Was motiviert Menschen, die ursprünglich aus Nigeria und den Vereinigten Staaten kommen, Kasachisch zu lernen? Welche Lernmöglichkeiten gibt es außerhalb des Landes und welche Konversations-Klubs empfehlen sich in Almaty? Die Redaktion der Online-Zeitung „The Village Kasachstan“ sprach dafür mit Lernenden der kasachischen Sprache. Der Artikel erschien am 7. Oktober 2022 in der russischen Originalfassung. Wir übersetzen ihn mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.
Abigail Homer
Koordinatorin internationaler Ausbildungsprogramme, USA
Sprache und Studium
Geboren und aufgewachsen bin ich in den USA. Dort studierte ich an der Fakultät für Russische Philologie. Mein älterer Bruder fing zu dieser Zeit an, Russisch zu lernen und beeinflusste damit meine Entscheidung. Sein Studium ermöglichte ihm, eine zweite Fremdsprache dazu zunehmen und er war neugierig, sich mal an etwas Schwierigerem zu versuchen. Als Geisteswissenschaftler haben wir eine Leidenschaft für Sprachen und Literatur und darum zog ich schließlich mit! Ich erinnere mich noch gut, wie die Kurse zu russischer Literatur und Geschichte an der Uni abliefen. Über Kasachstan haben die Dozenten dagegen kaum ein Wort verloren, auch als die Sowjetunion in den thematischen Fokus rückte. Schließlich schrieb ich meine Abschlussarbeit über Literatur und technischen Fortschritt in der UdSSR. Hierzu führte ich mir zwei Romane zu Gemüte: „Das glückliche Moskau“ von Andrei Platonowitsch Platonow und „Der Tag, an dem die Welt unterging“ von Rollana Sejsenbaewa über den Atomwaffenübungsplatz in Semipalatinsk, im Norden Kasachstans [beide Romane liegen bislang nicht in deutschen Übersetzungen vor, Anm. d. Red.].
Auf nach Kasachstan
Während meines Russischstudiums wurden uns verschiedene Austauschprogramme angeboten, die im Anschluss an den Bachelor infrage kämen. In diesem Zuge habe ich mir verschiedene Städte angeschaut. Ich kam zu dem Schluss, dass es in Moskau und Sankt Petersburg nur so von Touristen und Internationals wimmelt und dass ich in Almaty eine viel interessantere und ungewöhnlichere Erfahrung machen würde.
„Jedes Mal, wenn ich für die Arbeit in Kasachstan bin, nehme ich Nachhilfeunterricht bei Lehrern vor Ort.“
Als ich, frischgebackene Forscherin der Sprachen und Kulturen, dorthin kam, weckte das Kasachische gleich mein Interesse. Da ich wusste, früher oder später in die USA zurückkehren zu müssen, suchte ich nach Möglichkeiten, diese Sprache auch außerhalb Kasachstans weiterzulernen. Schließlich fand ich einen Studiengang mit Schwerpunkt Zentralasien in Washington. Dort lernte ich zwei Jahre lang Kasachisch. Ich erhielt sogar ein Stipendium für das Studium seltener Sprachen. 2019, kurz vor Anbruch der Pandemie, studierte und arbeitete ich als Koordinatorin internationaler Ausbildungsprogramme in Kasachstan. Aktuell reise und arbeite ich an verschiedenen Orten. Jedes Mal, wenn ich für die Arbeit in Kasachstan bin, nehme ich Nachhilfeunterricht bei Lehrern vor Ort. Diesen Frühling nahm ich am Konversations-Klub „Batil-Bol“ teil. Er existiert weiterhin und ich lege ihn allen Kasachischlernenden ans Herz legen, um mehr Praxis zu gewinnen.
Kasachisch in der Praxis
Die Hauptschwierigkeit macht gleichzeitig auch ihren Reiz aus: Denn als Turksprache unterscheidet sich das Kasachische stark von meiner englischen Muttersprache. Dadurch wurde ich zum ersten Mal mit bestimmten grammatischen Strukturen konfrontiert. Beispielsweise fehlt der kasachischen Sprache das Relativpronomen „der/die/das“. Man kann auch nicht sagen „ich denke, dass“, so wie man im Englischen sagt „I think that“. Es kommt häufig vor, dass ich Verkäufer in Läden auf Kasachisch anspreche. Sie sind meist erstaunt und ergriffen zugleich und das, weil ich in der Sprache des Landes rede, in dem ich mich befinde. Ich bin zwar noch ein bisschen langsam, aber die Leute sind geduldig mit mir. Lest auch auf Novastan: Kasachstans langsamer, aber bestimmter Weg zum lateinischen Alphabet
Besonderheiten und Herausforderungen
Um Kasachisch zu sprechen, muss man seine Gedanken quasi einmal umkrempeln, denn die Grammatik ist ganz anders aufgebaut. Das verunsichert mich aber keineswegs – im Gegenteil, ich bin sicher, dass das sehr gut fürs Köpfchen ist. Was mehr Schwierigkeiten bereitet, ist die unfassbar kleine Auswahl an Lehrwerken. Zur Zeit verbessert sich die Lage ein wenig, aber als ich mich noch im Anfangsstadium befand, konnte man die Lern-Websites an einer Hand abzählen. Und das ist nur das Material für die blutigen Anfänger. Die Sprache wartet mit vielen Überraschungen auf. Das Wort „Tasbaka“, Schildkröte, besteht beispielsweise aus den beiden Wörtern „Stein“ und „Frosch“. Was mir auch gefällt, ist der Ausruf „Oj-Baj“ für „Maskara“. Im Kasachischen gibt es viel Ungewöhnliches. Ich habe auch Spanisch, Deutsch, Latein und Persisch gelernt, doch diese Sprachen habe ich nun, der mangelnden Praxis wegen, vergessen. Welche Fremdsprache man auch lernt, Motivation und Praxis sind das A und O.
