Obwohl das Kaspische Meer über keinerlei Verbindung zu den Weltmeeren verfügt, spielt es eine wichtige Rolle in den internationalen Transport- und Handelsbeziehungen. Dabei bietet es Raum für regionale Zusammenarbeit, aber auch gleichermaßen für Konkurrenz. Dieser Artikel erschien im russischen Original bei Regnum.ru.
Die Bauarbeiten entlang des Ufers des größten Sees der Erde erreichen derzeit ein beeindruckendes Ausmaß. Und dies nur, weil hier einer der wichtigsten neuen Transportkorridore verläuft. Ein besonderes Augenmerk der regionalen Akteure liegt hierbei auf der Transkaspischen Internationalen Transportroute (TITR), die auch als „Mittlerer Korridor“ bezeichnet wird. Dieser Korridor, an dessen Errichtung seit 2013 gearbeitet wird, soll von China über Kasachstan, die Gewässer des Kaspischen Meeres, Aserbaidschan, Georgien und die Türkei nach Europa führen. Es wird erwartet, dass auf dieser Route chinesische Waren auf dem Weg nach Europa nur noch ein Drittel der bisherigen Lieferzeiten brauchen werden.
Die Route ist Teil der chinesischen One Belt, One Road –Initiative, die in näherer Zukunft das Gesamtbild des Warenverkehrs in der Region bestimmen wird. In diesem Zusammenhang haben die Anrainer des Kaspischen Meeres im Kampf um den Transit chinesischer Waren damit begonnen die Infrastruktur zu verbessern sowie Drehscheiben, Freihandelszonen und „Häfen der Zukunft“ zu errichten.
Turkmenistan
Anfang Mai wurde in Turkmenistan nach fünfjähriger Bauzeit der größte Seehafen am Kaspischen Meer offiziell eröffnet. Laut der internationalen Nachrichtenagentur AP erklärte der turkmenische Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow, dass der neue Hafen ein wichtiges Bindeglied in den Handelsbeziehungen mit sowohl der Schwarzmeerregion und Europa als auch mit dem Nahen Osten und Asien darstelle.
Der in der Stadt Türkmenbaschy gelegene Hafen, dessen Baukosten sich auf 1,5 Milliarden US-Dollar belaufen, soll den Warentransit Turkmenistans auf 25 bis 26 Millionen Tonnen pro Jahr erhöhen und sich zu einer regionalen Drehscheibe, die Europa und Asien verbindet, verwandeln.
Eine Eisenbahnverbindung von China über das benachbarte Kasachstan nach Turkmenistan existiert bereits und der neue Hafen soll der turkmenischen Regierung dabei helfen einen Teil des Warenverkehrs zwischen China, dem Nahen Osten und Europa auf sich zu ziehen.
Turkmenistan positioniert sich schon seit einigen Jahren als „strategische Kreuzung“ der eurasischen Transportkorridore. Und aus geografischer Sicht ist dies gerechtfertigt. Dennoch merken viele Experten an, dass sich das Land aufgrund seiner Isolationspolitik eher zu einem „schwarzen Loch“ an der Kreuzung interkontinentaler Handelsrouten wandelt.
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Die Beziehungen zwischen Turkmenistan und dem Rest der Welt haben sich in dem Vierteljahrhundert seit dem Erlangen der Unabhängigkeit nicht wirklich verbessert, im Vergleich zu der Zeit, als es sich noch um eine Sowjetrepublik handelte. Aschgabat baut nach wie vor größtenteils auf Einnahmen aus dem Export von Erdgas. Die Asiatische Entwicklungsbank bestätigte, dass die Wirtschaft Turkmenistans „in bedeutendem Ausmaß“ von Öl und Gas abhängig sei, welche mehr als 85 Prozent des Exports des Landes ausmachen. Und da Gas über Pipelines transportiert wird, ist es für die turkmenische Regierung leicht die Grenzen zu schließen.
