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In Zentralasien werden zukünftig wenig Menschen Russisch sprechen

Zentralasien ist eine der wenigen Regionen der Welt, in der Russland immer noch versucht, die Sprachpolitik der Länder zu kontrollieren. Seit Februar 2022 beschreiten jedoch immer mehr Staaten des postsowjetischen Raums den Weg der Entwicklung von Nationalsprachen. Wie läuft der Prozess heute in den Ländern Zentralasiens ab? Ein Gemeinschaftsprojekt von Factchek.kz, Respublika.kz, Kloop und Your.tj, mit Unterstützung von Mediaset.

Immer weniger Menschen in Zentralasien sprechen Russisch (Illustration), Photo: Wikimedia Commons

Zentralasien ist eine der wenigen Regionen der Welt, in der Russland immer noch versucht, die Sprachpolitik der Länder zu kontrollieren. Seit Februar 2022 beschreiten jedoch immer mehr Staaten des postsowjetischen Raums den Weg der Entwicklung von Nationalsprachen. Wie läuft der Prozess heute in den Ländern Zentralasiens ab? Ein Gemeinschaftsprojekt von Factchek.kz, Respublika.kz, Kloop und Your.tj, mit Unterstützung von Mediaset.

Tadschikistan: Russisch hat noch Perspektive

Die russische Sprache in Tadschikistan gilt als Schlüssel für eine erfolgreiche Karriere und den Zugang zu moderner Literatur und Technologie. Und obwohl Englisch um einiges vielversprechender ist, ist Russisch für ein Studium in Tadschikistan leichter zugänglich. Darüber hinaus gehen viele Familien davon aus, dass ihre Kinder nach der Schule an russischen Universitäten studieren oder nach einer Weile nach Russland gehen werden, um dort zu arbeiten.

Nach dem Schulunterricht können die Absolvent:innen, mit Ausnahme einiger weniger Kinder, nicht fließend Tadschikisch sprechen. Auch das selbstständige Erlernen der Sprache ist schwierig. Im Jahr 2023 kann man Tadschikisch-Sprachkurse an einer Hand abzählen und eine Unterrichtsstunde kostet fast 20 US-Dollar. Ein Sprachlehrsystem hat sich nicht herausgebildet. Darüber hinaus unterrichtet man in Schulen und Kursen ein literarisches Tadschikisch, das sich stark von der modernen gesprochenen Sprache unterscheidet.

Kirgistan: Versuche, aus dem Schatten Russlands zu treten

Ende 2023 verabschiedete Kirgistan ein Gesetz zur Staatssprache, das Beamte, Abgeordnete, Lehrende und medizinisches Personal verpflichtet, Kirgisisch zu sprechen. Andernfalls könnten sie sogar entlassen werden. Russische Beamte und Propagandamedien haben bereits erklärt, dass dieses Gesetz „undemokratisch“ sei und die russische Sprache in Kirgistan unterdrücke.

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Doch die Beamten beherrschen das Kirgisische immer noch nicht gut. Dies zeigen Sprachtests, die sie seit drei Jahren absolvieren müssen. „Es gibt nur sehr wenige, die die Niveaustufen A1, A2, B1 und B2 bestanden haben. Es waren insbesondere unsere Kirgisen, die nicht bestanden haben. Weil sie sich von Anfang an [in ihrer Arbeit] auf die russische Sprache konzentrierten“, sagt Kanybek Osmonalijew, Leiter der Nationalen Kommission für staatliche Sprache und Sprachpolitik. Er schlägt vor, den Beamten Zeit zu geben, ihre Kirgisisch-Kenntnisse zu verbessern, andernfalls müssten sie nach den Regeln des neuen Gesetzes sofort entlassen werden.

Laut der Volkszählung von 2022 sprechen in Kirgistan bei einer Bevölkerung von fast 6,7 Millionen Menschen etwa 4,4 Millionen Kirgisisch. Allerdings gibt es immer mehr Menschen, die die Sprache lernen möchten. Aktivist:innen tragen in erster Linie dazu bei, die Sprache zu entwickeln und Liebe für sie zu wecken.

Seit 2013 gibt es in Kirgistan das Projekt Balastan, das Kinderbücher auf Kirgisisch veröffentlicht. Und seit 2017 publiziert Bugupress Weltbestseller in kirgisischer Übersetzung: Bücher über Wissenschaft und Wirtschaft sowie Belletristik.

