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Sadyr Dschaparow, der Volksflüsterer

Am 28. Januar tritt Sadyr Dschaparow das Amt des kirgisischen Präsidenten an. Er ist der sechste Präsident des Landes und der dritte, der infolge einer politischen Krise an die Macht kommt. Seine politische Karriere begann mit der ersten kirgisischen Revolution und war bisher auch immer von Unruhen begleitet. Ein Rückblick.   

Florian Coppenrath 

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Sadyr Dschaparow Vereidigung Präsident
Sadyr Dschaparow während seiner Vereidigung zum Präsidenten der kirgisischen Republik

Am 28. Januar tritt Sadyr Dschaparow das Amt des kirgisischen Präsidenten an. Er ist der sechste Präsident des Landes und der dritte, der infolge einer politischen Krise an die Macht kommt. Seine politische Karriere begann mit der ersten kirgisischen Revolution und war bisher auch immer von Unruhen begleitet. Ein Rückblick.   

Im Februar 2005, im Vorlauf der für den März angesetzten kirgisischen Parlamentswahl, blockierten aufgebrachte Demonstranten wichtige Straßen in der Region Yssykköl, um gegen die Annullierung der Kandidaturen mehrerer Oppositionskandidaten zu protestieren. Bei einem waren sie erfolgreich: „Die Wahlkommission setzt den zuvor zurückgezogenen Kandidaten Sadyr Dschaparow im Wahlkreis von Tüp wieder ein. Seine Unterstützer sind nach Hause gegangen und haben die Straße freigegeben“, schrieb damals die Tageszeitung Wetschernij Bischkek. Laut den Journalisten war „ein gefährlicher Präzedenzfall entstanden“, denn auch Weitere könnten sich zu einer „Erpressungspolitik durch Straßenblockaden“ ermutigt sehen.  

Für Dschaparow war es ein Sieg „des Volkes“, wie er in seiner 2015 veröffentlichten Autobiographie beschrieb: „Denn tatsächlich hat die Wahrheit nur durch die Kraft des Volkes gesiegt. Diese Gerechtigkeitserfüllung war für mich ein besonderes Glück.“ Der Politiker gewann den Wahlkreis und erlangte sein erstes Abgeordnetenmandat. Kurz nach der ersten Sitzung des neuen Parlaments wurde Präsident Askar Akajew durch die „Tulpenrevolution“ gestürzt. Anfang April unterschrieb er in der kirgisischen Botschaft in Moskau seine Rücktrittserklärung. Auch Dschaparow war Teil der parlamentarischen Delegation, die mit ihm verhandelte.

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Rückblickend wirkt der Beginn von Dschaparows politischer Karriere wie eine Probe der Ereignisse, die ihn gut 15 Jahre später an die Spitze des Staates tragen würden. Der Druck der Straße, ständige Bezüge auf das „kirgisische Volk“ wie auch Gewalt erscheinen dabei wie Leitmotive. So auch eine Zielstrebigkeit, die sich durch den in den letzten Monaten in sozialen Medien verbreiteten Begriff „Dakansa“ widerspiegelt – eine humorvolle Vereinfachung des russischen „Do kontsa“, „bis zum Ende“. 

Vom Business in die Politik

Sadyr Dschaparow wurde im Dezember 1968 in der Region Yssykköl, nahe der sowjetisch-chinesischen Grenze geboren. Seine Eltern waren sechs Jahre zuvor aus China zurückgekehrt, wohin sein Vater in den 1930ern Jahren vor den Stalinschen Repressionen geflohen war, wie Radio Azattyk wiedergibt. Dschaparow wuchs mit zehn weiteren Geschwistern in einer Hirtenfamilie auf.

Im Jahr 1987 begann er sein Studium an der Sportuniversität in Frunse (damaliger Name von Bischkek) und arbeitete parallel dazu und später bis 1995 in einer Kolchose in der Region Tschüi. Er schloss sein Studium im Jahr 1991 als Trainer ab. Im selben Jahr heiratete er seine Frau Ajgul Asanbajewa, mit der er vier Kinder bekam. Seinen Militärdienst hatte er zuvor beim Telegrafenamt in Nowosibirsk geleistet. Im Jahr 2006 schloss er einen weiteren Studiengang in Jura an der Kirgisisch-Russischen Slawischen Universität in Bischkek ab.  

