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Kasachstan: „Schau!“, ein Dokumentarfilmfestival 

Das Qara Festival in Kasachstan findet zum dritten Mal statt. Sein Ziel: den Dokumentarfilm im Land populärer machen und die lokale Filmindustrie fördern.

Qara Fest 2021 in Almaty
Seit 2020 fördert das Qara Fest - hier in seiner Ausgabe 2021 - den Dokumentarfilm in Kasachstan (Foto: Bauyrjan Sabit)

Das Qara Festival in Kasachstan findet zum dritten Mal statt. Sein Ziel: den Dokumentarfilm im Land populärer machen und die lokale Filmindustrie fördern.

Vom 5. bis 9. Juli findet in Almaty zum dritten Mal das Qara Film Festival, ein unabhängiges Dokumentarfilmfestival, im Artischock Theater statt. In diesem Jahr präsentiert das Qara-Fest dem kasachstanischen Publikum elf ausländische Filme und einen Wettbewerb mit acht kurzen Dokumentarfilmen einheimischer Regisseure.

Das 2020 erstmals organisierte Qara Film Festival etabliert sich allmählich in der lokalen Filmbranche. Der Weg dorthin war voller Herausforderungen, wie die Gründerin des Festivals, Uljana Toporowskaja, im Gespräch mit Novastan bestätigt. 

Vom Kinowochenende zum Online-Festival

Uljana wollte schon immer in der Filmproduktion arbeiten und etwas Eigenes, Unabhängiges und Inklusives schaffen, das sowohl die kasachischsprachige als auch die russischsprachige Bevölkerung Kasachstans einschließt. Nach ehrenamtlichem Engagement und Praktika auf großen internationalen Festivals wollte sie die Filme, die sie dort gesehen hatte, mit dem kasachstanischen Publikum teilen – zunächst im Rahmen eines Kinowochenendes. Den Namen „Qara!” – Kasachisch für „Schau!“ – wählte sie in diesem Sinne. Dann begann das Projekt zu wachsen.

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Auf staatliche Förderung wollte Uljana nicht zurückgreifen, um sich nicht von dessen Bedingungen einschränken zu lassen. Wie die Dokumentarfilmerin Kristina Michailova im Gespräch mit dem Online-Medium Vlast berichtete, sei eine solche Förderung mit Themenvorgaben und großen bürokratischen Hürden verbunden. So bewarb sich Uljana um Zuschüsse des niederländischen Festival „Movies that matter und der Soros Foundation-Kazakhstan, welche bereits das „Clique Film Festival in Kasachstan unterstützt hatte und zum wichtigsten Partner des QaraFests geworden war. 

„Movies that Matterkonzentriert sich auf Filme über Menschenrechte und vergibt Zuschüsse für die Vorführung solcher Filme in Ländern, in denen die Meinungsfreiheit bedroht ist. Uljana glaubt, dass die Sensibilisierung für Menschenrechte sehr wichtig ist, besonders in Kasachstan, wo Menschenrechtsfragen oft totgeschwiegen werden. 

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Ich bin dafür, Filme zu unterstützen, die ehrliche und aufrichtige Geschichten erzählen und wichtige Themen aufgreifen. Wenn man einen Film macht und das kommt im Film nicht vor, dann hat man irgendwo gelogen oder wurde zensiert, meint Uljana. Alle Filme für das Qara Fest wählt sie selbst und intuitiv auf den Webseiten der Berlinale, Sundance und anderen großen Festivals sowie bei europäischen Verleihern und Autoren aus.

Kasachstanische Filmemacher brechen durch

Ziel des ersten Festivals im Jahr 2020 war es, den Dokumentarfilm in Kasachstan populärer zu machen. Obwohl das Projekt noch in den Kinderschuhen steckte und nur online stattfand, konnten mehr als 2 200 Zuschauer in ganz Kasachstan acht internationale Dokumentarfilme kennenlernen. Im darauffolgenden Jahr gelang es dem Qara Fest, sowohl Online- als auch Live-Vorführungen im Arman-Kino in Almaty zu organisieren. Diese Ausgabe wurde von rund 3 500 Zuschauern besucht. 

Im Jahr 2022 unternahm Qara Fest im Rahmen des Projekts Festival Dostary (kas.: “Freunde des Festivals”) mit Unterstützung des Goethe-Instituts seine erste Reise durch Kasachstan. Über einen Open Call wurden zehn Filmbegeisterte aus ganz Kasachstan ausgewählt und geschult, um Qara Fest-Filme der vergangenen Jahre in Astana, Qyzylorda, Atyrau, Aqtóbe, Petropawlowsk, Taldyqorǵan, Almaty, Túrkistan und Shymkent vorzuführen.

Uljana wollte auch kasachstanische Filme ins Programm aufnehmen, aber in den Jahren der Pandemie wurden nur wenige veröffentlicht. Nach dem Festival organisierte Uljana ein Pitching unter dem Namen AÝT Central Asia, bei dem Filmemacher ihre Projekte vorstellen und um Unterstützung bitten konnten. Drei der acht Teilnehmer wurden für die Festivals DOK Leipzig oder Artdocfest akkreditiert, einer erhielt ein Preisgeld von 1000 Dollar. Inzwischen sind alle Filme in Produktion.

