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Haftstrafen wegen der Veröffentlichung von Memoiren in Tadschikistan

In Ereignisse meines Lebens blickt der tadschikische Geschäftsmann Abduchalil Cholikzoda auf drei Jahrzehnte Unabhängigkeit zurück und beklagt die Korruption, das Geschäftsklima und das niedrige Kultur- und Bildungsniveau, die das Land seiner Meinung nach prägen. Er verbüßt nun eine neunjährige Haftstrafe.

Der Palast der Nationen, Sitz der präsidialen Macht, Duschanbe, Tadschikistan. Foto: Rjruiziii / Wikimedia Commons.

In Ereignisse meines Lebens blickt der tadschikische Geschäftsmann Abduchalil Cholikzoda auf drei Jahrzehnte Unabhängigkeit zurück und beklagt die Korruption, das Geschäftsklima und das niedrige Kultur- und Bildungsniveau, die das Land seiner Meinung nach prägen. Er verbüßt nun eine neunjährige Haftstrafe.

Als Abduchalil Cholikzoda im März 2023 seine Memoiren in Duschanbe vorstellte, hatte er wohl nicht mit so heftigen Reaktionen gerechnet. Bereits im folgenden Sommer gerieten der Autor sowie Abdukodir Rustam und Suchrob Raschabzoda, die an der Herausgabe und dem Druck des Buches beteiligt waren, in Untersuchungshaft. Innerhalb weniger Wochen verschwanden alle Exemplare von Chavodisi ruzgori man (Tadsch., „Ereignisse meines Lebens“) aus den Buchhandlungen Tadschikistans. Das Buch enthält auf 300 Seiten ein Porträt des Landes seit der Unabhängigkeit und dem Bürgerkrieg, aber auch Kritik an Korruption und Geschäftsklima sowie am niedrigen Bildungs- und Kulturniveau des Landes.

Der tadschikische Generalstaatsanwalt Jusuf Rahmon bestätigte die Verhaftung am 15. August auf einer Pressekonferenz, wie das tadschikische Medium Asia-Plus berichtete. Er erklärte, er habe die Festnahme persönlich auf der Grundlage von Artikel 189 des tadschikischen Strafgesetzbuches angeordnet, der sich auf die „Anstiftung zu Hass und Feindschaft“ bezieht, unabhängig davon, ob sie aus nationalen, regionalen, rassischen oder religiösen Gründen erfolgt.

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Rahmon begründete seine Entscheidung folgendermaßen: „In der Vergangenheit, vor der Unabhängigkeit, hatte er [Cholikzoda] keinen Cent in der Tasche und nach 1992 wurde er zum Besitzer von Millionen von Dollar und Somoni. Das war während der Unabhängigkeit, dank der Politik des Präsidenten“. Der Staatsanwalt fährt fort: „Aber anstatt dankbar zu sein, hat er ihn [den Präsidenten] scharf kritisiert, das tadschikische Volk beleidigt, Vertreter verschiedener Regionen des Landes beschimpft, zum Hass angestachelt. All das hat er in seinem Buch beschrieben.“

Rahmon und Rahmon

Präsident ist Emomali Rahmon, der seit über 30 Jahren an der Macht ist und sich im Laufe der Jahre die gesamte Exekutive, Legislative und Judikative gefügig gemacht hat. Trotz des gleichen Familiennamens sind Jusuf Rahmon und Emomali Rahmon keine Blutsverwandten, aber seit der Heirat des Sohnes des Generalstaatsanwalts mit der jüngsten Tochter des Präsidenten im Dezember 2022 sind sie verschwägert, wie Radio Ozodi, der tadschikische Ableger des amerikanischen Medienunternehmens Radio Free Europe, feststellte.

Der Geschäftsmann und Autor Cholikzoda wurde 1966 in einem Dorf in der Nähe von Pendschikent geboren. Als er 1992 sein Studium an der Fakultät für orientalische Sprachen der Nationalen Universität Tadschikistans abschloss, fiel der Zusammenbruch der Sowjetunion mit dem Ausbruch des Bürgerkriegs zusammen. Er machte schließlich Karriere in der Wirtschaft, in seinem Fall im Baumwollhandel, und gründete 2008 in Duschanbe die Ibn-Sino-Klinik, eine Einrichtung der gehobenen Klasse, die er bis zu seiner Verhaftung im August 2023 leitete.

„Verlorene Generation“

Sein erstes Buch erschien 2018 als Leitfaden für Unternehmende in Tadschikistan, wie Asia-Plus damals berichtete. Darin sprach er bitter über das Dilemma seiner Generation, die er als „verloren“ bezeichnete. „Die Zeit, in der sie aufwuchs, fiel mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion zusammen. Dieser Kataklysmus zerstörte alle unsere Pläne für die Zukunft“, schrieb er.

