Während die ganze Welt am Ausbau „sauberer“ Energien arbeitet, scheint Zentralasien diesen Trend zu verschlafen. Zwar werden Schritte zur Entwicklung grüner Energie unternommen, allerdings nicht in dem Maßstab, dass sie Einfluss auf den Energiemarkt der Region haben.
Warum ein Rückstand in dieser Sphäre schädlich für die Energieabhängigkeit der zentralasiatischen Republiken ist, welche weltweite Tendenzen und die Probleme es gibt, mit denen die Länder bei der Erschließung neuer Energien zu kämpfen haben, erklärt im Interview mit dem Nachrichtenportal Kaktakto der Geschäftsmann und Ökonom Almas Tschukin. Wir übersetzen den Artikel mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Eine zentrale Frage ist die nach Investitionen und in diesem Fall sind Investitionen von Bedeutung, da Energie als solche nicht günstig ist. Natürlich muss man immer investieren um einen Nutzen zu erzielen. Die heutige Elektrizität wurde auch nicht an einem Tag geschaffen. Alles begann mit dem Plan zur Elektrifizierung Russlands in den Jahren nach der Oktoberrevolution von 1917. Im ganzen Land wurden Kraftwerke und Stauseen errichtet, Eisenbahnen gebaut, um sie mit Kohle zu versorgen. Und alle atmeten ein, was aus den Schornsteinen kam.
Ende der 70er, Anfang der 80er erschienen in Europa die ersten Windräder und etwas später Solarzellen. Am Anfang war das total exotisch und unfassbar teuer, aber seitdem ist die Produktion gestiegen und die Preise sind gefallen. Und heute sind wir an dem Punkt angelangt, an dem es vorteilhafter ist, Windkrafträder anstelle von Kohlekraftwerken zu bauen. Alles in allem ist die neue Energie im weltweiten Mittel effektiver und günstiger als die traditionelle. Bei neuen Projekten lagen die Preise für die Produzenten im letzten Jahr bei acht Cent für Sonnen- beziehungsweise sechs Cent für Windenergie. Der Preis für die Verbraucher lag zwischen acht Cent in Indien und 33 Cent in Deutschland.
Nebenbei lassen wir zukünftigen Generationen alle Ressourcen, vergiften nicht die Umwelt, schütten die Erde nicht mit Asche und anderen industriellen Abfällen zu. Aber das ist gar nicht das wichtigste, das wichtigste ist das Entstehen einer neuen Basis für die Energie der Zukunft.
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Man muss Abnehmer finden
Das zweite Problem, mit dem sich viele Länder derzeit beschäftigen, ist das des Absatzes. Energie gibt es übrigens in der Welt genug und es werden keine neuen Kapazitäten geschaffen – die neue Energie ersetzt die alte. Auf Kohle baut heute niemand in den entwickelten Ländern, nicht einmal in China. Dort werden immer mehr Kohlekraftwerke geschlossen.
Das Problem des Absatzes ist besonders aktuell für Länder wie Kirgistan und Kasachstan. Wir erzeugen zwar unsere Energie, aber wohin soll die weitere Entwicklung gehen? In Kasachstan gibt es jede Menge Stellen, an denen man Windräder errichten und soviel Elektroenergie herstellen könnte, wie man möchte. Aber die Nachfrage ist momentan gedeckt und wenn man die Produktion erhöht, ist nicht klar, wer als Verbraucher infrage kommt. Das heißt, man muss exportieren. Und das gestaltet sich recht schwierig, da man von Russland und China umgeben ist, die ebenfalls über keinen Mangel als Elektroenergie verfügen.
All das führt dazu, dass man auf das Problem der Energiesicherheit aus einer ganz anderen Perspektive schauen muss. Früher dachte man so: Energiesicherheit ist, wenn die Lichter brennen. Heutzutage muss man verstehen, dass das eine vergangene Etappe ist und die neue Ära der Energiewirtschaft bedeutet: Die Lichter brennen, aber bei wem brennen sie billiger? Es ist wie mit den Äpfeln. Unsere haben wir verloren und essen nur noch welche aus China. Was muss man tun, damit wir nicht in 10-15-20 Jahren unsere Energiewirtschaft verloren haben werden? Energie ist doch die Basis aller Warenpreise und das Land, das über die günstigste Energie verfügt, wird auch in allem anderen günstiger sein. Deswegen muss man schon jetzt diese Probleme lösen und die richtige Richtung einschlagen.
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Globale Netzwerke…
In der Sowjetunion meinten wir alle, dass wir in einem Land leben und waren stolz auf das einheitliche Energiesystem. Danach haben wir es in 15 Stücke aufgeteilt und jeder war stolz auf sein nationales Energiesystem. Aber das ist Unsinn. Zu Sowjetzeiten wurde in Zentralasien ein Energiering aufgebaut, der Kasachstan, Kirgistan, Usbekistan und Tadschikistan miteinander verband. Und das war eine bemerkenswerte Sache, denn für die Energiewirtschaft gibt es nichts Besseres. Wenn irgendwo irgendwas kaputt geht, funktioniert ein anderer Teil des Ringes.
