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Patriarchale Gewalt filmisch erzählen: Ein Interview mit Husnora Rozmatova

Mit ihrem Film „The Song Sustxotin“ feierte Husnora Rozmatova beim diesjährigen goEast-Filmfestival nicht nur Europapremiere, sondern wurde auch doppelt ausgezeichnet. Über ihren Film, patriarchale Strukturen und die Schwierigkeit, sich als Regisseurin in Usbekistan zu behaupten, sprach Husnora mit Novastan.

Husnora Rozmatova, Photo: privat

Mit ihrem Film „The Song Sustxotin“ feierte Husnora Rozmatova beim diesjährigen goEast-Filmfestival nicht nur Europapremiere, sondern wurde auch doppelt ausgezeichnet. Über ihren Film, patriarchale Strukturen und die Schwierigkeit, sich als Regisseurin in Usbekistan zu behaupten, sprach Husnora mit Novastan.

Novastan: Husnora, zunächst herzlichen Glückwunsch zu der Europaprämiere in Wiesbaden. Der Film hat zwei Preise gewonnen, es wird zum Auftakt des goEast- Festivals 2026 bei 3Sat gezeigt, und dazu möchte ich herzlich gratulieren. Das ist Ihre erste Teilnahme an einem europäischen Filmfestival. Wie haben Sie das goEast Filmfestival in Wiesbaden erlebt – insbesondere im Vergleich zu anderen Premieren Ihres Films? Gab es Überraschungen?

Husnora Rozmatova: Meine erste Premiere fand auf einem großen Filmfestival in Goa, Indien, statt. Über die europäische Premiere in Wiesbaden im Rahmen des goEast-Filmfestivals habe ich mich besonders gefreut – zumal ich dieses Jahr die einzige Filmregisseurin aus Zentralasien war.

Die im Festival gezeigten Filme waren sehr beeindruckend, was die Ehre, zwei Auszeichnungen erhalten zu haben, für mich umso größer macht. Schon allein im Hinblick auf das Budget sind unsere Filme kaum vergleichbar – wir hatten nur sehr begrenzte Mittel zur Verfügung.

Ihr Film thematisiert mehrere gesellschaftliche Probleme in Usbekistan: Gewalt gegen Frauen, konservativ-patriarchale Strukturen, Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der journalistischen Arbeit sowie Armut. Wie kamen Sie auf die Idee zu diesem Film?

Diese gesellschaftlichen Probleme hängen eng miteinander zusammen und bedingen sich gegenseitig. Armut, harte Lebensrealitäten und das erzwungene Leugnen von Tatsachen – all das ist tief miteinander verwoben.

Vor einigen Jahren gab es besonders erschütternde Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Frauen in verschiedenen Regionen Usbekistans. Die Fälle aus Andijon und Choresm vor drei Jahren haben mich besonders tief getroffen.

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In Andijon wurde eine schwangere Frau von fünf Männern vergewaltigt. Später veröffentlichte sie ein Video, in dem sie die Vorwürfe widerrief – doch es war offensichtlich, dass sie dazu gezwungen wurde. Man konnte es in ihrem Gesicht ablesen. In einem anderen Fall – in einem Waisenhaus in Choresm – wurden 15- bis 17-jährige Mädchen unter Beteiligung der Heimleiterin monatelang systematisch von Staatsbeamten vergewaltigt.

In vielen solcher Fälle bleiben Männer straffrei, während die Frauen mit den psychischen und sozialen Folgen leben müssen. Oft endet das in Selbstmord – vor allem in ländlichen Regionen. Hinzu kommt die Reaktion des Umfelds: Statt Empathie erfahren die Opfer Schuldzuweisungen, und die Täter werden geschützt – mit dem Argument, man wolle „den Ruf des Dorfes nicht beschmutzen“.

