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Eine Tour durch Ak-Talaa: Was das Eurohaus mit Korruption zu tun hat (3/6)

Nadine Boller, gebürtige Schweizerin, ist Dokumentarfilmerin mit einer Liebe für Kirgistan. Ihr letzter Film "Erkinai - die Halbnomadin" wurde auf Kika, dem deutschen Kinderkanal, gesendet. Für ihre neuesten Recherchen verbrachte sie mit ihrer kirgisischen Freundin Mahabat ein paar Tage in deren Heimatdorf Ak-Talaa, im Zentrum Kirgistans gelegen. In ihrer sechs-teiligen Serie gibt Nadine einen sehr persönlichen Einblick in die Kultur und Geschichte des kleinen Dorfes und lässt uns hautnah dabei sein.

eurohaus Dorf Kirgistan
Das Eurohaus

Nadine Boller, gebürtige Schweizerin, ist Dokumentarfilmerin mit einer Liebe für Kirgistan. Ihr letzter Film „Erkinai – die Halbnomadin“ wurde auf Kika, dem deutschen Kinderkanal, gesendet. Für ihre neuesten Recherchen verbrachte sie mit ihrer kirgisischen Freundin Mahabat ein paar Tage in deren Heimatdorf Ak-Talaa, im Zentrum Kirgistans gelegen. In ihrer sechs-teiligen Serie gibt Nadine einen sehr persönlichen Einblick in die Kultur und Geschichte des kleinen Dorfes und lässt uns hautnah dabei sein.

Teil 1: Mairamgül Eje, ihre Familie und die liebe Religion
Teil 2: Maraimbek, Gülzat und der Brautraub

Letzte Woche berichtete Nadine von den Dorfbewohnern Mairambek und Gülzat und wie ihre Ehe zu Stande kam – durch Brautraub. Aber Gülzat hat auch andere Geschichten zu berichten: Eine handelt davon, wie Geldprobleme das Sozialgefüge des Dorfes durcheinander bringen.

Gülzat ist die Leiterin des Kindergartens in Ak-Talaa, wo Mahabat auch eine Toilette hat bauen lassen und Betten gespendet hat. Sie lädt uns zu einem Besuch ein, die Lehrerinnen würden sich über einen Tschai mit uns freuen.

Kindergarten Dorf Kirgistan
Der Kindergarten in Ak-Talaa

Der Kindergarten ist wohl der bunteste Ort Ak-Talaas. Ich bin vor allem von der Kreativität beeindruckt, mit der die Zimmer eingerichtet worden sind. In dem sonst eher braunen und staubigen Dorf wirkt der Kindergarten wie eine Oase. Das ist das Ergebnis von viel Arbeit und Eigeninitiative, meinten die Lehrerinnen, denn die Korruption macht ihnen immer wieder einen Strich durch die Rechnung.

Ein Kindergarten ohne Geld

Ganz konkret läuft das so, erzählt die eine Lehrerin namens Aigül: Der Staat gibt jedem Kindergarten monatlich eine Summe Geld, mit der die Infrastruktur unterstützt werden soll. Aber bevor das Geld zu uns gelangt, ist es durch die Hände der Dorfregierung und des Bürgermeisters gegangen, wo natürlich jedes mal etwas hängen bleibt. Schlussendlich erhalten wir nur einen Bruchteil von dem, was uns eigentlich zusteht. Das ist ja schon problematisch, aber ernst wird es, wenn die staatliche Kontrolle bei uns vorbeischaut und wissen möchte, warum wir keinen Kühlschrank oder eine anständige Heizung haben. Jedes Mal drohen sie, den Kindergarten zu schließen. Damit dies nicht geschieht und wir unsere Arbeitsplätze nicht verlieren, verwenden wir unseren eigenen Lohn, um die Einrichtung aufzubessern. Es ist ein richtiges Paradox: Mit unserem jetzigen Lohn zahlen wir für unseren nächsten Lohn.“

Kindergarten Erzieherinnen Dorf Kirgistan
Die Erzieherinnen von Ak-Talaa

Momentan zählt der Kindergarten fünfzehn Kinder, was dem Staat auch zu wenig ist. Es müssten mindestens zwanzig oder fünfundzwanzig sein. Monatlich kostet der Kindergarten aber 400 kirgisische Som (etwa 5 Euro) pro Kind, was sich die Dorfbewohner auch nicht leisten können, da sie kein Einkommen haben und von der Landwirtschaft leben. Die Lehrerinnen sind also gezwungen, regelmäßig von Haus zu Haus zu pilgern und die Eltern zu überreden, ihre Sprösslinge mal für einen oder zwei Monate in den Kindergarten zu schicken, damit der Staat ihnen nicht in die Quere kommt.

Gülals Familienschicksal

Dass die Korruption sich so direkt auf die Kinder auswirkt, hat Mahabat und mich sehr schnell dazu verleitet, dem Bürgermeister einen Besuch abzustatten. Aber als wir das Schulgelände verlassen, fängt uns eine Frau namens Gülal ab. Erst begrüßt sie uns und dann fängt sie gleich damit an, Mahabat Vorwürfe zu machen, dass sie der Schule hilft, aber nicht ihrer Familie, die komplett in Armut ertrinkt. Mahabat kann sich nur schwer rechtfertigen und beschließt darauf, sich Gülals Haus anzuschauen.

