Die Bevölkerung der zentralasiatischen Hauptstädte wächst von Jahr zu Jahr, und mit ihr die Zahl an Hochhäusern. Die Städte strecken sich in die Höhe, berücksichtigen dabei aber oft nicht die Bedürfnisse der Bevölkerung.
In den letzten zehn Jahren ist die Bevölkerung von Astana am stärksten gewachsen – um 46 Prozent –, in Duschanbe um 40 Prozent. Die Zahl der Einwohnenden in Bischkek und Taschkent ist im gleichen Zeitraum um etwa 20 Prozent gestiegen.
Obwohl Bischkek mit nur 160 Quadratkilometern die kleinste Fläche unter den Hauptstädten der zentralasiatischen Länder hat, wohnen ca. 1,1 Mio. Einwohnende in der Stadt. Damit weist Bischkek 2023 die höchste Bevölkerungsdichte auf. Taschkent und Duschanbe liegen nur knapp dahinter.
Hoch hinaus trotz Erdbebengefahr
Da fast alle größeren Städte in Zentralasien in einer Zone mit hohem Erdbebenrisiko liegen, wirft der Bau von Hochhäusern Fragen auf. Kanat Abdrachmatow, Direktor des Instituts für Seismologie in Kirgistan, stellt fest, dass in diesem Zusammenhang alles davon abhängt, inwieweit die beim Bau verwendeten Technologien modernen Anforderungen entsprechen.
Als Beispiel nannte der Wissenschaftler Japan, wo der Bau von Gebäuden mit mehreren Dutzend Stockwerken seit langem praktiziert wird: „Was die Erdbebenaktivität angeht, ist Japan viel stärker betroffen, und trotzdem baut man dort Wolkenkratzer, die bei Erdbeben nicht einstürzen. Und warum? Weil sie über sehr gute Technologien verfügen. Wenn also in den Hauptstädten Zentralasiens Häuser mit der gleichen Technologie gebaut und alle Sicherheitsvorschriften peinlich genau eingehalten werden, dürfte es keine Probleme geben“, so der Seismologe.
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Städte sind nicht für die Menschen da
Die Städte wachsen in die Höhe und die Bevölkerung nimmt zu, aber ihre Infrastruktur berücksichtigt oft nicht die Bedürfnisse der Menschen. Samar Syrgabajew, ein Soziologe aus Kirgistan, meint, dass schlecht durchdachte städtische Umgebungen und Hochhäuser einen großen Einfluss auf das Leben der Menschen haben, insbesondere auf ihre psychische Verfassung.
Nach der Theorie des intelligenten Urbanismus nach Christopher Charles Benninger solle das städtische Umfeld die Menschen dazu ermutigen, miteinander zu interagieren und zu kommunizieren. Dies impliziere die Planung von Räumen zum Spazierengehen, zum Treffen mit Freunden und Nachbarn, für Gemeinschaften, in denen man sich versammeln und etwas besprechen kann.
Darüber hinaus solle die Stadt aus Objekten bestehen, die von den Menschen leicht erfasst werden können, wie kleine Straßen und niedrige Gebäude. Eine solche Planung sei für das Leben bequemer, denn je niedriger das Gebäude sei, in dem ein Mensch wohne, desto eher werde er oder sie mit den Nachbarn kommunizieren und sich um den gemeinsamen Raum im Hof kümmern.
Astana, Kasachstan
Astana wurde an der Stelle der alten Stadt Aqmolinsk errichtet, die während der Sowjetära gegründet wurde. Laut der Architektin und Urbanistin Alina Beısenova hatte man in den späten 90er Jahren, als die Hauptstadt gerade verlegt wurde, viele Zweifel am Erfolg dieser Idee. Später jedoch begann sich die Stadt zu entwickeln und sehr schnell zu wachsen.
„Mit der Zeit wurde Astana zu einer Stadt der Möglichkeiten, in der die Menschen auf der Suche nach großem Erfolg waren. Es wurden neue Gebäude und Häuser gebaut, und viele Menschen zogen aus den Regionen hierher“, so Beısenova. „Mit dem Bau kamen jedoch auch Probleme der Planung, Verkehrsstaus, Strom, Wasser, Wärme und Abwasser“, meint sie weiter.
Dies sei auf die schlechte Bauqualität und die häufige Korruption in der Bauindustrie zurückzuführen. Alina fügt hinzu, dass Astana heute hauptsächlich aus riesigen, teils sechsspurigen, Straßen, bis zu 800 Meter langen Blöcken und Hochhäusern mit bis zu 20 Stockwerken besteht.
