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Kinder der Unabhängigkeit: Adilias doppelter Einsatz

Als Frau und als Muslimin erlebt Adilia Temirkanowa täglich Diskriminierung. Dabei ist die 22-jährige Soziologin davon überzeugt, dass ihr Land sich bessern wird. Kirgistan erwartet eine Zukunft in  Unabhängigkeit, glaubt sie, wenn der Präsidentschaftskandidat Sooronbaj Dscheenbekow an die Macht kommt.

Adilia Temirbekowa Jugend Bischkek Kirgistan
Adilia Temirbekowa setzt sich gegen die Diskriminierung von Frauen und von Muslimen ein

Als Frau und als Muslimin erlebt Adilia Temirkanowa täglich Diskriminierung. Dabei ist die 22-jährige Soziologin davon überzeugt, dass ihr Land sich bessern wird. Kirgistan erwartet eine Zukunft in  Unabhängigkeit, glaubt sie, wenn der Präsidentschaftskandidat Sooronbaj Dscheenbekow an die Macht kommt.

Dieses Porträt ist Teil der Reihe „Kinder der Unabhängigkeit“, eine Zusammenarbeit mit der Fotojournalistin Valérie Baeriswyl.

Woher zieht sie nur diese ganze Energie? Sie ist elegant, ungeduldig, verspielt: Bereits in wenigen Minuten mit Adilia Temirkanowa lernt man de Charakter dieser jungen Absolventin der American University of Central Asia kennen. „Ich weiß nicht, wann sie die Zeit finden, zu schlafen“, erzählt eine ihrer Freundinnen vor dem Treffen.

Nach dem Abschluss ihres Soziologie-Bachelors realisierte Adilia mehrere Praktika und Freelance-Forschungsprojekte. Heute ist sie Datenanalytikerin für das Institut für Islamische Forschung und Studien. „Dabei arbeite ich in Wahrheit parallel an drei oder vier Projekten für verschiedene Institutionen…“, ergänzt sie.

Vielseitig  ist sie. Fragt man sie nach ihren Hobbies, so sagt sie, sie „interessiere sich für alles“. Tatsächlich: Reiten, Malerei, Mode, Kochen, Joga, außerdem Onlinekurse der UNO über Gender und nachhaltige Entwicklung. Die Arbeit ist immer nur einen Schritt weit weg. „Als Soziologe forscht man ständig zu allem, was man sieht.“ Momentan beschäftigt sich die junge Frau mit der Subkultur des Hidschab in Kirgistan, ein Thema, das ihr seit langem am Herzen liegt.

„Der Islam und die Soziologie haben mich zu einer Feministin gemacht“

Mit 17, kurz vor ihrem Studium, entschied sich Adilia dazu, das Kopftuch zu tragen. „Ich betete bereits seit langer Zeit, wollte es aber erst nicht tragen. Erst mit 16 habe ich angefangen, darüber nachzudenken“, erklärt sie. Während sie erwachsen wurde merkte Adilia, wie der Blick der Männer auf sie sich änderte. „Ich hatte das schreckliche Gefühl ein sexuelles Objekt zu sein“, erzählt sie mit Abscheu. In den öffentlichen Transportmitteln, in den Parks wurden ihr die Blicke und Worte zur Last. Das Kopftuch war für sie wie eine Befreiung. „Ich habe mich endlich frei, mich wie ich selbst gefühlt.

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Doch schon bald ging die Diskriminierung weiter. Sie, die ihre Bachelorarbeit über die Einstellung junger Musliminen in ihrer beruflichen Entwicklung geschrieben hatte, stand mit ihrem Kopftuch plötzliche vor verschlossenen Türen. „Entschuldigen Sie, sind Sie bedeckt? Ich muss Sie bitten zu gehen“, sagte man ihr ein mal bei einem Jobinterview in einer internationalen Organisation.

Adilia Temirbekowa Porträt Jugend Kirgistan
„Ich möchte zeigen, dass der Hidschab etwas schönes ist“

Diese impliziten und expliziten Diskriminierungen dürfen für die junge Frau nicht verschwiegen werden. Sie fing also an, ihre Geschichten ihren Freunden und Kommilitonen zu erzählen. „Du bist zu negativ“, antwortete man ihr. Doch auch das entmutigte sie nicht…

Die Soziologie und der Islam haben mich zu einer Feministin gemacht“, steht stolz auf ihrem Facebook-Profil. Und sie wiederholt den Satz Wort für Wort. Die Soziologie durchtränkt Adilias Worte, sie kommt immer wieder darauf zurück. Während sie ihre Geschichte erzählt analysiert die junge Kirgisin, denkt nach und versucht,  sich selbst zu verstehen und ihre Entscheidungen zu rechtfertigen. „Ich bin so stolz, Soziologie studiert zu haben. Das hat wirklich meine Art zu denken verändert“, sagt sie.

Sie erklärt und erzählt aus ihrer und aus fremder Perspektive, durchlebt soziale Phänomene und nimmt sie bewusst war. Das Kopftuch? „Ein Einfluss meiner Umgebung. Meine Mutter trägt es auch.“ Warum sie bis zur Hochzeit bei ihren Eltern bleibt ? „Das ist der Tradition religiöser Familien“, antwortet sie.

Für ein unabhängiges Kirgistan

Die Religion ist nicht das einzige Erbe, das Adilia von ihrer Familie zieht. Als gute Soziologin ergänzt sie, dass auch Politik ein gängiges Gesprächsthema bei den Temirkanovs ist. Alle sind oder waren im Bereich der Regierungsorganisationen aktiv. Dementsprechend beschäftigt sie auch die kommende Präsidentschaftswahl am 15. Oktober.

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Die junge Frau macht keinen Hehl daraus, dass sie den Kandidaten der Präsidentenpartei, Sooronbaj Dscheenbekow, unterstützt. „Kirgistan braucht einen ehrlichen Mann“, erklärt sie. Jenseits des sozialdemokratischen Kandidaten Dscheenbekow verteidigt sie vor allem die Regierungsbilanz des noch amtierenden Präsidenten Almasbek Atambajew. Dieser habe die kirgisische Unabhängigkeit gegen ausländischen Einfluss verteidigt. Der Gegenkandidat Omurbek Babanow ist laut Adilia „Kasachstan zu nah“. Das Fernsehduell der beiden Favoriten am 4. Oktober hat ihre Wahl nur bekräftigt.

Muslimische Frauen inspirieren

Momentan bereitet sich Adilia auf die Online-Universität für Naturmedizin vor. Sie möchte Kurse zur Ernährung verfolgen, um einen gesunden Lebensstil zu verbreiten. „In meiner Freizeit arbeite ich auch ein wenig als Modell. Ich möchte zeigen, dass der Hidschab etwas schönes ist“, erzählt sie und zeigt ein Bild auf ihrem Smartphone. Ihr Traum ist es, ein anderes Bild muslimischer Frauen zu zeigen und Frauen in ihrer persönlichen Entwicklung zu inspirieren.

Feministin sein, das bedeutet die sexuelle Gewalt, die Islamophobie und die Ungleichheit zu bekämpfen“, erklärt sie. Kurz vor der Präsidentschaftswahl hofft Adilia, „dass sie Regierung bedeckte Frauen unterstützen wird und der Gesellschaft zeigen wird, dass sie Bürgerinnen sind wie alle anderen auch.

Clara Marchaud

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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