Seit einigen Jahren, spätestens jedoch seit dem 24. Februar 2022, interessieren sich vielerorts immer mehr Kasachstaner:innen für ihre offizielle Staatssprache, dessen gesellschaftlicher Status noch immer vor dem des Russischen zurücktritt. Drei junge Frauen haben „The Village“ von ihren Lernerfahrungen erzählt.
Nicht jeder beherrscht Kasachisch nach der Schulzeit, viele beschäftigen sich erst als Erwachsene tiefergehend mit der Sprache. Wir haben mit drei Kasachischlernerinnen gesprochen, die uns von ihren Motivationen und Erfolgen berichten und ihre persönlichen Lernstrategien mit uns teilen.
Olga, 32, Fachberaterin
Meine Motivation
Kasachisch wollte ich schon lernen, da habe ich noch die Schulbank gedrückt. Ich wollte Teil der kasachischsprachigen Sphäre sein. Außerdem sind für mich Patriotismus und der Respekt gegenüber dem kasachischen Volk untrennbar mit der Kenntnis der Staatssprache (in Kasachstan verwendeter Begriff, in Abgrenzung zum Russischen, der „offiziellen Sprache“; Anm. d. Ü.) verbunden, und da ich unser Land liebe, hat mich das zusätzlich motiviert. In der Schule habe ich damals die Basics gelernt, erst später bin ich richtig tief in die Sprache eingestiegen.
An erster Stelle stand für mich das Verständnis des gesprochenen Kasachisch. Die Grammatik bereitete mir kaum Probleme, da profitiere ich als studierte Sprachwissenschaftlerin von meinem Vorwissen über den Aufbau von Sprachen. Wichtige Dokumente konnte ich schon bald allein aufsetzen, hier und da auch mal mithilfe eines Online-Übersetzers.
Unterstützt Novastan – das europäische Zentralasien-Magazin
Als vereinsgetragene, unabhängige Plattform lebt Novastan vom Enthusiasmus seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen – und von eurer Unterstützung!Anfangs fiel es mir nicht nur schwer, alles korrekt zu verstehen, sondern auch mich selbst auszudrücken. Da tragen die drei Sprachschulen, die ich besucht habe, auch ihre Mitschuld: Sie setzen die Grammatik in den Mittelpunkt, das Sprechen vernachlässigten sie leider komplett. Mein Niveau liegt zwar noch immer unter dem Durchschnitt, aber ich habe wahnsinnige Fortschritte gemacht.
Meine Herangehensweise
Unsere Lehrerin gibt uns tolle Methoden an die Hand, aber das genügt mir nicht, darum schaue ich zusätzlich kasachische Serien. Seitdem ich weiß, was für fantastischen Content unser Land da zu bieten hat, komme ich davon nicht mehr los, auch wenn ich nur etwa 80 Prozent des Gesagten verstehe. Außerdem habe ich mir vor Kurzem einen Traum erfüllt und habe mir ein Theaterstück auf Kasachisch angesehen, eine Adaptation des Kinderbuchklassikers Mein Name ist Koscha. Ach ja, und in meiner Playlist wimmelt es nur so von großartigen kasachischsprachigen Interpret:innen!
Erfolge
Dieses Jahr habe ich an mehreren Sprachwettbewerben teilgenommen, eine ganz neue Erfahrung für mich. Bei „Unsere Staatssprache – Zeichen der Unabhängigkeit“ belegte ich sogar den ersten Platz des ganzen Oblasts [größere Verwaltungseinheit, ähnlich einem Bundesland, Anm. d Red.] und qualifizierte mich für die Runde auf Landesebene. On top bedankte sich Staat mit einem Schreiben für mein sprachliches Engagement – da war ich völlig aus dem Häusschen!
Besonders stolz war ich nach einem Live-Gespräch beim regionalen Radiosender. 45 Minuten habe ich durchgehalten, 45 Minuten nur auf Kasachisch! Da war Improvisation gefragt und das ist eigentlich gar nicht meins.
Tipps und Tricks
Mir hilft es wahnsinnig, die eigenen Fortschritte zu beobachten und mir hin und wieder selbst auf die Schulter zu klopfen. Wenn ich das mal vergesse, sind da meine Liebsten zur Stelle und strahlen vor Stolz über meine Lernerfolge. So etwas wie einen Trick 17 gibt es meiner Meinung nach nicht, da können mir noch so viele Werbeanzeigen verklickern: „Mit uns sprichst du in zwei Monaten fließend!“ Sprache erfordert zwei Dinge: Disziplin, denn du musst dich regelmäßig dahinterklemmen, und Motivation, ohne die geht nichts.