Vladislav Filatov, ein Stadtarchitekt aus Kasachstan, weist ebenfalls darauf hin, dass Astana eine Stadt der großen Entfernungen ist, die nur mit dem Auto zurückgelegt werden können. Und das ist seiner Meinung nach nicht die beste Option für die Entwicklung der Stadt: „In solchen Städten ist es in der Regel schwierig, eine Schule, einen Kindergarten und einen Arbeitsplatz in der Nähe zu finden. Daher sind viele Menschen an ein Auto gebunden und müssen sich hinter das Steuer setzen, um ihrem Alltag nachzugehen.“
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Allseits bekannt ist das große Windproblem in Astana. Nach Beısenova schaffen breite Straßen und Hochhäuser auf beiden Seiten zusätzliche Windkorridore. „Um weniger Wind zu haben, müssen wir kleine Stadtteile und schmale Straßen schaffen. Große Stadtteile sollten durch kleinere Straßen unterteilt werden. Das würde auch bei Verkehrsstaus helfen und die großen Autobahnen entlasten“, meint die Architektin.
Beısenova räumt ein, dass es unrealistisch ist, bestehende Hochhäuser und Stadtviertel neu zu bauen. All dies kann jedoch beim Bau neuer Einrichtungen berücksichtigt werden: „Ich denke, Astana braucht einen neuen Masterplan für komfortables Wohnen. Die Art und Weise, wie die Stadt heute aufgebaut ist, verschärft nur die Probleme bei der Kommunikation und der Fortbewegung. Wahrscheinlich müssen wir zuallererst an einigen großen Infrastrukturprojekten arbeiten, um die Probleme der Wasser-, Heizungs- und Energieversorgung zu lösen“, meint Beısenova.
Bischkek, Kirgistan
Die dichte Bebauung ist ein Problem, das in Bischkek seit vielen Jahren zu beobachten ist. Architekt Meder Achmetow stellt fest, dass es in der Hauptstadt Kirgistans kein einheitliches Bild in Bezug auf den Bau von Häusern und Gebäuden gibt. Seiner Meinung nach wurde die Stadt zu Sowjetzeiten nach einem bestimmten Modell gebaut, doch seit der Unabhängigkeit wurde sie allmählich vom unkontrollierten Kapitalismus zersetzt.
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„Das Paradoxe ist, dass das Bild von Bischkek aus vielen verschiedenen Minibildern zu bestehen begann. Einerseits ist dies eine gute Tendenz zur Demokratisierung des Modells, aber andererseits sollte es eine Art nächsten Schritt geben, in dem sich die Verstärkung bestimmter Tendenzen manifestiert. Das haben wir noch nicht“, meint der Experte.
Achmetow weist auch darauf hin, dass zu Sowjetzeiten die Gebäude nach bestimmten systematischen Normen gebaut wurden. Und heute sehen die Viertel, in denen sowjetische Gebäude stehen, im Vergleich zu neuen Häusern durchdachter aus. Gleichzeitig legte der sowjetische Bau Wert auf öffentliche Räume und Höfe. Die Wohnungen selbst waren klein, was nicht ganz dem heutigen Lebensstil entspricht. Gleichzeitig hat die moderne Bauweise andere Probleme mit dem Grundriss: zum Beispiel stark verlängerte Räume oder unnötig große Flächen.
Der Soziologe Samar Syrgabajew fügt hinzu, dass das rasche Wachstum von Wohnhochhäusern, ganzen Stadtvierteln und kommerziellen Einrichtungen in Bischkek keine Lösung für das Wohnungsproblem darstellt – außer für die Mittel- und Oberschicht. Die Wohnungen in den neuen Gebäuden sind aufgrund ihrer hohen Kosten für die breite Bevölkerung unerschwinglich, und der Bauprozess selbst engt den Raum für menschliches Leben jedes Jahr weiter ein.
Syrgabajew meint: „Bischkek wird eher zu einer Stadt für Verkehr und Hochhäuser als für Menschen. Es gibt nur sehr wenige Parks und öffentliche Gärten. Meiner Meinung nach wird mit der weiteren Verdichtung durch Hochhäuser das Risiko eines Zusammenbruchs der Infrastruktur steigen. Und in einem Steindschungel zu leben kann sehr schädlich für den emotionalen Zustand der Menschen werden.“
Außerdem haben Aktivist:innen und Umweltschützer:innen wiederholt davor gewarnt, dass der chaotische Bau von Hochhäusern die Windverhältnisse stören wird, und Bischkek, das bereits unter der Hitze im Sommer und dem Smog im Winter leidet, wird schlichtweg ersticken.
