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Grenzkonflikt zwischen Tadschikistan und Kirgistan: Eine Herausforderung für die regionale Kooperation

Die wachsenden Spannungen an der tadschikisch-kirgisischen Grenze, die zwei tadschikische Todesopfer forderten, stellen eine direkte Herausforderung für die wieder aufblühende regionale Kooperation in Zentralasien dar. Eine Analyse dazu lieferte das tadschikische Medium Asia-Plus. Wir übersetzen sie mit freundlicher Genehmigung.

Kirgistan Tadschikistan Grenze

Die wachsenden Spannungen an der tadschikisch-kirgisischen Grenze, die zwei tadschikische Todesopfer forderten, stellen eine direkte Herausforderung für die wieder aufblühende regionale Kooperation in Zentralasien dar. Eine Analyse dazu lieferte das tadschikische Medium Asia-Plus. Wir übersetzen sie mit freundlicher Genehmigung.

Nach kurz anhaltender Ruhe an der kirgisisch-tadschikischen Grenze, haben die Spannungen wieder ihren Lauf genommen. Am 13. Und 14. März wurde erneut Blut vergossen. Nach Angaben kirgisischer Grenzbeamter hätten tadschikische Dorfbewohner von Mekhnatabad den Konflikt ausgelöst, um gegen den Bau der Umlaufstraße Ak-Saj-Tamdyk zu protestieren, die Kirgistan nahe der Grenze in einem umstrittenen Gebiet bauen lassen will. Von Tadschikischer Seite hingegen ist zu hören, Kirgisen seien Initiatoren des Konflikts gewesen, um das Gebiet an sich zu reißen. Zwei Tadschikische Staatsbürger wurden dabei erschossen.

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Am 15. März leiteten die Autoritäten beider Seiten Verhandlungen ein, um die Situation zu lösen. Die Verhandlungen sind noch im Gange, das Grenzgebiet ist aktuell stabil, und die Militärbeamten wurden auf beiden Seiten zur Gewährung der Sicherheit verstärkt.

Boden, Straße, Wasser: drei Konflikte in Einem

Die noch unter der Sowjetunion begangenen Fehler bei der Grenzziehung ihrer Territorien legten das Fundament für heutige territoriale Streitfragen im postsowjetischen Raum, insbesondere der zentralasiatischen Region. Die Folgen zeigen sich in den heutigen interethnischen Beziehungen.

Unter den Architekten der Sowjetunion hätte sich keiner den Zusammenbruch ihres erschaffenen Reiches ausmalen können. Das Resultat sind zehntausende von umstrittenen Gebieten an den Grenzen der postsowjetischen Republiken, die bis heute von einer aufgeheizten Stimmung geprägt sind.

Das Gebiet rund um die tadschikische Exklave Woruch ist eine solcher Streitzonen. Sowohl Tadschiken als auch Kirgisen beanspruchen das Gebiet für sich. Die Enklave gehört zu Tadschikistan, ist aber von der Batken Region, im Süden Kirgistans, umgeben. Offiziell gehört Woruch zum Bezirk von Isfara, im Norden Tadschikistans, und zählt mehr als 34.000 Einwohner, fast ausschließlich tadschikischer Ethnie.

Die Stadt Woruch gehört zum Bezirk Isfara in Tadschikistan, ist aber geographisch davon getrennt und umgeben von der kirgisischen Batken-Region. Das führt seit Jahren zu Grenzkonflikten

Das Problem der Konfliktlösung liegt darin, dass beide Länder sich auf geographische Angaben von Landkarten in unterschiedlichen Zeitabschnitten beziehen. Tadschikistan besteht auf die Grenze, wie sie zwischen 1924 und 1939 auf der Karte angegeben war. Kirgistan hingegen pocht auf eine Interpretation der Grenzlinie, die zu einem anderen Zeitpunkt auf den Landkarten eingezeichnet war.

Seit Jahrhunderten gehören diese Gebiete den Tadschiken, davon zeugen die antiken Namen der Ortschaften und historischen Monumente“, erklärt der tadschikische Historiker Farruch Bosorow. „Diese Erde wurde mit stillgeschwiegener Einvernehmlichkeit unserer Autoritäten aus irgendeinem Grund zu kirgisischem Boden. Heute ist Woruch abgeschnitten und der einzige Weg nach Isfara [die nächstgelegenste tadschikische Stadt, Anm.d.Red.] führt über kirgisisches Staatsgebiet. Deswegen herrscht dort bereits seit Jahren ein blutiger Konflikt.“ 

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Neben territorialen Grenzen, spielt auch das Wasser in der vorwiegend landwirtschaftlichen Region eine große Rolle. Während der Bewässerungszeit spüren beide Seiten die Knappheit der Wasserressourcen, weshalb sich Konflikte darüber in dieser Zeit häufen.

Das Vorhaben der kirgisischen Behörden, durch eine Verlegung des Flusses Isfara seine Wasserbedürfnisse zu decken, beunruhigt nicht nur die Bewohner von Woruch, sondern beträfe auch wichtige Ackerlandschaften Isfaras und Kanibadams, die vom selben Fluss bewässert werden.

 „Ohne Zugeständnisse wird es keinen Frieden geben“

Die neu entfachte Gewalteskalation stellt auch die regionale Kooperation Zentralasiens in Frage, die seit einigen Jahren erst wiederbelebt wurde, meint der tadschikische Politikwissenschaftler Abdulgani Mamadasimow.

