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Ehe im Interesse des Staates – Rezension einer Broschüre für Ehefrauen

Während Kasachstan über die Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter berichtet, erhalten dutzende von Projekten, die zur Unterdrückung der Frauen in der Ehe beitragen, finanzielle Unterstützung aus dem Staatshaushalt. Darunter das Projekt des Sozialfonds Zentrum für integrierte Unterstützung von Familien: Familienakademie, das die Institution Familie und deren Werte stärken will. Aısulu Toıshibekova hat sich deren Broschüre angeschaut und geriet dabei in Rage. Ihre Analyse für Vlast.kz übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung.

juliat 

Ein Ehepaar legt im Baiterek-Turm in Nursultan die Hände in den goldenen Handabdruck des Ersten Präsidenten Kasachstans Nursultan Nazarbaev
In Kasachstan wurde mit staatlicher Finazierung eine Bröschüre für junge Mädchen herausgegeben, in der eine konservativen Sicht auf Ehe und Familie propagiert wird (Symbolbild)

Während Kasachstan über die Entwicklung der Gleichstellung der Geschlechter berichtet, erhalten dutzende von Projekten, die zur Unterdrückung der Frauen in der Ehe beitragen, finanzielle Unterstützung aus dem Staatshaushalt. Darunter das Projekt des Sozialfonds Zentrum für integrierte Unterstützung von Familien: Familienakademie, das die Institution Familie und deren Werte stärken will. Aısulu Toıshibekova hat sich deren Broschüre angeschaut und geriet dabei in Rage. Ihre Analyse für Vlast.kz übernehmen wir mit freundlicher Genehmigung.

Es ist eine weitere Gehirnwäsche für junge Frauen: Die Broschüre „Ehe- eine knifflige Angelegenheit. Wählen Sie ihren Partner fürs Leben!“ von Madina Baıbolova. Sie wurde mithilfe staatlicher Gelder herausgegeben und auf der offiziellen Seite des Landes platziert, wo sie ihre Sichtweise zur Ehe und Familie anbietet, und die damit zusammenhängende Rolle und Verantwortung der Frau (welche laut der Broschüre riesig ist).  Die Botschaft ist an junge Frauen gerichtet, „welche ihre zweite Hälfte finden und eine starke Familie aufbauen möchten, sowie an alle, die allgemeine Fragen zum Thema Ehe und Familie haben.“ Was auch immer in dem Vorwort steht, es ist vollkommen offensichtlich, dass die Autorin sich ausschließlich mit einer Position an die Mädchen richtet, die besagt, was sie zu tun haben, um in eine erfolgreiche Ehe einzusteigen.

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Ich muss dabei erwähnen: Die Broschüre besagt, dass die Ehe nicht das Ziel des ganzen Lebens sein sollte und sich nach der sprichwörtlichen Alterszensur „die Uhr tickt schon“ orientieren sollte. Dennoch würde deren Inhalt kaum einer Kritik aus feministischer Perspektive standhalten. Und hier sind die Gründe dafür.

„Männer, von Natur aus Jäger…“

Jede Seite der Broschüre behandelt ein eigenes Thema darüber, wie Frauen sich auf die Ehe vorbereiten können. Demnach muss ein Mädchen eine ganze Liste an Kriterien erfüllen, um der Liebe eines Mannes würdig zu sein und heiraten zu können. Die Leserin wird sofort gefragt, was sie in eine Ehe mitbringen kann, und es als eine Analogie zur Arbeitsvermittlung zu sehen. Menschliche Eigenschaften, wie etwa Weisheit, Fürsorglichkeit und Güte seien dabei stets zu kultivieren, während Unreife, Unartigkeit und Egoismus von vorn herein zu bekämpfen seien.

Zur zweiten Kategorie gehören laut der Autorin die Millenials [junge Generation, um die Jahrtausendwende geboren. Also heute 15-30-Jährige, Anm. d. Red.], welche sie für eine verwöhnte und selbstverliebte Generation hält, die sich nicht um andere kümmert. Damit nivelliert Baıbolova deren Glauben an sich selbst und an die unbegrenzten Möglichkeiten, die vor ihr liegen.  „Die Leute haben es verlernt, die Rechte der anderen zu respektieren, während sie weiterhin fordern, selbst respektiert und verstanden zu werden,“ schreibt Baıbolova in einer Broschüre, in der sie selbst Frauen vorschreibt, wer sie zu sein hätten. Die Broschüre stellt sich als einseitig heraus und nur einer Seite nützend: natürlich jener der Männer und deren Eltern.

