Startseite      Traurige Bilder aus Kasachstan

Traurige Bilder aus Kasachstan

Mit seinem ersten Film “Harmony Lessons” wurde Emir Baigazin international gefeiert. Zuhause in Kasachstan polarisierte er damit. Auf der Berlinale feierte sein zweiter Film “Wounded Engel” Weltpremiere.

dominikv 

Schlagwörter

Wounded Angel
Wounded Angel

Mit seinem ersten Film “Harmony Lessons” wurde Emir Baigazin international gefeiert. Zuhause in Kasachstan polarisierte er damit. Auf der Berlinale feierte sein zweiter Film “Wounded Engel” Weltpremiere.

Emir Baigazin ist mit dem neuen Film “Wounded Angel” seinem hauptsächlichen Motiv treu geblieben: Auch sein zweiter Film blickt in die Seele pubertierender Jungs, denen eine vorbildliche Vaterfigur fehlt, ohne dabei die Zuschauer mit Filmmusik emotional zu verirren: Es handelt sich um einen Episodenfilm, der  vier kasachische Jungs portraitiert, die in einem kleinen Aul in der öden Steppe Kasachstans leben.

Im kasachischen Aul der 1990er Jahre

Auch sein zweites Werk ist weit entfernt davon, patriotisch, glänzende Bilder aus Kasachstan und über seine Menschen zu zeigen. Produziert wurde es mit Unterstützung der kasachischen Produktionsfirma Kazakhfilm, der deutschen Produktionsfirma Augenschein und ARTE. Anstatt glänzender, moderner Fassaden der Hauptstadt Astana oder der südlichen Metropole Almaty, zeigt Baigazin das kasachische Landleben der 1990er Jahre. Schon sein erster Film, „Harmony-Lessons“ offenbarte die Machtstrukturen und die Gewalt unter Schülern.

Im vergangenen Jahr wurde der mit dem silbernen Bären ausgezeichnete Film vom Kulturminister der Republik Kasachstan, Arystanbek Muchmeduly, zu einer Schande für Kasachstan erklärt, weil er die negative Seite Kasachstans betone. Nach Meinung des Kulturministers sollten kasachische Filme nicht das Negative der Gesellschaft offenbaren, sondern das Positive hervorheben. Emir Baigazins, preisgekrönter Debüt-Film „Harmony Lessons“ wurde daraufhin nicht mehr in den kasachischen Kinos gezeigt.

Sein neuer Film „Wounded Angel“ zeichnet wieder ein trauriges Bild von Kasachstan.Wie in anderen postsowjetischen Ländern auch, waren viele Menschen in Kasachstan konfrontiert mit Arbeitslosigkeit, Armut und fehlender Perspektive. Die sowjetische Infrastruktur war zusammengebrochen. Dieses Problem greift der Film auf. Zu Beginn liest der Zuschauer, dass die Handlung in den 1990er Jahren spielt und dass der kasachische Staat abends die Stromversorgung abstellt, um Geld zu sparen.

Verwundete Engel

Die erste Episode trägt den Titel „Schicksal“ und erzählt von Zharas, dessen Vater im Gefängnis gesessen hatte. Zharas soll nicht kriminell werden. Sein Vater träumt davon, dass er Polizist oder Sicherheitsmann wird. Seine Mutter verkauft Piroggen im Zug. Sie verdient das Geld der Familie. Doch Zharas hat keinen Respekt vor seinem Vater. Er verschwindet in die Weiten der Steppe, um zu rauchen oder zu klauen. Zuhause sitzt er in den spartanisch ein gerichtetem Zimmer, in dem ein alter Fernseher nur Deko ist und spielt mit seinem Zauberwürfel. Wenn er Schulaufgaben machen muss, braucht er eine Kerze, weil es dunkel ist.

Dieses Bild des Jungen, der bei Kerzenschein hinter seinem Schreibtisch sitzt, wiederholt Baigazin auch in seiner letzten Episode „Sünde“. Hier geht es um Aslan. Er soll Medizin studieren. Er ist dem Druck aber nicht gewachsen und muss Nachhilfeunterricht in Biologie nehmen. Seine Freundin Rosa ist schwanger. An ihr führt er seine einzige und letzte Operation durch und tötet seine Zukunft als Vater. Damit kann er nicht umgehen und erkrankt an einer Psychose.


Balapan wächst ohne Vater auf. Er ist Sänger. Die Episode „Fall“ handelt davon, wie er plötzlich seine Stimme verliert. Im Trachten-Kostüm steht Balapan vor dem Spiegel und versucht zu singen. Doch es klappt nicht. Seine Stimme ist ruiniert. Verärgert tötet er den Hahn vor dem Haus. Der soll auch nicht mehr krähen dürfen. Er schließt sich der Straßengang an, verprügelt Altersgenossen, erpresst sie um ihr Geld.

Die Episode „Gier“ zeigt den Einzelgänger und Eisensammler Zhaba. Er hat ebenfalls keinen Vater und wäscht sich selten. Er sammelt in einer verlassenen Industrieanalage Kupfer, das er zu Geld macht. An seinem Geburtstag trifft er Straßenkinder, die im Heim groß geworden sind, Klebstoff schnüffeln und im Keller der verlassenen Fabrikanalage leben. Einer von ihnen hat eine Behinderung. Er lädt sie zu sich nach Hause ein. Dort wartet seine Mutter mit einem Geburtstagskuchen. Doch als er ihre Silbervorräte sieht, nimmt er sie an sich, legt Feuer, sperrt die Straßenkinder ein, die seine Freunde sein können und verschwindet mit seiner Beute.

Bagazins Blick aufs Vaterland

Im Film “Wounded Angel” hat Emir Baigazin seine gesellschaftskritischen Botschaften geschickt in die Potraits der Jungen verpackt, die alle auf ihre Weise Probleme mit ihren Vätern haben. Der Vater ist das Symbol für Autorität. Diese Autorität scheint mit dem untergegangenen sowjetischen System verloren gegangen zu sein.

Die sandige, trockene Steppe, einfache Lehmhäuser und heruntergekommene Industrieanlagen stellen nicht nur Baigazins patriotische Kulisse dar, sondern funktionieren auch als symbolische Einblicke in die Seelen der porträtierten Jungen. Kasachstans Nachwuchs scheint vergiftet zu sein von Gier, Gewalt und Egoismus. Baigazin gelingt somit eine komplexe filmische Interpretation des traurigen Gemäldes vom Verwundeten Engel des finnischen Malers Hugo Simberg.

Dominik Vorhölter
Landesdirektor der Redaktion für Kasachstan

Kommentare

Your comment will be revised by the site if needed.