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Wie eine Moskauer Modedesignerin Streit mit Kirgistan anzettelte

Aufruhr in den sozialen Medien: Der Anspruch einer russischen Modedesignerin auf die Patentierung traditioneller kirgisischer Kleidung erzürnt kirgisische Influencer:innen. Ihre Auseinandersetzung sagt viel über Russlands Verhältnis zu den Bewohner:innen der ehemaligen Sowjetrepubliken aus.

Beliebtheit traditioneller kirgisische Muster in der Modewelt (Symbolbild), Photo: yaed auf Unsplash.

Aufruhr in den sozialen Medien: Der Anspruch einer russischen Modedesignerin auf die Patentierung traditioneller kirgisischer Kleidung erzürnt kirgisische Influencer:innen. Ihre Auseinandersetzung sagt viel über Russlands Verhältnis zu den Bewohner:innen der ehemaligen Sowjetrepubliken aus.

Im Mittelpunkt der Kontroverse steht das Moskauer Modelabel „YAKA”, das 2023 von der Modedesignerin Anna Obydenowa gegründet wurde und verschiedene Kleidungsstücke, Teppiche und Accessoires mit traditionellen kirgisischen Mustern vertreibt. Der „moderne Ethno-Chic“, wie Obydenowa ihre Designs auf Instagram beschreibt, soll „den Individualismus des Trägers unterstreichen”.

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Seit Anfang Februar sieht sich das Label jedoch einer Welle der Entrüstung ausgesetzt, nachdem Instagram-Nutzer:innen Obydenowa dafür kritisierten, traditionelle kirgisische Muster zu kopieren und diese durch die Beanspruchung eines Copyrights zu monopolisieren. Die Modedesignerin rechtfertigte dies damit, dass ihre Kleidungsstücke in Kirgistan von einheimischen Näher:innen hergestellt werden. Die kirgisische TikTok-Nutzerin @rrrrrramilya entgegnete: „Wenn es also in Kirgistan hergestellt wurde, ist das in Ordnung? Nein! Wenn man in einem Land produziert, hat man nicht das Recht, dessen Kultur zu besitzen. Wenn man etwas in Kirgistan herstellt, bedeutet das nicht, dass man die Exklusivrechte an traditionellen Symbolen erhält!“

Zudem sorgte die Aussage auf YAKAs Website, das Label sei „zu Ehren des 100. Jahrestags der Gründung der Kirgisischen Republik” kreiert worden, für Aufregung, da dies auf die Eingliederung Kirgistans in die Sowjetunion durch die Bolschewiki anspielt, und nicht auf die eigentliche Unabhängigkeit des Landes vor 34 Jahren.

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Anstatt auf die Vorwürfe beschwichtigend einzugehen, goss Obydenowa mit ihrer Reaktion noch mehr Öl ins Feuer. In einem inzwischen gelöschten Post auf Instagram fulminierte die Moskauerin: „Wisst ihr, meine Lieben, ich werde euch in der Sprache ansprechen, die ihr euch von meinem Volk ausgeliehen habt und mit der ihr mir privat Obszönitäten schreibt: Geht und lernt besser Russisch. Es tut mir in den Augen weh, euch zu lesen.“

Nichtsnutzige Völkerfreundschaft?

Der Chauvinismus der Modedesignerin gegenüber dem Volk, mit dessen Traditionen sie ihr Geld verdient, ist beileibe kein Einzelfall. Die Missachtung der russischen Bevölkerung gegenüber den Nationalitäten des „Nahen Auslands”, wie Russland seine Einflusssphäre selbst bezeichnet, hat tiefe historische Wurzeln. Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts wetterte der russische Forscher und Abenteurer Nikolaj Prschewalskij, der maßgeblich an der russischen und europäischen Erkundung Zentralasiens beteiligt war, gegen die lokale Bevölkerung, die er als „nichtsnutzig“ und „menschlichen Abschaum” bezeichnete. Dies ging gepaart mit der Überzeugung, dass Europäer:innen die Gebiete erobern und „befreien” sollten.

Die sowjetische Machtübernahme brachte in den 1920ern und 1930ern weitreichende Eingriffe in das alltägliche Leben der zentralasiatischen Menschen. Im Zuge der stalinistischen Kollektivierung wurde das wirtschaftliche, soziale, kulturelle, religiöse und linguistische Leben der Region auf den Kopf gestellt und mit althergebrachten Traditionen gebrochen. Trotz des offiziellen sowjetischen Mantras der „Völkerfreundschaft” wurden Bürger:innen zentralasiatischer Herkunft von der russischen Mehrheitsbevölkerung im Allgemeinen weiterhin als wild und ungebildet betrachtet.

