Startseite      „Mir wurde gesagt, ich sei eine Schande für Kasachstan“: LGBTQ+-Menschen über den Druck der kasachstanischen Gesetzeshüter 

„Mir wurde gesagt, ich sei eine Schande für Kasachstan“: LGBTQ+-Menschen über den Druck der kasachstanischen Gesetzeshüter 

Die Verfassung der Republik Kasachstan gilt als demokratisch. Ehre, Würde, Rechte und Freiheiten aller Bürger stehen unter staatlichem Schutz. Das Leben lesbischer, schwuler, bisexueller, transgender und queerer (LGBTQ+) Menschen in Kasachstan gestaltet sich jedoch nach wie vor schwierig.

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Redigiert von: masamedia

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Die Verfassung der Republik Kasachstan gilt als demokratisch. Ehre, Würde, Rechte und Freiheiten aller Bürger stehen unter staatlichem Schutz. Das Leben lesbischer, schwuler, bisexueller, transgender und queerer (LGBTQ+) Menschen in Kasachstan gestaltet sich jedoch nach wie vor schwierig.

In der Praxis sind LGBTQ+-Personen in Kasachstan nicht nur mit rechtlichen Einschränkungen konfrontiert, sondern auch mit Fällen von Gewalt und Diskriminierung durch Strafverfolgungs- und andere Sicherheitsbehörden. Obwohl Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger solche Fälle dokumentieren, bleibt es schwierig, die Rechte derer zu schützen, die von den Behörden verfolgt werden. Ausgerechnet von denen, von denen die Bürger normalerweise Schutz erwarten. Nach einem kurzen Abriss über die gesetzliche Lage zur Sicherheit der queeren Community in Kasachstan werden in diesem Artikel die Geschichten von drei queeren Personen beleuchtet.

Wie die Regierung LGBTQ+-Menschen in Kasachstan behandelt

2022 verabschiedete Russland ein Gesetz, das „LGBTQ+-Propaganda“ für Menschen aller Altersklassen verbietet. Auf diese Weise wurde der Zugang zu Informationen über von der Norm abweichende sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität abermals eingeschränkt. Ähnliche Vorschläge wurden auch von der Regierung Kasachstans gemacht.

Der kasachstanische Abgeordnete Ardak Nasarow sagte im April dieses Jahres, die LGBTQ+-Ideologie ziele darauf ab, „jahrhundertealte Traditionen und nationale Werte des kasachischen Volkes zu zerstören“. Der Abgeordnete schlug vor, nach dem Vorbild der Russischen Föderation Informationen zu verbieten, die gleichgeschlechtliche Ehen und Geschlechtsumwandlungen propagieren.

2018 hatte Kasachstan bereits versucht, ein Verbot von „LGBTQ+-Propaganda“ mithilfe eines Gesetzes des Informationsministeriums der Republik Kasachstan einzuführen. Dank kasachstanischer Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger wurde dies unterbunden. In Kasachstan gibt es aktuell keine spezifischen Gesetze zum Schutz von LGBTQ+-Personen. Behörden wie die Polizei oder andere Sicherheitsbeamte versäumen es oft, Angriffe auf LGBTQ+-Menschen und diejenigen, die ihre Rechte verteidigen, zu verhindern.

So organisierte die kasachstanische feministische Initiative Feminita im Jahr 2021 eine Veranstaltung über die Rechte von lesbischen, bisexuellen, queeren und transsexuellen Frauen in Shymkent im Südwesten Kasachstans. Die Veranstaltung musste in ein benachbartes Café verlegt werden. Laut Janar Sekerbajewa, Mitbegründerin der Initiative, befanden sich in diesem bereits sowohl Polizisten als auch aggressive uniformierte Männer.

