichen Marktliberalisierung und Privatisierungen ein. In dem Kontext ratifizierte Usbekistan auch weitere internationale Abkommen und zeigte sich bemüht, der Zwangsarbeit auf den Baumwollfeldern [fr] ein Ende zu setzen.

Doch auch wenn diese Wende viele gesellschaftliche Fortschritte mit sich brachte, sind neue Probleme aufgetaucht oder haben sich verschärft. Die Liberalisierung [fr] erfolgte im Eiltempo. Im Agrarsektor fanden sich einige Landwirte und Bauern in Pachtverhältnissen für das Land wieder, während sie gleichzeitig Produktionsstandards einhalten mussten, die von den neuen Clustern, vernetzten Strukturen rund um lokal verankerte Unternehmen derselben Branche, vorgegeben wurden.

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Wenn das Land nicht im Besitz von Großbauern oder Unternehmen ist, wird derzeit nichts Besonderes unternommen, um die Produktion zu modernisieren [fr/ru]. Viele der Kanäle, die die Felder bewässern, sind offen, wodurch 30 bis 40 Prozent des Wassers verdunstet und somit höhere Kosten bei geringerer Rentabilität entstehen. Dies erklärte der Direktor des Zentrums zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung, Yuliy Yusupov, gegenüber dem russischen Medium Fergana News.

Laut der Vereinigung von Textilunternehmen Uztextilprom arbeiteten im Jahr 2021 fast 357.000 Menschen auf über einer Million Hektar Baumwollfeldern in Usbekistan, was das Land zum sechstgrößten Baumwollproduzenten der Welt macht. Mit rund 778 Kilotonnen angebauter Baumwolle werden jährlich eine Milliarde Quadratmeter Stoff produziert.

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Seit 2020 hat sich der Staat zum Ziel gesetzt, seine Textilien „von A bis Z zu produzieren“, um die Baumwollindustrie zu diversifizieren und damit einen Bruch mit dem sowjetischen Produktionssystem zu schaffen, erklärt der Direktor von Uztextilprom gegenüber Novastan. Ziel ist es, die Wertschöpfung der Baumwolle zu erhöhen, wobei das Endprodukt nun 45 Prozent der Gesamtproduktion ausmacht.

„In jeder Stadt in Usbekistan gibt es Textilien“

Im Übrigen will der Staat nicht die Fläche der Baumwollfelder vergrößern, sondern die Qualität der Ernte und der Produktion erhöhen. „Von Farg‘ona bis Moʻynoq gibt es in jeder Stadt in Usbekistan Textilien“, beschreibt die französisch-usbekische Unternehmerin Navbakhor Boudot gegenüber Novastan. Wenn der gesamte Prozess von der Ernte bis zum Weben in der Region organisiert wird, wird dies auch dazu beitragen, die Kohlenstoffemissionen des Landes zu reduzieren. Einige Fortschritte sind auch bei der Modernisierung des Baumwollanbaus zu verzeichnen.

Im März 2020 wurden die staatlich verordneten Produktionsquoten abgeschafft und durch Handelsverträge ersetzt. Der Staat reduziert seine Präsenz auch über die Privatisierung von Land und setzt auf den Wettbewerb durch den Zusammenschluss von Unternehmen in verschiedenen Clustern. In Usbekistan gibt es nun 651 solcher Cluster, berichtet Fergana News. Laut Mirziyoyev hat die im Jahr 2020 per Präsidialerlass durchgeführte Gründung von Clustern dazu geführt, dass die Faserverarbeitung um das 2,5-fache gestiegen ist. Es gibt zwei Arten von Clustern. Eines umfasst jene, die Land vom Staat pachten, die Samen säen, das Garn verarbeiten und Kleidung zum Verkauf herstellen. Jede Person, die in diesem Prozess arbeitet, wird dann vom Cluster angestellt. Solche Cluster stehen für fast 18 Prozent der jährlichen Baumwollproduktion, schreibt Fergana News.

