Formal müssen die Präsidentschaftswahlen in Kasachstan als kompetitiv bezeichnet werden – sechs Personen bewerben sich um den höchsten Staatsposten des Landes. Informell ist aber offensichtlich, dass es keinen wirklichen Wettbewerb geben wird: Dem Amtsinhaber stehen wenig bekannte Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens ohne politische Erfahrung und Reputation gegenüber. Der folgende Artikel erschien am 22. Oktober bei Vlast. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Am 7. Oktober reichte der 69-jährige Qasym-Jomart Toqaev bei der Zentralen Wahlkommission Unterlagen für seine Präsidentschaftskandidatur ein. Er wurde von drei parlamentarischen Parteien gleichzeitig nominiert – der regierenden Amanat, der Volkspartei Kasachstans und Aq Jol – sowie von einer Gruppe öffentlicher Organisationen. Toqaev selbst sprach von einer Nominierung durch eine breite „Volkskoalition“, die an einem Tag gebildet wurde.
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Bereits am nächsten Tag stellte die Zentrale Wahlkommission fest, dass Toqaev die Anforderungen für Präsidentschaftskandidaten erfüllt, und er durfte mit dem Sammeln von Unterschriften zu seiner Unterstützung beginnen. Am 12. Oktober, fünf Tage nach dem Einreichen der Dokumente, wurde Toqaev ein Zertifikat eines Kandidaten für die Präsidentschaft Kasachstans ausgehändigt. Er sammelte Unterschriften von 389.809 Bürger:innen in allen Regionen des Landes.
Toqaev ist seit dreieinhalb Jahren Präsident Kasachstans. Er wurde im März 2019 nach dem Rücktritt seines Vorgängers Nursultan Nazarbaev amtierender Präsident. Und im Juni desselben Jahres wurde sein Sieg bei den Präsidentschaftswahlen verkündet, deren Fairness aber von internationalen und lokalen unabhängigen Beobachter:innen in Frage gestellt wurde.
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In den Jahren seiner Präsidentschaft baut Toqaev das Image eines Reformers auf, der politische, soziale und wirtschaftliche Veränderungen ankündigt, aber Kritik an seinem Vorgänger vermeidet. Gleichzeitig ist es allgemein anerkannt, dass die Macht erst nach den Januar-Ereignissen Anfang diesen Jahres endgültig in die Hände von Toqaev überging.
Nach den Januar-Ereignissen versprach Toqaev erneut Reformen und hielt im Juni ein Referendum über Verfassungsänderungen ab, die unter anderem die Schaffung des Verfassungsgerichts und eine Änderung der Wahlen zu Májilis und Regionalparlamenten beinhalteten. Im September, nur drei Monate nach dem Referendum, schlug Toqaev neue Verfassungsänderungen vor, darunter, dass der Präsident nur zu einer einmaligen Amtszeit von sieben (statt bisher fünf) Jahren gewählt werden soll.
Die registrierten Kandidat:innen
Über die verbleibenden fünf registrierten Kandidat:innen ist wenig bekannt. Vor Beginn des Wahlkampfs tauchten sie praktisch nicht in den Medien auf. Der stellvertretende Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission, Konstantin Petrov, sagte über den Abschluss des Registrierungsverfahrens, dass ein Beamter, ein Vertreter kommerzieller Strukturen und vier Vertreter:innen des Nichtregierungssektors, darunter ein Vertreter einer politischen Partei, an der Wahl teilnehmen werden. Am 7. September veröffentlichten staatliche Medien die Nachricht, dass ein Kandidat der Opposition bei den Präsidentschaftswahlen antreten würde.
Nurlan Áuesbaev, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei (OSDP) in der Hauptstadt Astana, wurde als „Oppositioneller“ bezeichnet. Auf seinem Wahlplakat heißt es: „Ich bin für die Bekämpfung der Korruption, für eine Wirtschaft ohne Oligarchen, kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung, die Bildung von Lebensqualitätsstandards, die Etablierung eines präsidial-parlamentarischen Regierungsmodells.“
Áuesbaev selbst ist dafür bekannt, dass er die Restaurierung eines Lenin-Denkmals in Astana forderte, und seine Partei dafür, dass sie sich weigerte, an früheren Parlamentswahlen teilzunehmen, als sie theoretische Erfolgsaussichten hatte. Die OSDP bleibt die einzige formell oppositionelle politische Kraft mit offizieller Registrierung.
Die allerersten Nominierungsunterlagen wurden vom Leiter der Initiativgruppe der sich im Registrierungsprozess befindenden Partei Yntymaq eingereicht, dem 61-jährigen Meıram Kajyken. Kajyken, der von der „Gemeinschaft der Gewerkschaften Kasachstans – Amanat“ nominiert wurde, teilte Vlast mit, dass er plane, umfassende politische, soziale und wirtschaftliche Reformen durchzuführen.
„Wir müssen das Wirtschaftsmodell reformieren. Wir brauchen auch Reformen des gesamten Sozialsystems. Es besteht aus verschiedenen Teilen und es funktioniert nicht. Wir brauchen politische Reformen. Fragen der nationalen Sicherheit stehen eindeutig an erster Stelle. Wir sind bereit, uns ernsthaft für Reformen einzusetzen. Ich bin nicht alleine. Wir haben ein großes Team von fast 50 Personen […]“, erklärte er.
