Temirlan Ensebek, Erfinder und Autor von „Qaznews24“, einer Agentur für satirische Nachrichten, wurde am Samstag in Almaty verhaftet. Es wird erwartet, dass er für den Verdacht auf Volksverhetzung angeklagt wird. Das Gericht hat Ensebek für die Dauer der vorläufigen Untersuchung in Gewahrsam genommen. Falls er verurteilt wird, erwarten ihn bis zu sieben Jahre Gefängnis.
Zivilaktivist und Blogger Temirlan Ensebek, Autor des satirischen Medienkanals Qaznews24, welcher sich als Nachrichtenagentur tarnt, wurde am letzten Samstag 18. Januar, während einer Durchsuchung in seinem Zuhause festgenommen. Am selben Abend wurde er vorläufig vor Gericht gestellt und verließ das Gerichtsgebäude in Handschellen. Der Aktivist bleibt für die nächsten zwei Monate in Gewahrsam, bis zum Abschluss der vorläufigen Untersuchung. Ensebeks Anwältin Janar Balgabaeva meinte zu den Journalisten, der Grund für die Verhaftung sei der humoristische Song „Yo, orystar“ („Yo, Russen“) gewesen, welchen Ensebek an einen satirischen Post über die russische TV-Moderatorin Tina Kandelaki anhängte. Ein Vertreter der Staatsanwaltschaft reichte eine Beschwerde über den Post ein, was die Ereignisse in Gang setzte.
Satire auf dem Prüfstand
Qaznews24 kann als das kasachische Äquivalent zum „Postillon“ gesehen werden – eine beliebte Instagram-Seite, welche Satirisches und freche Kommentare zu aktuellen Geschehnissen und sozialen Problemen veröffentlicht. Qaznews24 hat seit seiner Gründung 2021 Dutzende Posts über Armut, Korruption, Vetternwirtschaft und die Idolisierung der Mächtigen veröffentlicht, sich über Verschwörungstheoretiker lustig gemacht und Heuchler und Kriecher in der Politik angeprangert.
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Obwohl die Seite in jedem Post ihre satirische Orientierung offen darlegt, führt ihr Inhalt regelmäßig zu Verwirrung, weil die Berichte als echte Nachrichten missverstanden werden. 2021 wurde Ensebek beschuldigt, Falschinformationen zu verbreiten, und nach einer Hausdurchsuchung wurde er zur Befragung zum Polizeibüro gebracht. Die Polizei gab eine Erklärung ab, dass Qaznews24 „die Bevölkerung desinformiert und die Bürger in die Irre führt“, und betitelte Ensebek als einen Fake News-Autor.
Ensebeks Kollegen starteten daraufhin die Aktion „Satire ist kein Verbrechen“, verlangten die Aufhebung der Anklage und die Zusicherung der Freiheit der Rede, welche in der kasachstanischen Verfassung garantiert wird. Die Aktion wurde von internationalen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch unterstützt. Nachdem Linguistik-Experten zeigten, dass humoristische Inhalte nicht als bewusst falsche Informationen klassifiziert werden können, wurde der Fall geschlossen.
Doch wie die jüngsten Ereignisse zeigen, waren die Behörden noch nicht fertig mit Qaznews24.
„Neues Kasachstan“, alte Methoden
Am Samstag, dem 18. Januar 2025, wurde Ensebeks Haus erneut durchsucht – dieses Mal unter dem Vorwand, er „stifte zu ethnischem Hass“ an. Er wurde zum Polizeibüro gebracht und musste eine kurze abendliche Verhandlung über sich ergehen lassen. Der Richter verlangte seine zweimonatige Haft, bis zum Abschluss der vorläufigen Untersuchung. Dies ist die härteste Bestrafung, welche das Gesetz bietet.
Nach zwei Monaten Untersuchung erwartet Ensebek wahrscheinlich der nächste Prozess. Falls er für schuldig befunden wird, könnte er eine Strafe bekommen, welche von einer Geldstrafe über Freiheitseinschränkung für eine Dauer von zwei bis sieben Jahren bis hin zu einer Inhaftierung für dieselbe Zeitdauer reichen könnte.
Am Sonntag, dem 19. Januar, gab es eine neue Entwicklung in der Angelegenheit. Der Journalist und ehemalige Chefredakteur des Internet-Kunst-und-Kultur-Portals „Art of Her“, Rus Biketov, hielt eine Solo-Mahnwache für Ensebek in Almaty ab. Er wurde unverzüglich von der Polizei festgenommen. Noch am selben Tag wurde Biketov zu 15 Tagen Haft verurteilt wegen Verstoßes gegen die Gesetzgebung der Republik Kasachstan in Bezug auf das Prozedere für die Organisation und Durchführung friedlicher Versammlungen.
Kein Grund zum Lachen
Geschichtlich gesehen war Kasachstan nie ganz oben bei der Bewertung der freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit. Der Untersuchung der Internetfreiheit von Freedom House zufolge liegt Kasachstan auf Platz 34 von 100, wodurch es in der „Nicht frei“-Kategorie landet. Der Welt-Pressefreiheits-Index von RSF platziert Kasachstan auf Platz 142 von 180 im Jahr 2024, was im Vergleich zu 2023 einen Verlust von acht Plätzen bedeutet. Der Global Expression Report (Globaler Meinungsfreiheitsbericht) definiert Kasachstan als „höchst eingeschränkt“.
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Eine leichte Verbesserung beim „Freiheit des Ausdrucks“-Index des V-Dem-Projekts ändert das Gesamtbild nicht wirklich. Dieser Index zeigt „die beste Einschätzung des Ausmaßes, in welchem Menschen zu Hause und in der Öffentlichkeit politische Themen diskutieren können, die Presse und Medien frei sind und unterschiedliche politische Ansichten darstellen können, sowie die Freiheit des wissenschaftlichen und kulturellen Ausdrucks“, und Kasachstans Wertung von 0,43 (von max. 1) kann bestenfalls als mittelmäßig bezeichnet werden.
Die Verfolgung Andersdenkender wie im Fall von Ensebek ist nichts Neues. Tatsächlich zeigten Kasachstans Behörden bereits bei mehreren Anlässen einen eklatanten Mangel an Humor – und, zum größten Teil, die Unfähigkeit, berechtigte Kritik anzunehmen. Es ist fraglich, ob ein satirischer Kanal eine so große Bedrohung darstellt, wenn im selben Land die Polizei Folter gegen Demonstranten einsetzt und die organisierte Kriminalität auf dem Vormarsch ist. Doch tatsächlich ist dieses scharfe Vorgehen gegen Satire alles andere als unlogisch. Der Gedanke ist nicht, das größte Übel zu bekämpfen, sondern jene ins Visier zu nehmen, welche es wagen, dagegen die Stimme zu erheben.
Während der Fall Temirlan Ensebek absurd erscheinen mag, zeigt seine Einsperrung eine bedenkliche Entwicklung in der Einschränkung der Redefreiheit. Wichtiger noch, sie soll als eine klare Warnung an die Zivilbevölkerung dienen. Wie der Redakteur Adil Jalilov von Factcheck.kz in seiner Kolumne schreibt, ist „das zu erwartende Ergebnis der Verhaftung und des Strafprozesses gegen den Qaznews24 Autor Temirlan Ensebek […] offensichtlich eine Zunahme der Selbstzensur in der gesamten Mediengemeinschaft.“
Anna Wilhelmi, Redakteurin für Novastan
Aus dem Englischen von Mafra Martens