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Zwischen Astana und Almaty – der Ruinen-Highway

Die kasachischen Steppen sind voll von sowjetischen Ruinen, die häufig verwahrlost sind und nicht selten auch aufgrund des in ihnen verbauten Metalls geplündert wurden.

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Ruine Kasachstan
Das Gebiet Saryschagans war während der Sowjetunion dem Militär vorbehalten

Die kasachischen Steppen sind voll von sowjetischen Ruinen, die häufig verwahrlost sind und nicht selten auch aufgrund des in ihnen verbauten Metalls geplündert wurden.

Bei Kasachstan denken Reisende an unendlicher Steppen, Nomadentum und Borat. Doch was denen, die das Land durchqueren, in die neugierigen Blicke fällt, sind vor allem die verlassenen Industriegebäude aus Sowjetzeiten. Hier und da auftauchend wie Illusionen lassen sich hunderte leerstehende Fabriken – kahlen Skeletten gleich – entdecken. Nichts erinnert besser an den Fall der UdSSR, als diese kalten, heruntergekommenen Gebäude.

Der Journalist und geopolitische Forscher Lukas Aubin und der Fotograph Alexis Lemétais haben sich zu einem Roadtrip ins Herz des sowjetisch-industriellen Kasachstans aufgemacht.
Eine Reportage:

Fabrikhalle Ruine
Karaganda beherbergte eine Vielzahl an Industrieanlagen

Erste Entdeckung der Überbleibsel ein paar Stunden nach der Abfahrt aus Astana: dieses Gerüst einer ausgebrannten Fabrik. Unter dem Sowjetimperium war die Region Karaganda auf Bergbautätigkeiten, vor allem auf die Gewinnung von Kohle, konzentriert. Sehr viele Industrieanlagen, die verschiedene Tätigkeiten (Bergbau, Stahlindustrie) zusammenfassten, entstanden, um der wachsenden Nachfrage nach Metallen der Union gerecht zu werden. Nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Ausbleiben großer Projekte wurde ein Großteil dieser Fabriken dem Verfall überlassen.

Turm Schornstein
: Die verlassenen Türme Karagandas sind markante Punkte in der Landschaft

Beim Verlassen Karagandas wird dem Ruinen-Liebhaber ein Adrenalinstoß geboten. Während die Steppen nach und nach die Täler ersetzen, fungieren die verlassenen Türme als Steinhügel. Rechts ein ehemaliger Bauernhof, links eine pleite gegangene Fabrik, weiter entfernt ein stillgelegtes Umspannwerk. Das Ende des Winters enthüllt mit der Schneeschmelze ein verwüstetes Gebiet. Der Schutt liegt verstreut auf dem Boden um die Gebäude herum, Tierkadaver locken Aasfresser an. Fliegen, Ameisen und Krähen streiten sich um die Beute. Oben vom Turm aus zeigt sich eine traurige Landschaft.

Züge Lokomotiven Sowjet Kasachstan
Alte sowjetische Züge in Balqasch

600 Kilometer südlich von Astana erweckt Balqasch am Ufer des Balchaschsees die Aufmerksamkeit des Reisenden. Seit ihrer Gründung 1937 hat die Stadt nicht aufgehört, sich entlang des Bergbaubetriebs und der Kupferverhüttung zu entwickeln. Nach dem Zerfall der UdSSR ist ein großer Teil der Russen nach Russland emigriert und viele lokale Industrien wurden geschlossen. Hier sind die ehemalige Eisenbahnstation, ihre farbigen Züge und die vom Rost zerfressenen Schienen zu sehen. Zeitweise geschützt von wenig aufmerksamen Wächtern überqueren die Bewohner diese, um Besorgungen zu erledigen oder zu arbeiten. Niemand hält sie auf.

Ruine Kasachstan
Das Gebiet Saryschagans war während der Sowjetunion dem Militär vorbehalten

Saryschagan ist ein russisches Testgebiet für Raketenabwehrsysteme, am Westufer des Balchaschsees gelegen. Es offenbart dem Besucher sein Schicksal befremdlicher Landschaften. Zwischen Sümpfen und zerrissenen Tiefebenen tauchen bunt durcheinander verfallende Militärkomplexe und skelettartige, zerstörte Gebäude auf.

Ruine Kasachstan
Von diesem Gebäude ist nicht mehr viel übrig

Von manchen Gebäuden ist nicht mehr als deren Betonstruktur geblieben. Dieses hier, auf seinen 10 betonierten Beinen stehend, erinnert an manche Kreaturen aus Science Fiction-Werken. Bewegungslos scheint es zu stehen, erstarrt von der Zeit, obwohl außen rum ein steiniges Chaos die Szenerie prägt, in dem sich Spalten, Staub und Schutt vermischen.

