Am 22. Oktober wird in Saint-Germain-en-Laye bei Paris der tadschikische Bildhauer und UNESCO-Botschafter des guten Willens Amri Aminow im Kreis seiner Familie seinen 55. Geburtstag feiern. Ein Porträt.
Am 22. Oktober 1966 wurde in der Familie des Schmieds Kuschmurod Amin im Bergdorf Gusar im Bezirk Pendschikent in Tadschikistan ein Sohn geboren. Die Großmutter mütterlicherseits, Bibi Salomat, gab ihm dem Namen Amri. Es war das fünfte von sechs Kindern der Familie. Die Eltern gaben viel Kraft und Energie, damit ihre Kinder satt sowie gut beschuht und angezogen waren. Alle Kinder lernten fleißig in der Schule. Als Kind wachte Amri jeden Morgen durch den Hammerschlag seines Vaters auf. Als er fünf Jahre alt war, begann er zusammen mit seinen Brüdern und Schwestern, seinem Vater in der Werkstatt zu helfen. Jeden Tag vollbrachte der Vater aus Eisen Wunder: Sichel, Hufeisen, Axt, Hacke.
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„Soweit ich mich erinnere, waren Vater und Mutter immer mit etwas Nützlichem beschäftigt. Es wurde gekocht, gelesen, gemacht, kreiert. Freitags reiste mein Vater ins nahe gelegene Samarkand, um das gemeinsame Freitagsgebet zu verrichten. Nachdem er das Gebet verrichtet hatte, führte er mich zu den historischen Orten der Stadt: zum Registon, dem Mausoleum Gur Emir, Shohizinda, zur Bibi-Hanum-Moschee, Ulugbeks Observatorium, Afrosiyob. Diese Reisen haben einen großen Eindruck bei mir hinterlassen. Ich habe mich ein für alle Mal in Literatur, Kunst, Architektur verliebt.
Als ich meinem Vater half, verliebte ich mich in die Kunst des Schmiedens. Diese Liebe brachte mich nach dem Ende der achten Klasse an die Mirsorachmat-Olimow-Kunstschule in Duschanbe. Das war 1982. Seit meinem sechzehnten Lebensjahr arbeite ich mit Granit, Marmor, Bronze. Viele meiner Arbeiten sind in Bronze ausgeführt. Es besteht kein Zweifel, dass die Liebe zu Bronze – zu Metall – mir zweifellos von meinem Vater gegeben wurde “, erinnert sich Amri Aminow.
Lehrjahre
In Duschanbe landete Amri im Atelier des berühmten Bildhauers Igor Gurjewitsch Iwanow, Autor des einzigartigen Brunnens gegenüber dem Ismail-Somoni-Denkmal im Zentrum der tadschikischen Hauptstadt. Der Unterricht erfolgte auf Russisch. Amri musste nach der Arbeit extra Geld verdienen, um interessante Bücher auf Russisch zu kaufen. Mit diesen Büchern versuchte er, die Sprache Puschkins und Dostojewskijs lesen und sprechen zu lernen. Die Eltern schickten Geld, damit er eine Wohnung mieten, Kleidung und Schuhe sowie Werkzeug und Materialien für das Studium kaufen konnte.
„Neben Russisch begann ich die usbekische Sprache zu lernen. Dabei halfen mir meine Kommilitonen, die aus Usbekistan kamen. Im Gegenzug baten sie mich, ihnen Tadschikisch beizubringen. Ich habe die usbekische Sprache gelernt, aber meine Freunde konnten unsere Sprache nicht beherrschen“, lacht Aminow. „Die Kenntnis der russischen und usbekischen Sprache hat mir aber für den Rest meines Lebens geholfen.“
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Die Werke des Bildhauers weckten schon in seiner Studienzeit das Interesse von Kunstliebhaber:innen. Seine Werkskizzen wurden oft auf verschiedenen Ausstellungen präsentiert. Der junge Künstler träumte von einer höheren Ausbildung, nämlich an der Russischen Akademie der Künste in Leningrad und dort Schüler eines der berühmtesten sowjetischen Bildhauer, Michail Konstantinowitsch Anikuschin, zu werden. Er wurde aber nicht angenommen.
Michail Konstantinowitsch selbst bot ihm an, ihm bei der Zulassung an einer anderen Hochschule zu helfen, was Amri aber kompromisslos ablehnte. Nachdem er die Entschlossenheit des jungen Bildhauers erlebt hatte, erlaubte ihm Anikuschin, als freier Hörer an seinen Vorlesungen und praktischen Kursen teilzunehmen. Ein Jahr später wurde Amris Traum wahr. Er wurde ein vollwertiger Student der renommierten Hochschule.
