Der schnelle Aufstieg des ehemaligen Parlamentsabgeordneten Sadyr Dschaparow vom Gefängnisinsassen zum Premierminister und Interimspräsidenten hat national und international für Überraschung gesorgt. Um die internationale Gemeinschaft von seiner Legitimität zu überzeugen, hat Kirgistans neuer starker Mann viele Versprechen gegeben, was er als Nächstes tun wolle. Es ist aber zu früh, um zu beurteilen, ob er in der Lage sein wird, sie alle zu erfüllen. Ein Kommentar von Ilgiz Kambarov.
Nachdem Sadyr Dschaparow in neun Tagen vom Häftling zum amtierenden Präsidenten und Premierminister aufgestiegen ist, trägt er jetzt in Kirgistan die Verantwortung. Er kontrolliert alle Exekutivgewalt im Land und hat am 25. Oktober seinen Willen zur Teilnahme an den nächsten Präsidentschaftswahlen bekundet.
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Wie das kirgisische Nachrichtenportal Kaktus berichtet, hat Dschaparow in der Zwischenzeit tiefgreifende Reformen versprochen. In Bezug auf die Korruptionsbekämpfung versprach er, Gerechtigkeit im Land zu schaffen und die Korruption unabhängig von der Politik zu bekämpfen. Der amtierende Präsident sagte, der Kampf gegen die Korruption werde nicht als Instrument zur Beseitigung politischer Gegner eingesetzt und auf Rechtsstaatlichkeit beruhen. In Bezug auf das Justizsystem versprach er Transparenz und dass seitens der Präsidialadministration kein Druck auf Richter ausgeübt werde. Zuvor hatte Dschaparow erklärt, er sei 2017 wegen politisch motivierter Anschuldigungen inhaftiert worden.
Kein Einfluss krimineller Gruppen
In Bezug auf die Kriminalität versprach Dschaparow, dass die organisierte Kriminalität seine Handlungen nicht diktieren und auch keinen Einfluss auf gewöhnliche Unternehmen ausüben werde. Der Premierminister versicherte, dass neue Zeiten für die Jugend des Landes anbrechen würden, einschließlich der Möglichkeit, sich an der Politik zu beteiligen. Darüber hinaus versprach er einen Sonderausschuss für Reformen, um die wirtschaftlichen Ansätze des Landes zu überarbeiten, einschließlich der Auflösung unnötiger staatlicher Stellen.
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Dschaparow versicherte zudem, dass untersucht werden würde, in welcher Art und Weise Darlehen in Höhe von mehreren Millionen US-Dollar zur Bekämpfung von Covid-19 ausgegeben wurden. Gleichzeitig forderte er, dass die gegen den ehemaligen hochrangigen Zollbeamten Raimbek Matraimow erhobenen Vorwürfe der Geldwäsche in Höhe von 700 Millionen US-Dollar untersucht werden. Der Fall war im November 2019 von einem Rechercheverbund um Radio Azattyk, dem kirgisischen Dienst des amerikanischen Medienunternehmens Radio Free Europe, aufgedeckt worden und hatte während der Amtszeit Sooronbaj Dscheenbekows (2017-2020) breite Kritik hervorgerufen, die in Forderungen nach Matraimows Verhaftung mündete.
Faire Wahlen
Im Allgemeinen erklärte Dschaparow, dass er alle seine Fähigkeiten, Kenntnisse, Berufs- und Lebenserfahrungen auf die Entwicklung Kirgistans und das Wohlergehen der Menschen richten werde. Er erwähnte, dass das Land alle Schwierigkeiten überwinden und nur mit nationaler Unterstützung aus dieser Krise herauskommen werde.
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Des Weiteren versprach Dschaparow faire Wahlen. Wann aber die Parlamentswahlen stattfinden werden, bleibt unklar. Der Druck, der auf die Zentrale Wahlkommission ausgeübt wird, verdeutlicht die anhaltende politische Unsicherheit, während die Präsidentschaftswahl für den 10. Januar 2021 angesetzt wurde. Die Forderungen von breiten Gesellschaftsschichten, AktivistInnen und Oppositionsparteien scheinen Gehör zu finden, da das derzeitige Parlament bestätigt hat, die bisherige Siebenprozenthürde auf 3 Prozent und die von an den Wahlen teilnehmenden Parteien zu hinterlegende finanzielle Sicherheit von fünf auf eine Million Som zu senken. Diese Forderungen wurden direkt nach Bekanntgabe der Wahlergebnisse der Parlamentswahl vom 4. Oktober erhoben.
