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Kirgistan: Hacking-Angriffe auf Journalist:innen

In Kirgistan berichten unabhängige Journalist:innen, dass seit mehreren Monaten versucht wird, sie zu hacken. Die Medien sprechen von „ununterbrochenen Druck auf Journalist:innen“, aber Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow streitet jedweden Druck auf die Meinungsfreiheit ab.

aimanalieva 

In Kirgistan berichten unabhängige Journalist:innen, dass seit mehreren Monaten versucht wird, sie zu hacken. Die Medien sprechen von „ununterbrochenen Druck auf Journalist:innen“, aber Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow streitet jedweden Druck auf die Meinungsfreiheit ab.

Der Druck auf Medien in Kirgistan scheint einen weiteren Höhepunkt erreicht zu haben. Laut Journalist:innen der kirgisischen Onlinemediums Kloop hat es seit Februar 2022 mehrere Hacking-Angriffe auf ihre Accounts in verschiedenen sozialen Netzwerken gegeben. Die Angriffe seien von einem einzigen Telefon und einer IP-Adresse aus erfolgt. „Die Angreifer:innen konnten sich keinen Zugang zu den Accounts der Journalist:innen verschaffen. Die Versuche, zwei Accounts zu hacken, wurden von einem Telefon des Modells Xiaomi Redmi A7 mit derselben IP-Adresse aus unternommen“, berichtete Kloop am 20. April.

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Die Journalistin Aidaj Tokojewa erklärte gegenüber Novastan, dass es am 8. Februar 2022 mehrere Hacking-Angriffe auf sie gab. Ihrer Meinung nach verursacht dies Angst, dass auf Online-Angriffen auch physische Attacken folgen könnten. „Ich erinnere mich, wie ängstlich ich am Anfang war, als sie versuchten, mein Telegram und Facebook zu hacken“, erklärte Tokojewa. „Ich fand das nicht stimmig, weil ich nichts Kompromittierendes in meiner Korrespondenz und meinem Telefon gespeichert habe. Ich habe Schutzmaßnahmen ergriffen – Zwei-Faktor-Identifikation und mehr. Es hilft, dass ich von meiner Seite aus zumindest mein Bestes gebe. Wenn Hacker und Spezialisten weiter hacken, dann kann ich das nicht mehr“, befürchtet sie.

Kirgistans Präsident bestreitet Druck

Laut Kloop wurden die meisten Angriffe am 18. Februar durchgeführt, als versucht wurde, die Accounts von mindestens acht Journalist:innen zu hacken. Sie arbeiten für Medien wie Kloop, Kaktus Media und Temirov Live. Kloop berichtet, dass es den Angreifer:innen mehrfach gelang, sich Zugang zum Facebook-Account eines Journalisten der investigativen Plattform Temirov Live zu verschaffen. Außerdem sei es den Angreifer:innen gelungen, sich per SMS-Code Zugang zu Accounts zu verschaffen, die mit der Nummer des staatlichen Mobilfunkbetreibers MegaCom verknüpft sind.

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Kirgistans Präsident Sadyr Dschaparow sagte am 25. April in einem Interview mit dem staatlichen Medium Kabar, dass es in Kirgistan keinen Druck auf die Meinungsfreiheit gebe. Er beschuldigte aber Journalist:innen, falsche Informationen zu veröffentlichen. „Es gibt keinen Druck. Jeder schreibt in den sozialen Netzwerken, was er will. Es gibt Medienvertreter, die versuchen, sich der Verantwortung für ihre Verbrechen zu entziehen und dann schreien, dass sie verhaftet werden. Sie führen journalistische Pseudo-Recherchen durch, geben falsche Informationen weiter, diskreditieren Menschen und bringen Verwirrung in die Gesellschaft“, sagte der Präsident.

Rechtsverfahren gegen „Temirov Live“

Gleichzeitig beschuldigte der Präsident den 42-jährigen Investigativjournalisten Bolot Temirow öffentlich der Urkundenfälschung. Temirow ist bekannt dafür, auf seinem Youtube-Kanal Temirov Live Recherchen zu Korruption und Vetternwirtschaft zu veröffentlichen. Am 19. April 2022 eröffnete die Polizei drei Strafverfahren gegen Temirow wegen Urkundenfälschung und illegalem Grenzübertritt. Nach Angaben der Polizei habe Temirow vor 14 Jahren als russischer Staatsbürger einen Militärausweis gefälscht und anschließend die kirgisische Staatsbürgerschaft erhalten. Mit diesen Dokumenten habe er dutzende Male die Grenze Kirgistans überquert, was die Polizei als illegal betrachtet.