Im zweiten Studienjahr wurde Amri zur Armee eingezogen. Er diente im Hauptquartier des Leningrader Militärbezirks und wurde Militärkünstler. Man brauchte Spezialisten auf dem Gebiet der bildenden Kunst und der monumentalen Propaganda und so wurde Amri während des Dienstes in andere Militäreinheiten in Archangelsk und Murmansk abgeordnet. Nach der Entlassung aus dem Militärdienst kehrte Amri an die Akademie zurück. Im Jahr 1992 flog Amri Aminow auf Einladung Muhammad Osimis, dem damaligen Präsidenten der Akademie der Wissenschaften von Tadschikistan, von St. Petersburg nach Duschanbe und nahm am ersten Forum der Tadschiken der Welt teil. Amri nutzte die Gelegenheit und organisierte eine erfolgreiche Einzelausstellung in der tadschikischen Hauptstadt.
Per Zufall nach Frankreich
Im Anschluss an das Forum wollte Amri ein Praktikum in Italien absolvieren. Er beschloss, über Berlin und Paris nach Reggio Calabria zu reisen, um unterwegs die Museen der beiden europäischen Hauptstädte zu besuchen. In Frankreich lernte er die Besitzer einer Pariser Kunstgalerie kennen, die ihm die Zusammenarbeit und einen lukrativen Vertrag anboten. Amri begann ernsthaft und gründlich die französische Sprache, die europäische Kultur sowie die Lebensweise, Bräuche und Traditionen der Französ:innen zu studieren.
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„Und so landete ich als Student in Frankreich und lebe und arbeite seit etwa dreißig Jahren in Paris. Diese Stadt ist neben meinem Heimatdorf Gusar, Duschanbe und St. Petersburg für mich zu einem Heimatort geworden, an dem sich meine zweite Werkstatt befindet. Meine Familie lebt hier in Paris, mein Sohn Kova ist hier aufgewachsen“, erzählt der Künstler. Seine Werke werden hauptsächlich von privaten Sammler:innen und den Rathäusern französischer Städte erworben. Gleichzeitig ist er Mitglied des St. Petersburger Künstlerverbandes.
„In Europa wurden meine Arbeiten erstmals 1992 in Berlin ausgestellt. Dann wurden sie regelmäßig auf Ausstellungen in Berlin, Prag, Paris gezeigt. Das erste monumentale Denkmal habe ich 2005 in Frankreich in Chambourcy bei Paris errichtet. Meine Werke werden im Museum der Russischen Akademie der Künste in St. Petersburg, im Museum von Florida City und vielen anderen Museen auf der ganzen Welt gezeigt“, merkt Amri Aminow an.
14 Dichter und Denker der tadschikisch-persischen Literatur
Kunst und Kultur, insbesondere die Bildhauerei, waren laut Amri Aminow zu allen Zeiten mächtige ideologische Waffen, Symbole der Größe und Macht von Staaten. Zu diesem Zweck wurden seinerzeit die ägyptischen Pyramiden, Persepolis, Naqsch-e Rostam, Pasargadae mit dem Grabmal des Kyros im Iran, die Siedlungen Afrosiyob und Varaxsha [in Usbekistan, Anm. d. Ü.], das antike Pendschikent, Tachti Sangin und Dilwarsin-teppa in Tadschikistan geschaffen. Diese antiken Denkmäler sind lebendige Zeugen der einstigen Macht der Staaten der Region. Derzeit errichten Staaten Denkmäler für ihre Helden und Denker nicht nur im Inland, sondern auch auf dem Territorium anderer Staaten. Zum Beispiel errichteten Kasach:innen in Lyon, St. Petersburg und sogar im fernen Australien Denkmäler für Abaı, den Begründer der kasachischen Literatur. Die Usbek:innen errichteten in London ein Denkmal für Avicenna, der in Buchara, im heutigen Usbekistan, geboren wurden.
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Auf Anfrage von Michail Piotrowskij, dem Dekan der Fakultät für orientalische Sprachen der Universität St. Petersburg, schuf Amri Aminow im Laufe mehrerer Jahre Denkmalskizzen für 14 prominente Denker der Region, unter anderem für Rudaki, Avicenna, Omar Chayyam, Firdausi, Saadi und Hafis. Es besteht die Hoffnung, dass diese Denkmäler den Garten des UNESCO-Hauptquartiers in Paris schmücken werden.