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Auch das Studio REC 55 ist im Land vertreten – ein Team von Enthusiast:innen, das Filme und Fernsehserien auf Kirgisisch synchronisiert. Darüber hinaus gibt es die IT-Community DevKurultai, wo man Programmieren auf Kirgisisch lernen kann.

Kasachstan: Aktivist:innen entwickeln die Sprache

In Kasachstan wiederum ist die Sprache einer der konfliktträchtigsten Faktoren der Gesellschaft. Immer wieder kommt es im Land zu sprachbezogenen Skandalen; die Sprache ist zum Hauptbestandteil der Rhetorik von Politiker:innen mit einer nationalpatriotischen Agenda geworden. Diskussionen über die Stärkung der kasachischen Sprache werden immer härter.

Mittlerweile liegt das Hauptproblem auf der Hand: Keine einzige Person aus Regierungskreisen konnte in den Jahrzehnten der Unabhängigkeit die Herausforderung lösen: Wie kann man der Gesellschaft, sowohl Schulkindern als auch Erwachsenen, die kasachische Sprache beibringen?

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Es sind vor allem Aktivist:innen und Enthusiast:innen, die versuchen, die Situation im Land zu ändern. So entwickelte der Schriftsteller Kanat Tasibekov seine eigene Methode zum Erlernen der Sprache. Darüber hinaus schrieb er das Buch „Situatives Kasachisch“ und gründete den kasachischen Sprachclub „Mämile“.

Dabei begann Tasibekov selbst erst im Alter von 50 Jahren, Kasachisch zu lernen. „Ich schämte mich, dass ich Kasache war und kein Kasachisch sprach. Ein Doktor der Philologie fragt: Hatten Sie vor Ihrem 50. Lebensjahr keine Scham? Ich antworte: Bevor ich 50 war, hatte ich andere Prioritäten, ich musste Geld verdienen, meinen Kindern auf die Beine helfen, meine Tochter und meinen Sohn verheiraten“, erklärt er gegenüber Respublika.kz. „Eine Sprache zu lernen ist eine Menge intellektueller Arbeit. Man braucht sowohl Zeit als auch Ressourcen.“

Turkmenistan: Erfolgreiche Sprachtrennung

Turkmenistan ist bei der Förderung der Landessprache weiter fortgeschritten als die anderen zentralasiatischen Länder: Im Jahr 2020 sprachen nur 18 Prozent der Einwohner:innen des Landes in dem einen oder anderen Grad Russisch. Dazu trugen sehr radikale Reformen bei.

Wie Factcheck.kz feststellt, führte einerseits die Politik des ersten Staatschefs Turkmenistans, Saparmyrat Nyýazow (er leitete das Land von 1985 bis 2006), zusammen mit der schwierigen sozioökonomischen Lage im Land zu einer massiven Abwanderung ethnischer Russ:innen und anderer russischsprachiger Bevölkerung. Andererseits habe die radikale Sprachpolitik funktioniert.

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Der entscheidende Punkt war der Übergang von der kyrillischen zur lateinischen Schrift. Der Prozess wurde von Massenpropaganda in den Medien begleitet. Apropos Medien: Im Land gibt es nur noch eine Zeitung in russischer Sprache.

Die Reform wirkte sich auch auf das Bildungswesen aus: Trotz der erklärten Politik des dreisprachigen Unterrichts (Turkmenisch, Russisch, Englisch) wurden russischsprachige Schulen und Universitätslehrpläne liquidiert.

Usbekistan: Einen Schritt vor und zwei zurück

Usbekistan ist ein weiteres Land in der Region, welches die Umstellung vom kyrillischen auf das lateinische Alphabet durchführt. Der Prozess begann im Jahr 1993. Aber während im benachbarten Turkmenistan alles geklappt hat, haben die Behörden Usbekistans die Fristen ständig verschoben: von 2000 auf 2003, dann auf 2010 und zuletzt auf 2023.

Einige Schulbücher konnten ins Lateinische übersetzt werden. Aber es gibt eine Nuance: Junge Menschen, die nicht die kyrillische Version des usbekischen Alphabets beherrschen, sind tatsächlich vom literarischen Welterbe abgeschnitten. Wie Factchek.kz feststellt, wurde bisher nur ein sehr kleiner Teil der Belletristik, darunter klassische Werke usbekischer Autoren, in das lateinische Alphabet übernommen.

