Am 10. Januar findet in Kirgistan eine vorgezogene Präsidentschaftswahl statt. Unter den Kandidaten finden sich bekannte Politiker, Geschäftsleute und ein selbsternannter Gott. Auch über eine Verfassungsreform soll abgestimmt werden. Etliche Aspekte bleiben umstritten. Ein Überblick.
Wie die zentrale Wahlkommission am 12. Dezember 2020 erklärte, sind 17 Männer und eine Frau als Kandidaten zur vorgezogenen Präsidentschaftswahl in Kirgistan am 10. Januar zugelassen. Ende November waren noch 47 Personen im Rennen, von denen sich ein Teil zurückgezogen hat und weitere nicht die notwendigen Dokumente eingereicht haben. Laut Wahlgesetz müssen Präsidentschaftsanwärter ihre Kirgisisch-Kenntnisse nachweisen, einen Wahlfonds in Höhe von einer Million Som (etwa 10.000 Euro) aufstellen und mindestens 30.000 Unterschriften einreichen.
Wegen der umstrittenen und schließlich annullierten Parlamentswahl Anfang Oktober und der daraus resultierten politischen Krise, war der 2017 gewählte Präsident Sooronbai Dscheenbekow am 15. Oktober zurückgetreten. Eine erneute Parlamentswahl war eigentlich für den 20. Dezember angesetzt, wurde aber durch ein vom scheidenden Parlament verabschiedetes Gesetz in den Frühling verschoben. Anfang Dezember erklärte die Verfassungskammer des Obersten Gerichtes diese Änderung des Wahlgesetzes als rechtmäßig, trotz der Zweifel zahlreicher Juristen und der Venedig-Kommission.
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Statt einer erneuten Parlamentswahl ist am 10. Januar ein Referendum über die Regierungsform geplant, bei dem sich die Wähler zwischen einem parlamentarischen und präsidentiellen Regierungssystem entscheiden sollen. Laut einer Reihe von Juristen wurde das entsprechende Gesetz jedoch durch einer Reihe Verstöße gegen die Parlamentsordnung und die bestehende Gesetzgebung verabschiedet, wie die Onlinezeitung Kloop.kg berichtet.
Das neue Staatsoberhaupt wird also viel zu tun haben: Zusätzlich zur erneuten Parlamentswahl erwartet Kirgistan womöglich auch eine Verfassungsänderung, nicht zu sprechen von der durch die Coronavirus-Pandemie verschärfte sozioökonomische Krise im Land.
Der Favorit und seine Konkurrenz
Laut vielen Beobachtern ist der eindeutige Favorit der Wahl Sadyr Dschaparow. Dies wäre die Krönung seines kometenhaften politischen Aufstiegs aus dem Gefängnis an die Leitung der Exekutive. Seine Kandidatur reichte er als einer der letzten am Stichtag ein, nachdem er zuvor die Ämter des Interimspremierministers und Interimspräsidenten niedergelegt hatte. Neben der Unterstützung eines bedeutenden Teils der Bevölkerung könnte der rechtspopulistische Politiker auch auf Internet-Trollfabriken zählen, sowie auf das mit knapp 20 Millionen Som (etwa 196.000 Euros) bei weitem größte Kampagnenbudget. Außerdem scheinen sich auch „administrative Ressourcen“ für ihn zu mobilisieren: Mit Talant Mamytow und Kamtschybek Taschijew bekleiden ihm nahestehende Personen die Ämter des Interimspräsidenten und des Leiters des Sicherheitsdienstes GKNB. So richtete sich die Wahlkommission an die Staatsanwaltschaft mit einem Hinweis darauf, bei einer Wahlrede von Dschaparow seien eigentlich zur Neutralität verpflichtete Sicherheitsbeamte in den Farben seiner Kampagne abgelichtet worden.
Einem Einwand mehrerer Gegenkandidaten, Dschaparows Teilnahme an der Wahl sei verfassungswidrig, gab die Wahlkommission aber nicht statt. Tatsächlich dürfen der Verfassung zufolge Interimspräsidenten nicht an einer vorgezogenen Präsidentschaftswahl teilnehmen. Eine entsprechende Klage ist auch vor der Verfassungskammer geplant. Sollte Dschaparow im Rennen bleiben und die Wahl gewinnen, würde er sich für eine neue Verfassung einsetzen, in der die Befugnisse des Präsidenten erheblich erweitert würden. Ein entsprechender Entwurf ist schon im Umlauf.
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Als bedeutendster politischer Gegner von Dschaparow gilt Adachan Madumarow, der Parteichef von „Bütün Kyrgyzstan“ (Einiges Kirgistan), der bereits an den Präsidentschaftswahlen 2011 und 2017 teilgenommen hatte. Wie der Jurist und einstige Präsidentschaftskandidat Taalatbek Masadykow gegenüber der Deutschen Welle erklärt, erfreut sich Madumarow ebenfalls einer bedeutenden Beliebtheit in der Bevölkerung. Bütün Kirgistan wäre bei der Parlamentswahl im Oktober mit über sieben Prozent der Stimmen als vierte Kraft ins Parlament eingetreten und zielt mit ihrer ebenfalls nationalistischen Positionierung auf dieselbe Kernwählerschaft wie Dschaparow ab.