Ein hoher Einsatz
Diese Versprechen werden schwer zu erfüllen sein und es bestehen weiterhin Bedenken, ob Sadyr Dschaparow eine ganzheitliche politische Konsolidierung gewährleisten kann, die den Weg zu seiner vollen Legitimation ebnet. Zunächst hat der neue starke Mann in den meisten, wenn nicht sogar in allen Entscheidungspositionen neue Beamte ernannt. Der amtierende Präsident ernannte neue Leiter für die Präsidialadministration, den Russisch-Kirgisischen Entwicklungsfonds, Regionalverwaltungen und Vollstreckungsbehörden sowie die neuen MinisterInnen in seinem Kabinett (wobei einige der alten MinisterInnen im Amt bleiben). So ernannte Dschaparow zum Beispiel seinen Freund und langjährigen Verbündeten Kamtschybek Taschijew zum Leiter des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit (der Geheimdienst, Anm. d. Red.). Das Schicksal des am 27. Oktober von Dschaparow zum neuen Bürgermeisters der Hauptstadt Bischkek ernannten Balbak Tolubajew ist hingegen Gegenstand heftiger Kontroversen.
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Des Weiteren ordnete Dschaparow die Festnahme von Raimbek Matraimow sowie von Kamtschybek Kolbajew an. Beide Männer sind wichtige Symbole der Korruption. Matraimow soll 700 Millionen US-Dollar an Zollgebühren illegal außer Landes geschafft haben, Kolbajew ist einer der bekanntesten Bosse der organisierten Kriminalität des Landes. Wie das kirgisische Nachrichtenportal Kloop berichtete, bot Dschaparow außerdem eine Amnestie für korrupte Beamte und Unternehmen an, wenn diese innerhalb eines Monats ihre illegalen Gewinne zurückzahlen.
Datum der Parlamentswahl noch unklar
Von Seiten der internationalen Gemeinschaft steht eine Anerkennung Dschaparows als Kirgistans Staats- und Regierungschef noch aus. Die Lage bleibt angespannt, die politische Stabilität Kirgistans eine offene Frage. Die Neuwahlen zum Parlament sollten fair, zeitnah und nach neuen Regeln durchgeführt werden. Aber die Zentrale Wahlkommission scheint sich in einem Rechtsstreit um das Gesetz, mit dem Dschaparow das von der Wahlkommission festgelegte Datum für die Parlamentswahl verschoben hatte, zu befinden. Mittlerweile hat Dschaparow erklärt, dass die Parlamentswahlen nicht in der ersten Hälfte 2021 stattfinden werden. Wann die Wahlen aber stattfinden sollen, bleibt unklar.
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Zwischen Dschaparows Verpflichtungen gegenüber seinen AnhängerInnen und jenen gegenüber der gesamten Gesellschaft besteht ein Dilemma. Wie Central Asian Analytical Network feststellte, kam Dschaparow mit Unterstützung eines kleinen Kreises, zu dem angeblich auch Kriminelle gehören, an die Macht. Aber selbst wenn er eine breitere Palette von KirgisInnen anspricht, ist die Situation alles andere als stabil. Zu der politischen Instabilität kommt eine schwache wirtschaftliche Situation, die zusätzlich durch das Coronavirus verschlechtert wurde, und ein zerrüttetes Budget mit massiven nationalen und internationalen Schulden, die gemäß Radio Azattyk ohne ausländische Finanzhilfe nicht beglichen werden können. Unterdessen hat Russland seine finanzielle Hilfe ausgesetzt, bis sich die politische Situation stabilisiert. Und Kirgistans größter Gläubiger China lehnte einen Antrag ab, die Rückzahlung der aufgenommenen Kredite in Höhe von 1,8 Milliarden US-Dollar aufzuschieben, und fordert stattdessen deren Rückzahlung ab Januar 2021.
Zeit der Wirren
Der berühmte kirgisische Gelehrte Sainidin Kurmanow vergleicht die gegenwärtige Entwicklung mit der Zeit der Wirren im Russland des frühen 17. Jahrhunderts. Er argumentiert unter anderem, dass die sogenannte politische Elite aus Abgeordneten und Beamten absolut unqualifiziert, unverantwortlich und unfähig sei, auf die politische Krise zu reagieren, wenn ein Mob die Macht ergreift und seinen eigenen Führer in die Verantwortung hievt. Der Mob ist aber kein vertrauenswürdiger Verbündeter, er kann morgen sein Idol stürzen. In Ermangelung der Rechtsstaatlichkeit und mit nur schwachen staatlichen Institutionen kann die Ochlokratie – die Herrschaft des Mobs – ohne Legitimation den Kurs des Landes diktieren.
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Daher bleiben die Risiken eines weiteren wirtschaftlichen Niedergangs und einer politischen Instabilität bestehen – es sei denn, Dschaparow legt demokratische Prinzipien für die bevorstehende Wahlen überzeugend an den Tag. Wenn Dschaparow eine breitere internationale Anerkennung erhält, würde dies seine Legitimität erhöhen, denn die ganze Gesellschaft muss davon überzeugt sein, dass die aktuelle Situation kein Staatsstreich ist, sondern die Folge tiefer demokratischer Prozesse und einer radikalen Wendung zugunsten nationaler Interessen. In der Folge würden ausländische Investitionen und internationale Unterstützung zurückkehren, und Kirgistan auf lange Sicht zugutekommen, sobald sich das Land wieder in stabilen Regierungsverhältnissen befindet.
Ilgiz Kambarov für Novastan
Aus dem Englischen von Robin Roth
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