Vor ein paar Wochen hat Kasachstan die Visumspflicht für zehn seiner größten Handels- und Investitionspartner abgeschafft. Zu diesen Ländern gehört auch Malaysia, das darüber hinaus auch als Modell für die Wirtschaftliche Entwicklung Kasachstans dienen kann. Hier wenden wir uns den Berührungspunkten in den bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu.
1996 reiste Präsident Nursultan Nasarbajew zum ersten Mal nach Malaysia. Im Gegenzug kam Malaysias Premierminister Najib Razak im Mai dieses Jahres schon zum zweiten Mal seit 2011 nach Kasachstan. Während seines dreitägigen offiziellen Besuches war er auch Redner auf dem siebten Astana Economic Forum. Malaysia gehört zu den zehn Staaten, deren Bürger bald ohne Visum nach Kasachstan einreisen können. Es sind die Gemeinsamkeiten in Bezug auf Rohstoffreichtum, die multiethnisch und multikonfessionellen Gesellschaften in beiden Ländern sowie ihre Erfahrungen unter Kolonialherrschaft, die Malaysia und Kasachstan verbinden.
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Zwei wirtschaftliche Erfolgsgeschichten
Als Malaysia 1957 die Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht erlangte, war es eines der ärmsten Länder der Welt. Seitdem hat es sich rasant hin zu einem obere Mittelklasse Land entwickelt und strebt mit der Vision 2020 den Status einer Industrienation in Südostasien an. Ebenso gilt Kasachstan seit der Unabhängigkeitserklärung vom 16. Dezember 1991 als erfolgreichster Wachstumsmotor in Zentralasien. Mit der Strategie 2050 möchte Präsident Nasarbajew seinerseits Kasachstan in den Kreis der entwickelten Länder der Welt führen.
Interessanterweise lag Kasachstans pro Kropf Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1990 sogar über dem von Malaysia. Sehr schnell hat Malaysia Kasachstan jedoch in den folgenden Jahren überholt und die malaysische Kaufkraftparität (22 280 US Dollar) lag 2012 weiterhin über der von Kasachstan (21 882 US Dollar). Kasachstan hatte Anfang der 1990er vor allem mit dem Übergang von zentraler Planwirtschaft zur Marktwirtschaft zu kämpfen und erlitt mit der Russlandkrise 1998-99 einen weiteren Rückschlag. Steigende Ölpreise seit 2000 haben das auf Kasachstans Rohstoffvorräten basierende Wirtschaftswachstum wieder angekurbelt. Schätzungsweise besitzt Kasachstan Ölreserven für 65 Jahre; die Kohlereserven im Land reichen sogar 308 Jahre. Kasachstan ist außerdem weltweit größter Uranproduzent.
Eine starke Führung
Für Kasachstan ist es daher wichtig, seine Rohstoffabhängigkeit zu reduzieren, und hier kann Präsident Nasarbajew tatsächlich auf Malaysias erfolgreiche Diversifizierungsbemühungen schauen. Obwohl reich an Bodenschätzen wie Zinn, Kautschuk, Palmöl und Erdöl hat in Malaysia Anfang der 1990er Jahre eine rasante industrielle Entwicklung eingesetzt und damit ein Aufstieg in der Wertschöpfungskette weg von Rohstoffexporten und hin zur Herstellung von Halbleitern, elektrischen Produkten, IT- und Kommunikationsprodukten. Malaysia ist das einzige Land in Südostasien, das einheimisch designte Autos produziert. Der Staat hat diesen Entwicklungsprozess mit diversen Wirtschaftsplänen maßgeblich gesteuert. Präsident Nasarbajew bezieht sich deshalb gerne auf Malaysia, um zu demonstrieren, dass eine starke Führung und eine dominierende politische Partei (in Malaysia die United Malays National Organisation und in Kasachstan die Nur Otan Partei) der Schlüssel zu schneller wirtschaftlicher Entwicklung sei.