In Ereignisse meines Lebens ist der Autor noch immer desillusioniert. „In den Jahren nach der Unabhängigkeit brachen die gemeinsamen Werte wie Wissen und Leistungsgesellschaft sehr schnell zusammen. Wer eine Position, Reichtum und Waffen besaß, galt als groß“, berichtet Radio Ozodi aus dem Buch. Der Autor weist auch auf die Rechtsunsicherheit hin, die jeden unternehmerischen Versuch im Keim ersticke, und auf die juristischen Missgeschicke mancher Unternehmer, die entmutigen und die Entwicklung behindern.

In einer anderen Passage des Buches geht es um die Zahlung von Bestechungsgeldern an die Staatsanwaltschaft in Pendschikent. „Der Autor beleidigt den Generalstaatsanwalt direkt und diskreditiert ihn in den Augen der Öffentlichkeit“, beklagte der tadschikische Botschafter in Usbekistan, Abduschabbor Rahmonzoda, laut Radio Ozodi.

Verletzung der Würde der Bewohnenden

Es ist aber eine andere Passage, die den Zorn von Dutzenden Facebook-Nutzer:innen auslöste. Dem Autor wurde vorgeworfen, die Würde der Menschen in verschiedenen Regionen des Landes verletzt zu haben. Cholikdzoda, selbst Tadschike, argumentiert, dass die Bewohnenden der Provinz Chatlon im Süden des Landes – der Heimatprovinz von Präsident Emomali Rahmon – von der „langfristigen Koexistenz und Vermischung mit den benachbarten türkischen Völkern“ profitiert hätten.

Von der „Sanftmut und Scheinheiligkeit der Tadschiken, die in den Schriften unserer Vorfahren zu den einzigartigen Merkmalen der [tadschikischen] Nation gehören“, unterschieden sich die Bewohnenden Chatlons durch „Beweglichkeit und Stabilität“, schreibt Cholikdzoda. Eine Passage, die auf Facebook eine Kettenreaktion auslöste, da viele Nutzende das Buch als Beleidigung der Nation empfanden.

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Die Einheit der Nation ist ein sensibles Thema in diesem multiethnischen Land mit großen regionalen Unterschieden. Das vom Krieg gezeichnete, überwiegend ländliche Tadschikistan, ist nach wie vor das ärmste Land der ehemaligen Sowjetrepubliken. Die Machthaber verweisen regelmäßig auf die Einheit der Nation als Stärke des Landes, wie Radio Ozodi feststellt. Cholikzoda stellt diese Einheit jedoch als politischen Slogan und nicht als gelebte Realität dar. Insgesamt wirft der Autor dem Staat vor, Slogans zu verkünden, anstatt die Schwierigkeiten des Landes zu lösen.

Wegen „Anstiftung zu ethnischem Hass und Lokalismus“wurdenCholikzoda, Rustam und Raschabzoda im Februar 2024 zu sechseinhalb, viereinhalb bzw. einem Jahr Gefängnis verurteilt, berichtet Asia-Plus. Der Prozess fand im Untersuchungsgefängnis unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und es drangen nur wenige Informationen nach außen. Cholikzoda wurde außerdem zu einer Geldstrafe von 76 800 Somoni (6700 Euro) verurteilt, und seine Haftstrafe wurde später aufgrund einer zusätzlichen Anklage wegen Schmuggels auf neun Jahre erhöht.

Tadschikistan, ein „unfreies Land“

Seit seiner Unabhängigkeit hat Tadschikistan die bürgerlichen Freiheiten immer weiter eingeschränkt. Falsche Anschuldigungen wegen Beteiligung an Aktivitäten politischer Organisationen, Anstiftung zu Hass, Rebellion, Aufruhr, Terrorismus oder Korruption sind gängige Mittel, um Menschen zum Schweigen zu bringen und zu inhaftieren. Sie richten sich gegen Oppositionelle und Journalist:innen, aber auch gegen Anwält:innen und Menschenrechtsverteidiger:innen, Geschäftsleute und Künstler:innen. Nach dem Freedom House Index gilt Tadschikistan als unfrei.

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Die Nachfolge des derzeitigen Präsidenten, der sich 2015 selbst zum „Gründer des Friedens und der nationalen Einheit, Führer der Nation“ ernannte, scheint gesichert. Sein Sohn Rustam Emomali, derzeit Bürgermeister von Duschanbe, scheint dazu bestimmt, zu gegebener Zeit die Nachfolge anzutreten.

Eléonore Darasse, Redakteurin für Novastan

Aus dem Französischen von Florian Coppenrath

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