Das Dorf der ersten internationalen Nomadenspiele mutete wie Harry Potters Quidditch-Weltmeisterschaft oder ein mittelalterliches Ritterturnier an. Vom 3. bis 8. September reihten sich kirgisische Jurtenzelte in einem Tal bei Cholpon-Ata eng aneinander. Alt und jung trugen bunte, Ehrfurcht gebietende Trachten und ein bis zwei Meter über den traditionellen Hüten schwebten Reiter gekonnt auf ihren Pferden. Die Spiele waren mehr als nur ein Turnier.
Die Olympischen Spiele mögen Überflieger wie Michael Phelps, Superstars wie Usain Bolt oder Schwindler wie Ryan Lochte in das Licht der Öffentlichkeit rücken. Im Fernseher konnte man auch öfter als sonst Halbnackte an der Copacabana betrachten, die sich, den Mojito noch in der Hand, im Sambarhythmus schüttelten.
Die ersten Internationalen Nomadenspiele in Kirgistan hatten auch ihre Stars, manchmal tierische, sie waren auch von kritischen Nachfragen über die Kosten von circa 3 Millionen US-Dollar nicht verschont geblieben und die Nationen zählten auch dort Medaillen. Aber wer den funkelnden Stolz erlebte, wie nomadische Kirgisen, Kasachen, Tadschiken, Türken und insgesamt 40 Nationen ihre Lebensweise offenbarten, vergaß den Medaillenspiegel so schnell wie ein kirgisischer Pfeil geschossen wird.
Alltagsgegenstände, traditionell fleischlastige Mahlzeiten und Kleidung wurden zum Verkauf angeboten. ein Rezitator pries stundenlang das Leben des kirgisischen Nationalhelden Manas. Schauspieler spielten Alltagsszenen aus den Dörfern nach.
Das nomadische Leben präsentierte sich auch als (touristisches) Alternativmodell zu den sogenannten Konsumgesellschaften. Kirgistans Präsident Almazbek Atambajew sagte dazu:
„Beim nomadischen Leben geht es auch um nachhaltiges Leben. Und danach sucht die heutige Welt.“
Die Spiele wurden mit gelebter Freundschaft zwischen den Staaten, Ethnien und Sportlern ausgetragen. Zur Nationalhymne des Gegners stand jeder still und selbst nach dem mit Spannung erwarteten Wrestling-Match zwischen der Ukraine und Russland schüttelten sich die breiten Männer sportsmännisch die Hände. Begegnungen waren wichtiger als Konkurrenz und Politik.
Die Medaillenjagd ging dennoch gut aus. Zumindest für das Gastgeberland. Mit 79 Medaillen, davon 25 gold, dominierte Kirgistan das Feld. Turkmenistan (15 Goldmedaillen) und Kasachstan (12 Goldmedaillen) folgen mit großem Abstand zum Gastgeber.
Mit dutzenden anderen Ländern landete Deutschland abgeschlagen auf dem letzten Platz – sie alle konnten der Übermacht zentralasiatischer Konkurrenten kaum etwas entgegensetzen. Die Slowakei war mit drei Medaillen (eine gold, zwei silber) das beste europäische Team.
Das Turnier wurde in 23 verschiedenen Sportarten ausgetragen. Darunter auch „im Westen“ bekannte wie Wrestling oder Bogenschießen. Doch unter den Zuschauern waren andere deutlich beliebter. Neben Variationen von Pferderennen oder Strategiespielen begeisterten vor allem Mannschaftsportarten wie Kok Boru.
Kok Boru ist ein kirgisischer Nationalsport, der das direkt am Issikul-See gelegene Stadion gefüllt hat, wie es sonst nur die Eröffnungs- und Abschlussfeiern fertig brachten. Das Prinzip ist dem Basketball ähnlich. Allerdings bewegen sich die Sportler auf Pferden fort und anstelle eines Balles wird ein totes Schaf in eine große Kuhle geworfen.
Das große Finale am letzten Tag der Spiele trugen Kasachstan und Kirgistan aus. Kirgistan ließ seinem großen nördlichen Nachbarn keine Chance und dominierte das Spiel, gewann schließlich mit 15 zu 3 Punkten. Das Stadion bebte wortwörtlich durch inbrünstige „Kirgistan, Kirgistan…“-Rufe. Ein voller Erfolg.
Das Event bescherte dem zentralasiatischen Land eine ungewohnt internationale Aufmerksamkeit. Und der verschrobene US-Schauspieler Steven Seagal, der Tage zuvor mit dem weißrussischen Diktator Aljaksandr Lukaschenko noch öffentlich Möhren aß, stattete die Spiele auch noch mit amerikanischem Pop-Glanz aus.
Gregor Bauer
Chefredakteur