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Architekt Achmetow stellt fest, dass wir systematische und durchdachte Lösungen brauchen, damit die Stadt als Ganzes für die Bevölkerung so angenehm wie möglich wird und Hochhäuser das normale Leben in der Hauptstadt nicht beeinträchtigen: „Bislang geschieht alles nur in Extremsituationen und die allgemeinen Lösungen, die entwickelt werden, sind eher populistisch und politisiert. Ich denke, wir müssen aus unseren eigenen Erfahrungen lernen und die Technologien anwenden, die zu unserer Stadt passen.“
Duschanbe, Tadschikistan
Das Stadtbild von Duschanbe ändert sich grundlegend: Es ist eine völlig andere Stadt als noch vor zehn Jahren, da das bisherige Stadtgefüge vollständig und radikal ersetzt wird.
Ojat Schukurow, ein in Tadschikistan tätiger Architekt, erzählt, dass sich in der Architektur Duschanbes eine neue Identität herausbildet, die an die Stelle der sowjetischen tritt. „Diese Identität stützt sich auf den arabischen Ansatz für den Bau von Städten und Gebäuden, sprich viele Türme mitten in der Wüste und islamische Ornamente“, so Schukurow. „Dies sind zum großen Teil moderne Ansätze aus der Baupraxis der arabischen Halbinsel. Und in ihnen sehe ich leider nur wenig Tadschikisches.“
Die Umweltschützerin Natalia Idrisowa weist darauf hin, dass sich Duschanbe in letzter Zeit verändert hat, und ein besonders negativer Faktor ist die Dichte der neuen Gebäude. Ihrer Meinung nach fehlt es an einem kulturellen Code, an stilistischen Mustern, an Farbwahl und Zoneneinteilung. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich etwas weiter vom Zentrum entfernt.
„Architektur ist auch eine Kunst, und die Gebäude sollten nicht nur funktional und komfortabel sein, damit die Menschen dort leben, lernen und arbeiten können, sondern auch dem Auge gefallen, die Stadt verschönern und für den Tourismus attraktiv sein. Leider erfüllt das moderne Bauen in Tadschikistan diese Funktionen nicht. Es gibt keine starren Normen, und die Bauherren bauen oft nach ihren Fantasien und finanziellen Möglichkeiten“, meint Idrisowa.
Die Ökologin weist darauf hin, dass die Stadt ihre eigene Vergangenheit in Form von eleganter sowjetischer Flachbauarchitektur im Stadtzentrum hatte, die jedoch beseitigt wurde, ohne eine würdige Alternative zu bauen. Darüber hinaus hat die dichte Bebauung den Komfort für die Bevölkerung verringert, die Luftqualität lässt zu wünschen übrig und zusammen mit den zunehmenden extremen Temperaturen im Sommer ist die Gesundheit der Menschen stark gefährdet.
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„Der frühere, sorgfältig berechnete Stadtgrundriss sorgte für die Belüftung der Stadt, die Erdbebensicherheit, den Wasserabfluss und ein optimales Verkehrsaufkommen“, erzählt Idrisowa. „Jetzt wird das Ziel eines insgesamt komfortablen Lebens in der Stadt nicht mehr verfolgt. Viele neue Häuser sind auf einem Stück Land entstanden, das keinen Platz für einen vollwertigen Innenhof, Parkplätze oder Grünflächen bietet.“
Außerdem, so Idrisowa, wurden massenhaft Bäume entlang der Straßen und in den Höfen gefällt und viele Grünflächen so zerstört. Der beheizte Beton von Straßen und Gebäuden verstärkt die Hitzewellen, unter denen die Stadtbevölkerung in der heißen Jahreszeit bereits leidet. Zusätzlich verhindert die dichte Bebauung eine Zirkulation der Luft. Diese könnte jedoch die Luft vom schädlichen Smog säubern, unter dem die Stadt leidet, und für ein kühleres Mikroklima sorgen.
Duschanbe hatte und hat immer noch ein großes Potenzial, eine attraktive und lebenswerte Stadt zu werden. Dazu müssen moderne Technologien beim Bau eingesetzt werden, um zum Beispiel Wasser, Strom und Gas zu sparen sowie energieeffiziente Materialien und Systeme zu entwickeln.
„Wir müssen sicherstellen, dass beim Bau neuer Gebäude, bei der Gestaltung von Wohnvierteln und neuen Straßen auch Fragen der Inklusion berücksichtigt werden. Es ist notwendig, die Entwicklung eines komfortablen und zugänglichen städtischen Verkehrs fortzusetzen, um die notwendigen Bedingungen für Menschen mit geringer Mobilität zu schaffen. Es ist notwendig, Bestandsbäume zu schützen und sichere Bedingungen für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen zu schaffen“, schließt Idrisowa.
Natalja Li und Ajgerim Konurbaewa für CABAR
Aus dem Russischen von Michèle Häfliger
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