Die Erfolge kommen nicht auf Knopfdruck, eine Sprache lernt man nie aus. Wir müssen geduldig mit uns selbst sein und dürfen Fehler nicht scheuen. Eine meiner Anti-Angst-Strategien ist es, Instagram-Stories hochzuladen, in denen ich von vorne bis hinten auf Kasachisch spreche.
Alexandra, 26 Logistikerin und Übersetzerin
Meine Motivation
So richtig angefangen habe ich erst vor zwei Jahren. Doch der Wunsch, Kasachisch zu sprechen, schlummerte schon immer in mir. Früher habe ich immer meine kasachischsprachigen Freund:innen angehauen „Kannst du das hier mal übersetzen?“, wenn ich mal wieder auf kasachischsprachigen Instagram-Accounts unterwegs war.
Ebendiese Freunde waren einer der Stimuli, die mich zum Kasachischen brachten. Ihr Russisch wimmelte nur so von kasachischen Wörtern und ich hakte jedes Mal nach: „Warum hast du das jetzt so gesagt? Und warum nicht so?“ Da hat sich nun einiges getan, obwohl ich gerne noch mehr Kasachisch sprechen würde.
Background und Fortschritte
Ich bin ausgebildete Übersetzerin für Koreanisch und Englisch. In der Schule hatte ich auch Kasachisch-Uunterricht, doch von damals ist leider wenig hängengeblieben. Dank der Sprachkurse habe ich meine Kenntnisse aufgefrischt und spreche halbwegs frei, wenn auch langsam, obwohl wir im Kurs tatsächlich viel Sprechen üben. Das kommt mir zugute, denn ich lerne gut übers Zuhören, weshalb ich den Gesprächen im Bus immer ganz Ohr bin. Nichtsdestotrotz fehlt es mir an Praxis.
Tipps und Tricks
Ganz egal ob Kasachisch, Koreanisch oder Englisch – um die Selbstdisziplin kommt niemand drumherum. Heutzutage sind wir alle ständig auf Achse. Wer eine Sprache lernen will, kommt aber nicht umhin, ihr täglich ein Stündchen seiner Aufmerksamkeit zu widmen.
Mein persönlicher Lerntipp: Sei neugierig, wenn dir Kasachisch im Alltag begegnet, auch an vermeintlich langweiligen Orten! Versuch Werbetafeln zu verstehen, klick die Youtube-Werbung ausnahmsweise mal nicht weg und hör mal genau hin, wenn diese Stimme in der Metro den nächsten Halt durchsagt. Beim Koreanischen hat mir diese Strategie geholfen. Oh, und das Allerwichtigste: unbekannte Wörter gleich nachschlagen! Ich habe mir schon ganze Apps auf Kasachisch übersetzt!
Meine Pläne
Ich will mehr Podcasts auf Kasachisch hören, um so mein Ohr zu schulen. Kasachische Musik höre ich schon regelmäßig, am liebsten von Miras Jugunusov und Moldanazar, bei dem war ich sogar auf einem Konzert. In den Texten moderner kasachischsprachiger Interpret:innen entdecke ich ständig unbekannte Wörter und schöne Ausdrücke.
Lest auch auf Novastan: Souveränität angesichts des Kriegs: Die ungewisse Zukunft der russischen Sprache in Kasachstan
Auf Instagram folge ich außerdem ein paar Seiten, die die Grammatik verschiedener Fremdsprachen erklären – auf Kasachisch! So nutze ich meine allgemeine Neugierde für Sprachen, um gleichzeitig mein Allgemeinwissen und mein Kasachisch zu verbessern.
So manche Lernmomente bleiben mir sicher noch lange im Gedächtnis. Eine ganze Zeit lang habe ich die Wörter Stau (Keptelis) und Taube (Kepter) verwechselt. Das war immer wieder lustig.
Tipps und Tricks
Nur keine falsche Scheu, Fehler sind unabdingbar, wenn du Fortschritte machen willst. Außerdem sind unsere Sprachkenntnisse nicht gleich Null, nur weil wir einmal eine grammatische Regel falsch anwenden. Hab Geduld, sei hartnäckig, eine Sprache lernst du ein ganzes Leben lang und deine Sprachkenntnisse fütterst du nicht nur mit Wissen, sondern auch mit Erfahrung.
Lern mit den Inhalten, die DIR Spaß machen. Du schaust gerne lustige Youtube-Videos? Such dir eine:n lustige:n kasachische:n Youtuber:in! Du informierst dich gerne über das Weltgeschehen? Es gibt eine Reihe kasachischsprachiger Nachrichtenseiten! Ob du dich für Geschichte, Kultur oder sonst etwas interessierst, mach es dir beim Lernen zunutze!
Anna, 34
Meine Motivation
Ich hatte Kasachisch zwar schon in der Schule gehabt, tiefer eingestiegen bin ich allerdings erst, seit meine Tochter auf der Welt ist. Wenn nicht ich ihr diese Sprache beibringe, wer dann?