Das Hauptproblem besteht darin, dass 88 Prozent der Fläche Turkmenistans aus Wüste bestehen, weswegen es im Prinzip kaum etwas zu exportieren gibt. Daher arbeitet die Regierung daran, das Öl und Gas in anderer Form zu verkaufen.
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In Ovadan-Depe wird eine zweite Fabrik zur Herstellung von qualitativ hochwertigem Benzin aus Erdgas gebaut und chemische sowie erdölverarbeitende Fabriken stellen Polyethylen, Polypropylen, Schwefelsäure und Ammoniak her – Waren, die man leicht in Containern oder Tankern transportieren kann. Hierbei kann der nahe gelegene neue Hafen eine wichtige Rolle spielen.
Derzeit beläuft sich der Warenverkehr über den neuen turkmenischen Hafen auf 17 Millionen Tonnen oder 400.000 Container im Jahr. Die Regierung plant die Kapazität auf 25 Millionen Tonnen auszubauen. Dennoch ist unwahrscheinlich, dass der Hafen von Türkmenbaschy diese Auslastung erreichen wird, da Turkmenistan am Ostufer des Kaspischen Meeren einen ernst zu nehmenden Konkurrenten hat.
Kasachstan
Das letzte der drei neuen Terminals der kasachstanischen Hafens Aktau ist seit 2014 in Betrieb und hat seine Umschlagskapazität bereits auf 19 Millionen Tonnen pro Jahr erhöht. Und es ist zu erwarten, dass sich die Zahl noch erhöhen wird, da die Regierung vorgeschlagen hat, den Hafen für die Verschiffung von Spezialtransporten der USA aus Afghanistan zu verwenden.
Außerdem investiert Kasachstan in den neuen Hafen Kuryk, der circa 60 Kilometer südlich von Aktau gelegen ist. Dieser Hafen ist dafür vorgesehen Erdöl aus dem Kaschagan-Ölfeld zu verschiffen. Es ist geplant, dass Kuryk bis 2020 eine Kapazität von circa 7 Millionen Tonnen jährlich haben wird. Des Weiteren baut Kasachstan neue Eisenbahnstrecken, unter anderem mit Anschluss an China.
Abseits des eigenen Imports und Exports konkurrieren die Häfen Kasachstans und Turkmenistans um den Umschlag von Waren aus China und anderen ostasiatischen Ländern, die Teil des Projekts One Belt, One Road sind. Der Unterschied besteht aber darin, dass Kasachstan unmittelbar an China grenzt, was bedeutet, dass seine Häfen eine Schlüsselrolle im Warenverkehr zwischen China und Europa spielen. So erklärte der stellvertretende Chef der Verkehrsverwaltung des Gebiets Mangystau Turbek Spanow im Oktober 2017, dass der Hafen Kuryk das „wichtigste Glied“ der Transkaspischen Internationalen Transportroute sein werde.
Über die Eisenbahnverbindung Kasachstan – Turkmenistan – Iran, die Teil des internationalen Transportroute „Nord – Süd“ ist, sollen bis 2022 circa 15 Millionen Tonnen Waren transportiert werden. Damit Züge aus China die Bahnstrecke Kasachstan – Turkmenistan – Iran erreichen, müssen sie quer durch Kasachstan fahren und gelangen so zum Ausgangspunkt der Bahnstrecke bei der Ortschaft Usen, welches sich circa 90 Kilometer östlich von Kuryk und Aktau befindet. Das bedeutet, dass die Waren schon an den kasachstanischen Häfen vorbeifahren, noch ehe sie die Bahnlinie nach Turkmenistan und in den Iran erreicht haben. Allerdings wird auch schon eine Bahnlinie von Westchina nach Kirgistan und Usbekistan geplant.
Doch es gibt noch einen Teil des Transkaspischen Transitkorridors, dem man Aufmerksamkeit widmen muss: der neue Hafen in Aserbaidschan, unweit von Baku.