„Solch ein Spannungsfeld an einem Grenzgebiet, das zwar klein aber dicht besiedelt ist, bedarf einer sehr sorgfältigen Lösung dieses ‚gordischen Knotens‘“, meint der tadschikische Analyst. „Es geht nicht um eine simple Grenzziehung zwischen zwei Staaten. Es geht um eine Exklave [Ein tadschikisches Territorium, vom Mutterland abgeschnitten und von kirgisischen Gebieten umgeben, Anm.d.Red.], aber auch um die Frage der Verwaltung von Wasserressourcen, geteilter Bewässerungssysteme, und schließlich eine strategische Straße für beide Länder. Um den Konflikt rechtzeitig zu lösen, braucht es einen Konsens der Kommission zu gegenseitigen Zugeständnissen und Grenzziehung. Ohne diese wird es weder Frieden noch Stabilität für die Region geben.“

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Aus diesem Grund sei es laut Mamadasimow nötig, in kurzmöglichster Zeit Prioritäten zu setzen, und zu bestimmen, was das wichtigste für die tadschikische Seite ist (Boden oder Wasser, Wasser oder Straße, Boden oder Straße). Darauf sollen die Verhandlungen sich dann fokussieren, um den Konflikt einzudämmen, bevor er sich zu unrecht in die Länge zieht.

Laut dem Analysten stockt die Situation aufgrund von nationalistischen Gefühlen und Gebietsansprüchen, welche den Konflikt unrechtmäßig provozierten: „Das Leben eines Tadschiken oder eines Kirgisen ist so viel mehr wert, wie ein Hektar Land oder eine Fläche Weide“, betont Mamadasimow.

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Der tadschikische Politikwissenschaftler Schokir Chakimow schätzt, dass die Treffen nur zu kurzfristigen Visionen führen, als Antwort auf den aktuellen Konflikt, das Problem aber nicht Lösen werden. „Solche Kommissionen gab es schon, die den politischen Eliten verkündeten, sie hätten die Grenzprobleme zwischen den Nachbarstaaten geregelt. Aber nach einiger Zeit, tauchten neue Konflikte auf, und das seit 1991.“

Laut Schokir Chakimow sollten die Fragen zur Grenzziehung schnellstmöglich beantwortet werden, genauso wie zur territorialen Integrität und friedlichem Zusammenleben der Bürger der benachbarten Staaten. „Natürlich braucht es dafür gute Absichten, eine intergouvernementale Kommission mit den nötigen Kompetenzen, die sich bemüht Resultate zu liefern, sie im Parlament oder einer anderen geeigneten Autorität zu ratifizieren, und schließlich auch umzusetzen. Aber es gibt nicht nur Diplomatie und Politik, denn der Konflikt wird von den lokalen Bewohnern ausgelebt. Aus diesem Grund braucht es kulturelle, sportliche und Wirtschaftliche Veranstaltungen, die gegenseitiges Vertrauen fördern und somit zum Aufbau konstruktiver Beziehungen beitragen. Nur so kann ein Ende der Gewaltspirale zwischen den Grenzbewohnern erreicht werden“, erklärt der Experte.

(K)Ein Ausweg in Sicht?

Der Journalist aus Tadschikistan Negmatullo Mirsaidow erforscht seit Jahren die Grenzkonflikte der Bewohner des Ferganatals. Er ist sich sicher, dass die Region in Zukunft von wiederholten Grenzkonflikten bedroht wird, bis die grundlegenden Grenzfragen, ihre Verwaltung und die Kontrolle der Gebiete nicht geklärt sind.

Chudschand Tadschikistan Reis
Das fruchtbare Ferganatal ist ein multiethnisches, hochumstrittenes Gebiet, da es eine zentrale Rolle in der Landwirtschaft sowohl für Tadschikistan als auch für Kirgistan spielt

Anfang 2015 schaffte es die Kommission für die tadschikisch-kirgisische Grenzziehung nicht, Maßnahmen für 503 von insgesamt 971 km der Grenze zu definieren. In den letzten Jahren haben sich beide Seiten in Widersprüche verwickelt. „Und das ist kein Zufall. Bis dahin waren alle markierten Zonen zum Größtenteil unbevölkert“, meint Journalist Mirsaidow.

Die Probleme begannen, als es um die Trennung von dicht besiedelten Zonen zwischen Kirgisen und Tadschiken ging. Es ist unmöglich eine Linie inmitten von Häusern und Straßen durchzuziehen. Die Grenzen, die zur Zeit der UdSSR auf der geographischen Karte eingezeichnet wurden, basieren nicht auf sinnvollen Kriterien. Es ist heute umso schwieriger, die Situation zu lösen, angesichts der erstarkenden nationalistischen Gefühle unter den Menschen, die an der Grenze leben.“

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Laut dem Journalisten gäbe es verschiedene Möglichkeiten der Stabilisierung: „Die erste Möglichkeit ist eine Entmilitarisierung des Gebiets, was die kirgisische Seite, die eine Minderheit in der Region darstellt, wahrscheinlich nicht akzeptieren wird. Dann sollte das Militärpersonal durch neue Grenzposten ausgetauscht werden. Die Parteien sollten sich dabei auf eine Sonderstellung der umstrittenen Gebiete einigen, und den Bewohnern die doppelte Staatsbürgerschaft ermöglichen. Das ist alles machbar, es fehlt nur der Wille.“

Chaidar Schodijew
Asia-Plus

Aus dem französischen von Julia Tappeiner

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