Die sibirische Republik Altai zeichnet eine besondere Vielfalt aus: Hier gibt es hohe Berge, sanft daher plätschernde Flüsse und glitzernde Seen. Eine Reise durch die russische Region führt durch verschiedene Klimazonen – und auch Kulturen. Im Interview erzählt eine Angehörige der kasachischen Minderheit dort über ihr Leben als Aussiedlerin.
Kosch-Agatsch befindet sich ganz im Süden des Altai und grenzt an die Mongolei, Kasachstan und China. Während in anderen Teilen der Republik hohe Laub- und Nadelbäume das Landschafsbild prägen, beginnt hier die Steppe. Kein einziger Baum wächst hier, die Umgebung erinnert an eine Küste, nur ohne Meer. Wie lebt es sich unter so ungewöhnlichen landschaftlichen und klimatischen Bedingungen?
In der Region leben hauptsächlich Kasachen, verteilt auf die Gemeinden Kosch-Agatsch, Tobeler, Schana-Aul und Zhasator. Doch wie kamen sie dorthin und aus welchem Grund sind sie geblieben?
Antworten liefert das „Museum der altaischen Kasachen“ im Dorf Schana-Aul. Es zeigt die Besonderheiten der Kultur und Traditionen dieser Volksminderheit –Besucher des Museums können etwa eine kasachische Jurte betreten und nationale Trachten bestaunen.
Um mehr über das Alltagsleben dieses Volkes zu erfahren, sprach unsere Autorin mit einer Mitarbeiterin des Museums. Sie ist selbst Kasachin, hat drei Kinder und arbeitet als Ausstellungsführerin dort.
Wie kam es dazu, dass sich so viele Kasachen in Kosch-Agatsch ansiedelten?
Das geschah in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts. Die Kasachen, wie auch andere Turkvölker, lebten als Nomaden. Die Hauptbeschäftigung dieses Volkes war die Viehzucht. Doch die Gebiete in Ostkasachstan waren kaum geeignet, um das Vieh zu weiden. Daher wollten die Nomaden aus Ostkasachstan umsiedeln.
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Und so baten einige kasachische Großfamilien die Oberhäupter altaischer Familien, die im Süden der heutigen Republik Altai lebten, um Land. Die altaischen Familien gaben etwas von ihrem Land an die Kasachen ab, sodass diese ihr Vieh weiden und selbst dort leben konnten. Seit dieser Zeit sind unsere Vorfahren hier und werden die „Kasachen der Tschuja-Steppe“ genannt.
Haben Sie zu irgendeinem Zeitpunkt versucht, nach Kasachstan zurückzuziehen?
In den 1990er Jahren, nach dem Zerfall der Sowjetunion, gab es eine große Welle an Umsiedlungen altaischer Kasachen nach Kasachstan. Als ich ein Kind war, hat meine Familie auch zwei Jahre dort gelebt, ist dann aber wieder zurück in die Heimat Altai gekommen.
Was war der Grund dafür?
Der Altai ist unsere Heimat, hier fühlen wir uns zu Hause, diese Region ist uns näher als Kasachstan.
Und wie war die Beziehung der Kasachen in Kasachstan zu Ihnen?
Sie bezeichneten uns als Altaier. Und die Kasachen aus der Mongolei nannten sie Mongolen. Es gibt tatsächlich Unterschiede zwischen uns.
Welche Unterschiede sind das?
Man kann sagen, dass die Kasachen in Kasachstan schon russifiziert wurden – also in mancher Hinsicht zu Russen geworden sind. Das heißt, dass sie den Traditionen und Bräuchen unserer Vorfahren nicht mehr so folgen wie wir im Altai es noch tun. Wir bereiten auch jetzt noch traditionelle Speisen zu: bei uns steht immer Baursaki (Fettgebäck, Anm. d. Autorin) und Kurt (getrockneter, säuerlicher Käse, ebd.) auf dem Esstisch.
Womit beschäftigt sich Ihr Volk heutzutage?
Hier im Dorf Schana-Aul gibt es 800 Familien und 70 bis 80 von ihnen gehen im Sommer in die Berge, um das Vieh zu weiden. Die anderen arbeiten in der Dorfverwaltung, in der Schule, im Kindergarten. Aber die Arbeitslosigkeit ist hoch.
Welche Probleme gibt es noch in der Region?
Es ist so, dass unser Trinkwasser mit dem Auto geholt wird, weil wir keine Brunnen haben. Wir haben uns schon daran gewöhnt. Wegen der Trockenheit wächst hier nichts und deshalb werden die meisten Lebensmittel außer Fleisch und Milchprodukte gekauft.
Was macht man, um die eigene Sprache zu bewahren?
In der Schule wird zweimal in der Woche Kasachisch unterrichtet. So wird diese Sprache nicht vergessen.
Sie leben hier schon lange mit ihren Nachbarn, den Altaiern. Welche Beziehung haben Sie zu ihnen?
Natürlich haben wir sehr enge Kontakte mit Altaiern. Unsere Söhne und Töchter heiraten Altaier und auch Russen. Das ist ganz normal.
Was die jüngere Generation betrifft, gibt es viele Jugendliche im Bezirk Kosch-Agatsch?
Ehrlich gesagt leben viele junge Leute aus der Region in anderen Städten wie Gorno-Altaisk, Nowosibirsk oder Tomsk. Sie arbeiten oder studieren dort. Sehr wenige kommen wieder zurück, um hier zu arbeiten.
Und Sie, würden Sie mit Ihrer Familie in eine andere Stadt umziehen, um ein besseres Leben zu haben?
Nein, ganz sicher nicht. Das ist meine Heimat und alles gefällt mir hier, obwohl das Leben schwer ist. Ich habe mich daran gewöhnt und will nicht umziehen.
Kunduz Zhyrgalbekova
Autorin für Novastan
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