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Kasachstan – ein „sicherer Hafen“ für Karakalpak:innen?

Die Nachrichten über die Lage von Karakalpak:innen, die in Kasachstan politisches Asyl suchen, zeichnen kein rosiges Bild. Vor dem Hintergrund der Zusammenstöße vom Juli 2022 sehen sich karakalpakische Aktivist:innen auch im benachbarten Kasachstan nicht in Sicherheit vor den usbekischen Behörden.

In der kasachstanischen Hafenstadt Aqtau befindet sich eine große karakalpakische Diaspora, Foto: Wikimedia Commons

Die Nachrichten über die Lage von Karakalpak:innen, die in Kasachstan politisches Asyl suchen, zeichnen kein rosiges Bild. Vor dem Hintergrund der Zusammenstöße vom Juli 2022 sehen sich karakalpakische Aktivist:innen auch im benachbarten Kasachstan nicht in Sicherheit vor den usbekischen Behörden.

Die Lage der karakalpakischen Asylsuchenden in Kasachstan bleibt ungewiss. Etliche Karakalpak:innen, die im Juli 2022 für ihre Autonomie auf die Straße gegangen waren, sind von Usbekistan, dessen integraler Bestandteil die Republik Karakalpakstan ist, nach Kasachstan ausgewandert. Allerdings arbeiten die Behörden beider Länder nun zusammen.

Dies zeigt sich in der Weigerung Kasachstans, fünf Vertreter:innen der karakalpakischen Diaspora, die 2022 auf Ersuchen der usbekischen Behörden in Kasachstan inhaftiert wurden, den Flüchtlingsstatus zu gewähren, berichtet Radio Azattyq, der kasachstanische Dienst von Radio Free Europe.

Die karakalpakische Aktivistin Tleubike Yuldasheva war auch auf dieser Liste. Sie forderte die kasachstanischen Behörden auf, sie nicht an Usbekistan auszuliefern, wo ihr Einschüchterung und Folter drohe. „Ich hätte mein Land nie verlassen, wenn ich dort nicht verfolgt worden wäre, wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, dort in Frieden zu leben. Aufgrund von Folter, Einschüchterung und Gewalt musste ich jedoch in Kasachstan Zuflucht suchen“, erklärte sie.

Staatsbürgerschaft entzogen

Ein weiteres Beispiel ist Nietbai Urazbaev, ein Aktivist aus Karakalpakstan, der seit 2004 in Kasachstan ansässig war und das karakalpakische ethnokulturelle Zentrum „Allaiar Joly“ im Gebiet Mañğystau leitete.

Laut The Diplomat beschlossen die Behörden, ihm die kasachstanische Staatsbürgerschaft zu entziehen, da er seine usbekische Staatsangehörigkeit nicht aufgegeben habe. Die doppelte Staatsangehörigkeit wird weder von Kasachstan noch von Usbekistan anerkannt. Nach Angaben des Kasachstanischen Internationalen Büros für Menschenrechte (KIBHR) habe Urazbayev beschlossen, gegen diese Entscheidung Berufung einzulegen.

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The Diplomat hebt hervor, dass „Anfang des Jahres Nietbai Urazbaev in Abwesenheit von einem usbekischen Gericht wegen versuchter Störung der verfassungsmäßigen Ordnung, Organisation von Massenunruhen, Verbreitung von Literatur und Gefährdung der Sicherheit in Zusammenhang mit den Massendemonstrationen im Sommer [2022] in Nukus […] verurteilt wurde.“ Das kasachstanische Nachrichtenportal Vlast berichtet, dass der Aktivist am 9. Januar aufgrund von ständigem Stress an einem Herzinfarkt verstorben sei.

Auch eineinhalb Jahre nach den gewalttätigen Demonstrationen von 1. und 2. Juli 2022 hat Usbekistan keinen Frieden mit den karakalpakischen Aktivist:innen geschlossen. Kasachstan, das an Karakalpakstan grenzt und den Karakalpak:innen auch kulturell nah steht, hat sich dabei nicht als der erhoffte „sichere Hafen“ erwiesen.

Die Diaspora organisiert sich

Bis heute organisiert sich die karakalpakische Diaspora in Kasachstan so gut es geht. Wie Radio Free Europe berichtet, sammelt sie sich um die Aktivisten Aqylbek Muratbai und Koshkarbai Toremuratov, die 2013 eine entsprechende Gruppe gegründet haben. Um Mitglieder der Diaspora zusammenzubringen und Verbindungen zwischen ihnen aufzubauen, starteten die Aktivisten einen Online-Radiosender. Außerdem veröffentlichten sie auf einer Website Artikel über die Kultur und Geschichte der Karakalpak:innen.

Seit 2014 erregen die Aktivitäten der Diaspora die Aufmerksamkeit der kasachstanischen und usbekischen Behörden. Nach den Demonstrationen im Juli 2022 verschärfte sich die Lage weiter. „In Kasachstan wurden einige ethnische Karakalpaken von der Polizei verhört, während mehrere Aktivisten – offenbar auf Ersuchen Usbekistans – nach den Protesten festgenommen wurden. Die Asylanträge von Angehörigen der Diaspora in Kasachstan wurden abgelehnt. Fünf Personen aus dem engeren Kreis von Akylbek Muratbai – darunter Koshkarbai Toremuratov – wurden von der Polizei festgenommen“, berichtet Radio Free Europe.

Fragliche Transparenz​

Die Entscheidung der usbekischen Behörden, die Autonomie Karakalpakstans beizubehalten, hat den Gewaltausbrüchen vom Juli 2022 ein Ende gesetzt. Doch der politische Kampf zwischen Taschkent und den Befürworter:innen der Autonomie Karakalpakstans ist damit noch lange nicht beendet.

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Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Freedom for Eurasia hat das usbekische Parlament eine unabhängige Untersuchungskommission eingesetzt, um den Ablauf der Juli-Ereignisse zu rekonstruieren. Unabhängig, aber auch einzigartig – denn „andere Ermittlungsbehörden waren nicht bereit oder befugt, die Ermittlungen fortzusetzen.“ […] Bis heute hat diese Kommission keine Schlussfolgerungen zu den gewalttätigen Vorfällen veröffentlicht“, berichtet Freedom for Eurasia.

Die Organisation fügt hinzu: „Unabhängig davon, wie transparent die usbekische Regierung die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden zu den Protesten vor allem für westliche Beobachter macht, fürchtet [die Bevölkerung Karakalpakstans] immer noch Repressalien des Regimes.“

Patrick Do Dinh für Novastan

Aus dem Französischen von Robin Roth

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