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Einbürgerung ausländischer Athlet:innen: Ein Beitrag zum kasachstanischen Sport?

Am 11. August sind die Olympischen Spiele in Paris zu Ende gegangen. Kasachstan gewann dabei sieben Medaillen – ein besseres Ergebnis als bei den vorherigen Spielen in Tokio. Allerdings verliefen die Spiele nicht ohne Skandale. Die Tennisspielerinnen Yulia Putintseva und Elena Rybakina sagten ihre Teilnahme kurzfristig aus medizinischen Gründen ab. Beide eint die Tatsache, dass sie die kasachstanische Staatsbürgerschaft erhielten, um für die Nationalmannschaft antreten zu können. „The Village“ erläutert, inwieweit die Einbürgerung von „Legionär:innen“ im Sport notwendig ist.

In Russland geboren, für Kasachstan auf dem Platz: Tennisspielerin Elena Rybakina (Archivbild), Photo: Wikimedia Commons

Am 11. August sind die Olympischen Spiele in Paris zu Ende gegangen. Kasachstan gewann dabei sieben Medaillen – ein besseres Ergebnis als bei den vorherigen Spielen in Tokio. Allerdings verliefen die Spiele nicht ohne Skandale. Die Tennisspielerinnen Yulia Putintseva und Elena Rybakina sagten ihre Teilnahme kurzfristig aus medizinischen Gründen ab. Beide eint die Tatsache, dass sie die kasachstanische Staatsbürgerschaft erhielten, um für die Nationalmannschaft antreten zu können. „The Village“ erläutert, inwieweit die Einbürgerung von „Legionär:innen“ im Sport notwendig ist.

Wenige Tage vor Beginn der Olympischen Spiele in Paris gab Kasachstans Tennis-Star Elena Rybakina bekannt, dass sie nicht daran teilnehmen werde. Die Ärzte hatten bei ihr eine Bronchitis diagnostiziert und ihr kategorisch verboten, Sport zu treiben.

„Nach Wimbledon erkrankte ich an einer akuten Bronchitis und trotz der Versuche, wieder ins Training zurückzukehren, hat sich mein Körper noch nicht erholt. Die Ärzte haben mir kategorisch verboten, auf den Court zu gehen. Es tut mir sehr leid, dass ich Ihren Erwartungen nicht gerecht werden und für unser Team bei den Olympischen Spielen in Paris antreten kann. Ich war einer Medaille in Tokio so nahe und habe mich sorgfältig auf die Pariser Spiele vorbereitet, um Gold für Kasachstan zu gewinnen. Leider lässt die Krankheit die Verwirklichung dieser Pläne nicht zu“, wandte sich Rybakina an die Kasachstaner:innen.

Ein paar Tage später wurde bekannt, dass auch Kasachstans Nummer 2, Yulia Putintseva, nicht an den Olympischen Spielen teilnehmen würde. Der Tennisverband teilte mit, dass das Knie der Athletin während der Vorbereitung auf das erste Spiel schmerzte und nach einer ärztlichen Untersuchung die Entscheidung getroffen wurde, die Spiele abzubrechen. Yulia zeichnete eine Videobotschaft an die Menschen in Kasachstan auf, in der sie sagte, dass bei ihr ein Meniskusriss und eine Entzündung der Knochen um das Knie herum diagnostiziert worden seien.

„Ich habe meine Nationalmannschaft nie im Stich gelassen und jedes mögliche Spiel bestritten. Es ist für mich immer eine Ehre und Freude, Kasachstan zu vertreten. Ich denke, jeder weiß, mit welchem ​​Eifer und Willen ich für das Land gespielt habe, sagte Putintseva in ihrer Botschaft.

Yulia Putintseva hatte zwar tatsächlich nie zuvor ein Spiel für die Nationalmannschaft verpasst, doch das rettete sie nicht vor einer Welle der Kritik. In Kommentaren in den Medien und unter Beiträgen auf dem Account des Tennisverbandes war die Rede von einem „Mangel an Respekt gegenüber dem Land“, dem „Wunsch, Geld zu verdienen“. Man warf den Sportlerinnen sogar vorsätzliche Sabotage vor. Tatsache ist, dass Rybakina und Putintseva eingebürgerte ausländische Spielerinnen sind: Sie wurden in Russland geboren, nahmen aber die kasachstanische Staatsbürgerschaft an und spielen jetzt für Kasachstan. Rybakina erhielt 2018 den Pass, Putintseva 2012. Yulia Putintseva war zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt.