Das ostasiatische Wirtschaftswunder war für Zentralasien seit Ende der Sowjetunion von Interesse, da es ein wohl angemesseneres Entwicklungsmodell für die Region darstellte. Präsident Nursultan Nasarbajew hat immer wieder insbesondere Malaysias Rolle als Schlüsselpartner für Kasachstan betont. Im Gegenzug hat der frühere Premierminister von Malaysia Mahathir Mohamed Kasachstans einzigartige Erfahrungen in Bezug auf das Zusammenleben verschiedener Ethnien und Religionen im Land hervorgehoben. Damit unterstreicht er auch eine der Hauptlegitimationsquellen des kasachischen Präsidenten, der sich oft als Wahrer des interethnischen Friedens darstellt.
Multiethnische Gesellschaften
Tatsächlich bestehen die Bevölkerungen Kasachstans und Malaysias aus vielen verschiedenen Ethnien; ihre nationalen Politiken diesbezüglich sind jedoch verschieden. In den meisten Fällen wirkt sich ethnische Vielfalt negativ auf das Wirtschaftswachstum von Staaten mit geringem Nationaleinkommen aus, da viele verschiedene ethnische Minderheiten selten miteinander kooperieren und unterschiedliche Kollektivgütern verlangen. Daher ist es sicherlich außergewöhnlich, dass Malaysia im Gegensatz zu anderen ethnisch heterogenen Ländern hohe Wirtschaftswachstumsraten verzeichnet hat. Grund dafür ist die Neue Ökonomische Politik, die in Malaysia in Folge der ethnischen Unruhen im Mai 1969 als neue Wirtschaftspolitik eingeführt wurde. Vornehmliches Ziel war die Stärkung der malaiischen Volksgruppe (Bumiputra) gegenüber indischen und chinesischen Gruppen.
Die Bumiputra stellen mit einem Bevölkerungsanteil von 50,4 Prozent die dominierende ethnische Gruppe dar. Chinesen machen 23,7 Prozent der Bevölkerung aus und stellen generell die intellektuelle Elite im Land dar. Die neue Wirtschaftspolitik sah zum Beispiel vor, dass börsennotierte Unternehmen mindestens 30 Prozent Bumiputra einstellen. Bumiputra haben, selbst wenn sie schlechter qualifiziert sind, dank einem Quotensystem bessere Zugangschancen zu Universitäten. Außerdem gibt es zum Beispiel spezielle Staatsanleihen nur für Bumiputra.
Vergleichbare diskriminierende Maßnahmen gibt es in Kasachstan, zumindest offiziell, nicht. In Kasachstan leben über 50 verschiedene Nationalitäten. 1989 betrug der Anteil der Kasachen nur etwa 40 Prozent der Bevölkerung. Die erste und zweite Verfassung 1993 und 1995 bestätigten jeweils Kasachstan als den Nationalstaat der ethnischen Kasachen, während der Begriff „Kasachstaner“ alle anderen ethnischen Minderheiten miteinschließt. Dazu ist zu bemerken, dass zu Sowjetzeiten der Großteil der Eliten im Land ethnische Russen waren. Die Unabhängigkeit bedeutete aber auch ein Ende der sowjetischen Transferzahlungen und damit eine Verschärfung der Ungleichheit im Land.
Malaysia und das kasachische Bankwesen
Ein sehr konkretes Beispiel für die zunehmend enge Kooperation zwischen Malaysia und Kasachstan ist das islamische Bankwesen. Beide Länder sind in der Organisation für Islamische Zusammenarbeit vertreten, einer die islamische Welt repräsentierende zwischenstaatliche Organisation. Mit Malaysias Hilfe möchte Kasachstan ein Zentrum für Islamisches Bankwesen in Zentralasien werden, was es mit anderen islamischen Bankenzentren in den Golfstaaten oder in Südostasien vernetzen könnte. Das islamische Bankwesen basiert auf den ethischen Normen der Scharia. Im Gegensatz zum westlichen Bankwesen dürfen laut der Scharia keine Zinsen erhoben werden. Sämtliche Bankfinanzierungen müssen außerdem an Realvermögen gebunden sein. Während der globalen Finanzkrise von 2008 haben sich die islamischen Finanzprodukte als stabil erwiesen und daher an Popularität gewonnen.