Notunterkunft Kasachstan
Eine bewohnbare Walze

Einzigartiger Fund am Ufer des Balchaschsees. Ein Hauch von noch immer pulsierendem Leben in diesem verlassenen Dorf: Tanks und Container wurden in Notunterkünfte umgebaut; auf einer überfüllten und zur Hälfte versunkenen Terrasse findet man einen Topf mit frischem Gulasch vom Vortag. „Gestern noch war ein Dutzend Fischer hier!“, erzählt ein junger Mann, „doch die Saison hier ist vorbei, wir kommen nächstes Jahr wieder.“

Getreidesilo Kasachstan
Es ist nicht mehr viel von Priosersk übrig

Einst war Priosersk eine geschlossene Stadt, doch seit 2005 ist es möglich, sie ohne Erlaubnis zu betreten. Russland ist hier überall zugegen: man findet russische Flaggen an Lenin-Statuen neben Sowjetsymbolen. Russland hat nach dem Zerfall der UdSSR einen Mietvertrag über 50 Jahre unterzeichnet, um die Stadt weiterhin für militärische Zwecke nutzen zu können. Heute ist ein ganzer Teil der Stadt verlassen; ein Glücksfall für Jäger von Überbleibseln!

Ruine Turnhalle Kasachstan
In Priosersk existieren noch alte Turnstangen

Ein paar Übungen! In der verlassenen Stadt Priosersk, Ort des Militärübungsplatzes von Saryschagan, wurde einer Sporthalle all seiner Turngeräte beraubt. Lediglich Barren und Übungsmatten sind geblieben. Im Grunde ine Enklave, die Duschen und Umkleidekabinen beherbergen musste. Anderswo in der Geisterstadt kümmern sich die Plünderer darum, die Bauwerke von allem zu befreien, was Metall enthält. Der gesammelte Schrott wird später an asiatische Käufer für einen Spottpreis weiterverkauft.

Hangar Kasachstan
Eine alte Flugzeughalle

In Priosersk offenbart die verlassene Stadt immer noch nach und nach seine Geheimnisse. Zwischen Getreidesilos, Häusern und anderen Lagerhallen ändert sich die Stimmung ständig. Hier ist eine Flugzeughalle zu sehen, deren genauer Verwendungszweck unbekannt bleibt. Von unten nach oben taucht das Kathedralenlicht den Boden in ein mattes Blau während die Decke praktisch senfgelb wirkt – surreal.

Radar Abhörstation Kasachstan
Alte Gebäude um den Balchaschsee herum

In der Umgebung des Balchachssees, dem drittgrößte See Asiens, mehren sich die Ruinen. Der Großteil sind ehemalige geschützte Militärbasen. Nicht selten wird man von Soldaten der russischen Armee aufgefordert zu gehen. Auch 25 Jahre nach der Unabhängigkeit Kasachstans sind sie noch dort stationiert. Die einzige Möglichkeit, einen Überblick zu bekommen, ist manchmal, Distanz zu wahren.

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Hier ist die Radarstation Balkhach-9 nahe dem Dorf Gulschat während des Sonnenuntergangs zu sehen. Zu Zeiten der UdSSR diente sie als Prävention gegen den Abschuss von Raketen oder zum erspähen westlicher, chinesischer, indischer und auch pakistanischer Satelliten.

Kasachstan Ruinen
Ruinen nahe der kirgisischen Grenze

Nach zweieinhalb Stunden Strecke von Almaty taucht die Grenze zu Kirgistan auf. Auf der anderen Seite weicht die Steppe den Bergen, doch die Ruinen sind nach wie vor präsent. Diese alte, an einer Eisenbahn liegende Kohlemiene ist nicht mehr aktiv. Lediglich ein paar Sammler stören die Ruhe des Ortes beim Sammeln von Eisenschrott und weggeworfenen Gegenständen.

Mine Kasachstan
Eine alte Mine

Nicht weit von der kasachischen Grenze ist eine Bergbaustätte zu sehen. In die kleinsten Zwischenräume eindringend, holt sich die Pflanzenwelt ihre Plätze auf dem ehemaligen Gelände zurück, das einst für industriellen Fortschritt stand. Im Inneren des Wachturms sind die Treppen von einer Rostschicht und ätzendem Vogelkot bedeckt, was den Aufstieg gefährlich macht.

Hafenkran Hafen Kirgistan
Der alte Hafen Balyktschys in Kirgistan

Von Bischkek aus, der Hauptstadt Kirgistans, schlängelt sich die zum Issykköl führende Straße entlang eines Flusses sowie einer von verschneiten Gipfeln umgebene Hochebene. An deren Ende bildet ein Tal den Zugang zu einem riesigen Kohlerevier, wo die Hafenstadt Balyktschy errichtet wurde. Der staubige Wind taucht die Stadt in eine erdrückende Stimmung. Vom alten Hafen aus kann man die Überbleibsel einer Verladeplattform sowie mehrere im Wasser dümpelnde Schiffe erblicken.

Lukas Aubin und Alexis Lemétais

Aus dem Französischen von Agnes Lüdicke

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