Vor seinem Einstieg in die Politik war Dschaparow vor allem als Geschäftsmann in den Bereichen Landwirtschaft und Benzinhandel tätig. Zwischen 2002 und 2005 leitete er die Ölfirma „Nurneftegas“ in Balyktschy am Yssykkölsee. Eine weitere Ölfirma, „Yssyk-Nar-Neft‘“ ist heute noch auf seinen Namen registriert. Laut dem Online Medium Kaktus.Media ist sie jedoch seit 2003 inaktiv.

Dschaparows erstes Abgeordnetenmandat dauerte bis Ende 2007, als das Parlament infolge der Verfassungsänderung von Präsident Kurmanbek Bakijew aufgelöst wurde. Spätestens aus der Zeit datiert auch seine langjährige Freundschaft mit dem heutigen Leiter des Sicherheitsdienstes Kamtschybek Taschijew. Im September 2006 berichtete Wetschernij Bischkek, wie die beiden Abgeordneten sich eines Nachts laut eigenen Angaben über eine Stunde lang mit eine Gruppe junger Leute prügelten, die sie überfallen wollten. Es sollte nicht die letzte Prügelei der beiden werden. Laut Medienberichten regelten sie Jahre später auch Differenzen mit dem damaligen Bürgermeister von Osch, Melis Myrzakmatow, und später mit dem Abgeordneten Altynbek Sulajmanow mit den Fäusten.    

Kommissar für die Korruptionsbekämpfung

Bei der Parlamentswahl 2007 trat Dschaparow für die kurz zuvor von Bakijew gegründete Partei Ak-Dschol (Guter Weg) an, verzichtete aber auf ein Mandat, um als Präsidentenberater zu arbeiten. Im Folgejahr wurde er zum “Kommissar” der Agentur zur Korruptionsbekämpfung ernannt. In der Funktion führte er mitunter im öffentlichen Fernsehen die Show „Der Kommissar warnt“ ein, in denen resonanzhafte Korruptionsfälle teils mit versteckter Kamera gezeigt wurden. Nach einem halben Jahr wurde die Sendung auf Initiative des Fernsehsenders eingestellt.

Weiter gründete er einen Antikorruptionsgeschäftsrat aus ausländischen Geschäftsleuten, um die Regierung in ihrer Arbeit zur Korruptionsbekämpfung zu beraten. In den Jahren der Bakijew-Präsidentschaft hielt sich Kirgistan laut dem Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International unter den 20 korruptesten Ländern weltweit (heute ist es unter 180 Ländern an 126. Stelle). „Wir müssen der internationalen Propaganda entgegentreten und uns ihr ideologisch widersetzen; sie schafft durch solche Ratings, die oft in lokalen Medien genannt werden, ein negatives Image“, kommentierte damals der Kommissar Dschaparow, laut Wetschernij Bischkek.

In seiner Autobiographie erklärt er die Bilanz seiner Agentur durch ihre mangelnden Befugnisse: „Der Name ‚Kommissar‘ klingt zwar laut, aber wir hatten kein Recht irgendeinen Ort zu überprüfen, Kriminelle zu ermitteln. Dennoch sind wir zum Kern der Sache vorgedrungen und haben mit anderen Strafverfolgungsbehörden zusammengearbeitet.“

Der „berüchtigte Meister der Goldkonflikte“

Nach dem Sturz von Bakijew im April 2010 blieb Dschaparow noch bis Juli an seinem Posten. Im Oktober war er mit Taschijew und weiteren Politikern unter den Gründungsmitgliedern der nationalistisch geprägten Partei Ata-Dschurt (Vaterland), die kurz darauf überraschenderweise mit etwas mehr als 15 Prozent der Stimmen die Parlamentswahl knapp gewann. Später wechselten sie zur etwas zeitgleich gegründeten Partei Mekentschil (Patriot), der sie bis heute angehören.

Nach längeren Verhandlungen bildete Ata-Dschurt mit zwei weiteren eine Regierungskoalition und Dschaparow wurde zum Leiter des Komitees für Justiz- und Rechtsfragen. Er weigerte sich aber, der Koalition beizutreten, blieb also lediglich in seiner Parteifraktion.