Moses Zibor
Künstler, Musiker, Nigeria
Von Nigeria nach Kasachstan
Ich bin im westafrikanischen Ghana geboren, aber in Nigeria aufgewachsen. Nachdem ich dort die Universität abgeschlossen hatte, bereiste ich verschiedene Länder. Über Freunde, die selbst nach Kasachstan ausgewandert waren, hörte ich immer wieder von diesem Land. Sie haben mittlerweile Familie und Kinder und wir halten den Kontakt. Schließlich habe auch ich meine große Liebe Nagalja hier gefunden. Sie kommt aus dem ostkasachischen Öskemen. Als ich hier mein Schicksal erkannte, die vielen guten Menschen sah, begann ich, mich für Sprache und Kultur Kasachstans zu interessieren. Bei meinem ersten Aufenthalt arbeitete ich als Englischlehrer und lernte durch meine Studenten das traditionelle kasachische Zupfinstrument, die Dombra, kennen. Das machte mich neugierig! Lest auch auf Novastan: Wer war Ahmet Baıtursynuly? – Die Geschichte eines kasachischen Erziehers
Kunst und Musik als Schlüssel
Als ich anfing, das Instrument zu spielen, fühlte ich mich schon bald wohler in der hiesigen Künstlerszene. Da ich auch zeichne, fand in Almaty einige Ausstellungen mit meinen Bildern statt. Wo Kreativität ist, da ist auch Inspiration und man kommt nicht umhin, sich für seine Umwelt zu interessieren. So wuchs mein Interesse fürs Kasachische weiter an. Meine ersten Worte versuchte ich in Geschäften anzuwenden. Das gab einen Gesprächsanlass, was mir, als geselligem Typen, total zugesagte. Wenn wir mit Freunden ins Café gingen, wand ich ebenfalls ein paar Sätze an, die ich für speziell solche Alltagssituationen auswendig gelernt hatte. Heute lerne ich neue Wörter durch Lern- und Unterhaltungsvideos oder lese Nachrichten. Auch meine Freunde tragen kräftig zu meinem Fortschritt bei. Neue Bekanntschaften aus Almaty, die die Sprache beherrschen, bitte ich oft, für mehr Praxis mit mir über Whatsapp auf Kasachisch zu schreiben.
Ähnlichkeiten zur Muttersprache
In den Lauten und der Intonation ähneln sich das Kasachische und die afrikanischen Sprachen, habe ich gemerkt. Ein paar Konsonanten sind sich so ähnlich, dass ich ohne Mühe assoziative Eselsbrücken zu meiner Muttersprache baue. Sowieso spielen Assoziationen sowohl beim Lernen einer Sprache als auch beim Zeichnen eine wichtige Rolle. Denn wenn wir einen Gedanken aktiv weiterspinnen, können wir neue Blickwinkel einnehmen. Kaum konnte ich ein paar Brocken, machte ich mich direkt ans Sprechen. Auf Festen spielte ich Dombra und lernte schnell den Satz „Sehr verehrte Damen und Herren“. Obwohl es grundsätzlich eine leichte Sprache ist, fällt es mir noch schwer, bestimmte u-Laute voneinander zu unterscheiden. Bestimmte Worte wie „Bitte“ oder „Danke“ sage ich bei jeder Gelegenheit, sei es im Café, Restaurant oder Geschäft, um das Gelernte nicht zu vergessen.
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Sprache und Weltsicht
Es ist unfassbar spannend, eine Kultur, ihre Lebensart, die Denkweise eines Volks über die Sprache zu entdecken. Als Künstler und Musiker ist das für mich immer auch ein kreativer Prozess. Kennst du erst einmal ihre Sprache, werden dir die Menschen und ihre Mentalität gleich vertrauter. Ich habe außerdem den Eindruck, dass sich einige Werte mit denen afrikanischer Länder überschneiden. Die Hochzeitsbräuche zum Beispiel spielen bei uns eine ähnlich wichtige Rolle. Ich habe vor, auch weiterhin Kasachisch zu lernen. Ich will die Grammatik durchdringen, besser sprechen und schreiben. Ich habe das Gefühl, dass wir über eine Sprache uns und unsere Fähigkeiten besser kennenlernen. In meinen Zeichnungen versuche ich ebenfalls, diesen Gedanken zu herüberzubringen: Wie interessant es ist, immer wieder Neues, die Vielfalt der Farben des Lebens zu entdecken. Ich möchte den Menschen durch Kunst die Welt vor Augen bringen.
