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Tschechoslowakische Spuren in Bischkek

Ein ganzes Stadtviertel in Bischkek wurde in den 1920er Jahren von kommunistischen Freiwilligen aus der Tschechoslowakei erbaut. Hundert Jahre später unterscheidet sich dieser Teil der Hauptstadt durch seine ungewöhnliche Architektur, teilweise versteckt hinter modernen Konstruktionen.

Interhelpo Bischkek
Im Interhelpo-Viertel in Bischkek

Ein ganzes Stadtviertel in Bischkek wurde in den 1920er Jahren von kommunistischen Freiwilligen aus der Tschechoslowakei erbaut. Hundert Jahre später unterscheidet sich dieser Teil der Hauptstadt durch seine ungewöhnliche Architektur, teilweise versteckt hinter modernen Konstruktionen.

Folgender Artikel basiert auf einem Artikel von Kloop.kg und auf Angaben des Architekturführers Bischkek (DOM-Verlag, 2016).

Unter dem Namen „Interhelpo“ gründete sich die Gruppe tschechoslowakischer Kommunisten, was übersetzt aus dem Esperanto „gegenseitige Hilfe“ bedeutet. Im April 1925 folgte das Kollektiv dem Aufruf Vladimir Lenins in die kirgisische Hauptstadt, die damals noch „Pischpek“ hieß. Ziel war es, beim Aufbau des noch jungen sowjetischen Imperiums zu helfen.

Unabhängig von der heutigen Einstellung zu den Kommunisten und ihrer Tätigkeit muss man den gewaltigen Beitrag, den das Kollektiv „Interhelpo“ zur Entwicklung Pischpeks/Frunzes/Bischkeks leistete, anerkennen.

Interhelpo Bischkek Architektur
Im Viertel von Interhelpo verdecken mittlerweile die vielen Geschäfte die ursprüngliche Architektur.

Angeführt wurde die Gruppe von Rudolf Mareček (1888-1970), der seine Begeisterung für Kirgistan und den kommunistischen Aufbau mit Dias aus dem Issyk-Kul-Gebiet verbreitete: Strände, Wälder und Berge. Den vornehmlich jungen Enthusiasten wies die Sowjetische Regierung Kirgistans Steppenland im Westen von Pischpek zu, wo sie anfangs in einfachen Erdhütten hausten.

Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatten, gründeten die Siedler in unglaublich kurzer Zeit Werkstätten, ein Krankenhaus und eine Schule, bauten Wohnhäuser und profitable Unternehmen. Die Tschechen und Slowaken nahmen ihre Aufgabe ernst, in Kirgistan eine Arbeiterklasse aufzubauen. So wurden auch Einheimische zu Traktoristen, Mechanikern und Schlossern ausgebildet – obwohl heute unklar ist, wie sie sich verständigt haben.

Der tschechische Schriftsteller Julius Fučík (1903-1943), für einige Monate Augenzeuge dieser Bewegung, schrieb darüber in seinem Buch „V zemi, kde zítra již znamená včera“ (Eine Welt, in der das Morgen schon Geschichte ist). Ihm zu Ehren wurde der Fucik-Park in Bishkek benannt. Der spätere Generalsekretär der KPČ Alexander Dubček verbrachte hier seine Kindheit.

Eine vergessene Bevölkerung

Dennoch gelang es den Tschechen und Slowaken, die nach Kirgistan kamen, nicht, langfristig ihre Spuren in der Kultur des Landes zu hinterlassen. Nachdem sie mehrere große Fabriken und einen ganzen Stadtteil aufgebaut hatten, verließen viele von ihnen Frunze zu Beginn der 50er Jahre. „Interhelpo“ wurde weitgehend enteignet, einige Mitglieder wurden Opfer von Repressionen, andere starben während des Zweiten Weltkriegs, wieder andere kehrten in die Heimat zurück. Heute leben nur vereinzelte Nachkommen der Kommunarden in Bischkek.

Interhelpohaus Bischkek
Die tschechoslowakischen Häuser sind an ihren „schuppigen“ Fassaden erkennbar

Aus diesem Grund kann sich heute niemand mehr vorstellen, dass in den 1920er und 30er Jahren ein erheblicher Teil der Bevölkerung (etwa zweitausend) Tschechisch oder Slowakisch sprach. Die Kinder der Mitglieder von „Interhelpo“ gingen auf eine eigene Schule, an der auf Tschechisch unterrichtet wurde. Auf Grund von Stalins Dekret über die Alleinstellung der russischen Sprache wurde diese jedoch 1935 geschlossen.

Architektonisches Erbe

Einzig die Architektur zeugt heute noch vom Erbe der tschechoslowakischen Freiwilligen in der kirgisischen Hauptstadt.

Interhelpo Viertel Bischkek
Ein Viertel wie aus der Vergangenheit

In Bischkek ist eine Straße mit mehreren Häusern aus dieser Zeit erhalten geblieben – selbstverständlich benannt nach der Kooperative „Interhelpo“.

Interhelpostraße Bischkek
In Bischkek erinnert die Interhelpo-Straße noch an die Gruppe tschechoslowakischer Kommunisten, die das Viertel erbaut haben.

Überraschenderweise hat der Großteil der „tschechoslowakischen“ Häuser seine ungewöhnliche, „schuppenartige“ Fassade bis heute behalten. In einigen Fällen geizten die Freiwilligen nicht bei der dekorativen Gestaltung der Gebäude.

Interhelpo Haus Bischkek
Ein Beispiel tschechslowakischer Architektur aus den 1920ern

Ein Schulsportplatz vor dem Hintergrund eines typischen „Interhelpo“-Hauses. Ursprünglich wurden diese Häuser mit einer Ofenheizung gebaut, später wurden sie auf Warmwasserheizungen umgestellt.

Der Historiker Vyatcheslav Khamissov bestätigt, dass viele der Gebäude heute in einem bedauernswerten Zustand sind, obwohl sie äußerlich gut erhalten erscheinen.

Lest auch bei Novastan: Eine Reise durch die Architekturgeschichte der kirgisischen Hauptstadt

Das Interhelpo-Viertel erinnert an kein anderes Stadtviertel in Bischkek: Es erweckt den Eindruck, als wäre hier die Zeit einfach stehen geblieben. Aber die moderne Zivilisation schreitet voran. Nicht alle schätzen die ursprüngliche architektonische Idee dieser Bauten. Die großzügigen Loggien sind hier ebenso zugemauert wie im Rest der Stadt. Einige Bewohner ersetzten die Original-Holzrahmen durch PVC-Fenster, ohne dabei auch nur die Schutzfolie zu entfernen.

Interhelpo Viertel Bischkek heute
Heutzutage sieht das Viertel anders aus und die Fassaden sind oft mit PVC verdeckt.

Seit Beginn des letzten Jahrtausends ist das Viertel im Wandel. Seine Bevölkerung hat sich entwickelt und seine Architektur hat sich in vielerlei Hinsicht verändert. Doch die Straßen von Interhelpo bleiben, als Zeugnis einer vergangenen Epoche und eines einstigen Ideals.

Darina Ditkowskaja
Kloop.kg

Aus dem französischen Übersetzt von Alexandra Wedl

 

 

 

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