An dem Posten setzte er sich vor allem für eine Justizreform rund um die Auswahl von Richtern ein, die der Korruption in der Justiz ein Ende setzen sollte. Seine Arbeit war jedoch umstritten, da er und seine politischen Gegner sich gegenseitig illegaler Handlungen anschuldigten. In einem offenen Brief bemerkte die damalige Interimspräsidentin Rosa Otunbajewa die „Hartnäckigkeit und Entschlossenheit von Sadyr Dschaparow, dem Vorsitzenden des Justiz- und Rechtsausschusses, der mit allen Mitteln versucht, die Wahl sowohl der vorgeschlagenen als auch der vom Präsidenten abgelehnten Kandidaten zu Richtern zu erreichen.“

Im Jahr 2012 widmete Dschaparow seine Aufmerksamkeit einem anderen brisanten Thema: die Nationalisierung von Kumtör, der größten Goldmine in Zentralasien. Das Vorkommen wird seit seiner Erschließung in den 1990ern immer wieder zum politischen Streitthema. Laut einem Rahmenvertrag von 1992 gehörten dem kirgisischen Staat zunächst zwei Drittel der Anteile des Joint-Holding Kumtor Gold Company. Nach einer Umstrukturierung 2009 sank der staatliche Anteil jedoch auf ein Drittel.

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Eben gegen diese Bedingungen richtete sich der Protest nationalistischer Bewegungen rund um Dschaparow. Der damals von Journalisten des Wetschernij Bischkek als „berüchtigter Meister der Goldkonflikte“ bezeichnete Politiker wurde zum Leiter der parlamentarischen Kommission rund um Kumtör. Anfang Oktober 2012 riefen Dschaparow und Taschijew zur Demonstration für die Nationalisierung von Kumtör auf. Der zunächst friedliche Proteste entwickelte sich aber zu einem gefühlten Putschversuch, als Demonstranten zum Sturm des nahegelegenen Weißen Hauses (Sitz von Parlament und Präsidentenverwaltung) ansetzten – allerdings ohne Erfolg.

Demonstration für die Freilassung von Dschaparow, Taschijew und Mamytow am 4. Oktober 2012 (Quelle: Etienne Combier/ Flickr)

Die Forscherin Asel Doolotkeldijewa kommentierte damals für das Institute for War and Peace Reporting: „Es mag so ausgesehen haben, dass die [Ata-Dschurt] Partei sich von personenbasierter Politik distanziert“, als Dschaparow im Vorlauf der Demonstration von realen sozioökonomischen Problemen sprach. „Aber die folgenden Ereignisse setzen solchen Ideen ein Ende, wie auch dem Bild eines reifen, angesehenen Politikers, das er zu projizieren versuchte.“   

Vom Gefängnis ins Exil…

Dschaparow, Taschijew und ihr Parteikollege Talant Mamytow (der biz zu Dschaparows Amtseinführung als Interimspräsident diente) wurden festgenommen und knapp ein Jahr später in letzter Instanz für einen versuchten Staatsstreich verurteilt. Die Politiker blieben im Ganzen weniger als ein Jahr im Gefängnis, ihnen wurden aber die Abgeordnetenmandate entzogen.

Die unterschiedlichen Prozesse wurden stets von den lautstarken, manchmal gewalttätigen Demonstrationen ihrer Unterstützer begleitet, die teils direkten Druck auf die Richter ausübten. Insgesamt war das Jahr 2013 in Kirgistan von Protesten in unterschiedlichen Regionen durchtrieben, wobei zeitweise der Ausnahmezustand ausgerufen wurde und der Gouverneur im südlichen Dschalal-Abad von einem selbsternannten „Volksgouverneur“ ersetzt wurde. Als im Oktober der Gouverneur der Region Yssykköl von Demonstranten als Geisel gehalten wurde, wurde Dschaparow der Mittäterschaft und Finanzierung der Aktion beschuldigt. Er floh ins Exil, je nach Angaben nach Belarus, Russland, Polen, Zypern und/ oder Kasachstan. 