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Nach ihrem Bericht über die Millenials, fällt die Autorin ein unerfreuliches Urteil: „Statistiken über das Ende von Ehen fallen besonders traurig unter jungen Absolventen renommierter Universitäten aus, deren Eltern alles für sie getan haben, jedoch vergessen haben, ihnen zu erklären, dass sie nicht im Zentrum des Universums stehen.“

Das eigentlich Traurige ist aber nicht die Erfahrung dieser jungen Menschen, die sich für eine Scheidung entscheiden, sondern, dass die Autorin jungen Mädchen einredet, sie müssten alles erdulden und sich vor ihren Ambitionen fürchten, und stattdessen versuchen, eine bessere Ehefrau zu werden. Im Verlauf der neunzehn Seiten über die Kelin (Braut im ersten Ehejahr, Anm. d. Red.) zeichnet Madina Baıbolova ein Bild von sphärischen Männern im Vakuum, um die sich jedes Mädchen wie um ein Ideal bemühen muss, und welchen es natürlich in allem genügen muss.

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Und was wäre eine Gehirnwäsche ohne dabei das Thema der Weiblichkeit und Zärtlichkeit sowie esoterisches Geplänkel über die Energie des Männlichen und Weiblichen? All das findet man hier im Überfluss. Zum Beispiel: Wenn ihr die Tür zu euch hin öffnet, ohne dabei zu warten, dass es ein Mann für euch tut, dann seid ihr nicht weiblich genug; Männer fühlen diese Energie, denn sie sind der Jäger, Frauen hingegen nicht: „Männer, von Natur aus Jäger, bemerken die Frau, bevor sie sie bemerkt. Das gibt ihnen die Fähigkeit, schnell zu bewerten, wie die Frau sich im Leben verhält (wie sie aussieht, spricht, sich anzieht, welche Menschen ihr nahestehen). Gefällt ihm nicht, was er sieht, so offenbart er sich nicht in ihrem Energiefeld, und umgeht es unentdeckt. Denn ein guter Mann bewahrt sein Glück für diejenige auf, die ihn glücklich machen kann. Erinnert euch stets daran!“

Ehe als ein ungleiches Tauschgeschäft

Mit ihrer Absurdität löste die Broschüre einen Sturm an negativen Emotionen aus. Die Broschüre ist im Jahr 2020 nicht mehr aktuell (genauso wenig wie in den letzten Jahrzehnten), denn das Wesen familiärer Beziehungen zwischen Frauen und Männern wird hier auf Handelsbeziehungen mit Tauschcharakter reduziert, in denen die Frau immer die niedrigere Position gegenüber dem Mann einnimmt. Der erniedrigende Ton, mit dem die Autorin jungen Mädchen lehrt, wie sie sich ihrem Mann anpassen können, trifft unseren Alltag. Ihr wisst das, so wie ihr wisst, dass zwei und zwei, vier ergibt. Entsprich den Vorgaben, arbeite an dir, setz dich durch, sei angenehm und geduldig- nur so wirst du dein Recht auf Liebe erhalten. Und wenn ihr mit diesen Dingen Erfolg habt, dann beginnt euer persönlicher Lauf um die sieben Kreise der feministischen Hölle erst, denn ist die Ehe erst mal abgeschlossen, muss die Frau für zwei arbeiten: weich sein, geduldig sein, sexuell sein, immer bezaubernd aussehen und bereit sein, die Ideen des Ehemannes zu bewundern, und dabei mit offenem Herzen und Seele auf seine Verwandten warten, auch um zwei Uhr Nachts.