„Es wäre gut, wenn Tadschikistans Regierung die Kosten für die Errichtung dieser Denkmäler übernehmen würde. Schließlich sollten wir uns für ihre Entstehung in anderen Staaten interessieren. Diese Denkmäler verdeutlichen der Rolle der Tadschiken in der Entwicklung der Weltzivilisation. Schließlich sind diese Menschen Repräsentanten unserer Nation und der gesamten Menschheit. Ich möchte unbedingt, dass eine Kopie in den Städten Tadschikistans ausgestellt wird“, erklärt Amri Aminow.
Botschafter des guten Willens
2008 bekam Amri Aminow als erste Vertreter Zentralasiens überhaupt den Titel „Künstler der Welt“ verliehen. Dieser Titel wird von der UNESCO an Künstler:innen in Anerkennung ihres Beitrags zur Verbreitung von Frieden und Toleranz verliehen. Die Urkunde wurde vom damaligen Generaldirektor der UNESCO Koichiro Matsuura überreicht. Die Zeremonie fand im UNESCO-Hauptquartier in Paris statt.
„Meine Hauptaufgabe bestand darin, an den Aktivitäten der UNESCO zum Schutz und zur Sensibilisierung der Öffentlichkeit für das immaterielle Kulturerbe sowie das traditionelle Handwerk Zentralasiens teilzunehmen. Im Rahmen dieses Programms hatte ich das Glück, in viele Länder der Welt zu reisen und an verschiedenen Veranstaltungen teilzunehmen“, sagt Amri Aminow stolz.
Die Rolle der Heimat
Amri Aminow ist sich sicher, dass man die Geschichte und Kultur der eigenen Nation und der ganzen Welt gut kennen muss, um ein professioneller Bildhauer zu werden. Man muss die Muttersprache gut beherrschen, über Fremdsprachenkenntnisse verfügen. Außerdem braucht man ein gottgegebenes Talent. Der Beruf eines Bildhauers ist akribische, fleißige und unaufhörliche Arbeit und eine überbordende Liebe zur eigenen Arbeit.
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„Um eine Skulptur zu schaffen, muss man sich maximal anstrengen. Mit Leidenschaft, Geduld und Inspiration arbeiten. Mein Mentor Michail Anikuschin hat zum Beispiel 10 Jahre lang an einem Puschkin-Denkmal in St. Petersburg gearbeitet. Bildhauerei ist wie Poesie, sie sollte klar und präzise sein. Im Moment sehen wir leider sowohl in Tadschikistan als auch in anderen Ländern Denkmäler, bei denen es peinlich ist, sie als solche zu bezeichnen. Sie sind innerlich und geistig leer, es gibt keine Harmonie in ihnen. […] Ich kann nur mit Bedauern feststellen, dass in vielen Ländern der Welt – auch in meiner Heimat – die Kunst degradiert, einschließlich der Bildhauerei“, betont Amri Aminow.
In seiner Heimat Tadschikistan gibt es keine großen Denkmäler, die von Aminow geschaffen wurden, sondern nur einzelne Werke, die in privaten Sammlungen aufbewahrt werden. Er hat keine hohen staatlichen Auszeichnungen erhalten. Amri ist darüber nicht verärgert. Noch immer liebt er von ganzem Herzen seine Heimat und das Dorf, in dem er geboren wurde. Er hält engen Kontakt zu Familie und Freund:innen. Um die Muttersprache nicht zu vergessen, kauft er jedes Mal, wenn er nach Tadschikistan kommt, Dutzende Bücher in tadschikischer Sprache, hört traditionelle Musik.
Amri Aminow hat keine großen Villen im In- oder Ausland. In St. Petersburg mietet er vorübergehend eine Wohnung oder wohnt in einem Hotel. Aber er hat mehr als hundert vorgefertigte Skizzen, die für ihn Reichtum und Stolz sind.
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„Ich möchte, dass die Plätze und Parks unserer Städte mit Spiritualität gefüllt sind, nicht mit chinesischem Nippes. Dass auf den Podesten die Weisen sich zur Schau stellen und unsere Bürger und Gäste inspiriert und stolz sind auf das Erbe, das sie der Menschheit hinterlassen haben. Und dass die jüngere Generation sich ein Beispiel nimmt und das großartige Werk unserer großen Vorfahren fortsetzt. Und wir würden uns vor der zukünftigen Generation unseres vergangenen Jahrhunderts nicht schämen“, schließt Amri Aminow.
Aziz Rustamov
Aus dem Russischen von Robin Roth
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