Etwa 20 bewaffnete Personen haben einen Grenzposten im tadschikischen Ischkobod angegriffen. Zwei Vertreter der tadschikischen Sicherheitskräfte sowie 15 Angreifer kamen dabei ums Leben.
In der Nacht zum 6. November wurde ein Angriff auf den Grenzposten Ischkobod in Tadschikistan verübt. Dies berichtet das tadschikische Nachrichtenportal Khovar unter Berufung auf die Pressestelle des Innenministeriums. Der Posten an der Grenze zu Usbekistan liegt etwa 60 Kilometer westlich der Hauptstadt Duschanbe. Laut offiziellen Zahlen nahmen etwa 20 maskierte und bewaffnete Personen daran teil. Es kam zu einem etwa einstündigen Gefecht.
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Nach Angaben des Innenministeriums gelang es den AngreiferInnen, mehrere Kalaschnikows zu entwenden und einen Grenzschutzbeamten sowie einen Polizisten zu töten. Schließlich sei die Gruppe umzingelt worden. 15 der AngreiferInnen fanden den Tod, andere wurden festgenommen. Mehrere Fahrzeuge, die bei dem Angriff benutzt wurden, wurden ebenfalls zerstört.
„In der kurzen Zeit war es unmöglich, zusätzliche Truppen oder Spezialeinheiten an den Ort zu schicken. Dennoch gelang es den Grenzschutzbeamten der Sultanabad-Truppe, den Angriff selbst abzuwehren“, teilte der Pressedienst der tadschikischen Sicherheitskräfte mit.
Radio Ozodi, der tadschikische Dienst von Radio Free Europe /Radio Liberty berichtet mittlerweile mit Verweis auf nicht näher genannte Quellen, dass es fünf Tote unter den Sicherheitskräften zu beklagen gibt. Diese Angaben sind jedoch noch nicht von offizieller Seite bestätigt.
Mehrere Frauen unter den AngreiferInnen
Gemäß der offiziellen Version kam die Gruppe aus Afghanistan und überquerte heimlich die Grenze nach Tadschikistan. Fergana News meldete, dass offiziell nicht bestätigten Angaben zufolge sowohl unter den Toten als auch unter den Festgenommenen Frauen seien. Wahrscheinlich stammen die AngreiferInnen aus Isfara im Nordosten Tadschikistans und waren von dort nach Afghanistan ausgereist.
Der Angriff fand zu einem Zeitpunkt statt, an dem Präsident Emomali Rahmon auf Besuch in Europa ist. Dieser bestätigte am 7. November, dass er seine Reise fortsetzen und erst nach dem Staatsbesuch in Frankreich nach Tadschikistan zurückkehren wird. Die offizielle Visite wird noch bis zum 12. November andauern.
Tadschikische Behörden beschuldigen den Islamischen Staat
Die offizielle Darstellung lautet, dass der Angriff von AnhängerInnen des sogenannten Islamischen Staates (IS) begangen worden sei. Nach Angaben des Staatsausschusses für die nationale Sicherheit Tadschikistans haben die festgenommenen Personen ihre Zugehörigkeit zu der Gruppe bekannt und angegeben, dass sie ins Land gekommen seien, um Terroranschläge zu begehen.
Fergana News zitiert den russischen Sicherheitsexperten Andrej Serenko, dass der Angriff auch ein Versuch gewesen sein könnte, nach Usbekistan vorzudringen. Eine offizielle Bestätigung hierfür gibt es aber nicht, auch wenn die usbekische Seite den Vorfall untersucht. Bemerkenswert ist, dass der Angriff auf die Nachricht folgte, dass die beiden Länder den Entwurf eines Vertrags über die Demarkation der Grenze vereinbart haben, der in naher Zukunft unterzeichnet werden soll.
Zweifel an der offiziellen Version
Der IS selbst hat sich hingegen noch nicht zu dem Angriff bekannt. In anderen Fällen hatte die islamistische Gruppe ihre Beteiligung an Verbrechen in Tadschikistan bestätigt, unter anderem bei der Ermordung ausländischer TouristInnen in Dangara im Juli 2018 und beim Aufstand im Gefängnis von Chudschand im November 2018. Auch bei der Rebellion in der Strafkolonie Wachdat im Mai 2019 traten IS-Anhänger in Erscheinung.
Einige Aspekte der offiziellen Fassung werfen jedoch Fragen auf. Fergana News stellt insbesondere fest, dass der Teil der afghanischen Grenze, über den die TerroristInnen nach Tadschikistan eingereist sein sollen, erschlossenes Gebiet sei und selten von StraftäterInnen genutzt werde. Des Weiteren stellt sich die Frage, wie bewaffnete TerroristInnen in mehreren Autos Hunderte von Kilometern durch das Land bis an die Grenze zu Usbekistan gereist sein sollen, ohne an den Kontrollstellen unterwegs aufzufallen.
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Der russische Zentralasien-Experte Aleksander Knjasew spricht gegenüber CA-Irnews sehr direkt von „einer Aufführung, die von den tadschikischen Sicherheitskräften organisiert wurde“. Aus seiner Sicht ist die erste Inkohärenz geographischer Natur: „Man muss völlig ohne elementare Logik denken, um sich so zu bewegen, wie es die „Unbekannten mit schwarzer Maske“ taten. Es ist zu schwierig, aus dem afghanischen Kunduz zu kommen, zwei Bezirke und etwa 300 Kilometer tadschikisches Territorium zu durchqueren und dabei ein Dutzend Posten zu umgehen. Ohne in andere, mehr technische Details zu gehen, denke ich, dass all dies eine Aufführung, eine Provokation ist.“
Auch Dawlatchod Nasirow, ein Veteran der tadschikischen Spezialkräfte, äußerte gegenüber der Agentur Associated Press (AP) Zweifel: „Es ist allgemein bekannt, dass IS-Kämpfer einen Angriff nicht derart ungeschickt organisieren, dass die Sicherheitskräfte Tadschikistans ihn so schnell unterdrücken können“, wird Nasirow von Asia-Plus zitiert.
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Ein mittlerweile pensionierter Oberst des KGB geht gegenüber AP sogar noch weiter. „Am wahrscheinlichsten ist, dass die Angreifer aus Tadschikistan nach Afghanistan kamen und nicht umgekehrt. Tatsächlich sind Sie mit Nummernschildern aus Duschanbe gefahren“, teilte der Spezialist mit. Laut seiner Aussage, die auch von Asia-Plus berichtet wurde, „wurde der Angriff von lokalen Extremisten begangen, die sich terroristischen Gruppen in Afghanistan anschließen wollten“.
Radio Free Europe /Radio Liberty entdeckte eine weitere, gravierende Unstimmigkeit. Auf einem der Bilder, die die tadschikischen Behörden veröffentlichten, ist zu erkennen, dass ein am Boden liegender, vermutlich toter Mann an den Händen gefesselt ist. Auf Anfrage des Mediums lehnte ein tadschikischer Regierungssprecher es ab, den Tod der Person „zu bestätigen oder abzustreiten“. In einem von der Regierung veröffentlichten Bericht heißt es aber, dass alle festgenommenen Personen in einem nahen Dorf gestellt wurden und nicht am Ort des Schusswechsels. Auch verharrt die Person auf allen Fotos in der gleichen Position, ohne auch nur einen Finger zu bewegen. Die Bilder mit dem gefesselten Mann sind mittlerweile von der Webseite des Innenministeriums gelöscht worden.
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