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Sind die Taliban eine Bedrohung für Zentralasien?

(Dieser Artikel wurde in kasachischer Sprache in der Tageszeitung «Egemen Kasachstan» N°141 (28869) am 26. Juli 2016 veröffentlicht.)

daniyark 

Afghanistan Armee USA
Afghanistan Armee USA

(Dieser Artikel wurde in kasachischer Sprache in der Tageszeitung «Egemen Kasachstan» N°141 (28869) am 26. Juli 2016 veröffentlicht.)

Die kasachische Öffentlichkeit diskutiert momentan den „terroristischen“ Angriff in Almaty am 18. Juli und dem vereitelten Putschversuch in der Türkei. Dabei übersahen viele ein weiteres Ereignis, das nicht weniger wichtig für die Region ist: Die letzte Nachricht der „Taliban“ an die Länder Zentralasiens.

In der Aufzeichnung vom 18. Juni heißt es, dass die Taliban sich nicht in die inneren Angelegenheiten der zentralasiatischen Staaten einmischen würden: „Füge dem anderen kein Leid zu, aber erlaube es ihm auch nicht, sich selbst zu schaden.“

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Außerdem beteuert das „Islamische Emirat Afghanistans“, wie die Taliban sich selber nennen, dass es in den Regionen unter seiner Kontrolle keine terroristischen Organisationen dulden würde.

Es ist nicht die erste Ankündigung dieser Art von Seiten der Taliban. Früher verlautete ihr Gründer, der Mullah Omar, zum Anlass verschiedener muslimischer Feste, dass niemand die Beziehungen zu den Nachbarstaaten verderben wolle. Aber nachdem die Weltöffentlichkeit 2015 erfuhr, dass Omar schon seit 2013 gestorben war, äußerten viele Experten Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen.

Zweimaliger Wechsel an der Spitze verunsicherte Beobachter

Seitdem hat die Taliban-Führung zweimal gewechselt. Auf Omar folgte der Mullah Achtar Mansur, unter dessen Leitung die Anschläge in Afghanistan zahlreicher wurden und immer mehr Opfer forderten. Nach seiner Ernennung traten auch die bewegungsinternen Spannungen stärker ans Licht und die Friedensverhandlungen mit der afghanischen Regierung brachen ab.

Mullah Omar

Unter der Führung von Mansur wurde auch Kundus für eine kurze Zeit eingenommen – eine Stadt im Norden des Landes nahe der tadschikischen Grenze. Daraufhin äußerten viele ausländische Analytiker und Politiker die Sorge, die Taliban könnten auch Zentralasien angreifen.

Tadschikistan und Turkmenistan verstärkten ihre Grenzkontrollen, um einer möglichen militärischen Expansion der Bewegung vorzubeugen.

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Afghanistanexperten unterstrichen von Anfang an, dass für die Taliban nur Afghanistan eine Priorität darstelle und dass sie „Fremde“ in den Augen der Lokalbevölkerungen Zentralasiens wären. Aber bei der Hysterie der Medien, die die letzten Jahre und besonders den „Rückzug der amerikanischen Streitkräfte“ begleitete, war es schwierig, die Lage mit Sicherheit zu bewerten.

Die Ereignisse in Kundus – ungeachtet dessen, dass ein Teil der Stadt von Streitkräften aus Kabul zurückerobert wurde – waren der „Litmus-Test“, anhand dessen man erkennen könnte, ob die Taliban all die Jahre nur geblufft hatten. Die Eroberung von Kundus zeigte, ob die Taliban gegenüber Zentralasien ihr Wort halten würden.

Trotz der vermehrten Schusswechsel in der Nähe der Grenzen mit Tadschikistan und Turkmenistan wurde das Nicht-Angriffs-Versprechen eingehalten.

Der unerwartete Tod des Mullah Mansur durch einen US-Amerikanischen Drohnenangriff warf erneut die Frage auf, wie sich ein Führungswechsel auf die weiteren Aktivitäten der Bewegung auswirken würde.