In den 90ern fiel dieses System auseinander: Tadschikistan wurde vollständig abgekoppelt, die anderen Länder erhielten es mehr schlecht als recht. Kirgistan baute im Innern den Ring „Kemin – Datka“, auf den es sehr stolz ist, obwohl es sich aus ökonomischer Sicht um eine sehr umstrittene Entscheidung handelt, da es günstiger wäre, das zu verbessern, was bereits da ist. Aber darum geht es nicht. Vielmehr geht es darum, dass ein nationales Energienetz Blödsinn ist. Die Zukunft liegt in der Vereinigung und die ist sehr effektiv in der Energiewirtschaft.
Um dorthin zu kommen, braucht man verschiedenerlei Vereinbarungen zwischen den Ländern. Wir befinden uns jetzt am Übergang zu einer neuen Welt, in der es keine abgeriegelten nationalen Netze mehr gibt, in der die Menschen nicht mehr in ihren abgeriegelten „Energie-Häuschen“ leben, sondern in einer globalen Welt. Das beste Beispiel ist Europa. Dort wurde ein bemerkenswertes Projekt gestartet – man verbindet Frankreich und Spanien mit einem Kabel. In Spanien gibt es eine hohe Zahl an Windrädern und in Frankreich an Atomkraftwerken. Sie ergänzen sich gegenseitig.
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… und lokale
Es gibt die Smart Grid-Technologie, was soviel wie „kluges Netz“ bedeutet. Man kann an Beispielen verdeutlichen, wie sie funktioniert. In Deutschland befinden sich auf jedem zweiten Haus Solarzellen. Zwischen 11 und 14 Uhr ist die höchste Auslastung, allerdings wird der Strom nicht gebraucht, da die Menschen auf der Arbeit sind. Dafür brauchen sie ihn abends. Die Lösung ist, dass der Strom in zwei Richtungen fließt. Dank einer entsprechenden Gesetzgebung und moderner Zähler sind selbst die kleinsten Privathäuser Teil des Systems zur Stromherstellung. Sie stellen mittags Strom her und speisen ihn ins Netz und abends beziehen sie Strom aus ebendiesem Netz. Der Verbraucher wird zum Hersteller und umgekehrt.
Jetzt beginnt das Zeitalter der Elektromobilität, das man sich wie eine Ansammlung riesiger Batterien vorstellen muss. Die Elektroautos können nachts den überschüssigen Strom tanken, und wenn man morgens auf der Arbeit angekommen ist, kann man das Auto an die Steckdose anschließen und Energie abgeben. So können all diese Autos zu Teilnehmern des Netzes werden.
In Europa kostet der Strom zu verschiedenen Tageszeiten verschieden viel. Während er abends um sieben Gold wert ist, kostet er in der zweiten Nachthälfte fast gar nichts, da es eine Überproduktion gibt. Bei uns wollen die Hausfrauen nicht einmal die Bedienungsanleitung für die Waschmaschine genau lesen. Dabei könnte man herausfinden, dass diese Maschinen Zeitschaltuhren haben, die man so einstellen kann, dass die Maschine sich selbst zu einer bestimmten Zeit einschaltet. Wenn es diese unterschiedlichen Preise bei uns auch geben würde, dass würden die Leute merken, dass man die Waschmaschine um sieben Uhr abends einschalten und 20 Som pro Kilowatt bezahlen kann oder aber um zwei Uhr nachts für 2 Som pro Kilowatt.
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Übrigens, was die traditionellen Atom- oder Kohlekraftwerke betrifft, so sind sie äußerst unflexibel. Sie können nicht schnell die Kapazitäten hochfahren und dann wieder senken. Damit für den Peak genug Energie da ist, muss man entweder dazukaufen oder die Kraftwerke am Limit laufen lassen. Am effektivsten Arbeiten die Kraftwerke aber bei einer Kapazität von 70 bis 80 Prozent und daher wäre es für die vorteilhaft mit „klugen Netzen“ zu verbunden zu sein.
Wir haben eingeschränkte Auswahlmöglichkeiten
Zu guter letzt können wir nur das verwenden, was uns Gott gegeben hat. In Kirgistan haben wir wenig Wind und kaum Plätze, die für Solarzellen geeignet sind. Deswegen spielen Wind- und Solarenergie kaum eine Rolle spielen. Die neue Energieressource Kirgistans ist die Wasserkraft. In Kasachstan gibt es grenzenlose Steppe, in der man Windräder aufstellen kann. Und in Usbekistan ist es vor allem die Solarenergie, die man in den riesigen Wüsten mit ihren 300 Sonnentagen im Jahr ausbauen kann.
Mit Tschukin sprach Marina Skolyschewa, Kaktakto.com
Aus dem Russischen von Robin Roth
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