Am 30. September gab die Partei Aýyl die Nominierung des 67-jährigen Jiguli Daırabaev bekannt. Auf seinen Wahlplakaten steht seine persönliche Biografie. Darin berichtet der Kandidat aus irgendeinem Grund nicht, dass er in den letzten zwei Jahren dreimal die Partei gewechselt hat – die regierende Amanat, die bereits in Vergessenheit geratene Partei Adal und jetzt Aýyl.
Der „Nationale Berufsverband der Sozialarbeiter:innen“, über den sehr wenig bekannt ist, nominierte Qaraqat Ábden als seine Kandidatin. „Ich weiß, was die Familie, die Gesellschaft, die Heimat brauchen“, lautet Ábdens Slogan auf einem Wahlplakat.
2019 veröffentlichte sie das Skandalbuch „Du bist eine Kasachin – Sei stolz!“, in dem sie Lifehacks zu den Themen Erziehung, Pubertät, Beziehung zum anderen Geschlecht, Familie, Mutterschaft und mehr teilte. „Solange du im Elternhaus bist, ist es wichtig, die Kunst der Hauswirtschaft, das Kochen nationaler Gerichte, Handarbeiten und andere handwerkliche Fähigkeiten zu erlernen. All dies wird dir in Zukunft nützlich sein, besonders wenn du erwachsen wirst und deine eigene Familie gründest“, schrieb Ábden in ihrem Buch.
Die zweite kandidierende Frau ist Saltanat Túrsynbekova, stellvertretende Vorsitzende der Nationalen Kommission für Frauenangelegenheiten und Familien- und Demografiepolitik. Sie wurde von der öffentlichen Vereinigung „Qazaq Analary – Dástúrge Jol“ vorgeschlagen. Auf einer der Pressekonferenzen erklärte sie, dass sie es als Kandidatin für notwendig halte, an der von Toqaev skizzierten Strategie festzuhalten. Ihr Wahlprogramm werde noch fertiggestellt, aber sie werde sich nicht nur auf soziale Themen konzentrieren.
Nicht zugelassene Kandidat:innen
Die verbleibenden potenziellen Kandidat:innen haben die Registrierungsphase nicht bestanden. Vier von ihnen – Hairulla Gabjalilov (nominiert von der Oralman-Vereinigung „Asar“), Talģat Erģaliev (Union der Bauherren Kasachstans), Fatima Bizakova (Vereinigung „Praktische Psychologie“) und Nurjan Áltaev (nominiert von der NGO „Muqalmas“) entsprechen nicht den gesetzlichen Anforderungen. Jumataı Áliev (nominiert von der Vereinigung „Halyk demografisy“) und Bakyt Janabaev (nominiert von der Kasachstanischen Liga der Fußballfans) konnten nicht die erforderliche Anzahl von Unterschriften für ihre Unterstützung sammeln.
Áliev offenbarte außerdem gesundheitliche Probleme, sodass die Wahlkommission sein ärztliches Attest nicht akzeptierte. Am 12. Oktober setzte die Wahlkommission das Verfahren zur Prüfung, ob die Kandidatur von Nurjan Áltaev die Anforderungen für einen Präsidentschaftskandidaten erfüllt, aus. Das Protokoll der Sitzung des obersten Gremiums der NGO „Muqalmas“ zu seiner Nominierung war vor Gericht angefochten worden. Der Grund war die Aussage einer Reihe von Abteilungsleitern von „Muqalmas“, dass das Protokoll gefälscht worden sei. Am 17. Oktober erklärte ein Bezirksgericht in Astana das Protokoll für ungültig.
Bereits am 5. September hatte die Koalition der Demokratischen Kräfte Kasachstans während einer Pressekonferenz angekündigt, dass sie eine Auswahl durchführen und einen einzigen Kandidaten für die Wahl ins Rennen schicken werde. Auch Áltaev nahm an der Pressekonferenz teil, erklärte sich aber nicht zum Kandidaten der Opposition.
An den Wahlen teilnehmen wollte auch der Politiker Ámirjan Qosanov, der bei der letzten Präsidentschaftswahl 2019 laut offiziellem Wahlergebnis 16,23 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Unabhängige Beobachter gaben damals an, dass die Zahl derjenigen, die für Qosanov gestimmt haben, deutlich höher war, aber der Kandidat selbst zweifelte die Ergebnisse nicht an. Entgegen seiner ursprünglichen Erklärung entschied sich Qosanov aber gegen eine Kandidatur.
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Auch der Journalist und Oppositionelle Jasaral Qýanyshálin plante, für das Präsidentenamt zu kandidieren. Auf seiner Facebook-Seite schrieb er, er suche einen Verband, der ihn nominieren könne. Bei der Zentralen Wahlkommission gingen aber letztendlich keine Dokumente von Qýanyshálin ein.
Iuna Korosteleva für Vlast
Aus dem Russischen von Robin Roth
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