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Proteste in Kasachstan: Über 80 Festnahmen in Almaty und Nur-Sultan

In Kasachstan rumort es. Nachdem mehrere AktivistInnen für das Aufhängen von Bannern festgenommen wurden, auf denen sie faire Wahlen forderten oder auch nur aus der Verfassung zitierten, fanden auch am 1. Mai in Nur-Sultan und Almaty Protestkundgebungen für freie Wahlen statt. Diese waren nicht genehmigt und zogen weitere Festnahmen nach sich.

Festnahmen in Nur-Sultan
In Nur-Sultan und Almaty wurden am 1. Mai 2019 mindestens 80 Protestiernede festgenommen.

In Kasachstan rumort es. Nachdem mehrere AktivistInnen für das Aufhängen von Bannern festgenommen wurden, auf denen sie faire Wahlen forderten oder auch nur aus der Verfassung zitierten, fanden auch am 1. Mai in Nur-Sultan und Almaty Protestkundgebungen für freie Wahlen statt. Diese waren nicht genehmigt und zogen weitere Festnahmen nach sich.

Eigentlich hatte die kasachstanische Staatsführung auf einen ruhigen Übergang gesetzt, als Ex-Präsident Nursultan Nasarbajew nach 30-jähriger Herrschaft am 19. März vom Präsidentenamt zurücktrat. Als Interimspräsident Kassym-Dschomart Tokajew dann am 9. April vorgezogene Neuwahlen ausrief um den Machtübergang zu legitimieren, versprach er zu garantieren, dass „die Wahlen ehrlich, offen und gerecht durchgeführt“ werden.

Dass diesen Worten Tokajews nicht durchweg Glauben geschenkt wird, zeigte sich am 1. Mai, der in  Kasachstan eigentlich als „Tag des Einheit des Volkes“ begangen wird. Bei Protestkundgebungen, die laut Innenministerium in Nur-Sultan, Almaty, Semey, Karagandy und Aktöbe stattfanden, riefen die Teilnehmenden zum Boykott der Wahl auf. Außerdem forderten sie die Freilassung von politischen Gefangenen und monierten, dass die Politik am Volk vorbei gemacht werde.

Forderungen nach Wahl-Boykott

In der Hauptstadt Nur-Sultan kamen laut Radio Azattyk mehrere Hundert Menschen auf dem Platz vor der Konzerthalle „Astana“ zusammen. Jergali Jegimberdy, Bürgermeister des zuständigen Stadtbezirks, kam hinzu um per Lautsprecher darauf hinzuweisen, dass die Kundgebung nicht genehmigt wurde. Die Protestierenden beriefen sich auf ihr Recht sich zu friedlichen Versammlungen zusammenzufinden. Kurze Zeit später setzte sich ein Protestmarsch in Bewegung und die hinzugezogene Polizei begann Teilnehmende festzunehmen, wobei sie von Schlagstöcken Gebrauch machte. Nur-Sultans Polizeipräsident Jerschan Sadenow befahl die Festgenommenen unter der Bedingung freizulassen, dass sich die Versammlung auflöse. Dem wurde Folge geleistet.

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In Almaty kamen etwa 300 Menschen im zentralen Gorki-Park zusammen. Sie skandierten „Boykott!“ und „Ich habe eine Wahl!“. Als sich ein Protestmarsch durch den Park in Bewegung setzte, versperrte die Polizei die Eingänge zum Park.

„Wir achten Nasarbajew, aber er soll Rücksicht auf das Volk nehmen“, zitiert Radio Azattyk einen Teilnehmer, der sich gegen die Umbenennung der Hauptstadt wendet. Am Tag nach Nasarbajews Rücktritt hatte Interimspräsident Tokajew vorgeschlagen, den Namen der Hauptstadt Astana in Nur-Sultan zu ändern. Der Vorschlag wurde binnen weniger Tage umgesetzt.

Hartes Durchgreifen der Polizei

Nach einigen Stunden gelang es dem Protestzug den Gorki-Park zu verlassen und sich in Richtung Stadtzentrum in Bewegung zu setzen. Am Eingang des Panfilow-Park schritt die Polizei mit aller Härte ein. Es kam zu etlichen brutalen Festnahmen.

In einer Pressemitteilung des Innenministeriums heißt es, dass es landesweit zu 80 Festnahmen kam. Das Ministerium betont, dass die Kundgebungen nicht genehmigt waren. „Den Teilnehmenden wurde die Möglichkeit gegeben, offen und frei ihre Meinung zu sozialen und anderen Problemen zu äußern. Dennoch verhielt sich […] ein Teil der Versammelten aggressiv und ließ zu, dass Losungen der verbotenen, extremistischen Organisation DBK (Demokratische Wahl Kasachstans, Anm. d. Red.) gerufen wurden“, behauptet das Innenministerium im weiteren Verlauf der Pressemitteilung.

Der englischsprachige Dienst von RFE/RL geht allerdings von mehr Verhafteten aus und beruft sich auf KorrespondentInnen, die allein aus Almaty mehr als 100 Festnahmen meldeten. Am 2. Mai wurden dann bereits erste Urteile in der Sache gefällt. Mehrere AktivistInnen erhielten fünf Tage Ordnungshaft, andere Geldstrafen.

Nicht die ersten Protestaktionen

Bei den Aktionen vom 1. Mai handelt es sich nicht um die ersten Proteste dieser Art. Während einer Protestaktion am 21. April wurde ein einfaches Banner am Rande des Almaty-Marathons zum Politikum. Auf dem Banner stand „Vor der Wahrheit kann man nicht weglaufen – Wir haben eine Wahl.“ Dieser öffentliche Aufruf zu fairen Wahlen brachte zwei seiner UrheberInnen 15 Tage Ordnungshaft ein. Drei weitere AktivistInnen wurden zudem mit Bußgeldern belegt, für deren Zahlung zu Spenden aufgerufen wurde. Innerhalb einer Stunde gingen ausreichend Spenden ein, um die Kosten zu decken.

Am 29. April wurde ein weiterer Aktivist festgenommen, nachdem er ein Banner mit der Aufschrift „Die einzige Quelle der staatlichen Gewalt ist das Volk“ an einer Brücke befestigt hatte. Bei dem Text handelt es sich schlicht und einfach um ein Zitat auf der Verfassung der Republik Kasachstan. Dennoch lautete das Urteil fünf Tage Ordnungshaft wegen Hooliganismus.

Tiefliegende Gründe

Der Politologe Danijar Aschimbajew sieht die Gründe für die Unzufriedenheit im Land tiefer liegen. In einem Kommentar, den das Nachrichtenportal Informburo.kz veröffentlichte, nennt er neben der Korruption auch Fehler in der Sozialpolitik als Gründe für die Unzufriedenheit.

„An erster Stelle sind da die sozialen Probleme: Preise, Tarife, soziale Absicherung und viel, viel mehr. Hier hat die Politik natürlich ihre Arbeit unzureichend erledigt: Fast zwei Jahre lang hat sich niemand um Sozialpolitik gekümmert. Erst seit kurzem wurde sich diesem Feld verstärkt zugewandt und die Reise, die die Vize-Premierministerin Gulschara Abdikalikowa mit einigen Ministern durch die Regionen unternahm, zeigte schon bestimmt Effekte. Es entwickelte sich ein Verständnis für die Probleme und die gemachten Fehler und es wurden konkrete Maßnahmen zur Lösung von immerhin einem Teil der Probleme eingeleitet“, meint Aschimbajew.

Nun liegt es also an Tokajew und seiner Mannschaft den Ausgleich zu suchen.

Die Redaktion

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