Die Blogger Diaz und Aıgerim Kameridanov schrieben, dass eingebürgerte Athlet:innen Olympia sabotieren, weil es ihnen weder Punkte noch finanzielle Vorteile bringt. Sie forderten auch den Verzicht auf ausländische Spieler:innen zugunsten der Entwicklung kasachstanischer Sportler:innen: „Eingebürgerte Sportler fühlen sich einfach nicht mit dem Land verbunden, für das sie antreten. Und ein Begriff wie „namys“ [Kasachisch für „Ehre“, Anm. d. Ü.] ist für sie ein unverständliches Wort in einer unverständlichen Sprache.“

Auch die übrigen Tennisspieler der Nationalmannschaft litten: die ehemaligen russischen Staatsangehörigen Aleksandr Bublik und Aleksandr Schevchenko sowie der ehemalige ukrainische Staatsbürger Aleksandr Nedovesov. Obwohl alle Männer Kasachstan bei Olympia vertraten, verloren sie in der ersten Runde. Der Tennisverband erklärte, er bewerte die Ergebnisse der Olympischen Spiele als unbefriedigend. Die Organisation übernahm die Verantwortung und entschuldigte sich.

Wieviel kosten „Legionär:innen“?

Eine der beliebtesten Vorwürfe gegen den Tennisverband und seine Sportler:innen ist, dass große Summen aus dem Staatshaushalt für sie ausgegeben würden, obwohl sie nicht den Erwartungen der Kasachstaner:innen entsprächen. Allerdings lebt Kasachstans Tennisverband ausschließlich von privaten Mitteln – ihm werden keine staatlichen Gelder zugewiesen.

Der Kauf ausländischer Spieler:innen ist vor allem in Mannschaftssportarten üblich: Fußball, Basketball, Hockey. Diese sogenannten „Legionär:innen“ sind ausländische Sportler:innen, die ihre Staatsbürgerschaft nicht ändern, sondern für kasachstanische Vereine spielen. Eingebürgerte Sportler:innen müssen die kasachstanische Staatsbürgerschaft annehmen und demnach auch auf ihre eigene verzichten. Einige Länder erlauben Sportler:innen zwar die mehrfache Staatsbürgerschaft, aber in Kasachstan ist Bipatrismus für alle Bürger:innen verboten.

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Der Sportjournalist Albert Ahmetov glaubt, dass an diesem Verfahren nichts auszusetzen sei, wenn es eine Beschränkung für ausländische Spieler:innen gäbe. Deren Kauf sei auf der ganzen Welt eine gängige Praxis, die einfach nicht übertrieben werden sollte. „Wenn die Anzahl ausländischer Spieler begrenzt ist, können ein oder zwei von ihnen dem Team beitreten und eine gute Rolle spielen, indem sie den kasachstanischen Athleten ein Beispiel dafür geben, wie sie trainieren, ihre Leistung erbringen. Aber wenn, wie jetzt im Fußball, das Limit abgeschafft wird, dann entsteht eine gefährliche Situation, in der es vielen Vereinen leichter fällt, Haushaltsgelder an einen Ausländer zu zahlen, als ihre Akademien aufzubauen und ihre Spieler auszubilden.“

Der Sportjournalist Evgeni Akmanov ist anderer Meinung. Ihm zufolge fließen im Tennis staatliche Mittel genau in die Instandhaltung von Tenniszentren. Und eingebürgerte Sportler:innen hätten nur einen positiven Einfluss auf die wachsende Popularität des Tennis im Land: „Staatsgelder fließen in die Instandhaltung von Tenniszentren, die dank der Erfolge von Rybakina, Bublik, Putintseva, Kukushkin, Danilina gut gefüllt sind. Versuchen Sie mal, an einem Wochenende einen Platz in Almaty oder Astana zu buchen – was für eine Herausforderung! Es gibt Turniere für Erwachsene, Kinder und Amateure. Dies kann nach Wimbledon 2022 als „Rybakina-Effekt“ bezeichnet werden. Bevor man Menschen emotional „cancelt“, ist es wichtig, sein Gedächtnis anzustrengen und einen grundlegenden Faktencheck durchzuführen“, so Akmanov laut Schrödingers Sport.

Eingebürgerte vs. eigene Sportler:innen

80 Athlet:innen aus 25 Sportarten vertraten dieses Jahr Kasachstan bei den Olympischen Spielen. Von diesen 80 Personen waren mindestens elf eingebürgert worden – darunter Putintseva und Rybakina sowie die Leichtathletin Norah Jeruto aus Kenia. Im Tennis war Kasachstan nur durch ehemalige Ausländer:innen vertreten.