Aserbaidschan
Zwei Wochen nach der Eröffnung des internationalen Seehafens in Turkmenistan wurde in Aserbaidschan ein Hafen mit einer Kapazität von 15 Millionen Tonnen offiziell eingeweiht. Der Hafen, dessen Bau 2010 begonnen wurde, befindet sich in der Ortschaft Alat 65 Kilometer südlich von Baku. Wie das informations- und Analyseportal PortNews mitteilte, kreuzen sich hier der Ost-West-Korridor und ein Nord-Süd-Korridor mit wichtigen Straßen- und Eisenbahnverbindungen, unter anderem in Richtung Russland.
Laut einer Mitteilung des Wirtschaftsministeriums Aserbaidschans werden die Waren, die aus verschiedenen Richtungen in s Land kommen über die Eisenbahn Baku – Tbilissi – Kars nach Europa transportiert, oder aber auf dem Seeweg Richtung Osten.
Während seines Auftritts im Rahmen der Eröffnungsfeier des Hafens erklärte der Präsident des Landes Ilham Alijew, dass seine Inbetriebnahme „eine wichtige Rolle bei der Festigung des Transportpotenzials des Landes“ spiele. Sie sei unumgänglich, da der alte Hafen im Zentrum Bakus nicht mehr den Anforderungen des Landes in Bezug auf den wachsenden Transitverkehr entspreche.
Obwohl der alte Hafen in Baku im Jahr 2017 das Volumen seines Warenumschlags um 31 Prozent erhöht hat, was ungefähr 4,4 Millionen Tonnen entspricht, so scheint doch diese Zahl im Vergleich zu dem neuen Hafen in Alat nicht sehr beeindruckend. Außerdem dauert der Weitertransport aufgrund der Lage des alten Hafens im Stadtzentrum und der Straßenbelastung der Hauptstadt deutlich länger. Der neue Hafen hingegen ist an der Straße nach Georgien gelegen.
Bei Abschluss der ersten Bauphase ermöglicht der neue Hafen bereits einen Umschlag von 15 Millionen Tonnen Fracht, darunter 50.000 Container. Das Hafenbecken wurde vertieft und ein Zufahrtskanal wurde ausgehoben, der Schiffen mit einer Deadweight Tonnage von bis zu 8000 Tonnen die Zufahrt zum Hafen ermöglicht. In zwei weiteren Bauphasen soll die Kapazität auf 25 Millionen Tonnen oder 500.000 Container erhöht werden.
Ein weiterer Vorteil des neuen Seehafens in Alat besteht in der Anwendung von Blockchain-Technologie. Dies teilte der Leiter des Hafens Taleh Sijadow im Rahmen der internationalen Konferenz „Die Rolle der Parlamentarier bei der Entwicklung der wirtschaftlichen und kulturellen Zusammenarbeit entlang der Seidenstraße“ mit. Seinen Worten nach beschleunige dies wesentlich die Operationen und erhöhe ihre Transparenz, was Alat zu dem Hightech-Hafen am Kaspischen Meer mache.
Aus Baku wird der Großteil der Waren per Eisenbahn durch den Kaukasus in die Türkei ans Schwarze Meer verfrachtet. Über diese Eisenbahnstrecke sollen jährlich circa 17 Millionen Tonnen Fracht befördert werden, wenn diese das Maximum ihrer Kapazität erreicht. Aserbaidschan räumt dabei der Lieferung eigener Waren einen Vorrang ein, während Kasachstan, Turkmenistan und der Iran weiterhin darum kämpfen, wer die Schlüsselrolle im Transitkorridor zwischen Asien und Europa spielt.
Georgien
Es gibt auch noch weitere Eisenbahnverbindungen, die an die georgische Schwarzmeerküste führen. Und obwohl Georgien kein Anrainer des Kaspischen Meeres ist, ist es einer der wichtigsten Akteure der Transkaspischen Internationalen Transportroute.