Auch der langjährige Abgeordnete Kanatbek Isajew ist ein Veteran der kirgisischen Parteipolitik. Bei der Wahl im Oktober führte er die Liste der Partei „Kyrgyzstan“ an, die knapp neun Prozent der Stimmen erhielt. Nach der Annullierung der Wahl war Isajew zeitweise Parlamentssprecher und ebnete durch seinen Rückzug den Weg für eine Interimspräsidentschaft von Dschaparow. Bei einer Pressekonferenz am 19. November sprach er sich aber gegen einen Verfassungswechsel aus: „Wir haben bereits ein präsidentielles Regierungssystem gesehen. Zweimal – 2005 und 2010 – hat dieses System zu tragischen Ereignissen geführt“, zitiert ihn Kloop.kg.
Oppositionskandidaten
Am 24. November versammelten sich sieben weitere Präsidentschaftskandidaten zu einer Pressekonferenz, bei der sie sich gegen rechtswidrige Handlungen von Dschaparow aussprachen. Drei von ihnen sind weiterhin im Rennen. Allen voran die einstige Verfassungsrichterin Klara Sooronkulowa, die auch die Verfassungsklagen gegen die Verschiebung der Parlamentswahl angeführt hatte und die Klage gegen Dschaparows Kandidatur einreichte. Als Interimspräsident konnte dieser „in alle Regionen reisen und die Plattformen für seine Wahlkampagne nutzen. […] Die Gerechtigkeit und Ehrlichkeit der Wahl steht unter Frage“, erklärte sie im November. Sooronkulowa ist die Parteichefin der jungen liberalen Oppositionspartei Reforma, die im Oktober etwa 1,7 Prozent erreichte und sich für eine Erneuerung der politischen Klasse einsetzt.
Der langjährige Politiker und scheidende Abgeordnete der sozialistischen Oppositionspartei Ata-Meken Kanybek Imanalijew stand bei der Parlamentswahl im Oktober auf der Liste der Partei Mekenim Kyrgyzstan. Im Vorlauf der Wahl hat er sich mehrmals gegen die geplante Verfassungsreform ausgesprochen und bei einem Medienforum im November erklärt, Journalisten stellten momentan „die einzige vollkommene Macht“ in Kirgistan dar. Auf der Pressekonferenz im November meinte er Kirgistan werde „zu einem zweiten Afghanistan“, sollte Dschaparow die Wahl gewinnen. Dann würde das Land „den ungebildetsten Herrscher seiner Geschichte“ erhalten.
Auch Rawschan Dscheenbekow – kein Verwandter des ehemaligen Präsidenten – ist ein altbekanntes Gesicht der politischen Opposition in Kirgistan. Wie Dschaparow und einige weitere politische Persönlichkeiten wurde er am frühen Morgen des 6. Oktobers aus dem Gefängnis befreit, wo er seit einem knappen Jahr im Rahmen der Untersuchungen rund um die gewaltsame Festnahme von Ex-Präsident Almasbek Atambajew im August 2019 war. Die Untersuchung läuft weiter und Dscheenbekow darf Bischkek und Kirgistan nicht verlassen, was ein Gericht am 16. Dezember bestätigte, ein „politisches Urteil“, wie er beteuert. In einem Videointerview mit der Journalistin Lena Netschajewa beschreibt er seine politische Stellung: „Ich habe immer für Demokratie, Menschenrechte und Freiheit gekämpft. […] Im Ganzen sehe ich mich als Demokraten, nicht nur Liberaldemokrat, ich bin mehr Demokrat.“
Ehemalige hohe Beamte
Auch zwei ehemalige Vertreter der Sicherheitsstrukturen treten bei der Präsidenschaftswahl an. Kursan Asanow hatte etwa 20 Jahre Karriere in den Polizeistrukturen hinter sich, als er 2011 zum stellvertretenden Innenminister wurde. Im August 2019 wurde er wegen vermeintlichem Fehlverhalten während der Festnahme von Atambajew vom Innenminister entlassen: Er hatte sich direkt mit Atambajew in Kontakt gesetzt, um ihn dazu zu bewegen, sich zu ergeben. Bei den Unruhen Anfang Oktober besetzte er kurz den Posten des Innenministers und wurde am 9. Oktober nach Zusammenstößen in Bischkek festgenommen. Am 16. Dezember erlaubte ihm aber ein Gericht, für die Kampagne durch das Land zu reisen.
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Der einstige Koordinator der Soros Foundation Kyrgzystan (1995-2000) Abdil Segisbajew hat seine jüngste Karriere an der Seite von Ex-Präsident Atambajew aufgebaut. Erst als Gehilfe und als Berater, und später innerhalb des GKNB, den er zwischen 2015 und 2018 leitete. Am 15. Dezember startete er seinen Wahlkampf an der Gedenkstätte Ata-Bejit, in der Nähe von Bischkek, die neben den Opfern des Roten Terrors auch denen der Revolution 2010 gewidmet ist. Wie die Presseagentur Akipress weitergibt, bezog er sich auf eine vermeintliche Verbindung von Dschaparow mit dem Regime des 2010 gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew: „Hier sind unsere Mitbürger begraben, die zu den Opfern dieser Leute wurden. Ich werde das Gedenken an unsere Helden nie verraten“.