Im Film steht ein Mann im Zentrum – ein ehemaliger Abgeordneter, der Gerechtigkeit sucht. Warum haben Sie sich für diese männliche Perspektive entschieden, obwohl das Opfer – ein Mädchen – nur am Rande vorkommt?

Diese Frage höre ich häufig. In Usbekistan wird die Gesellschaft stark von Männern dominiert. Mir war es wichtig, zu zeigen, dass auch Männer eine (moralische) Verantwortung tragen sollen. Der Protagonist ist ein ehemaliger Abgeordneter, der zurückgetreten ist, weil er im bestehenden System nichts bewirken konnte. Er ist geplagt von seinem Gewissen und fühlt sich mitverantwortlich für das Leid des Mädchens.

Im Film zeige ich drei Gruppen von Frauen: das Mädchen – Symbol für die junge Generation, die Tagelöhnerinnen – Vertreterinnen der Frauen, die gezwungenermaßen im Ausland arbeiten müssen, und die Großmutter – als Stimme der älteren Generation. Sie alle stehen sinnbildlich für das Leid der Frauen in einer patriarchalen Gesellschaft.

Warum zeigen Sie den Täter im Film nicht? Man erfährt nicht, wer es ist.

Das war eine bewusste Entscheidung. Hätte ich einen konkreten Täter gezeigt, wäre es zu einfach gewesen, die Schuld auf eine einzelne Person abzuwälzen. Doch das Mädchen wurde nicht nur von einem Mann vergewaltigt – sie ist ein Opfer des gesamten Systems, einer ganzen Gesellschaftsordnung. In gewisser Weise tragen alle Männer eine Mitschuld – selbst der Protagonist.

Am Ende des Films beginnt es zu regnen – begleitet von einem Trauermoment. Der Eindruck entsteht, dass eine Frau sterben musste, damit es endlich regnet. Wer stirbt – die Großmutter oder das Mädchen?

Diese Szene ist bewusst offengehalten. Es könnte sowohl die Großmutter als auch das Mädchen sein. Wichtig ist: Eine Frau stirbt – sie wird symbolisch dem System „geopfert“. Das ist die zentrale Aussage.

Inwiefern kann Kunst – insbesondere Film – dazu beitragen, patriarchale Strukturen sichtbar zu machen und zu verändern?

In Zeiten großer gesellschaftlicher Krisen oder Katastrophen, wie etwa während des Zweiten Weltkriegs, entstanden viele bedeutende Werke in Film, Malerei und Literatur. In Momenten des Schmerzes und der Hoffnungslosigkeit werden Kunst und Glaube oft zur einzigen Hoffnung.

Die im Film gezeigten Probleme lassen sich nicht von heute auf morgen lösen. Aber Kunst und Glaube können Impulse für langfristige Veränderungen setzen. Ich sehe es als Aufgabe von Kunstschaffenden, Haltung zu zeigen. Das habe ich von meinen Mentor:innen gelernt: Regisseur:innen müssen sich gesellschaftlich positionieren und gegen Unrecht einstehen.

Bevor ich „The Song Sustxotin“ gedreht habe, habe ich eher persönliche, fantasievolle Filme gemacht, zum Beispiel „Rehearsal“. Erst nach den Dreharbeiten wurde mir klar, wie weit ich von der Realität meiner Mitmenschen entfernt war. Ich hatte den bisherigen Filmen kein Mitgefühl für Menschen in prekären Lebenssituationen gezeigt – das hat mich belastet.

Deshalb habe ich mich entschieden, mich mit den realen Lebensbedingungen, insbesondere von Frauen, auseinanderzusetzen – und daraus entstand das Drehbuch zu „The Song Sustxotin“.

Wie gehen Sie mit den Risiken um, die entstehen, wenn man sich öffentlich gegen patriarchale Strukturen äußert?

Ein Mitglied der Filmkommission sagte mir einmal, es sei unnötig gewesen, die „negativen Seiten“ Usbekistans zu zeigen – das sei doch keine Normalität und komme „höchstens alle zehn Jahre vor“. Dabei liest man heute beinahe täglich von Vergewaltigungsfällen in den Medien.