Spezialist im Bereich Internationale Beziehungen, USA
Mein erstes Wort Kasachisch
Ich lebe in den USA und interessiere mich seit meiner Kindheit für Geografie und Geschichte. Zwar bin ich gerade erst in meine Heimat zurückgekehrt, doch ich möchte bald wieder nach Kasachstan, um zu arbeiten und meine Karriere im Bereich Internationale Beziehungen weiterzuverfolgen. Ich erinnere mich noch gut an meine ersten Schritte auf kasachischem Boden. Als ich acht Jahre alt war und die kirchliche Sonntagsschule besuchte, bekamen wir einmal den Auftrag, eine Geschichte über ein Land unserer Wahl vorzubereiten. Kasachstan schien mir ein weiter und ein unter Amerikanern unbekannter Ort zu sein. Darum entschied ich mich, über dieses Land zu berichten. Ich weiß noch, wie Mama und ich Baursaki gekocht haben (eine Art Berliner, nur ohne Füllung, die man meist zum Tee gibt). Baursaki war quasi mein erstes Wörtchen Kasachisch. Lest auch auf Novastan: Das Geheimnis von Kalachi, dem verschlafenen Dorf
Kasachisch im Studium und Alltag
Einige Jahre später schrieb ich mich an der Fakultät für Internationale Beziehungen ein. Da mein Studium das Erlernen verschiedener Fremdsprachen vorsah, fiel meine Wahl aufs Russische. Ich verfolge stets aufmerksam, was in der Welt passiert, bin politisch interessiert und kenne mich gut mit den Januarereignissen aus, als viele Kasachstaner zum Protest auf die Straße gingen. Damals habe ich viel über Kasachstan nachgedacht. Es wurde mir ganz mulmig, als ich las, was dort vor sich ging. Sicher nicht so arg, wie den Kasachstanern, nichtsdestotrotz ging es mir sehr nah.
Die erste Reise nach Almaty
Im April dieses Jahres war ich dann das erste Mal in Almaty. Da ich zu dieser Zeit wenig herumkam, löste ich das Ticket spontan. Ich wollte einfach nur weit weg, in Richtung Abenteuer. Mein erster Aufenthalt dauerte gerade einmal zwei Wochen. Kasachisch lernte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht, doch ich konnte mein Russisch anwenden und verliebte mich in die Stadt. Mir gefiel das sonnige Wetter, die Vielfalt der Kulturen und Nationalitäten. Ehrlich gesagt wusste ich damals noch nicht, dass Almaty so durchmischt ist. Als ich kasachischen Gesprächen lauschte, fragte ich mich, ob es möglich wäre, nicht nur Russisch, sondern auch Kasachisch zu lernen. Nach meinem ersten Besuch war mir klar, dass ich nochmal herkommen würde. Die zwei Wochen waren wirklich kurz. So kehrte ich im Juli nach Almaty zurück, um in einem Jugendzeltlager zu arbeiten. Während ich den Kindern Englischunterricht gab, brachten sie mir ein paar Worte Kasachisch bei. Auf diese Weise lernte ich die Sprache näher kennen und besuchte daraufhin den Konversations-Klub Batil-Bol. Je mehr ich mit den Teilnehmern ins Gespräch kam, desto mehr faszinierte mich diese Sprache und ihre lange Geschichte.
Eine echte Herausforderung
Das Schwierigste sind für mich Grammatik und Satzstruktur. Dazu kommt die furchtbar schwere Aussprache. Deshalb ergreife ich selten das Wort. Diese Hürde muss ich noch überwinden. In alltäglichen Situationen oder gegenüber Fremden fühle ich mich noch nicht bereit, die Sprache anzuwenden. Momentan befinde ich mich in den USA. Fürs nächste Jahr plane ich eine weitere Reise nach Kasachstan und will dann unbedingt noch mehr Konversation betreiben. Eine Barriere ist da noch: die Lernmaterialien im Netz sind zum Vergleich mit anderen Sprachen äußerst begrenzt. Es geht Schritt für Schritt voran und wer wirklich will, der findet so oder so Materialien oder die Möglichkeit, die Sprache anzuwenden. Ich denke, das Allerwichtigste beim Erlernen einer Fremdsprache ist es, niemals aufzugeben, auch wenn die schnellen Ergebnisse ausbleiben. Und dann darf die Konversation natürlich nicht fehlen! Sprache ist nicht nur Grammatik und schwierige Wörter. Es geht um den Austausch, das Interesse am Menschen, an der Welt. Grammatik, Wortschatz und Fehler sind zweitrangig. Im nächsten Jahr will ich zurück in dieses Land. Ich finde, wenn man sich so sehr für ein Land interessiert, dass man sogar über einen Umzug nachdenkt, dann sollte man auch die Landessprache können.
Die Redaktion von The Village Kasachstan
Aus dem Russischen von Arthur Siavash Klischat, Übersetzer für Novastan
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