An der Schwarzmeerküste Georgiens existieren vier Häfen, von denen zwei auf flüssige Fracht spezialisiert sind. Einer von ihnen befindet sich in Batumi und unter Verwaltung der kasachstanischen Ölgesellschaft „KazTransOil“. Des Weiteren gibt es noch den Hafen in Kulevi, welchen die staatliche Ölgesellschaft Aserbaidschans (SOCAR) managt.
Georgien festigt weiterhin seine Position als zentraler Akteur auf der transkaspischen Route: Zum neuen Mitglied der internationalen TITR-Allianz wurde der georgische Tiefwasserhafen Anaklia, dessen Bauarbeiten erst begonnen wurden. Laut Angaben von PortNews wurde die Entscheidung darüber einstimmig im Rahmen der ersten Welt-Hafenkonferenz Mitte Mai diesen Jahres in Baku gefällt.
„Die Existenz eines Tiefwasserhafens ist die wichtigste Bedingung für den Anstieg unserer Konkurrenzfähigkeit im Rahmen des Mittleren Korridors“, erklärte Levan Achvediani, der Generaldirektor des Konsortiums zur Entwicklung von Anaklia , welches von der georgischen TBC Holding und der amerikanischen Conti International LCC gebildet wurde.
Betreiber und Investor des Projekts wird das amerikanische Unternehmen SSA Marine, welches schon weltweit 250 Hafenterminals betreibt und auf See- und Eisenbahnverkehr spezialisiert ist. Im Februar dieses Jahres bekundete auch die China Railway International Group Interesse daran, in den Hafen zu investieren. Und einige Monate zuvor schloss sich mit ZPMC ein weiteres chinesisches Unternehmen dem Konsortium zur Entwicklung von Anaklia an. Entsprechend der Abmachungen wird besagtes Unternehmen mindestens 50 Millionen US-Dollar (bei veranschlagten Gesamtkosten von 2,5 Milliarden US-Dollar) selbst in den Bau investieren und zusätzlich chinesische Finanzinstitute für Investitionen gewinnen.
Die Eröffnung des Hafens ist für 2021 geplant, aber wie ein Vertreter des Konsortiums mitteilte, wird Entwicklung des Hafens sowie einer Satellitenstadt in neun Phasen erfolgen. Und allein dafür sind nicht weniger als 50 Jahre zu veranschlagen.
Die Transkaspische Route: TRACECA 2.0?
Um die Kapazitäten der transkaspischen Route, die nicht über das Territorium Russlands verläuft, zu erhöhen, haben die turksprachigen Länder Kasachstan, Aserbaidschan und Türkei eine verstärkte Kooperation angekündigt. Die Schlüsselfrage wird aber sein, ob sich die Hoffnungen auf den Transit chinesischer Fracht erfüllen oder ob sich all die Investitionen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Lage als sinnlos erweisen.
Experten sind der Meinung, dass es sich bei der Transkaspischen Route um nicht anderes als einen Wiedebelebungsversuch des von der Europäischen Union in den 90ern aufgelegte TRACECA-Programms (Verkehrskorridor Europa – Kaukasus – Asien). TRACECA war in verschiedenen Punkten der Transsibirischen Eisenbahn unterlegen: Unter anderem in Bezug auf Kosten und Transportdauer, ganz zu schweigen von den politischen Risiken und der Notwendigkeit die Zollbestimmungen zu regulieren.
Wenn man die bestehende Konkurrenz der Anrainer des Kaspischen Meeres um den Warenfluss betrachtet, so scheint TITR einige Probleme von TRACECA geerbt zu haben. Ob es den Staaten der Region gelingt diese zu überwinden, wird sich nur mit der Zeit zeigen. In der Konkurrenz um den Warentransit aus China nach Europa sind derzeit aber die Vorteile auf Seiten Russlands.
Anastassia Sukhoverkova
Regnum.ru
Aus dem Russischen von Robin Roth
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