Ich wusste, dass es sinnlos wäre, mit ihm zu diskutieren. Ich verabschiedete mich mit einem Lächeln. Aber ich werde weiterhin solche Themen durch meine Filme aufgreifen.

Wie ist es um die Repräsentation von Frauen in der usbekischen Filmbranche bestellt? Und welche Erfahrungen haben Sie als junge Regisseurin gemacht?

Usbekistan liegt weit hinter anderen Ländern Zentralasiens zurück, wenn es um die Sichtbarkeit von Frauen in der Filmbranche, besonders als Regisseurinnen, geht. In Kasachstan und Kirgistan gibt es einige bekannte Regisseurinnen – in Usbekistan dagegen kaum. Eine der wenigen ist Qamara Kamolova.

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Es gibt einige Frauen, die Kurzfilme oder TV-Serien drehen, aber auch sie sind rar. Für Frauen ist es sehr schwer, sich als Regisseurinnen zu behaupten. Als ich meine ersten Filme drehte, wurde ich im Team kaum ernst genommen. Ich musste mich doppelt beweisen – als junge Frau in einem männlich dominierten Umfeld. Wenn ein Mann einen erfolgreichen Film macht, sagt man: „Er hat Talent.“ Wenn eine Frau Erfolg hat, heißt es beim ersten Film: „Glück.“ Beim zweiten: „Sie wurde unterstützt.“ Erst beim dritten Film wird ihr Können anerkannt.

Ihr Film wird 2026 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Was bedeutet das für Sie? Und glauben Sie, dass Ihr Film auch bald im usbekischen Fernsehen zu sehen sein wird?

Ich hoffe, dass mein Film bald auch in Usbekistan gezeigt wird. Internationale Festivalteilnahmen sind schön, aber sie erfüllen mich nicht. Es macht mich nicht glücklich, das Leid meines Volkes auf die Leinwand zu bringen und damit internationale Anerkennung zu erhalten.

Was ich mir wirklich wünsche, ist, dass mein eigenes Volk diesen Film sieht – als Spiegel der Gesellschaft. Ich musste ein ganzes Jahr warten, bis die usbekische Filmagentur (MTRK) den Film überhaupt zur internationalen Vorführung freigegeben hat. Ich hoffe trotzdem, dass der Film in den kommenden Jahren in usbekischen Kinos oder im Fernsehen gezeigt wird.

Arbeiten Sie bereits an neuen Projekten mit ähnlichen Themen?

Momentan konzentriere ich mich auf TV-Serien, um finanziell über die Runden zu kommen. Für größere Projekte fehlt es derzeit an Mitteln. Aber ich habe Drehbücher für zwei Kurzfilme geschrieben, die keine staatliche Förderung benötigen. Einer davon widmet sich erneut der Lebensrealität usbekischer Frauen.

Für größere Filmprojekte habe ich ebenfalls Ideen – etwa für einen Film im mystisch-poetischen, sufischen Genre. Leider gibt es solche Filme bislang nicht in Usbekistan. Ich würde gerne usbekische Metaphern und mystische Elemente aufgreifen – doch dafür braucht es enorme Förderung. Vielleicht gelingt es mir, internationale Förderung zu gewinnen.

Unsere Filmkultur ist stark von der sowjetischen und russischen Schule geprägt. Eine eigenständige, usbekische Filmschule hat sich noch nicht wirklich entwickelt – obwohl unsere Literatur und Poesie sehr weit fortgeschritten ist. Auch in meinen Filmen ist der Einfluss der russischen Filmschule spürbar. Aber vielleicht ist das nur eine Phase – ich hoffe, es kommt eine neue Ära der usbekischen Filmkunst.

Husnora, vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Makhkam Khamidov für Novastan

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