Ein weiterer Vorwurf gegen eingebürgerte Sportler:innen ist, dass sie die Plätze von Kasachstaner:innen einnehmen, angeblich ohne sich anzustrengen und ohne Medaillen zu holen. Albert Ahmetov glaubt, dass darin eine Logik stecke, die aber nicht für alle Sportarten funktioniere. Gerade im Tennis oder in der Leichtathletik seien die eigenen Sportler:innen entweder zu jung oder gar nicht vorhanden. Eingebürgerte „Legionär:innen“ hätten also niemanden ersetzt.

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Der Tennisverband gibt außerdem an, dass Lizenzen in dieser Sportart auf der Grundlage einer persönlichen Bewertung und nicht durch eine Entscheidung der Organisation vergeben werden: „Es ist sehr wichtig zu beachten, dass die Olympia-Lizenz im Tennis eine persönliche Angelegenheit ist. Jeder Spieler mit einem kasachstanischen Pass nimmt Monat für Monat an verschiedenen Wettbewerben teil und erhält schließlich ein persönliches Rating. Anhand dieses Ratings erhält er eine Olympia-Lizenz oder nicht. Es ist nicht der Verband, der entscheidet, welche Tennisspieler zu den Olympischen Spielen gehen, sondern die Regeln des Internationalen Olympischen Komitees.“

Tennis entwickelt sich in Kasachstan noch nicht allzu lange. Nach Angaben des Verbandes werden die eigenen Athlet:innen in mindestens drei bis vier Jahren an Wettkämpfen teilnehmen und eine Lizenz für die Olympischen Spiele erhalten können.

Wie Ahmetov erklärt, wird bei anderen Sportarten wie Boxen, Ringen oder Judo nur eine Lizenz pro Gewichtklasse erteilt. Hier war Kasachstan ausschließlich durch eigene Leute vertreten.

Braucht Kasachstan Einbürgerungen?

Generell ist gegen Einbürgerungen im Sport nichts einzuwenden, wenn man Maß hält und den Preis versteht. Albert Ahmetov meint, dass Einbürgerungen dem kasachstanischen Sport eher schaden, wenn sie künstlich durchgeführt werden, da diese Methode nur kurzfristige Ergebnisse liefert: „Wenn sie sich wirklich in Kasachstan verliebt haben, selbst hierhergekommen sind und es dank der Einbürgerung in die Nationalmannschaften geschafft haben – ist das Ergebnis positiv. Wenn sie jedoch speziell eingeladen werden und die Staatsbürgerschaft erhalten, damit sie konkurrenzlos in die Nationalmannschaft gelangen, ist dies für den kasachstanischen Sport kategorisch schädlich. Ja, ein eingebürgerter Athlet wird eine Medaille gewinnen, die dafür zuständigen Funktionäre erhalten Prämien, aber der Sport als Ganzes wird dadurch nur verlieren. Denn die Kinder werden denken, dass sie keine Chance haben, zu den Olympischen Spielen zu kommen, da man jeden Moment jemanden einbürgern kann und sie selbst zu Hause bleiben.“

Bemerkenswert ist, dass die Länder, die in der Medaillenwertung den ersten Platz belegten – die USA und China – keine „künstliche Einbürgerung“ anwenden. Das heißt, ehemalige Ausländer:innen in ihrer Mannschaften sind – sofern vorhanden –  selbst ins Land gezogen und haben den Weg in die Nationalmannschaft gefunden.

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Schrödingers Sport veröffentlichte eine Kolumne, in der der Bedarf an ausländischen Sportler:innen in Kasachstan beurteilt wird: Einbürgerung können sinnvoll sein, aber nur als vorübergehender Prozess zur Popularisierung einer bestimmten Sportart. Der Sportjournalist Evgeni Akmanov nannte diesen Popularitätszuwachs am Beispiel des Tennis den „Rybakina-Effekt“.

Laut Albert Ahmetov werde die Investition von Geld in die Entwicklung des kasachstanischen Sports in Form des Baus von Sportkomplexen, der Einladung von Trainer:innen, Ärzt:innen und Ernährungswissenschaftler:innen früher oder später auch Ergebnisse in Form einer Medaille bringen – man müsse nur warten.

Taisia Koroleva für The Village Kasachstan

Aus dem Russischen von Robin Roth

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