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„Er hat den Militärausweis eines anderen gestohlen, sein Foto eingefügt, seinen Namen geändert und auf der Grundlage dieses Ausweises in Ösgön einen kirgisischen Pass erhalten“, sagte Präsident Dschaparow gegenüber Kabar. „Aufgrund der Tatsache, dass er Journalist ist, hat dieser Fall an Resonanz gewonnen. Gibt es etwa kein Strafgesetz? Wieso soll er besser als andere sein? Er wird genauso wie alle anderen zur Verantwortung gezogen“, bekräftigte Dschaparow. Am Tag vor der Anklageerhebung hatte Temirov Live eine Recherche über den Leiter des Staatskomitees für nationale Sicherheit, Kamtschybek Taschijew, veröffentlicht.

Taschijew ist einen engen Freund Dschaparows. Laut Temirov Live soll die Moka Group, ein Unternehmen von Taschijews Sohn Tai-Muras, im Gebiet Dschalalabad, der Heimat der Taschijews, seit März 2022 Ausschreibungen mit einem Gesamtbetrag von 250.000 Som (circa 2900 Euro) für die Lieferung von Kraftstoff gewonnen haben. Die Moka Group nahm als einziges Unternehmen an den Ausschreibungen teil und verstieß gegen Wettbewerbsregeln.

Investigation unerwünscht

Es ist nicht das erste Mal, dass Druck auf Bolot Temirow ausgeübt wird. Insgesamt wurden vier Strafverfahren gegen ihn eingeleitet – das erste davon im Januar 2022 wegen „Herstellung und Besitz von Drogen“. In der Nacht des 22. Januar 2022 führte das Staatskomitee für nationale Sicherheit [der kirgisische Geheimdienst, Anm. d. Ü.] eine unerwartete Durchsuchung im Büro von Temirov Live durch und fand ein Bündel mit 7,8 Gramm Haschisch in Temirows Hosentasche.

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Mitarbeiter von Temirov Live sagten am 23. Januar 2022, dass sie und ihr Büro bereits einige Monate zuvor während einer Durchsuchung belauscht, mit versteckten Kameras gefilmt und erpresst worden sei. Außerdem hätten Unbekannte ein heimlich gefilmtes intimes Video geleakt, in dem eine Mitarbeiterin von Temirov Live beschuldigt wird, mit westlichen Kunden des Mediums geschlafen zu haben.

Kurz vor der ersten Verhaftung hatte Bolot Temirow eine Recherche veröffentlicht, wonach Verwandte von Kamtschybek Taschijew zu „Ölmagnaten werden“ würden. Taschijews Neffe Baigasy Matisakow habe Quellen zufolge nach Taschijews Amtsantritt im Jahr 2020 die Leitung der staatlichen Ölgesellschaft Kyrgyz Petroleum Company (KPC) übernommen. Laut den Journalist:innen verkaufte KPC im Juni 2021 3.600 Tonnen Kraftstoff für 22 Cent an ein lokales Unternehmen, das einem Freund Matisakows gehörte. Dieses verkaufte den Kraftstoff für 36 Cent nach Usbekistan weiter. Matisakow konnte auf diesem Weg 37 Millionen Som (circa 427.000 Euro) verdienen.

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Kirgisische Medien klagen seit mehreren Jahren über Druck auf Journalist:innen und die Meinungsfreiheit. Wie das kirgisische Nachrichtenportal 24.kg berichtete, fand im März 2021 in Bischkek eine Kundgebung gegen Nichtregierungsorganisationen und Radio Azattyk, den kirgisischen Dienst von Radio Free Europe, statt. Am 9. Februar 2022 wurde auf einer Kundgebung in Bischkek gefordert, Kloop und Kaktus Media zu schließen. Die Teilnehmenden dieser Kundgebungen werfen den Medien vor, Geld aus dem Westen zu erhalten, um die Lage im Land zu destabilisieren.

Aizirek Imanalieva Journalistin für Novastan aus Bischkek

Aus dem Englischen von Robin Roth

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