Ich wand mich also an einige Nachhilfelehrer:innen. Doch die tischten mir genau die Methoden auf, die ich noch aus der Schulzeit kannte. Auf Instagram fand ich schließlich Lehrer:innen, die meine Erwartungen erfüllten. Ihre Stunden waren zwar teurer und ich zum gegebenen Zeitpunkt alles andere als flüssig, doch das war mir lieber als billigere Kurse, die mich nicht voranbrachten.
Erfolge
Als ich anfing, kannte ich allerlei Wörter, konnte sie aber kaum zu einem gerade Satz zusammenfügen. Dafür wusste ich, wie der kasachische Dativ und die Regeln der Vokalharmonie funktionieren, jedenfalls in der Theorie. Nach nun bald drei Jahren verstehe ich die gesprochene Sprache besser und auch Gespräche gehen mir leichter von der Hand. Nach dem bestandenen A2-Test bereite ich mich nun auf den B1-Test vor.
Lernen mit meiner Tochter
Meine Tochter ist mittlerweile sieben Jahre alt und besucht die Kasachischkurse mit mir seit etwa fünf Monaten. Ich lege viel Wert darauf, dass sie mit Muttersprachlern lernt. Wenn ich mit ihr rede, streue ich hier und da kasachische Wörter ein, wie qyzyl (rot)oder jasyl (grün).
Anfangs sträubte sie sich oft dagegen. Doch ich gab nicht auf und suchte für sie Bücher auf Kasachisch, über die wir uns dann unterhielten. Mittlerweile hat sie ein echtes Sprachgefühl entwickelt, auch wenn sich hier und da Fehler einschleichen.
Lest auch auf Novastan: Sprache als Mittel zur Identitätsfindung und Abkehr von kolonialen Strukturen
Natürlich geht sie nicht mit so großen Schritten voran wie Muttersprachler. Doch wenn sie mir beispielsweise sagt „ich gehe in dER Schule“, muss ich sie nur auf ihren Fehler hinweisen, schon verbessert sie sich selbst. Regelmäßige Wiederholung ein und derselben Sätzchen helfen uns beiden sehr. Wenn ich sehe, wie sie intuitiv richtig dekliniert, ganz ohne Lehrbuch, strahle ich übers ganze Gesicht.
Ohne Spaß geht nichts
Mein Steckenpferd ist die Grammatik, die ist super logisch und fast frei von Ausnahmen. Schwerer fällt mir das Schreiben und Hören, denn die Syntax ist komplex, besonders in verschachtelten Sätzen.
Hier und da entstehen auf Kasachisch ganz andere Sprachbilder als auf Russisch. Ajaq astynan, wortwörtlich „unter den Füßen hervor“ bedeutet „plötzlich“ (keine besonders bildliche Sprache an dieser Stelle auf Russisch; Anm. d. Ü.) Wer diesen Ausdruck nicht kennt, kann lange nach einer Übersetzung suchen! Oder die Redewendung jygerim ūşyp ketti, wortwörtlich „mein Herz ist weggeflogen“ heißt „mir ist das Herz in die Hose gerutscht“ (auf Russisch wortwörtlich „meine Seele ist mir in die Hacken gerutscht“.)
Lest auch auf Novastan: Kasachstans Dilemma: Wie können ethnische und staatsbürgerliche Identitätsmodelle in Einklang gebracht werden?
Ich lerne gerne mit Podcasts. Außerdem profitiere ich sehr von verständnisvollen Lehrer:innen und einer wohlwollenden Kursatmosphäre. Das Allerwichtigste ist, dass wir uns nicht an Fehlern aufhängen, sondern sie als Teil des Lernens ansehen.
Zwischenbilanz
Die Fortschritte meiner Tochter, die nun schon akzentfrei spricht, zeigen mir, dass all die Mühe nicht vergebens war und wir auf einem guten Weg sind. Meine Mission habe ich schon erfüllt, selbst wenn wir in Zukunft nicht weiterhin größtenteils auf Russisch miteinander sprechen werden. Denn sie lernt auch weiterhin, anders über Dinge nachzudenken, auch was unsere Kultur betrifft. Je besser wir eine Sprache beherrschen, desto besser verstehen wir Witze, Wortspiele und so weiter. Wir sind alle Teil des kasachstanischen Volks und es ist gut, dass wir eine gemeinsame kasachische Sprache haben.
The Village
Aus dem Russischen und überarbeitet von Arthur Siavash Klischat
Noch mehr Zentralasien findet ihr auf unseren Social Media Kanälen: Schaut mal vorbei bei Twitter, Facebook, Telegram, Linkedin oder Instagram. Für Zentralasien direkt in eurer Mailbox könnt ihr euch auch zu unserem wöchentlichen Newsletter anmelden.