Während er sich im Ausland aufhielt, veröffentlichte Dschaparow 2015 auch seine Autobiographie „Zehn Jahre in der Politik“. Es ist eine Zusammenfassung der politischen Ereignisse in Kirgistan aus der Sicht des Autors, wonach er sich stets guten Gewissens für das Wohl des Volkes einsetzt. Der Buchdeckel zeigt ihn lächelnd inmitten einer Gruppe Unterstützer. Der Text liest sich Stellenweise wie eine Anklageschrift. „Auch ohne dieses Buch habe ich mehr Feinde in der Politik als Haare auf dem Kopf. Denn es gab Momente, in denen ich die Korruption der meisten von ihnen entlarvte, ihnen ihre Unzulänglichkeiten direkt ins Gesicht sagte“, heißt es in der Einleitung. „Offensichtlich wird sich mit der Veröffentlichung dieses Buches die Zahl meiner Gegner verdoppeln.“   

…ins Gefängnis

Als Dschaparow im März 2017 nach Kirgistan zurückkehrte, um an der Präsidentschaftswahl im Herbst desselben Jahres teilzunehmen, wurde er gleich an der Grenze vom Sicherheitsdienst festgenommen. Im August desselben Jahres wurde er für die vermeintliche Geißelname 2013 zu elf Jahren und sechs Monaten Haft (in späterer Instanz zehn Jahre) verurteilt, obwohl der betroffene Gouverneur ihm keine Schuld zuwies. Auch dies führte zu regelmäßigen Protesten, zuletzt noch im März 2020.

Wie Dschaparow kurz nach seiner Wahl in einem Interview mit der russischen Zeitung Kommersant angab, nutzte er die Zeit im Gefängnis, um „über soziale Medien mit dem Volk zu arbeiten“: „Ich habe Gruppen bei Odnoklassniki, Facebook und Instagram erstellt. Bei WhatsApp habe ich Kontakte gesammelt und mehr als 50 Gruppen erstellt – eine Gruppe enthält 256 Kontakte. Durch diese Gruppen verbreite ich Informationen über Kumtör, über meine Arbeit. So habe ich in dreieinhalb Jahren das ganze Volk erreicht.“

Aus seiner Gefängniszeit speist sich auch ein guter Teil des Märtyrernarrativs eines Politikers, der vermeintlich viel „für das Volk“ geopfert hat. Kurz nach seiner Festnahme 2017 überstand er einen Selbstmordversuch; während er im Gefängnis saß verlor er einen seiner Söhne und seine Eltern. Auch füllt er mit seinen ständigen Verweisen auf das „einfache Volk“ eine ansonsten unbesetzte politische Lücke und gewinnt damit insbesondere unter den ärmeren Schichten an Popularität.

Vom Gefängnis ins Weiße Haus

Die aktive, gewaltbereite Unterstützerbasis, die ihn in seiner ganzen politischen Karriere begleitet hat und seine gekonnte politische Kommunikation erklären auch den kometenhaften Aufstieg, den Dschaparow im Oktober 2020 erfuhr. Nachdem er am frühen morgen des 6. Oktobers aus dem Gefängnis befreit wurde, konnte er sich innerhalb von zwei Wochen mit dem Rücktritt von Präsident Sooronbaj Dscheenbekow ganz an die Spitze der Exekutive heben.

Bischkek Weisses Haus
Das weiße Haus am Morgen des 6. Oktober (Quelle: Pia de Gouvello/ Novastan.org)

Sadyr Dschaparows Strategie die anderen Oppositionellen der Revolution fernzuhalten, den Präsidenten zum Rücktritt zu drängen und die Kontrolle über einen breiten Kreis an Eliten zu übernehmen war sehr effektiv“, beschrieb Asel Doolotkeldijewa im Gespäch mit der französischen Redaktion von Novastan. „Dadurch konnte er in wenigen Monaten den politischen Raum monopolisieren“.

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Auf die Art wurde der Überraschungskandidat zum Status-Quo-Kandidaten. Als sei er bereits amtierender Präsident, hielt er sich während der Wahlkampagne auch von den Fernsehdebatten fern, die er als Orte der Diffamation bezeichnete. Er benötigte auch keine Extra-Aufmerksamkeit, da er bereits über das bei weitem höchste Kampagnenbudget verfügte. Beim Urnengang im Januar erhielt er schließlich knapp 80 Prozent der abgegebenen Stimmen, bei einer Wahlbeteiligung unter 40 Prozent entspricht das aber nur etwa 34 Prozent der Wahlberechtigten.  

Cui bono?   