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Der zweite Typ Cluster ist ein System, bei dem Bauernhöfe für Textilunternehmen arbeiten. Sie produzieren eine bestimmte Menge an Baumwolle, die von den Farmen oder der lokalen Verwaltung auf der Grundlage von Berechnungen der Bodenerträge vorgegeben wird, was der Logik des früheren Sowjetsystems entspricht. Cluster, die mindestens 80 Prozent ihrer Produktion exportieren können, erhalten einen Vorzugstarif bei Sozial- und Grundsteuern sowie bei den Zinssätzen für Kredite. Seit 2019 wurde die Einführung von Tropfbewässerungssystemen vom Staat vorangetrieben, wobei laut Gazeta.uz Zuschüsse in Höhe von 8 Millionen Sum (ca. 647,8 Euro) pro Hektar gewährt wurden.

In Bezug auf die Ernte habe das Staatsoberhaupt für 2021 das Ziel angekündigt, die Baumwollernte zu 60 Prozent zu mechanisieren und gleichzeitig den Import und die Entwicklung von Baumwollerntemaschinen auszubauen, so die usbekische Nachrichtenplattform. Der Übergang zur Marktwirtschaft öffnet also eine Bresche für die internationale Zusammenarbeit. Ein solcher Modernisierungsschub zieht internationale Investitionen an und fördert das Vertrauen seitens der Verbraucher. So erhielt Usbekistan beispielsweise im vergangenen Jahr eine Investition in Höhe von zwei Millionen US-Dollar (1,3 Millionen Euro) aus Japan, um den Baumwollanbau zu entwickeln und zu modernisieren, berichtet Gazeta.uz.

Eines der Ziele des Landes ist es, mehr in die Europäische Union (EU) zu exportieren. Da Usbekistan seit Dezember 2020 dem Allgemeinen Präferenzsystem (APS+) angehört [fr], verfügt das Land über besondere wirtschaftliche Anreize, d. h. niedrigere Exportsteuern. Dieser Mechanismus soll die Entwicklung und Industrialisierung fördern, indem er das Tempo des Wirtschaftswachstums beschleunigt und gleichzeitig eine gute Regierungsführung fördert. Infolgedessen ist es dem Land gelungen, bis 2021 Baumwollprodukte in mit einem Gesamtwert von über 3 Milliarden US-Dollar (2,7 Milliarden Euro) in 62 Länder zu exportieren.

Eine ethische, solidarische und nachhaltige Textilherstellung?

Einige große Unternehmen haben sich an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst und sich zu Leuchtturmprojekten im Bereich der Textilproduktion entwickelt. Dazu gehört beispielsweise die Global Textile Group, ein Unternehmen, das laut eigenen Angaben ein verantwortungsvolles und ethisches Modell der Textilproduktion anbietet. Dieses Unternehmen wurde 2018 gegründet und beschäftigt mehr als 3.000 Personen. Es wirbt mit einem Akzent auf lokale Produktion und ein Engagement gegen geschlechtsspezifische und ethnische Diskriminierung und für die Einhaltung von internationalen Sozialstandards.

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Wie Novastan feststellen konnte, hat das usbekische Unternehmen darüber hinaus moderne und effiziente Werkzeuge angeschafft, die eine höhere Rentabilität und die Schonung der Wasserressourcen während des Arbeitsprozesses – von der Ernte über das Spinnen bis zum fertigen Produkt – ermöglichen. Es gelang der Firma, sich von deutschen Banken finanzieren zu lassen und das Vertrauen ausländischer Investoren zu gewinnen. Auf seinen Baumwollfeldern hat die Global Textile Group ein Tropfsystem eingerichtet. Nach der Ernte wird das Material auf seine Qualität und die Einhaltung internationaler Standards geprüft. In den Fabriken in der Hauptstadt Taschkent und in Farg’ona im Osten des Landes sind westliche oder japanische Geräte allgegenwärtig. Darüber hinaus verfügen die Fabriken über Labore, um die biochemische Qualität der Baumwolle zu beurteilen.

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Unter diesen Bedingungen hat die Global Textile Group mehrere Zertifikate für die Qualität der Produktion und des Endprodukts sowie für die Einhaltung von Standards erhalten. Dies ermöglicht dem Unternehmen einen leichten Zugang zu den Märkten in Mittel- und Osteuropa, Nordafrika, Ostasien, der Türkei und Russland. Zurzeit beschäftigt sich das Unternehmen mit Recyclingstandards und der Verwertung seiner Stoffreste und Abfälle.

Emma Jerome Journalistin für Novastan France

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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