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„Wir zeigen Erotik“ – Warum Theaterstücke in Zentralasien abgesagt werden

Kunstzensur besteht in allen zentralasiatischen Republiken, aber während in gewissen nur einzelne Passagen gestrichen werden müssen, werden in anderen ganze Produktionen oder gar Regisseure verboten. Der Artikel erschien erstmals am 14. November 2022 bei ASIA-Plus. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. So wurde im Mai diesen Jahres das Theaterstück „Mankurt. Requiem“ in Tadschikistan abgesagt. Damals teilten die Verantwortlichen des Theaters dem Publikum ohne Erklärung mit, das Stück sei „von oben“ verboten worden. Auch in Kirgistan haben die Behörden das Theaterstück „Déjà Vu“ abgesagt, mit der Begründung, es sei „präsidentenfeindlich“. Solche Praktiken sind auch in den übrigen Staaten Zentralasiens üblich.

Michèle Häfliger 

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Kunstzensur besteht in allen zentralasiatischen Republiken, aber während in gewissen nur einzelne Passagen gestrichen werden müssen, werden in anderen ganze Produktionen oder gar Regisseure verboten. Der Artikel erschien erstmals am 14. November 2022 bei ASIA-Plus. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion. So wurde im Mai diesen Jahres das Theaterstück „Mankurt. Requiem“ in Tadschikistan abgesagt. Damals teilten die Verantwortlichen des Theaters dem Publikum ohne Erklärung mit, das Stück sei „von oben“ verboten worden. Auch in Kirgistan haben die Behörden das Theaterstück „Déjà Vu“ abgesagt, mit der Begründung, es sei „präsidentenfeindlich“. Solche Praktiken sind auch in den übrigen Staaten Zentralasiens üblich.

Tadschikistan

Der berühmte tadschikische Regisseur Barzu Abdurazzokow hat seit einigen Jahren nicht mehr in tadschikischen Theatern inszeniert, leitete jedoch Dutzende von Produktionen in Kirgistan und Kasachstan. Über seine Aufführung von „Mankurt. Requiem“ meinte die tadschikische Kulturministerin Zulfija Dawlatzoda, dass „der Regisseur das Werk entstellt“ habe und „die Aufführung nicht der aktuellen Politik“ entspreche. Neben den Inszenierungen von Abdurazzokow wurde 2017 auch die Inszenierung von „Ich bin nicht wirklich da“ verboten. Regisseur Chursched Mustafojew erklärte gegenüber ASIA-Plus, das Stück sei abgesetzt worden, weil ein Journalist es „kritisierte“, ohne es überhaupt gesehen zu haben: „Er sah ein Foto eines jungen Mannes ohne Hemd und schrieb, dass wir im Theater Erotik zeigen würden. Das Bild war symbolisch gemeint, da er am Ende des Stücks getötet wird. Wir wollten zeigen, wie ihm das Hemd vom Leib gerissen wird, als Metapher dafür, dass ihm die Seele oder das Leben gestohlen wird. Nach dem Artikel dieses Journalisten schalteten sich schließlich sogar die Behörden ein.“

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Diese hätten die Aufführung schließlich überprüft und sichergestellt, dass sie keine Erotik enthielt, worauf der Journalist seinen Fehler bemerkte und sich entschuldigte. Das Stück hätte nun doch aufgeführt werden können, doch aus Verärgerung über den Vorfall wurde sich dagegen entschieden. Abdurazzokow seinerseits ist nicht besorgt, dass seine Produktionen in Tadschikistan nicht gut ankommen. Im Gespräch mit Radio Ozodi nach der Aufführung des Stücks „Klassenkameraden. Lebensschule“, das im Rahmen des Internationalen Theaterfestivals Zentralasiens in Kasachstan aufgeführt wurde, meinte er, dass seine Arbeit „in seinem Heimatland nicht akzeptiert wird, dafür aber von der halben Welt.“