Ohne Produzenten verliert der Film sein Potenzial

Als positives Fazit des Pitchings zieht Uljana einen Kreativitätsschub bei den Dokumentar- und Spielfilmregisseuren. Als trauriges Fazit weist die Organisatorin darauf hin, dass die Filmemacher leider allein arbeiten müssen. Das ist in der internationalen Szene eine Seltenheit: Ein Team muss mindestens aus einem Produzenten und einem Regisseur bestehen. „Beim Dokumentarfilm hat es den Anschein, man könne einfach loslegen und drehen, aber es ist immer ein sehr komplizierter Prozess“, fügt Uljana hinzu. 

Uljana Toporowskaja
Die Festivalgründerin Uljana Toporowskaja (Foto: Ben Stivers)

Die Regisseurin und Autorin des Films „Sweet Milky Corn“, Aıjan Kasymbek, die im Pitching 1000 Dollar Preisgeld erhielt, sagte in einem Interview mit dem Online-Medium Vlast, dass man zuerst das Drehbuch schreibe, sich bei lokalen und internationalen Fonds um Finanzierung bewerbe und erst dann mit den Dreharbeiten beginne. In der Zwischenzeit verlieren aber der Protagonist und die Situation an Relevanz.

Der Mangel an Produzenten ist ein großes Problem, denn ein Projekt beinhaltet viel nicht-kreative Arbeit, vor allem in unserem Kontext, wenn man überall nach Finanzierung suchen und einen Businessplan erstellen muss. Wenn das nur der Regisseur macht, dauert es sehr lange und die Projekte werden oft nicht fertiggestellt, obwohl sie viel Potenzial haben“, so Uljana. 

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Zu der diesjährigen Ausgabe des Qara Fest gehört ein kasachstanischer Dokumentar-Kurzfilmwettbewerb „Biz“ („Wir“ auf Kasachisch, Anm. d. Aut.). Acht Filme mit herausragenden Protagonisten werden gezeigt. Eine internationale Jury wählt den Gewinner aus und vergibt einen Geldpreis in Höhe von 1 000 Euro. Darüber hinaus hat das Qara Fest in Zusammenarbeit mit der neu gegründeten Vereinigung unabhängiger Dokumentarfilmer QazDoc einen Showcase für kasachstanische Langfilmprojekte angekündigt. Die erste Vorführung von sieben neuen Filmen in unterschiedlichen Produktionsstadien mit hohem internationalem Potenzial findet am 8. Juli statt.

Das Festival ist wieder im Aufwind, und das trotz Rückschlägen. Im vergangenen Jahr hatte es eine wichtige Finanzierungsquelle verloren hatte, als die Soros-Stiftung in Kasachstan ihre Finanzierung für zivilgesellschaftliche Initiativen einstellte. „Es ist moralisch schwer zu sehen, wie Organisationen, die jahrelang kulturelle Projekte unterstützt haben, ihre Programme schließen. Die Bedingungen im Kulturbereich, der in unserem Land ohnehin nicht sehr entwickelt ist, haben sich verändert. Da wir unseren wichtigsten Partner verloren haben, arbeiten wir in diesem Jahr mit 50 Prozent weniger Budget, Inflation eingerechnet. Im Grunde machen wir mehr mit viel weniger Geld. Es ist ein Versuch zu überleben und zu zeigen, dass wir da sind und dass wir es schaffen können“, gibt Uljana zu.

Wir sind hier und wir schaffen es

Auf die Frage nach ihren Erwartungen an das diesjährige Festival seufzt Uljana erleichtert: „Ich habe viel Spaß. Es ist so schön, wenn alles schon so gut läuft, man spürt den Wert des Programms und möchte die leuchtenden Augen der Leute sehen und das Gesehene mit ihnen teilen. Es ist natürlich immer aufregend, wie es laufen wird, denn dieses Jahr sind wir zum ersten Mal nicht in einem Kino, sondern im ArtiSchok-Theater. Es hat nur einen Saal mit ca. 140 Plätzen und keine Möglichkeit, mehrere Filme gleichzeitig zu zeigen. Das ist eine kleine Herausforderung, aber auf der anderen Seite ist es ein sehr cooler, unabhängiger Ort. Es ist großartig, mit lokalen, unabhängigen Projekten zu arbeiten.“ 

Uljana freut sich, dass immer mehr Qara Fest-Besucher aus den Vorjahren als Freiwillige beim Festival mitmachen wollen. „Letztes Mal bekamen wir nur vier Bewerbungen über einen Open Call, von denen nur zwei tatsächlich erschienen. In diesem Jahr haben wir rund 40 Bewerbungen erhalten, die sich wie schöne Motivationsbriefe anfühlen. Das hat mich sogar berührt. Man hat das Gefühl, dass sich immer mehr junge Menschen für Dokumentarfilme interessieren, die Jugend in Kasachstan ist begeistert, beim Festival mitzuhelfen“, so die Organisatorin abschließend. 

Aizere Malaisarova
Für Novastan.org aus Almaty

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