Eine unbekannte Gruppe von Männern begann, die Aktivistinnen zu beleidigen. Schlussendlich war es jedoch Sekerbajewa, die von der Polizei festgenommen wurde. Die aggressiven Männer halfen den Ordnungskräften und schlugen dabei auf die Mitbegründerin von Feminita ein. Das Versäumnis von Regierungsvertretern, Bürger bei Angriffen zu schützen, bestärkt nicht nur aggressive Menschen in ihrem Gefühl, dass ihr Verhalten keine Sanktionen nach sich zieht.  Es verhindert auch Fortschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung aller Bürger.

Die Eurasian Coalition on Health, Rights, Gender and Sexual Diversity (ECOM) registrierte im Jahr 2022 in Kasachstan 31 Fälle von Verletzungen der Rechte von LGBTQ+-Personen. Diese standen oft in Zusammenhang mit extremer Gewalt. Dies liegt dem Bericht der Organisation zufolge an der Diskriminierung durch die Strafverfolgungsbehörden. Hierbei handelt es sich, genauer gesagt, um Erpressung, darunter auch durch „gefälschte Daten“.

Die Geschichte von Sabine (geänderter Name)

Die junge Transgender-Frau Sabine veröffentlichte letztes Jahr einen Beitrag über einen jungen Mann, der ihr einen Heiratsantrag machte. Sie willigte ein und postete bald darauf ein Video einer kasachischen Hochzeitszeremonie. In den Kommentaren wurde Sabine daraufhin beleidigt und bedroht. Im Sommer 2022 war die junge Frau Zeugin von Belästigung geworden. Als sie mit einem Freund in einem Restaurant zu Abend aß, versuchten Unbekannte ihn in ein Auto zu zerren. Sabine versuchte ihn zu verteidigen. Die Szene wurde aufgenommen und zum Anlass für öffentliche Beleidigungen und Erniedrigungen.

„Die Männer, die uns angegriffen hatten, meinten, wir dürften die nationale Kleidung nicht tragen und keine Hochzeitsfeier organisieren. Einer von ihnen beleidigte mich heftig mit Mat-Wörtern (russ. Fluchsprache, Anm. des Übersetzers) vor allen anderen.“ Später kam heraus, dass er in den sozialen Netzwerken verbreitet hatte, was zu tun wäre, um sie und ihren Freund für ihr Verhalten zu bestrafen.

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Sabine rief die Polizei. Diese traf zehn Minuten später ein und nahm die Konfliktparteien nach kurzer Anhörung mit aufs Revier. „Wir kamen um 21:00 Uhr an. Es wurden keine Protokolle erstellt, uns wurde nur gesagt, dass wir im Hof warten sollten. Dort waren aber die, die uns verprügeln wollten, also sind wir wieder zurück in das Gebäude gegangen. Meinen Wunsch, eine Aussage zu machen, haben sie einfach ignoriert“, sagte die junge Frau. Als Sabine einige Stunden später auf die Straße ging, begegnete sie den Angreifern erneut. Sie verlangten von ihr, das Hochzeitsvideo aus den sozialen Medien zu entfernen. „Sie hat Schande über die kasachische Kultur gebracht“, hieß es.

„Auch die Polizeibeamten, die mit uns auf der Straße waren, waren gleicher Ansicht und stiegen mit ein. Sie demütigten mich, stellten mir persönliche, beleidigende Fragen, fragten mich, „was ich unter meinem Kleid trage“, „wer von uns Mann und wer Frau ist“. Sie forderten auch, ich solle „ein Mann werden und Kasachstan keine Schande bereiten“, so Sabine. Die Täter drohten Sabine und ihre Freundinnen in Anwesenheit der Polizisten mit härterer Gewalt. Aus Angst um ihre eigene Sicherheit willigte sie schließlich ein, das Video zu löschen. „Die Polizei hörte nicht auf, uns gradeheraus zu beleidigen. Wir sollten uns öffentlich vor der Kamera dafür entschuldigen, dass wir die Traditionen Kasachstans angeblich beleidigt hätten. Die Täter drohten mir vor den Augen der Polizei ganz offen, dass sie mir die Kehle aufschlitzen würden, sobald ich das Tor verlasse, wenn ich dieser Forderung nicht nachkäme. Die Polizei zeigte darauf keinerlei Reaktion“, so die junge Frau.