Der Abgeordnete Ulukbek Kotschkorow war zwischen Oktober 2018 und Oktober 2020 Minister für Arbeit und soziale Entwicklung. Von seinem Rücktritt erfuhr er laut eigenen Angaben aus dem Internet. „Das ist keine Tragödie. Mich beunruhigt mehr die heutige Situation in Kirgistan. Die politische und wirtschaftliche Lage, der Lebensstandard der Bevölkerung; leider ist alles in Gefahr, wir sind in einer Krise“, reagierte er in einer Videomitteilung. Kotschkorow ist Parteichef von „Dschangy Door“ (Neues Zeitalter), war im Oktober aber für die „Präsidentenpartei“ Birimdik angetreten.
Geschäftsleute
Unter den Kandidaten finden sich einige Geschäftsleute. Manche haben ebenfalls Erfahrung im öffentlichen Dienst gesammelt. So zum Beispiel der ehemalige stellvertretende Wirtschaftsminister (2016-2019) Eldar Abakirow, der bei der letzten Parlamentswahl für Ata-Meken antrat. Abakirow hat im vergangenen Jahrzehnt Geschäftsprojekte in unterschiedlichen Branchen wie Textil und Fast-Food mitgegründet. Dschengischbek Bajguttijew war zwischen 2009 und 2010 ein halbes Jahr lang Minister für wirtschaftliche Regulierung, nachdem er lange Berater des Finanzministers und zwischen 2006 und 2009 Berater des Präsidenten Bakijews war. Heute besitzt er drei Pfandleihgeschäfte und weitere Firmen, die in den Bereichen Beratung, Finanzen und Bildung tätig sind.
Der bislang eher diskrete Ajmen Kassenow hat bereits eine Karriere im Ölgeschäft hinter sich, wobei er insbesondere zwischen 2007 und 2015 für die russische Firma Gazprom als Landesdirektor in Kasachstan arbeitete. Zwischen 2016 und 2019 war er Vorstandsmitglied des im Rahmen von Kirgistans Beitritt in die Eurasische Union gegründeten russisch-kirgisischen Entwicklungsfonds. Kassenow ist ebenfalls seit 2015 Mitbegründer des jährlichen internationalen Kinderlagers „Dschetigen“ am Yssykkölsee.
Babirdschan Tolbajew begann seine Karriere in den 1990ern in der Branche der internationalen Organisationen, ehe er in die Privatwirtschaft wechselte. Heute ist er als Direktor der Mikrokreditfirma MolBulak bekannt, die er 2008 gründete und die vor allem in Russland unter Arbeitsmigranten aktiv ist.
Der Eigentümer und Direktor der Baumfirma KG Group Imanidin Taschow erklärte bei einer Pressekonferenz am 24. November, er könne innerhalb von drei Jahren die Staatsschulden gegenüber China tilgen und Kirgistan nach 30 Jahren Leid wieder auf die Beine stellen. Die Wahlkommission deutete das als vorzeitige Wahlkampagne und sprach ihm eine Geldstrafe aus.
Weitere Kandidaten
Arstanbek Abdyldajew ist vielen in Kirgistan viel mehr als Arstan Alai für seine esoterischen Aussagen bekannt, besonders für die Aussage „Es wird keinen Winter geben!“, die er Ende 2011 bei einer Pressekonferenz von sich gab und die regelrecht zum Meme wurde. Ende 2019 erklärte er sich selbst zum Gott, was ihm eine polizeiliche Untersuchung einbrachte, und meinte im März 2020, er habe das Coronavirus auf die Erde geschickt. Er besitzt mehrere Firmen aus dem Bereich Handel und Finanzen und tritt nach 2011 und 2017 zum dritten Mal bei einer Präsidentschaftswahl an.
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Der Journalist und Geschäftsmann Arstanbek Myktybek ist vor allem im religiösen Bereich tätig. Er ist seit 2011 Dozent für Theologie an der Arabajew-Universität in Bischkek und seit 2012 Leiter des Zentrums zur Entwicklung der Halal-Industrie. Auch sein 2012 gestarteter YouTube-Kanal ist vor allem religiösen Themen gewidmet.
Der 62-jährige Raschid Tagajew ist der älteste unter den Kandidaten. Zwischen 1985 und 2005 arbeitete er bei der Polizei, ehe er für fünf Jahre ins Parlament einzog. Zuletzt war er zwischen 2016 und 2020 Leiter der Filiale von Gazprom-Kirgistan in Osch. Am anderen Ende der Altersskala ist Baktybek Kalmamatow, mit 36 Jahren der jüngste Präsidentschaftsanwärter. Er war zwischen 2010 und 2015 Parlamentsabgeordneter für die Partei Ata-Meken, nachdem er die Aktivitäten der Partei in der Region Osch, im Süden des Landes koordinierte.
Florian Coppenrath
Novastan.org
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