Haus Dorf Kirgistan
Gülals Haus

Von außen sieht es erstmal kaum anders aus, als die umliegenden Häuser, aber im Inneren ziehen sich große Risse – oder eher Spalten, durch Wasserschäden entstanden – von der Decke bis zum Fußboden. Der Staat hat ihnen 250 000 kirgisische Som (etwa 3 500 Euro) versprochen, von denen nur ein Fünftel angekommen ist. Dazu kommt noch, das zwei ihrer Söhne behindert sind: Der eine hatte als Kind Meningitis und wurde fälschlicherweise am Rückenmark punktiert, der andere ist vom Pferd gefallen und wurde unsorgfältig am Kopf operiert. Beide sind nun geistig zurückgeblieben. „Die Regierung gibt uns monatlich 4.000 Som Pflegegeld und das ist alles.“ Das sind ungefähr 55 Euro.

Gülals Söhne
Gülals älterer Sohn

Beim ausführlichen Erläutern ihrer Situation fließen Tränen über Gülals Backen. „Wir sind die ärmste Familie des Dorfes“, klagt sie. Mahabat verspricht ihr, dass sie sich nach Spendemöglichkeiten in Deutschland und der Schweiz umsehen wird und verlässt betrübt das Grundstück der Famile.

Das Eurohaus

Nun geht es weiter zum Bürgermeister, um zu sehen, wie viel Geld vom Staat tatsächlich bei ihm landet, wenn andere so wenig abkriegen. Im Dorf spricht sich nämlich herum, dass er in einem Euro-Haus wohnt. Wir mussten erstmal nachfragen, was genau ein Euro-Haus ist: ein Haus, welches nicht einfach so planlos gebaut wurde – wie fast alle Gebäude in Ak-Talaa –, sondern zuerst architektonisch entworfen wurde. Man munkelt, dass es sogar drinnen fließendes Wasser gibt und eine Kanalisation darunter. Wir mussten schon ein bisschen die Stirn runzeln, da es in ganz Ak-Talaa keine einzige Wasserleitung gibt.

Als wir uns dem Euro-Haus nähern, hören wir plötzlich jemanden „Mahabat! Komm zum Tschai!“ rufen. Ein Bauer in schmutziger Jogginghose mit einer Kuh hat Mahabat wohl von weitem erkannt. Erst als wir schon einige Minuten mit ihm im Gespräch sind, verstehe ich, dass das der Bürgermeister persönlich ist.

Auf dem ersten Blick sieht das Euro-Haus wie jedes andere kirgisische Haus aus: grünes Metalldach, braune Wände, unschön eingebaute Fenster. Es scheint aber größer und besser isoliert zu sein. Zwanzig Meter vor dem Eingang steht ein Plumpsklo, was schon den Verdacht erweckt, dass es drinnen wohl doch keine Toilette mit Spülung und Abfluss gibt.

Im Euro-Haus
Im Euro-Haus

Auf der anderen Seite der Türschwelle bietet sich eine Welt, die nicht nur sehr im Kontrast mit Gülals rissiger Bude steht, sondern auch mit seinen bäuerlichen Bewohnern: dem Bürgermeister und seine Frau. Die Einrichtung gleicht schon eher einer teuren Behausung in der Hauptstadt und dass es tatsächlich keinen Wasseranschluss gibt, fällt erstmal gar nicht auf. Erst als die Frau des Bürgermeisters den Wasserkocher mit einem Eimer füllt und ich vor die Haustür geschickt werde, wenn die Natur ruft, wird klar, dass die Gerüchte eben nur Gerüchte sind. Dennoch ist es unabstreitbar augenfällig, dass der Bürgermeister um einiges reicher ist, als alle anderen Menschen in Ak-Talaa.

Ein kleines Dorf verliert seine Bewohner

Beim Tschai verhalten wir uns aber diskret und bereden nur belanglose Themen, denn über die Korruption möchten wir mit ihm vor der großen Kamera diskutieren. Danach wird er uns womöglich nie mehr zum Tschai einladen wollen. Dafür hat er uns vom Problem der Migration erzählt. In Ak-Talaa wohnen 545 Menschen, aber jedes Jahr ziehen wegen der prekären finanziellen Lage mehr Leute weg, als geboren werden. Die Hauptstadt Bischkek und Russland sind die beliebtesten Orte, um Arbeit zu finden. Selten ziehen ganze Familien weg. Meistens sind es Söhne und manchmal Töchter, die zum Geldverdienen in die Städte geschickt werden, aber dann auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht mehr nach Ak-Talaa zurückkommen. So verkleinert sich die Einwohnerzahl jährlich.

Mahabat hat das mit ihrer eigenen Familie erlebt, als ihr Vater in die Hauptstadt gezogen ist und sie dann etliche Jahre später auch dorthin geholt hat. Das Haus, wo sie aufgewachsen ist, steht schon seit längerer Zeit leer und ist nun dem Zerfall überlassen.

Wie geht es weiter in Mahabats Haus? Nächsten Freitag erfahrt ihr mehr bei „Eine Tour durch Ak-Talaa: Die Lebensrealität im Dorf (4/6)“

Nadine Boller
Gastautorin und Dokumentarfilmerin, aktuell mit dem Film „Erkinai – Die Halbnomadin“

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