Kirgistan

Im Mai dieses Jahres verbot die Kunst- und Expertenkommission des kirgisischen Kulturministeriums die Aufführung des Theaterstücks „Déjà Vu“, das auf Alischer Nijazows (Pseudonym Alexej Tork) „Träume werden wahr“ basiert. Der Grund dafür seien „Missachtung des Amtes des Präsidenten“, die „krummen Beine“ der Figur und die Rolle der Geliebten des Oligarchen gewesen. Tork empörte sich auf seiner Facebook-Seite: „Das Stück wurde in der Tat verboten. Und zwar von derselben eilig herbeigerufenen, großen, schrecklichen staatlichen Kommission, über die ich bereits geschrieben habe. Die Produktion wurde als präsidentenfeindlich und antikirgisisch deklariert. Die Kommission verlangte nämlich, das Stück radikal zu überarbeiten – die präsidenten- und kirgistanfeindlichen Zeilen zu streichen und das Stück neu zu schreiben, so dass es nicht mehr eine Geschichte über die Liebe und die zweifelhaften Träume fünf unglücklicher, verwirrter Figuren ist, sondern zum Beispiel eine soziale Geschichte über die Probleme von Wanderarbeitern. Das werde ich natürlich nicht tun, bei aller Liebe zu den Wanderarbeitern.“Lest auch auf Novastan: Über die Selektivität der Macht: Fakes dürfen alles, schuld sind die Medien Es ist nicht bekannt, auf welchen Grundlagen das Stück verboten wurde. Das „Media Policy Institute“ wies darauf hin, dass Artikel 48 der kirgisischen Verfassung die Freiheit der „wissenschaftlichen, technischen, künstlerischen und anderen Arten von Kreativität“ garantiere und Zensur im Lande verbiete. Das Kulturministerium habe jedoch nicht erklärt, gegen welche konkreten Rechtsnormen der Inhalt des genannten Stücks verstoßen habe. Stattdessen sollte das Stück gemäß den Vorschlägen „angepasst“ werden – um den Begriff „Zensur“ zu umgehen. Laut Tork werde das Stück nun doch nicht uraufgeführt: „Es ist lächerlich, aber es wird keine Premiere von „Déjà Vu“ geben. Sie wurde zum zweiten Mal abgesagt und findet nun an einem privaten Ort statt. Aus Gründen, die sich meiner Kontrolle entziehen, wird es nun überhaupt keine Vorstellung geben. Ich habe im Moment keine weiteren Anmerkungen zu machen und entschuldige mich bei allen.“ Dies ist bei weitem nicht die erste Aufführung, die in Kirgistan abgesagt wurde. Auch das Stück „Sollen wir auf Besserung warten, wenn drei Paschas an der Macht sind?“, das in Osch aufgeführt werden sollte, wurde kurz vor den Präsidentschaftswahlen 2021 abgesagt. Der Sonderdienst habe im Drehbuch „Anzeichen auf eine Kampagne gegen den Präsidentschaftskandidaten Sadyr Dschaparow“ gesehen. Gemäß des Instituts für Medienpolitik betrachte das kirgisische Kulturministerium seine Maßnahmen nicht als Zensurversuch. In dessen Erklärung heißt es: „Aufführungen von Werken, die das Publikum und die jüngere Generation negativ beeinflussen oder das Ansehen der Nation schädigen, sind nicht erlaubt.“

Kasachstan

Im Jahr 2016 wurde das Theaterstück „Gespräch mit der Seele: Zeit, zu reden“ mit dem Theologen Shamil Alıautdinov in Kasachstan wegen religiöser Untertöne nicht aufgeführt, wie Tengrinews.kz berichtet. Der Ausschuss für religiöse Angelegenheiten des Ministeriums für Kultur und Sport erklärte, dass „das Stück Elemente religiöser Propaganda enthält, nämlich die Verbreitung der islamischen Doktrin. Dies wird als missionarische Tätigkeit angesehen.“ Die Institution meinte, im Drehbuch sei „ein religiöser Kontext“ mit religiösen Begriffen und dem Werben für religiöse Werte herauszulesen. Im Jahr 2017 verbot die kasachische Kulturbehörde die Aufführung des Stücks „Baba Shanel“ des russischen Dramatikers Nikolaj Koljada im örtlichen Theater, schreibt Meduza. Koljada meinte daraufhin, dass der Grund dafür wohl die Tatsache sei, dass der Leiter des Kulturministeriums im Stück „Rasenmäher“ genannt werde. Wenig später wurde vonseiten des Kulturministeriums behauptet, dass es sich beim Verbot des Stücks um eine Falschinformation handle und es bereits aufgeführt worden sei.

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Die Inszenierung habe innerhalb des kasachischen Theaters viele Kontroversen ausgelöst, und die Hälfte des künstlerischen Beirats sei gegen das Stück gewesen, weil es „zu viel Geschrei und zu wenig Charakterisierung der Figuren“ gebe. Dem Regisseur wurde geraten, einige Punkte zu überdenken. Koljada selbst deutete an, dass kasachische Beamte ihre Entscheidung überdachten, als das Verbot eine starke Reaktion in den sozialen Medien hervorrief.

Usbekistan

Im September dieses Jahres verschob das Ilkhom-Theater die Premiere von „Mädchen des Untergrunds“ nach einer Entscheidung der usbekischen Theatergewerkschaft; Kun.uz berichtete. Das Projekt basiert auf Jenny Nordbergs Buch „Mädchen des Untergrunds von Kabul: Auf der Suche nach verstecktem Widerstand in Afghanistan“ und Interviews mit afghanischen Flüchtlingsfrauen und Menschen, die nach der Machtübernahme der Taliban noch in Afghanistan leben. Das Stück versuche, die Fragen zu beantworten, warum die Gesellschaft Männer bevorzugt und warum es manchen immer noch so schwerfällt zu akzeptieren, dass Männer und Frauen gleichberechtigt sein können. Die Theatergewerkschaft erklärte, dass „die Darstellung der sozialen, religiösen und politischen Situation in Afghanistan für die breite Öffentlichkeit auf der Grundlage einer westlichen Weltsicht, die nationale und religiöse Werte und Traditionen verurteilt, die bilateralen staatlichen Beziehungen zwischen Afghanistan und Usbekistan untergraben könnte.“ Eine Expertengruppe des usbekischen Kulturministeriums und des Verbandes des Theaterpersonals sollte das Drehbuch prüfen, bevor es aufgeführt werden könne.  

Mazchab Dschuma und Schirin Rachmanowa für Asia Plus

Aus dem Russischen (gekürzt) von Michèle Häfliger

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