Die Nachricht, dass ein Teil des Ile-Alatau-Nationalparks unter private Verwaltung gestellt werden soll, sorgt in Kasachstan für Kontroversen. Das Unternehmen, das die Nutzungsrechte an 35 Hektar des Nationalparks für fast ein halbes Jahrhundert erhalten hat, möchte dort den touristischen Sektor ausbauen. Das Projekt gibt sich umweltschonend, stößt aber bei Umweltschützenden auf heftigen Widerstand.
Seit einigen Wochen wird in Kasachstan über die Privatisierung von 35 Hektar des Ile-Alatau-Nationalparks gestritten. Im Februar hatte die Verwaltung des am Rande von Kasachstans Wirtschaftshauptstadt Almaty gelegenen Parks, der mit 200.000 Hektar Gesamtfläche einer der wichtigsten Nationalparks des Landes ist, eine Ausschreibung für eine Reihe von Standorten des Parks gestartet, um dort nachhaltigen Tourismus zu entwickeln. Wie das kasachstanische Nachrichtenportal Holanews am 26. Mai berichtete, nahm aber nur ein Unternehmen an der Ausschreibung teil: die Touranga Group.
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Die Touranga Group soll die 35 ausgeschriebenen Hektar bis 2069 verwalten. Das bisher weitgehend unbekannte Unternehmen will sieben Besucherzentren für den Park, 156 Kilometer Fußwege und verschiedene Übernachtungsareale, darunter Camping- und Glampingplätze – also Unterkünfte mitten in der Natur in einer Jurte oder einem Wohnwagen – bauen. Die Unterkünfte sollen komfortabel und umweltfreundlich Kapazitäten für bis zu 3000 Personen bieten. Das Unternehmen plant außerdem den Bau von Aussichtsplattformen sowie eines Parkplatzes für 2000 Autos. Ziel des Projekts sei eine Infrastruktur, die es TouristInnen ermöglicht, den Reichtum der Flora und Fauna des Parks zu entdecken.
Der Ökotourismus im Land soll entwickelt werden, um die Wirtschaft zu diversifizieren und das kasachstanische Tourismuspotenzial zu nutzen. Die Bedeutung des Tourismus ist in Kasachstan gestiegen, und das Land will nach Angaben des kasachstanischen Onlinemediums Zakon.kz diesen Weg fortsetzen, indem es mehr Unterkünfte in touristischen Gebieten errichtet. Heute ist das Land weitgehend abhängig vom Öl- und Gasexport, der 20 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) und 60 Prozent seiner Exporte ausmacht. Darum sollte das Ökotourismus-Projekt von vornherein für das Land von Vorteil und ohne Risiko für die Umwelt sein. Allerdings sprechen sich kasachstanische UmweltschützerInnen gegen das Projekt aus, kritisieren stark dessen Inhalt sowie die Art und Weise seines Zustandekommens.
Verdacht auf Korruption
Nichtregierungsorganisationen gehen davon aus, dass das Vergabeverfahren, das offiziell allen offen stand, in suspekter Diskretion durchgeführt wurde. Dies erklärt insbesondere die Verzögerung zwischen der Entscheidung für die Touranga Group und der Bekanntgabe. Die mit der Prüfung der Anträge beauftragte Kommission sollte sich auf den Vorschlag eines Bebauungsplans stützen. KritikerInnen prangern eine ungenaue Darstellung an, die nichts mit einem echten Plan zu tun habe und von einer Gesellschaft komme, die weder im Bereich des Tourismus noch der Ökologie Erfahrungen habe.
Wie die kasachstanische NGO Greensalvation gegenüber Novastan ausführte, beklagen UmweltschützerInnen, die sich für mehr Rücksicht auf die Auswirkungen von Bauwerken und der menschlicher Präsenz auf die Umwelt einsetzen, dass die Faktoren, die für einen wirklich ökologischen Tourismus von entscheidender Bedeutung sind, nicht vollständig berücksichtigt würden. Doch dies sind nicht die einzigen Anschuldigungen.
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Wie der freie Journalist Vadim Boreiko in seinem Interview mit Alexander Guyavin, Direktor des Unternehmens, erörterte, hat die Touranga Group vier Baupläne für vier verschiedene Parks im ganzen Land erstellt, ohne aber über die finanziellen Möglichkeiten für die Projekte, deren Gesamtkosten auf 100 Millionen Dollar (88,5 Millionen Euro) geschätzt werden, zu verfügen. Das bedeutet, dass die Touranga Group einen externen Investor finden müsste. Die Kommission berücksichtigte also nicht die finanzielle Leistungsfähigkeit des Bewerbers und ob dieser die mit dem Projekt verbundenen Ausgaben überhaupt tragen kann.