Obwohl Russisch keine Amtssprache in Usbekistan ist, ist es in den Großstädten immer noch vorherrschend und behält seine Stellung in Wirtschaft und Wissenschaft. In der Gesellschaft hat sich das Klischee verstärkt, dass Bildung auf Russisch von besserer Qualität sei als auf Usbekisch.

Wie können sich Nationalsprachen in den Ländern Zentralasiens entwickeln?

Die Aussichten für das Russische und die Nationalsprachen in den Ländern Zentralasiens sind schwer vorherzusagen, aber Factcheck.kz zeigt mehrere mögliche Szenarien auf:

Der Weg des Wartens

Die Zahl der Russischsprachigen in Zentralasien ist in den letzten 30 Jahren stetig zurückgegangen – und das ist ein natürlicher Prozess. „Wir gehen in die Zukunft, in der nur noch sehr wenige Menschen Russisch sprechen werden. Sie werden sich hauptsächlich in den größten Städten konzentrieren – in Almaty oder Bischkek. Der Rest der Städte wird Landessprachen sprechen, und das ist normal, das ist natürlich“, sagt Temur Umarov, Experte am Carnegie Center, gegenüber Kloop.

Darüber hinaus sind ethnische Russ:innen in Zentralasien eine alternde Gruppe, deren Durchschnittsalter 38-40 Jahre beträgt. Die Logik dieses Szenarios besteht also darin, dass der Einfluss der russischen Sprache zusammen mit den Träger:innen der russischen Identität und Kultur verschwinden wird. In der Praxis ist die Abhängigkeit der Stellung der russischen Sprache von der Zahl der ethnischen Russ:innen jedoch nicht so direkt.

Der Weg der Verbote

Factcheck.kz stellt weiter fest, dass in Turkmenistan und Lettland eine Politik strenger Beschränkungen des Gebrauchs der russischen Sprache funktioniert hat. Somit sind in diesen Ländern die Amtssprachen bereits die einzigen Unterrichtssprachen (vom Kindergarten bis zum Gymnasium) oder werden es bald sein.

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Durch diesen Ansatz entsteht ein sogenanntes „Sprachnest“ – eine Umgebung, in der alle Erwachsenen schon in jungen Jahren mit Kindern in der Zielsprache sprechen. Wenn die Sprache anschließend in Universitäten und am Arbeitsplatz verwendet wird, gelangt die Sprache aus dem alltäglichen Gebrauch in den beruflichen Bereich.

Der Weg der Kompromisse

In diesem Fall werden die Länder einerseits viele staatliche Programme zur Sprachentwicklung umsetzen und andererseits die russische Sprache auf verschiedene Weise unterstützen, um gutnachbarschaftliche Beziehungen zu Russland als einem der wichtigsten Wirtschaftspartner aufrechtzuerhalten.

Der Weg der Zusammenarbeit

Der Erfolg bei der Förderung der Sprache basiert auf einer produktiven Interaktion zwischen Behörden, Expert:innen und zivilen Initiativen, stellt Factcheck.kz fest. Der Staat stellt den gesetzlichen Rahmen und die Finanzierung bereit, Expert:innen und Aktivist:innen beurteilen die Bedürfnisse der Gesellschaft und den Grad der Bereitschaft zu bestimmten Reformen.

Der Schlüssel zur erfolgreichen Umsetzung einer Sprache liegt darin, eine positive Motivation für das Erlernen und Verwenden der Sprache zu schaffen. Die Sprache muss notwendig, nützlich und prestigeträchtig gemacht werden. Eine effektive Sprachplanung ist in der Regel weder schnell noch bei allen Bevölkerungsgruppen beliebt. Darüber hinaus werden diese Maßnahmen ihren Initiator:innen keine einfachen politischen Vorteile bringen, stellt Factcheck.kz fest. Veränderungen werden langsam erfolgen, daher ist es viel einfacher, das Sprachproblem zu nutzen und mit den populistischen Gefühlen der Bürger:innen zu spielen.

Die vollständigen Ergebnisse von Factcheck.kz könnt ihr hier einsehen.

Kloop

Aus dem Russischen von Robin Roth

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