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Dieser mal mehr, mal weniger latente Rassismus gegenüber den ethnischen Gruppen der ehemaligen Sowjetrepubliken hält bis heute an. Erst vor kurzem bezichtigte der russische Duma-Abgeordnete Nikolaj Waluew, der der regierungsnahen Partei „Einiges Russland” angehört, die aserbaidschanische Diaspora in Russland der illegalen Geldwäsche und Kriminalität, nachdem Aserbaidschan das „Russische Haus” in Baku auf Verdacht von Spionagetätigkeit geschlossen hatte. Auch der Terroranschlag auf das Konzerthaus „Crocus City Hall” im letzten Jahr, bei dem vier tadschikische Islamisten insgesamt 145 Menschen umbrachten, führte zu einer weiteren Verhärtung der Fronten, infolge derer viele zentralasiatische Gastarbeiter:innen der Schikane und Drangsalierung der russischen Behörden ausgesetzt waren. Hierzu gehörten neben konstanten Dokumentenkontrollen, ellenlangen Wartezeiten an der kasachstanischen Grenze und Razzien am Arbeitsplatz in einigen Fällen auch Folter und die Wahl zwischen einer Deportation oder einer Rekrutierung in die russische Armee.

Überheblichkeit mit Haltbarkeitsdatum

Allerdings schießt sich Russland mit seiner Herangehensweise selbst ins Bein. Ein Versiegen des Zuflusses billiger zentralasiatischer Arbeitskräfte könnte Schlüsselindustrien wie z. B. den Bausektor oder die Landwirtschaft in eine handfeste Krise stürzen. Schon jetzt probieren viele Zentralasiat:innen ihr Glück lieber in der Türkei, in Südkorea oder in den Golfstaaten, statt nach Russland zu gehen. Zudem wirkte der stetige Zustrom an Arbeitskräften aus dem Ausland zunehmend als demografisches Ausgleichsventil für die seit Jahren sinkende Geburtenrate, deren Auswirkungen angesichts des Aderlasses in der Ukraine nur noch verstärkt werden.

Trotz der berechtigten Entrüstung zentralasiatischer Staatsoberhäupter über das harte Durchgreifen Moskaus fehlt ihnen das politische und wirtschaftliche Kapital, um dem Kreml Paroli zu bieten. Die Länder der Region sind auf wirtschaftlicher Ebene stark von den Überweisungen der in Russland tätigen Arbeitnehmer:innen abhängig, weswegen sie sich davor scheuen, die rohen Umgangsformen der russischen Mehrheitsbevölkerung mit ihren Landsleuten offen anzuprangern. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Drittländern in puncto Arbeitsmigration noch zu wenig institutionalisiert, als dass diese den potentiellen Wegfall der Überweisungen aus Russland wettmachen könnte. Daher ist vorerst kein Ende der asymmetrischen Beziehung zwischen Russland und Zentralasien in Sicht.

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Die Frage ist lediglich, wie lange sich Russland diese Überheblichkeit noch leisten kann. Neben dem harten Durchgreifen des Kremls infolge des Anschlags auf die Crocus City Hall hat auch dessen Krieg in der Ukraine zu einem erheblichen Vertrauensverlust geführt, der das Image Russlands im postsowjetischen Raum weiter untergräbt. Zudem haben gerade die Länder Zentralasiens in den vergangenen Jahren die Zusammenarbeit mit Drittstaaten, wie etwa der Türkei und China, massiv ausgebaut, wodurch Russland Gefahr läuft, aus seiner eigenen Einflusssphäre verdrängt zu werden.

Kulturministerium mischt sich ein

Im Falle Anna Obydenowas ist sogar das Kulturministerium Kirgistans auf den Plan getreten. In einer offiziellen Mitteilung zeigte es sich besorgt über „eine alarmierende Tendenz im Zusammenhang mit der kommerziellen Nutzung nationaler Muster und Symbole, die ein wesentlicher Bestandteil des historischen und kulturellen Erbes der Kirgisischen Republik sind” und forderte eine „Verwendung nationaler Muster zu kommerziellen Zwecken […] im Einklang mit ethischen Grundsätzen, nationalen Rechtsvorschriften und internationalen Standards”.

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Jedoch reichte der Druck von außen lediglich dafür, die Designerin zu einer Überarbeitung der Autorenrechte auf ihrer Webseite anzutreiben. Hier steht nun, dass YAKA „[…] die traditionellen Elemente des kulturellen Erbes der Kirgisen und anderer Völker [respektiert] und […] keinen Anspruch auf diese [erhebt]”. Vom Verkauf von Kleidungsstücken mit kirgisischen Mustern im Allgemeinen will sie allerdings nicht absehen.

Benedikt Stöckl für Novastan

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