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Madina Baıbolova schreibt allen Ernstes, Mädchen sollen dem Mann zuliebe ihre professionellen Ambitionen vergessen und stattdessen als Freelancer tätig sein, um weniger zu arbeiten und mehr Zeit dem Haushalt zu widmen: „Die optimale Option für Ehefrauen ist es heutzutage, als Freelancer über das Internet zu arbeiten, im Instagram-Geschäft, in der Beratung, und sonstige Arbeiten, die einen flexiblen Zeitplan erlauben. So kann der Ehemann zu einer Frau nachhause kehren, die voller Vorfreude auf ihn gewartet und das Essen zubereitet hat, und nicht zu einem Kameraden, der ebenso erst vom Schlachtfeld zurückgekehrt ist.“

Sowohl durch die Blume als auch direkt erklärt die Autorin jungen Mädchen, dass eine Scheidung schlecht ist, denn die Ehe soll einmalig sein und für immer bestehen. Solche Moralpredigten sind beliebt im Land, aus diesem Grund erhält man dafür ordentliche Zuschüsse aus den Staatskassen. Ich erinnere an den Sozialfond Zentrum für integrierte Unterstützung von Familien: Familienakademie, welcher nicht nur diese, sondern auch andere Broschüren hervorbrachte. Die Union der Krisenzentren Kasachstans erhielt ebenso eine Finanzierung im Wert von rund 300 Mio. Tenge (rund 663.000 Euro), für die Eröffnung eines psychologischen Zentrums, das Ehepaare vor der Scheidung noch umlenken und zur Versöhnung bringen soll. Das Ziel des Projekts: Scheidungsraten nach unten bringen.

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Die Scheidung ist kein Selbstzweck und eingetragene Ehen kein Indikator für eine gute Politik, doch der Staat sieht das anders und widerspricht sich selbst – was auf dem Papier steht, ist das eine, und was im wahren Leben passiert, eine ganz andere Sache. In offiziellen Dokumenten, zum Beispiel dem Konzept der Familien-und Geschlechterpolitik der Republik Kasachstan bis 2030 steht, dass die zunehmende Gleichstellung zum Wachstum der Verantwortung aller Familienmitglieder „im häuslichen, wirtschaftlichen, moralischen und Sicherheitsbereich“ beiträgt. Das heißt, durch dieselben Rechte für alle und eine ausgeglichene Verantwortung, können alle Familienmitglieder ausgewogenere Entscheidungen treffen, welche respektiert werden müssen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie.

Die Scheidungsrate als einziger Erfolgsindikator für den Staat

In Wirklichkeit aber sehen wir eine aktive Politik, die das Vorurteil fördert, dass Frauen die größte Verantwortung für den Zusammenhalt der Familie tragen. Wie kann das vereint werden? Durch die Unterstützung ebenjener Projekte. Anstatt eine echte Gleichstellung der Geschlechter zu entwickeln, werden die Kräfte dafür konzentriert Scheidungen zu vermeiden. Zu den Erfolgsindikatoren des Konzepts gehört es, die Anzahl der aufgelösten Ehen bis zum Jahr 2030 um 25 Prozent zu verringern. Aber die Anzahl der Scheidungen ist nicht die Wurzel des Problems. Das Problem liegt darin, dass die kasachstanische Gesellschaft die Ehe als eine einfache Möglichkeit sieht, die Gesellschaftsleiter nach oben zu klettern.

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Anstatt gleiche Möglichkeiten für beide Geschlechter zu schaffen und Frauen zu helfen, sowohl finanziell als auch sozial weniger von ihren Ehemännern und einer Ehe abzuhängen, gibt der Staat Millionen aus, um Scheidungen zu stigmatisieren und so viele Menschen wie möglich durch die Förderung psychischen Drucks einzuschüchtern. Heute erhalten Organisationen Finanzierungen für Projekte, die Geschlechterstereotype verbreiten und Mädchen Sanftmut vermitteln sowie die Bereitschaft, eine passive und dienstleistungsorientierte Rolle innerhalb einer Familie einzunehmen. Das ist sicherlich nicht das, was ich und tausende von Frauen in ganz Kasachstan im Jahr 2030 sehen wollen und der Staat wird das in Kauf nehmen müssen.

Aısulu Toıshibekova für Vlast.kz

Aus dem Russischen von Julia Tappeiner

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