70 Prozent der Bevölkerung Kasachstans sind praktizierende Muslime. Die zu 100 Prozent der Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate gehörende erste islamische Bank in Kasachstan wurde 2010 eröffnet, eine zweite ist schon in Planung. In Malaysia wurde die erste Bank nach islamischem Recht bereits 1983 eröffnet. 20 Prozent aller Bankguthaben in Malaysia werden nach den Regeln der Scharia geführt. Malaysias Premierminister Najib Razak zufolge hat Kasachstan das Potenzial sich in ein regionales Zentrum des Islamischen Bankwesens in Zentralasien zu verwandeln. Während des Besuchs des Malaysischen Premiers wurde deshalb entschieden eine Expertengruppe der malaysischen Bank „Negara“ nach Kasachstan zu schicken, um Kasachstan beim weiteren Ausbau des islamischen Bankwesens zu unterstützen.
Voneinander lernen, miteinander kooperieren
In der Vergangenheit hat Kasachstans Botschafter in Malaysia Beibut Atamkulov schon auf die mehr als 60 malaysischen Firmen verwiesen, die bereits in Kasachstan investieren. Unter anderem kooperiert Kasachstan mit Malaysia in der Produktion von Halal Lebensmitteln. Seit der erste malaysische Astronaut 2007 von Kasachstan aus zur Internationalen Raumstation aufgebrochen ist, überlegen beide Länder auch wie sie gemeinsam die Raumfahrtindustrie vorantreiben können. Bei ihrem letzten Treffen sind Malaysia Premierminister Najib Tun Razak und Präsident Nasarbajew auch übereingekommen, dass Malaysias staatlicher Mineralölkonzern Petronas Investitionsmöglichkeiten in Kasachstans Öl- und Gassektor erkunden soll.
Malaysia zeigt Ansätze auf wie tiefe ethnische Gespaltenheit und eine schwache allgemeine nationale Identität gehandhabt werden können, sodass sie kein Hindernis für wirtschaftliche Entwicklung darstellen. Dies ist ein wichtiger Aspekt für Kasachstan in Bezug auf das Zusammenleben verschiedener Ethnien. Gesetze, die das Sprechen von Kasachisch im Beruf, in der Schule und an der Uni zur Pflicht machen bedeuten nämliche teilweise eine Diskriminierung russischsprachiger Ethnien und sind damit der ethnischen Integration nicht förderlich.
Erfahrungen und Wissen aus Malaysia kann durch die Kooperationsabkommen im Bankwesen und im Bausektor nach Kasachstan hereingetragen werden. Aber auch kasachische Studenten, die sich vermehrt für ein Studium in Malaysia entscheiden (2013 studierten ca. 2000 kasachischen Studenten in Malaysia) können das, was sie während ihrer englischsprachigen Ausbildung in Südostasien erwerben, in die Heimat tragen.
Malaysia wird in Kasachstan gerne als Model erfolgreichen Wirtschaftens herangezogen, nicht zuletzt, um sich vom westlich-europäischen Entwicklungsmodell abzugrenzen. Doch darf nicht vergessen werden, dass auch in Malaysia nicht alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme behoben sind. US-Präsident Barack Obama lobte Malaysia letztes Jahr zwar als ein Land der Vielfalt und Toleranz, doch Korruption, regionale und soziale Ungleichheiten existieren nach wie vor.
Immerhin ist Malaysia nun schon seit fast 50 Jahren unabhängig, während Kasachstan die Unabhängigkeit erst vor 25 Jahren erlangte. Vielleicht sollte man deshalb weniger direkt die historische wirtschaftliche Entwicklung der beiden Länder vergleichen und sich dafür mehr auf die aussichtsreichen Kooperationsmöglichkeiten beider Länder konzentrieren. Im Mai bezeichnete Präsident Nasarbajew das aktuelle bilaterale Handelsvolumen von 130 Millionen Dollar als „sehr niedrig“ – obwohl es in 2013 um 14 Prozent gestiegen ist.
Für die Zukunft haben der kasachische Premierminister Karim Massimow und der malaysische Premierminister drei Absichtserklärungen für Business Projekte im Wert von 1,1 Milliarden Dollar unterzeichnet. Auch auf einer weniger wirtschaftlichen Ebene hat Kasachstans Unterstützung bei der Suche nach dem im März abgestürzten und seitdem vermissten Malaysia Airlines Flugzeug MH370 das Interesse an einer langfristigen Zusammenarbeit mit Malaysia gezeigt.
Julika Peschau und Madina Tleulina
Autorinnen für Novastan.org