Durch Mansurs Tod bestand die Gefahr, dass die Taliban weiter in mehrere Lager auseinanderbrechen würden. Diese Angst besteht besonders, seitdem im Laufe der letzten zwei Jahre einige afghanische und pakistanische Talibankämpfer zum Islamischen Staat gewechselt sind und die „Islamische Bewegung Usbekistans“ öffentlich die Führung von Abukbaru Al-Baghdadi anerkannte.

Der Kampf der Taliban gegen den IS

Nachdem der islamische Staat in Afghanistan aktiv wurde, verkündeten die Taliban den Kampf gegen Mitglieder dieser Organisation, insbesondere in nördlichen Regionen wie Tachar, Kundus und Baglan.

Der Mullah Mansur war recht erfolgreich in seinem Kampf gegen den Islamischen Staat und sein Tod warf erneut Zweifel darüber auf, wie effektiv die Taliban sich diesem wiedersetzen könnten.

Als nächstes Oberhaupt der Taliban wurde Hajtbatullah Achunsada ernannt, ein naher Mitstreiter des Mullah Omar, der auch den Kampf gegen den Islamischen Staat erfolgreich weiterführt. Viele Experten melden, dass der IS fortlaufend Stellungen in Afghanistan verliert. Trotz einer unglücklichen Dynamik zum Anfang seines Afghanistan-Feldzugs konnte die Organisation das Momentum von Omars Tod nicht ausreichend nutzen. Heute konzentrieren sich die Mitstreiter des islamischen Staats vor allem in der Provinz Nangahar.

So kann die letzte Nachricht der Taliban unter der neuen Führung von Chajtbatulla für eine Verfolgung der alten politischen Linie sprechen, die auf dem Prinzip guter Beziehungen zu den Nachbarstaaten beruht.

Diese Lage macht die Bewegung der Taliban nicht zu alliierten Zentralasiens, aber sie sollte die Angst vor ihr und unbegründete Angriffe äusserer Kräfte gegen sie reduzieren. In ihrem aktiven Kampf gegen den islamischen Staat kümmert die Taliban das Schicksal Zentralasiens nicht so sehr wie die Kontrolle über Afghanistan selbst, ihre „heimatliche Umgebung“. Zentralasien ist ihnen nicht wichtig, solange sie Afghanistan nicht kontrollieren.

Wenn die Taliban sich nicht gegen den IS durchsetzen können, so macht das einen Strich durch all ihre Bemühungen der letzten zehn Jahre, dem Kampf gegen die NATO, die Vereinigten Staaten und die Regierung in Kabul. Daher ist der IS der Hauptgegner der Taliban, der sie in den Augen anderer Länder diskreditieren könnte. Die Taliban unterstreichen bei jeder Gelegenheit, dass das Wichtigste für sie das Schicksal Afghanistans sei. Sie möchten nicht als „Unterstützer“ des afghanischen IS abgestempelt werden.

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Natürlich sollte man dabei nicht vergessen, dass die Auseinandersetzung mit dem IS in Afghanistan noch nicht zuende ist. Der IS strebt danach, an vielen Orten weltweit Attentate zu verüben. Afghanistan, als direkter Nachbar Zentralasiens, sollte dabei nicht als „rotes Tuch“ für die Region wirken.

Was Zentralasien (nicht) tun sollte

Die zentralasiatischen Staaten sollten ihre Kraft nicht dafür verschwenden, den afghanischen Brand zu löschen. Bedrohungen können auch aus anderen Regionen kommen und Anhänger der IS-Ideologie kommen nicht nur aus Afghanistan nach Zentralasien. Umso mehr, da durch die neuen Informationstechnologien Anhänger auch leicht vor Ort rekrutiert werden können.

Hinsichtlich der letzten Ereignisse in Aqtöbe und Almaty reduziert die letzte Nachricht der Taliban natürlich nicht die Bedrohung, die durch die Instabilität Afghanistans entsteht. Aber ein Verständnis der aktuellen Lage der Taliban erlaubt eine genauere Einschätzung der Risiken und Motive der afghanischen Konfliktparteien.

Danijar Kosnasarow
Zentralasienexperte

Übersetzung: Florian Coppenrath
Mitgründer von novastan.org

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