Der rasante politische Aufstieg Dschaparows wirft auch die Frage auf, ob er und sein Team die Unterstützung dritter genoss. In den Hypothesen diesbezüglich ist meist entweder von der Familie des ehemaligen Präsidenten Bakijew die Rede oder von der organisierten Kriminalität. Ersteres wurde mitunter vom ehemaligen Chef des Sicherheitsdienstes und Präsidentschaftskandidaten Abdil Segisbajew behauptet. Bei der Fernsehdebatte Ende Dezember erinnerte er an mehrere Ereignisse und Skandale in der politischen Karriere Dschaparows, die laut ihm auf eine Loyalität gegenüber den Bakijews hinweisen.

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Auch Vermutungen rund um Dschaparows Verbindungen zur Unterwelt haben Geschichte. Ende 2011 beschuldigte ihn der damalige Innenminister Zarylbek Rysalijew bei einem Wortgefecht im Parlament der Freundschaft mit Kamtschy Kolbajew, laut US-Behörden der Chef eines mitunter  in Drogen-, Waffen- und Menschenhandel involvierten kriminellen Netzwerks. In einem jüngeren Interview sagte Dschaparow, er kenne Kolbajew nur aus einer kriminellen Ermittlung im Jahr 2010. Laut der Recherche eines Journalistenkonsortiums rund um das „Organized Crime and Corruption Reporting Project“ besteht auch eine Verbindung zwischen Kolbajew und dem ehemaligen Zollbeamten und vermeintlichen Großkriminellen Raimbek Matraimow. 

Sowohl Kolbajew als auch Matraimow wurden im Rahmen einer voluntaristischen Reihe von Verfolgungen von Großkriminellen vom Sicherheitsdienst in gefilmten Aktionen festgenommen. Manche, wie der ehemalige Sekretär des Sicherheitsrates Keneschbek Düjschebajew, sahen darin eine „Theatershow“. Matraimow wurde nach dem Versprechen der Rückzahlung von von knapp 24 Millionen US-Dollar wieder freigelassen. Laut Dschaparow eine „politische Entscheidung“, denn im Gefängnis würden solche Personen keinen Cent in die Staatskasse zurückzahlen. 

„Habt Geduld“

Auch seit seiner Übernahme der Exekutive bezeichnet Dschaparow den Kampf gegen die Korruption als seine Priorität Nummer eins. Wie bereits in seiner Zeit als Leiter des parlamentarischen Rechtsausschusses sieht er die Änderung des gesetzlichen Rahmens als notwendige Vorbedingung, in diesem Fall eine Verfassungsänderung und einer stärkeren Machtvertikale. So stellen die neue Verfassung und eine „Erneuerung des Staates“ etwa die Hälfte seines offiziellen Programms dar.

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Der Rest des Programms ist vor allem eine Problem- und Zielbeschreibung mit meist schwammigen Angaben dazu, wie die Ziele erreicht werden sollen. So soll zum Beispiel das Budget des öffentlichen Gesundheitswesens verdoppelt werden, finanziert durch die Reduzierung der öffentlichen Verwaltung. Die Sozialpolitik findet so gut wie keine Erwähnung, dafür ist aber von der Reduzierung von „Verwaltungsbarrieren“ für die Privatwirtschaft die Rede. Glaubt man dem Programm, so dürfte sich Dschaparows Politik inhaltlich kaum von der seiner Vorgänger unterscheiden.

Auch in Sachen Strafverfolgung von politischen Gegnern gibt es eine bemerkenswerte Kontinuität. Bereits vor Dschaparows Amtseinführung wurden die zwei Gegenkandidaten Segisbajew und Kursan Asanow festgenommen. Bringt er jedoch zu viele öffentliche Persönlichkeiten gegen sich auf, ohne eine Verbesserung der Lebensbedingungen seiner Wählerbasis zu erreichen, riskiert er womöglich auch selbst sein Amt.  

In einer Nachricht auf seinem Telegramkanal am 25. Januar fordert er seine Mitbürger erst einmal zur Geduld auf: „Nach dem 28. Januar, wenn ich offiziell ins Amt eintrete, fangen die Reformen an“, schreibt er und fordert sein Publikum auf, von Selbstjustiz abzusehen. „Im Mai, Juni beginnen neue politische Prozesse und erst dann fangen wir an auf legalem Weg die Korruption zu entwurzeln“, erklärt er. „Ihr ertragt das schon 30 Jahre lang, nun haltet das noch sechs Monate lang aus!

Florian Coppenrath
Novastan.org

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