„Sie riefen zu Mord, brutaler Gewalt und Vergewaltigung auf. Sie zwangen mich, meine Passdaten, mein Geburtsjahr und meine Geschlechtsidentität offen zu nennen. Das alles unter dem demütigenden Geschrei der Menge. Ich musste darauf eingehen, weil ich Angst um mein Leben und das Leben meiner Freunde hatte. Die Polizei hat mit ihrem Verhalten deutlich gemacht, dass wir von ihr nicht geschützt werden“, so Sabine. Einer der Täter rief in den sozialen Medien dazu auf, zur Polizeiwache zu kommen, um „Sabine zu bestrafen“. Nach Angaben der Frau führten die Polizeibeamten sie zu einer wütenden Menge von etwa 50 Männern. Fast jeder von ihnen filmte Sabine mit seinem Handy und schrie dabei beleidigende und erniedrigende Worte in die Kamera.

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Nach dieser Belästigung wurde die junge Frau auf die Polizeiwache gebracht, um „eine Erklärung zu verfassen“. Dem Opfer wurde verweigert, Anzeige gegen die Täter zu erstatten. Sabine und ihre Freunde wurden in der Nacht freigelassen, als sich die Menge auflöste.  „Ich musste aus der Stadt verschwinden. Es ging mir furchtbar. Ich erhielt ständig Anrufe mit Gewalt- und Morddrohungen. Der Haupttäter verlangte, dass ich alle meine Social-Media-Seiten lösche“, erzählt Sabine.

Sabine speicherte Beweise in Form von Audio- und Videoaufnahmen sowie Screenshots der Chats mit dem Täter auf. Damit wandte sie sich an die Menschenrechtsinitiative TransDocha, die Transgender-Personen in Kasachstan unterstützt. Diese half ihr, eine Beschwerde beim Leiter der Bezirkspolizei einzureichen, deren Beamte sich an der Belästigung beteiligt hatten. Kurze Zeit später beschloss Sabine, den Antrag aus Angst zurückzuziehen.

Die Geschichte von Mila

Mila ist eine transsexuelle Frau und als Sexarbeiterin tätig. Im Januar dieses Jahres betraten Polizisten ihre Wohnung. Um Zugang zu ihrer Wohnung zu erhalten und diese im Anschluss zu beschädigen, gaben sie sich laut Mila als Kunden aus. „Sie drohten mir mit Geldstrafen in Höhe von 1.035.000 Tenge (etwa 2000 Euro; Anm. des Übersetzers) und sagten: „Wir werden alles finden, was wir von Ihnen wollen“. Einer der Polizisten schnappte sich mein Telefon und fotografierte die Nummer der Vermieterin meiner Wohnung ab. Ich hatte Angst, rausgeschmissen zu werden“, sagte die Frau.

Der Polizist, so Mila, habe auch seine Anrufe gelöscht, weshalb sie sich nicht mehr an seine Nummer erinnern konnte. Das Pfefferspray, das sie zur Sicherheit bei sich trug, nahm er ihr ab. „Die Polizisten standen im Gang und verlangten Geld von mir. Ich wartete bis zum nächsten Morgen in der Angst, rausgeworfen zu werden. Sie wollten nicht gehen, sprachen in ihre unangenehm lauten Funkgeräte und hielten die Tür auf, während sie mir Drohungen entgegenschrien. Schließlich musste ich ihnen 200 Dollar zahlen“, erzählte Mila.

Die junge Frau teilte mit, dass Polizeibeamte regelmäßig zu ihr kämen und oft erst verschwänden, wenn sie von ihr Geld erhalten haben. Mila vermutet, dass die Drohungen mit der Sexarbeit zusammenhängen.