Boreiko zeigte außerdem, dass in diesem Fall noch ein weiteres Element hinzukommen scheint: die Chronologie. Guyavin sagt, dass er die Idee, ein Ökotourismus-Projekt im Nationalpark zu entwickeln, eineinhalb Jahre vor dem Start der Ausschreibung gehabt habe. Die Aktivistin Elena Erzakovich erklärte Boreiko gegenüber jedoch, dass der Plan für das Projekt auf das Ministerium für Ökologie, Geologie und Natürliche Ressourcen zurückgehe und im letzten Winter vor der Ausschreibung dem zuständigen Ausschuss vorgestellt worden sei. Nach der Präsentation kündigte der Ausschuss die baldige Bestätigung des Projekts an, obwohl es noch unvollständig war. Das noch nicht abgeschlossene Projekt wurde daher lange vor seiner Bestätigung von der Kommission angenommen, die anlässlich der Ausschreibung zusammengekommen war.
Warum stellen sich UmweltaktivistInnen gegen ein scheinbar ökologisches Projekt?
Über diese formalen Aspekte hinaus führen UmweltschützerInnen trotz des a priori „grünen“ Charakters einen Kampf um den Inhalt des Projekts. Sie beziehen sich auf ein Gesetz aus dem Jahr 2006, das besonders geschützte Gebiete aufführt, deren Verpachtung verboten ist. Das Gesetz wurde allerdings 2008 geändert, um den Status eines Gebietes von hohem Schutz zu einem, der Vermietung erlaubt, herabstufen zu können.
Die Frage des Territoriums des Ile-Alatau-Nationalpark ist heikel, da seine Grenzen nicht vollständig festgelegt sind. Der Nationalpark mit seinen atemberaubenden Landschaften aus Wäldern, Gletschern, Seen und bis zu 4540 Metern hohen Bergen, die zum Revier des Schneeleoparden gehören, ist ein Gebiet, das von der Republik Kasachstan direkt kontrolliert wird. Almaty, die größte Stadt des Landes, grenzt direkt an den Park und die Grenzen sind bis heute nicht eindeutig, da kein offizielles Dokument die genauen Grenzen des Nationalparks festlegt.
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Gegenüber Novastan erklärte Greensalvation, dass das 2006er Gesetz viele Mängel aufweise. Die NGO kritisiert insbesondere die Pachtdauer von bis zu 49 Jahren sowie das Fehlen einer wirklichen Differenzierung zwischen den unter hohem Schutz stehenden Gebieten und den anderen Arealen des Parks.
Darüber hinaus ist es nicht das erste Mal, dass der Park Territorium an einen privaten Akteur abtritt. Die Folgen sind deutlich sichtbar: Der Park ist heute von verschiedenen Territorien und Bauwerken durchzogen, was seine Kartierung erschwert. Laut Greensalvation haben lokale Behörden und private Akteure dabei immer wieder gegen geltende Gesetze verstoßen.
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Einerseits haben die Behörden die geschützten Gebiete des Parks noch nicht physisch abgegrenzt. Andererseits haben private Akteure das Recht erhalten, Bauten zu errichten, die den Schutz der Umwelt bedrohen. Sergej Kuratov, der Vorsitzende von Greensalvation, sagt, dass diese Konstruktionen zur teilweisen oder vollständigen Ausrottung bestimmter Blumenarten geführt haben. „Der Park hat Menschen [auf seinem Territorium] zugelassen, die die Ziele der Schaffung eines Nationalparks nicht kennen und nur darauf aus sind, in ein Gebiet zu investieren und Gewinne zu erzielen“, sagt Kuratov. Aus dieser materialistischen Sicht resultierten Restaurants und Cafés, die für den Schutz der Artenvielfalt des Parks nicht geeignet seien.
Ein primitiver Ansatz der Behörden
„Um zu verstehen, was Ökotourismus ist, muss man verstehen, was ein Nationalpark und seine Funktionen sind“, meint Kuratov. Laut der NGO sei die Erhaltung des Parks für die umliegenden Gebiete und insbesondere für Almaty, das unter einer erheblichen Verschmutzung leidet, von entscheidender Bedeutung. „Der Ile-Alatau-Nationalpark ist durch seine Reliefs und die Zirkulation der Luftmassen, die ihn zu einer sauberen Luftquelle für die Stadt machen, der Garant für ökologische Stabilität“, so der Vorsitzende von Greensalvation.
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Laut der NGO sei die Natur des Ile-Alatau-Nationalparks nicht dafür da, um ausgebeutet zu werden, wie es heute der Fall ist. Tatsächlich kann die Hälfte der Fläche des Parks – 105.245 Hektar – für landwirtschaftliche Zwecke gepachtet werden. Im Jahr 2017 waren davon mehr als 560 Hektar für 49 Jahre unter privater Verwaltung. Diese Fläche wächst Jahr für Jahr im Rahmen der touristischen Entwicklung des Landes. Laut Greensalvation sei der Park weitgehend überfüllt, obwohl er seit 2002 zum Weltkulturerbe gehört.
Das Problem liegt also weniger im Ökotourismus als im utilitaristischen Konzept der Regierung, die bis heute keine Umweltpolitik verfolgt.
Maysan Amri, Redakteurin für Novastan
Aus dem Französischen von Robin Roth
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