„Einmal fand die Polizei auf rätselhafte Weise 5 Gramm weißer Substanz in einer Tasche in meinem Auto. Die war vorher nicht dort gewesen. Die Ergebnisse des anschließenden Drogentests wiesen auf geringe Mengen von Cannabidiol in meinem Blut hin. Ich weiß, dass es nichts mit weißen und losen Substanzen zu tun hat, aber das Gegenteil konnte ich auch nicht beweisen.“ Milas Geschichte wurde auf Instagram von TransDocha veröffentlicht, einer Initiative, die transsexuelle Sexarbeiterinnen in Kasachstan unterstützt. „Ich habe beschlossen, alles zu erzählen, um wenigstens eine Schwester zu retten“, so Mila.

Die Geschichte von Alexander (Name geändert)

Der Leiter einer NRO, die LGBTQ+-Menschen in einer Region Kasachstans unterstützt, berichtet von kasachstanischen Sicherheitskräften, die seine Organisation während Veranstaltungen überwachten. „Das erste, was uns auffiel waren ausländische Autos vor dem Büro. Sie waren jedes Mal da, wenn wir Mitgliederversammlungen abhielten. Die Lichter im Auto waren aus. Hinten waren die Scheiben getönt und vorne saß ein Typ mit einer Mütze. Sie hatten gleich neben dem Eingang zu unserem Büro geparkt, damit sie sehen konnten, wer hereinkam“, sagt Alexander.

Fast täglich standen diese Autos vor dem Büro. Grund dafür war eine angeblich “mündlich überbrachte Beschwerde“. „Das ist ein sehr kluger Schachzug der Polizei. Mir wurde gesagt, dass der Verdacht bestehe, dass sich bei uns religiöse Wahhabiten befänden. Ich stimmte einer Überprüfung der Räumlichkeiten zu. Als sie mir noch mehr Fragen stellen wollten, bat ich sie, zu gehen“, so Alexander weiter. Ein anderer Fall verlief weniger ruhig. Eines Tages stürmten zwei Polizisten in das Gebäude, in dem sich das Büro der NRO befindet. Alexander war zu diesem Zeitpunkt nicht vor Ort. Nach Angaben seiner Mitarbeiter durchsuchten die Polizisten die Räumlichkeiten.

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„Damals haben wir Menschen aus Russland, die nach der Teilmobilisierung kamen, eine befristete Aufenthaltsgenehmigung erteilt. Unter ihnen waren sowohl LGBTQ+-Personen als auch Heterosexuelle. Die Polizeibeamten, die in das Gebäude einbrachen, verlangten von allen Anwesenden Dokumente. Sie schrien: „Wir sind hier die Behörden, ihr habt uns zu gehorchen““, erzählte Alexander. Kurze Zeit später meldete sich der Bezirksinspektor über WhatsApp beim Leiter der NRO. Er verlangte, dass Alexander die Daten aller Personen mitteilt, denen er Unterkunft gewährt hatte.

Der junge Mann beschloss, nach einem Gespräch mit dem Polizeibeamten über den e-Otinish-Dienst eine Beschwerde bei seinen Vorgesetzten einzureichen. Zunächst unternahm die Polizei nichts, außer den üblichen „Antworten“. Nach Alexanders dritter Beschwerde kontaktierte ihn ein Polizeichef und entschuldigte sich. „Ich wandte mich an andere Menschenrechtler, um ihnen von dem Vorfall zu berichten. Sie waren überrascht, dass die Polizei ihren Fehler zugegeben und sich entschuldigt hatte. Daraufhin beantragten wir einen Zuschuss bei einer Organisation, die sich für den Schutz von Menschenrechtlern und Aktivisten einsetzt. Die von ihnen erhaltenen Gelder steckten wir in die Anbringung von Kameras und einer Magnettür. Danach hörte die Überwachung auf“, so Alexander.


Diese Reportage wurde mit Unterstützung von Unit, einem Netzwerk von LGBTIQ+-Journalisten und Aktivisten, erstellt.

Aidar Elkeev

Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat

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